: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 4. Juli 2008

Silvretta! Oder auch nicht.

Eigentlich hätte ich heute in Bielefeld sein sollen. Leider war da ein berufsbedingter, unaufschiebbarer Notartermin in München. Um drei Uhr. Als ein wichtiger Beteiligter um halb vier weder anwesend noch erreichbar war, ballten sich draussen schon Wolken zusammen, fast wie die Verbitterung und der Ärger im Raum. Mich betrifft es nicht, ich bekomme so oder so mein Geld, gerne auch für rumsitzen, und danach geht es an den See zu einem angenehmen Bad. Dachte ich. Keine Stunde später war mir dann auch nass und kalt, aber nicht durch das klare Wasser des Bergsees, sondern durch den sintflutartigen Regen, der die Auffahrt zur Wohnung in einen Sturzbach verwandelte. Und nein, weder hatte ich einen Schirm im Auto, noch die Fernsteuerung für die Tiefgarage. Wie hatte ich die Hitze der letzten Tage verflucht - nun war ich hoch oben in der Bergluft, es war kalt, düster, und ich sah unten auf dem See die Wolken von oben. Das wiederum passt so gar nicht zu meinen Plänen, die in etwa so aussahen:



Morgen kommt ab 9 Uhr die Karawane der Silvretta Classic nach Tirol, genauer nach Landeck, was von hier aus über den Achenpass, den Sylvensteinspeicher und den Zirler Berg in Form einer traumhaften Bergstrecke in zwei Stunden zu erreichen ist. Von dort geht es über die Reschenstrasse zurück in die Schweiz, und ich dachte, ich könnte bis hinter die Grenze mitfahren, ab und an ein paar hübsche Bilder von Traumautos in Traumlandschaft machen, am Ende in der Schweiz Schokolade kaufen, und im letzten Licht des Tages über eine andere, ebenfalls wunderschöne Bergstrecke zurück an den See. Unten in den Ebenen schwitzen sie, aber hier oben hätte es angenehme 25 Grad, Sonne, ein paar idyllische Wolken, und das Bimmeln der Kuhglocken mischte sich mit dem Gebrüll des Traums von Geschwindigkeit im 20. Jahrhundert, der Anno 2008 überall sonst zerstoben ist, nur hier in den Bergen dürfe man noch träumen. Vermutlich jedoch werden Bentley und Bugatti aus dem nassen Dunkeln auftauchen, wie dieses Jahr in Mantua.



Nachdem ich letzte Woche die halbe Strecke unter Wolkenbrüchen gefahren bin, frage ich mich, was ich morgen zu nachtschlafender Zeit tue, wenn ich um halb sieben hinausschaue, und schwarze Wolken im Tal hängen. Fahren und hoffen? Umdrehen und weiter schlafen? Es hinnehmen und mitleiden?

Gerade jetzt: Nieselregen.

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Empfehlung heute - die Grenze des Anspruchs auf Glück

Bei intelligent life findet sich ein Ausschnitt einer tollen Reportage über das Leben jenseits der Grenzbefestigungen, mit denen sich die USA gegen Mexiko abschotten.

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Donnerstag, 3. Juli 2008

Das Ende von der Mär vom Ende der Krise

Kennt man eigentlich bestens aus der New Economy: Ein Boom, Wachstum, eine Firma will ganz vorne mitspielen und kauft deshalb im grossen Stil Konkurrenten auf, hat sie noch nicht integriert, als der Markt zusammenbricht, versucht sich durch eine Kapitalerhöhung durch Aktienausgabe zu retten, kann die Papiere aber nicht unterbringen und hat da ein Problem, das aus einer 1,9 Milliarden Pfund schweren Kreditlinie besteht, und ein zweites, das sich auf einem Rückgang der Auftragseingänge von 60% gründet.



Und dann haben wir da noch eine Firma, die taglich, 365 Tage lang, je nach Dollarkurs etwas unter 20 Millionen Euro verbrennt. Über eine Million Dollar pro Stunde. Eine Firma, der innerhalb eines Monats ein gutes Viertel des Umsatzes weggebrochen ist. Und ich rede hier nicht über Kabel New Media und MCI WorldCom, sondern über einen Marktführer der britischen Bauunternehmen und den grössten Autohersteller der Welt.



Natürlich gibt es jetzt auch Durchhalteparolen und Meinungen vom Licht am Ende des Tunnels. Was noch fehlt, ist die Behauptung, erst wenn alle draussen seien, erst wenn sich jede Hoffnung verflüchtigt habe, könne es wieder aufwärts gehen - das sagte man 2002, als man eine "Next Economy" entdeckt haben wollte, und dann endgültig mit Neuer Wirtschaft und Nemax abstürzte. Heute ist das nicht mehr so einfach, Aktienbesitz ist in Deutschland sehr uncool geworden. Aktuell, würde ich meinen, stehen wir mit der globalen Krise dort, wo wir Ende 2000 mit der New Economy standen. Es ist vollkommen klar, dass nichts den Abwärtssog stoppen kann.



Wir können schon froh sein, wenn wir uns so lala abkoppeln können, in der Hoffnug, dass Europa (ohne England, Spanien, Irland, dazu noch Italien, Polen, Portugal, die Niederlande, Belgien, fairerweise auch Frankreich, Tschechien, eigentlich Gesamtosten plus Preussen plus Ruhrgebiet), oder besser das aus Hamburg, Frankfurt und Oberbayern bestehende, sichere Resteuropa nach dem Crash die verwertbaren Assets auf beiden Seiten des Atlantiks übernimmt und damit besser fährt als der Rest der auf Schwellenlandniveau zurückspekulierten Inflationshöllen former known as US of A.



Aber spassig ist was anderes. Die New Economy war lustig, weil der eigentliche Schaden, die falschen Investitionen in Idioten, für eine Weile eine Menge dummes Plebs in Arbeit brachte, das anderweitig als arbeitslose Rumhocker - siehe St. Oberholz - auch teuer gewesen wäre. Das war eine einzige Gummizelle, aber sie war klar begrenzt. Diesmal ist es anders, und es bleibt jedem selbst überlassen, wo er seine feuersicheren Wände gegen den Brand errichtet - ein Brand, über den ich nur weiss, dass man verdammt gute feuersichere Wände braucht.

Noch mehr Irrsinn? Bitteschön: Die Ratingagentur Moody´s erkärt die 2006er AAA-Note für hochtoxische Subprimepakete - mit einem Programmfehler. Jaja, damals (tm) lagen die Marktforscher bei ihren Pognosen auch etwas daneben.

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Don Alphonso darstellen

Ich bin absolut kein Freund von Pressephotos in dem Sinn, dass die Presse Photos von mir macht. Man hat zwar Persönlichkeitsrechte, aber einem Urheberrechtsverletzer und Lügner wie dem Pleitier Peter Turi ist das erkennbar egal, insofern behält man besser alle Rechte, dann kann man sich auch schnell und effektiv wehren. Ich würde mich auch ungern in meinem Zuhause ablichten lassen, das geht absolut nicht, vielleicht, weil ich mich weniger als Gegenstand von Berichterstattung sehen möchte, als ich letztlich bin, und deshalb auch auf mein Recht auf Privatsphäre poche.

Nun gab und gibt es in letzter Zeit einige Berichte, die fast schon in den Bereich Homestory gehen, und natürlich versuche ich, dem Bild im Blog dann auch im Interview gerecht zu werden; ich sehe mich veranlasst, eine Kunstfigur darzustellen und sie Dinge sagen zu lassen, die gar nicht unbedingt die Meinigen wären. Um hier einem Manko solcher Berichte abzuhelfen, die sich deskriptiv behelfen müssen, um die dem Gesagten natürlich angepasste Umgebung des Gesprächs in den Text zu bringen:



Ein wenig rechts vom Fenster sitze ich dann sehr breit und zurückgelehnt auf dem Sofa, biete Tarte, Torte, Tee, Kaffee und Auszogne mit hausgemachter Marmelade an, und wenn alles vorbei ist, trinke ich an Tagen wie heute ein Glas (a la facon venise) Eistee.

Ich denke, es gibt die Erwartungshaltung gut wieder, und man bekommt als Interviewer in etwa das, was man in der Redaktion vorgeschlagen hat. Und nun würde mich mal interessieren, wie es bei anderen heimgeschichteten Bloggern so aussieht.

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Mittwoch, 2. Juli 2008

Glut

In diesen heissen Tagen hat man mal wieder ein heisses Eisen gefunden, mit dem schönen Namen Construction Loans, und ein paar Idioten, die sowas in der Hand halten. Noch verdeckt sind andere Idioten, die das ganze Übel dann verbrieft aufgekauft haben.



Kurz nach diesem Bild hatte ich ein langes Telefonat mit einem Experten, der auf eine interessante Sache hinwies: Würde man die Bewertungsgrundlage der 70er Jahre nehmen, hätten wir in Deutschland akuell eine Inflation von rund 8%. Ich habe vorgestern quasi blind eine Kommode gekauft, die beim ersten Blick dann doch nicht so ganz meines war, aber nach dem Telefonat war ich froh, gekauft zu haben.

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Zeit der Extreme

Extrem sterben.



Oh, keine Frage.
Wir erleben natürlich auch Extreme des Todes.
Sogar viel anschaulicher und massiver als früher.
Damals war der Tod, das Krepieren und Gehen
nicht im Mindesten so allgegenwärtig wie heute,
da wir die Glotze nicht durchzappen können,
ohne einen stellvertretendes Tödlein zu sehen,
das zu erleben wir ansonsten - pardon - vermeiden.
Tod. Ist ja nicht so schlimm in Medien, gehört dazu,
der Held fickt nachher trotzdem die Überlebende,
Persönlichkeitskrise, warum denn, bitte Küssen,
Abspann, Tod treibt Handlung, das ist alles.

Wenn möglich, verpacken wir ihn in Zahlen,
mehrere tausend Tote wo auch immer, fern von uns,
click mich an, mach mir die Quote, schlimm, oh,
tja, nun das Wetter. Oh nein, Gewitter am Nachmittag.
Und nun zu den Produktinformationen, billiger!
Es gibt den Tod, man wird täglich darauf hingewiesen,
aber etwas anders und netter, als es früher üblich war.
Nicht so vulgär, so in der Mitte von uns allen.
Das Morbide, die Groteske, das alles packen wir
in die Kategorie Horror, ein Kitzel, aber keine Wirkung.
Wer den Tod bekommt: Nicht stören, bitte ins Altersheim.

Extrem leben.



Wir leben in bunt. Starck macht rotes Plastik,
nur Gold, da trauen wir uns nicht so richtig.
Wir Parvenüs der vergangenen Epochen
die wir Farbcodes haben und Einrichtungssendungen,
wir nehmen, was geht, und was wir uns trauen.
Wir haben Moden vom Nierentisch zu Maria Weiss
und viel Halogen, um das Elend auszuleuchten.
Nur Illusionen bauen und leben wir nicht mehr,
Grotten für den Sommer oder exotische Tapeten.
Neben uns brummt die Klimaanlage das Lied
von AKWs und Braunkohleverschwendung.

Unser Asien ist garantiert echt und nicht lackiert,
keine Illusion, sondern echt originale Kinderarbeit
Russland schenkt uns seine gepressten Holzspäne
und Kirschfurnierimitat blinkt unter Epoxyd.
Der nordische Konzern, der unser Leben liefert,
urlaubt unser Geld an den blitzenden Bahamasstrand.
Wir machen uns nichts mehr vor, keine Phantasie bitte
oder gar etwas, das Arbeit bedeutet und Putzen,
wir fressen Ritalin vom Plastikteller und alles ist gut,
viel besser als die Deppen von früher, die tot sind,
und von denen wir uns keinesfalls stören lassen.

Aber wir leben, wir leben nicht schlecht, gut sogar
und es kann uns scheissegal, wir erfinden neu,
die Industrie hilft gerne mit Pappe und Polymeren,
wir schleppen es heim, schreien in das Fernsprechgerät,
Schatzi, ganz toll, und es war superbillig und praktisch,
praktisch ist es natürlich auch. Schatzi glotzt an
und schiebt Convenience in die Mikrowelle.
Schatzi zieht sich nachher vielleicht sogar aus,
wenn der Porno als DVD rotiert, danach Studium
der aktuellen Supermarktangebote.

Wozu noch sterben?

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Dienstag, 1. Juli 2008

Empfehlung heute - Ost/West

und wieder zurück, mit Umweg und Vigilien.



Ich habe mir erklären lassen, dass es im Moment keine Finsternis gibt, irgendwo ist immer eine leichte Dämmerung, und es stimmt, ganz im Norden zeichnen sich in tiefster Nacht die Gebäude vor dem etwas helleren Himmel ab. Jeden Tag ist es fast unerträglich heiss hier im Tal, vielleicht fahre ich demnächst wieder in die Berge, auf Sommerfrische, und schreibe Gegenentwürfe zur Nachbarin Courths-Mahler, wie Standesunterschiede sich nicht um Liebe scheren -warum sollten sie auch, gefüttert durch schlechte Reichenmagazine und faul wegen des Ausbleibens gesellschaftlicher Prügel.

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Wo man bleiben kann - Platz 2: Norditalien Altstadt

Vor eineinhalb Jahren hatte ich den Kauf einer Wohnung in Italien auf der näheren Lebensagenda stehen. Es gibt eine Reihe von Gründen, warum es nicht geklappt hat: Extrem hohe Preise rund um den Gardasee, ein bescheidenes Angebot, später dann schwere rechtliche Bedenken beim gefundenen Objekt, einer restauierungsbedürftigen Villa in Riva, die sicher irgendwie finanzierbar gewesen wäre, aber mit unabsehbaren Risiken verbunden war, und dann zeichnete sich schon damals der politische Rücksturz in die finsteren Zeiten des Berlusconi-Regimes ab - Verona beispielsweise bekam einen Bürgermeister mit rechtsextremen Ansichten. Damit bliebe nur die autonome Provinz Südtirol übrig, aber Berge und Seen kann man auch in Deutschland haben, mit weitaus weniger Fahrleistung und vermutlich weitaus höherer Belegung. Dazu kommt jetzt noch Inflation, der allgemeine wirtschaftliche Niedergang Italiens und Benzinpreise, so dass auf Platz 2 dieser Serie von Empfehlungen für die Rettung des Privatvermögens durch Immobilien etwas ganz anderes steht: Eine Altstadtwohnung dort, wo man sein will.



Einschränkend möchte ich sagen, dass es natürlich ein paar Regionen gibt, in denen man so etwas keinesfalls will: Der Osten Deutschlands, das Ruhrgebiet und ähnliche No-Go-Areas, die nachhaltig bewiesen haben, dass mit ihnen auf absehbare Zeit nicht mehr zu rechnen ist. In wirtschaftlich guten Zeiten könnte man natürlich auch dort riskieren, aber die Erfahrungen der letzten Jahre und die allgemeine Krise spricht dagegen. In wirtschaftlich halbwegs prosperierenden Regionen jedoch erscheint es mir ratsam, das Geld so schnell wie möglich in eine Immobilie umzuwandeln, mit folgenden Eigenschaften:

- im Zentrum
- in einer ruhigen Seitenstrasse
- in einem denkmalgeschützten - oder schützbaren - Altbau
- mit etwas Erfahrung: Besser eine grössere, unrestaurierte Wohnung als eine kleine, übersanierte Wohnung.

Im einzelnen würde ich es so begründen wollen: Man spart durch die Wohung im Zentrum. In aller Regel rühre ich mein Auto einmal pro Woche an, wenn ich an den Tegernsee fahre. Ansonsten brauche ich es hier nicht, es ist alles in Laufweite. Theater, Konzerte, Geschäfte, Cafes, mein Leben ist zu 100% in der Innenstadt, und dadurch bleiben die Transportkosten niedrig. Müsste ich nach draussen, gibt es keinen Ort, der nicht von hier aus am besten zu erreichen wäre. Innenstadt spart Geld und Zeit.

- natürlich ist es in der Stadt nicht gerade leise. Aber es reichen meistens 200 Meter Entfernung von den A-Lagen, dass es dort in der Nacht "doudelt" (tötelt), wie man in Bayern sagt. Ein Kneipenviertel ist in Ordnung, wenn es in Gehweite zu erreichen ist, aber es sollte nicht direkt in der Nachbarschaft sein. Solche Nebenstrassen der Altstadt haben oft ein gutes nachbarschaftliches Gefüge, in das man gerade als langfristiger Besitzer in der Regel schnell aufgenommen wird.

- Denkmalschutz verlangt natürlich behutsamen Umgang mit der Substanz, aber gewisse Dinge am Haus oder die Restaurierung sind teilweise steuerlich absetzbar, oder erhalten sogar einen Zuschuss, wenn die Kommune finanziell halbwegs gut dasteht.

- Überrestaurierte Wohungen sind wie gespachtelte Oldtimer: Man sieht ihnen ihre Macken und Probleme nicht an, der Pfusch liegt unter Putz und kann zu bösen Überraschungen führen. Aus meiner Erfahrung mit in diesem Beeich tätigen Fonds heraus würde ich behaupten, dass die Risiken solcher Wohnungen höher sind, als die Probleme der eigenen Restaurierung. Generell würde ich also eher zu einer unrestaurierten Wohnung greifen, die bei gleichem Preis mehr Raum bietet, und sie nicht innerhalb von 3 Monaten umbauen lassen, sondern langsam selbst Raum für Raum vorgehen, Detail für Detail vorgehen. Dann mal den Boden machen lassen. Oder die Fenster. Und sehr genau überlegen, welche Patina bleiben kann. Ein paar Jahre Zeit lassen. Man wird noch länger dort sein.



Letzteres hat auch mit der allgemeinen Preisentwicklung zu tun. Nachdem mein Objekt denkmalgeschützt ist, und ich alle Käufe entsprechend nachweisen muss, habe ich hier im Blick, wie sich die Preise für Farbe, Putz, Heizungsrohre und Kleinzeug verändert haben. (Letzte Woche: Hausabrechnung, das Übel des Vermietens). Von 2001 bis 2008 haben sich viele Preise gradraus vedoppelt. Und im nächsten Jahr erwarten meine Handwerker einen Preisanstieg von mindestens 10 bis 15 Prozent bei ganz normalen Baustoffen. Wer einen Armatur von Grohe aus den 60er Jahren hat, alte Porzellanschalter für das Licht oder Türen, die sich retten lassen: Nichts wegwerfen. In aller Regel ist das, was vor Jahrzehnten noch finanzierbar war, nicht nur auf langfristige Nutzung ausgelegt, sondern heute auch erheblich teurer. Ein Wasserhahn, der seit 50 Jahren klaglos seinen Dienst tut, wird ihn auch in den kommenden 50 Jahren erfüllen - ein billigeres Ersatzmodell, das ich in einer Wohnung vor 11 Jahren verbaut habe, hat letzten Winter dagegen den Abgang gemacht, und es mitsamt des Schadens zu ersetzen war nicht wirklich billig.

Diese Teuerung wird mittelfristig auf Mieten und Immobilienpreise durchschlagen. Nicht sofort, nicht überall, aber ich wage die Prognose, dass es derartige Objekte nicht mehr lang halbwegs günstig geben wird. Einfach, weil unter Berücksichtigung aller Kostenfaktoren und der sozialen und demographischen Entwicklung die Altstadt die grösste Sicherheit für das Geld bietet, das man dort investiert. Solange man es selber tut, mit der Bohrmaschine umgehen kann, gerne was werkelt und man sich nicht auf Projekt- und Steuersparentwickler verlässt.

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Montag, 30. Juni 2008

Welch herrlicher Abend

Das tiefe Blau des Himmels, die warme Luft, ein paar angerötete Wolken nach einem dramatischen Sonnenuntergang, und noch Stunden werde ich draussen sitzen können.



Ein paar Autotüren schlagen, ein paar Leute verlassen die Stadt, und irgendwo gab es auch mal einen Schrei, ansonsten ist es angenehm still hier. Meine Tarte schmeckt vorzüglich, und sollte es doch nochmal etwas lauter werden: In meiner Anlage läuft eine CD mit spanischer Renaissancemusik.

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Empfehlung heute - Deutschland halt die Fresse

Du bist als Nation so unsagbar peinlich, und es ist gut, wenn es Dir ein Südtiroler mal deutlich sagt. (Überhaupt: Südtiroler, die einzige deutschsprachige Gruppe, die ansatzweise von sich behaupten kann, sexy zu sein)

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Nichts ist passiert

Alle Befürchtungen, Überlegungen und ausgefeilten Gemeinheiten - umsonst. Keine Skandale, kein Protest, kein wütendes Verlassen des Gartens, alle waren zufrieden, haben danach den Kuchen gegessen und dem sozialen Zweck freundlich unter die Arme gegriffen. Auch danach gab es keinen Faux Pas, keine Eifersüchteleien, und böses Getratsche ist mir auch nicht zu Ohren gekommen.

Das ist etwas schade, denn eigentlich hoffte ich, dass daraus in der Rückschau wieder eine neue Geschichte erwächst, die andernorts für Erheiterung sorgen könnte. Es war einfach nur ein weisses Zelt voller kultivierter Menschen mit Anstand und Benehmen, ohne Gequatsche, schlechte Manieren und Twitter. Ich habe oft genug in Berlin Auftritte gehabt, ich kann auch damit leben, dass sich sowas wie Felix Schwenzel ins Publikum zwängt, sich einen Awarenessgeilen abtwittert und dann in den Boden starrt, wenn er an mir vorbei gehen muss. Früher gab es die Wichtigtuer mit den nervigen Fragen, heute lassen die gleichen einfach das Handy an, egal wie das Getippe und Gekischer den anderen Zuhörern auf die Nerven geht. Es war wirklich sehr erfrischend, mal wieder vor Menschen aufzutreten, die einfach nur eine Lesung hören wollten.



Sicher amüsanter als mein Erlebnis, das jetzt nahtlos in die Fertigung einer Tarte übergeht, ist der drei teilige Bericht von Andrea Diener über diesen komischen Literaturpreis da im literaturfreien Schurkenstaat Österreich, der seine einzige Existenzberechtigung aus Andreas Berichten bezieht. Also, der Preis, meine ich, Österreich selbst ist nicht zu entschuldigen.

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Sonntag, 29. Juni 2008

Real Life 28.06.08 - Art at Auction 78/79, Seite 212

Hier, bitte. Fast identisch. Sehen Sie?
Ja. Ein guter Preis. Aber bei Auktionen gibt es immer Irre, die jeden Preis zahlen, das hat nichts zu sagen.
Und Sie sind wirklich einverstanden, trotzdem?
Junger Mann, ich habe es nicht nötig, den Inhalt meiner Garage zu Neumeister zu tragen. Hier ist eine Quittung, nur damit mein Sohn nicht später mal auf dumme Gedanken kommt und sie wiederhaben will. Das ist so einer, der es immer erst versteht, wenn es zu spät ist.
Ja.
Und vergessen Sie das Geschirr nicht. Bekommen Sie das alles überhaupt in Ihr Auto?



Ich denke schon. Einen auf den Beifahrersitz, einen auf den Gepäckträger. Sie wollen Sie wirklich nicht behalten?
Wenn Sie sie nicht nehmen, bekommt sie irgendein Händler, ein Neureicher oder ein Verbrecher wie der P.. Sie haben Sinn dafür.
Ich hoffe doch.
Jetzt sage ich Ihnen mal was. Sie sind bei diesen Leuten, die sie rumfahren, vollkommen fehl am Platz. Sie sollten Ihr Leben nicht mit diesen Kriminellen zubringen, das verdirbt nur den Charakter. Und kriminell sind sie alle, heute zeigen sie sich an, morgen arbeiten sie schon wieder zusammen, und die Anleger und die Helfer bleiben auf der Strecke. Sie sind doch keiner von denen, oder?
Nein, eigentlich bin ich Kulturhistoriker. Und eigentlich habe ich schon ein paar mal gekündigt, aber sie lassen mich nicht gehen. Einer muss am Ende fahren. Sie haben keinen anderen, und ich bin da jemandem verpflichtet. Dafür mache ich morgen eine Benefizlesung, das gleicht alles wieder aus.
Fahren Sie vorsichtig, und wenn sie sie restaurieren, machen Sie es nicht zu perfekt. Nur Amerikaner, die keine Ahnung haben, wollen keine Patina.
Keine Sorge, mein ganzer Stadtpalast wird nur von Patina zusammengehalten.
Quietschend schliesst sich hinter dir das Tor, so breit wie eine dreispurige Autobahn, und du wirst das nächste Mal etwas Fett mitbringen. Es sind diese Kleinigkeiten, von denen aus der Zerfall Metastasen bildet, aber man kann früh etwas dagegen tun.



Es gibt frische Kirschmarmelade in der Provinz auf der Dachterasse, dazu Kirweikipferl und Tee, aus dem Jubiläumsgeschirr von Zeh Scherzer, 1930 hergestellt und seitdem nie benutzt, und einen Himmel mit Wolken in Form der Rocaillen, die sich auch auf den roten Chinalackstühlen wiederfinden, die wohl doch englisch und um 1730 sind, aber das spielt jetzt keine Rolle, denn du musst noch einen aktuellen Text umschreiben.



Denn wie dir beim Abholen der Kirschmarmelade berichtet wurde, kommt auch Herr Dr. K., und seine Tochter ist überraschend aus der Schweiz eingetroffen, blendend soll sie aussehen und das Drama der elterlichen Scheidung überwunden haben - und da würde sich so manches im öffentlichen Vortrag nicht ziemen, sonst gibt es nur noch mehr Ärger, als ohnehin durch gewisse persönliche, man könnte sagen Konstellationen, unvermeidlich sein wird.

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Die 3-Millionen-Euro-Frage

Den Reichen die Pflicht zum Schönen. Andernfalls verdienen sie zu sterben.
Muriel Barbery, zitiert bei Anke
Und die Armen, haben die eine Pflicht zum Hässlichen? Einen Fluch zum Umschönen? Ein unausweichliches Schicksal, das sie dazu verdammt, grantig, zynisch und runtergekommen zu sein?

Vielleicht muss ich hier eine kleine Ankdote erzählen, über das, was sozial ist. Mein momentaner Aufenthaltsort ist, soweit man sich das irgendwie vorstellen kann, der komplette Gegenentwurf zu den schlechteren Vierteln Berlins und anderen sozialen Brennpunkten. Würde ich jetzt am Schnittpunkt zwischen diesen beiden Welten sitzen, im 103 an der Kastanienallee, würde ich in einer Stunde dreimal gefragt werden, ob ich nicht mit einem kleinen Betrag helfen möchte, der tatsächlichen oder auch nur erfundenen Not eines mich Ansprechenden zu mindern - sei es, weil er mir eine Geschichte erzählt, ansonsten randaliert, Musik macht oder sonstwie eine Umverteilung zu seinen Gunsten beabsichtigt. Und ich kann an dieser Stelle aus Erfahrung sagen, dass es selbst für jemanden wie mich durchaus ins Geld geht, diesen Wünschen nach sozialen Diensten längerfristig zu entsprechen, denn mittlerweile gehören Forderungen von 3 Euro für einen Döner, eine Fahrkarte oder was auch immer fast schon zum guten Ton.



Am Tegernsee wurde mein soziales Gewissen innerhalb von einem ganzen Monat nur dreimal angesprochen. Durchwegs von Leuten, die durch in einem Masse reich sind, dass ich sie hier trotz meines Abscheus vor diesem Wort nur als Elite bezeichnen kann. Die Sorte, die einem in fünf Minuten ein Termin bei wem auch immer verschaffen kann, eine Vietel Stunde vor dem ausverkauften Konzert noch Karten bekommt und bei der Durchsetzung ihrer Ziele vermutlich ähnlich impertinent sein könnten, wie der verrückte Schreier vom Helmholtzplatz. Diese Herrschaften sehen mich auf der Terrasse am Computer sitzen, verwechseln meine Jagd nach Informationen und Fahrten zu Versammlugen nach München mit "Freizeit" - schliesslich binde ich es hier keinem auf die Nase, dass ich beruflich über so etwas Unansprechbares wie Geld rede - und finden, dass ich ruhig ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft werden könnte. Ich fürchte in der Folge, ich werde im Herbst helfen, einige wohltätige Konzerte zu organisieren, der Landesbund für Vogelschutz will mich trotz Heuschnupfen, und jemand ist auch schon am überlegen, wie man mit meiner Schreibe helfen kann, das schöne Tegernseer Tal vor dem Investorenzugriff zu retten.



Das passiert übrigens nicht über die schnelle Anquatschnummer, sowas wird vorbereitet, erklärt, nahegebracht, mit guten, ja sogar besten Gründen vermittelt. Für die Ansprechenden wäre es vermutlich nicht das geringste Problem, einen Scheck rauszuschreiben und sich die gewünschte Leistung irgendwo zu kaufen, aber sie alle sind der Meinung, dass auch bei anderen die Daseinsbeschränkung auf nur rumhocken, den Kühen beim Grasen zuschauen und Torte essen absolut nicht geht. Sie alle denken, dass man gefälligst seinen Arsch zu bewegen hat, um diese Welt schöner und besser zu machen, angefangen bei dem gefährdeten Gut Kaltenbrunn bis zur Hilfe für bedürftige Mütter im Norden des Landes. Und ich lasse mich auch breitschlagen, damit ich wegen Überlastung den allerbesten Grund habe, den hier extrem stark verwurzelten Trachtenvereinen bedauernd absagen zu können, deren Schriftführerin mich beim Anmelden im Ort schnellstens - a so a gschtandns Mannsbuid, woins ned amoi a Drachd brobian - für den Almabtrieb der Krachledernen schanghaien wollte.



Es geht hier nicht gerade sozialistisch zu. Der Tegernsee ist ein grosser Brocken sozialer Ungleichheit in Deutschland, sogar die Wasserleichen werden in aller Regel als "gepflegt" und "mit Schmuck" in den Polizeibericht genommen, und all das wird glücklicherweise vom Grossraum München mit einer Stossstange gegen den Rest des Landes versehen. Ich erlebe hier Dinge, die ich nicht ins Blog schreiben würde, damit sich das nicht ändert, und dennoch: Ich halte das hier für notwendig. Weil es für die Angst habenden Mittelschicht sowas wie ein Gegenentwurf ist. Man kann die Häuser an der Mangfall spiessig und kitschig finden, aber als ich eines dieser Bilder gemacht habe, hat mich ein touristisches Ehepaar darauf angesprochen, wie schön das ist, und wie gern man hier leben würde. Es gibt eine Form des Reichtums, von der ich mir wünsche, dass er für die Mittelschicht ein Anreiz ist, der Angst nicht nachzugeben und zu versuchen, den Wohlstand auszubauen. Wohlstand funktioniert nicht mit Tütenfrass, Kleidern aus chinesischer Ausbeuterfrabrikation und Anrufen bei 9live, Wohlstand schafft und erhält sozialversichterte Arbeitsplätze in diesem Land, und lässt es nicht auf das Niveau der digitalgepennerten Minijobtwitterverarschten herabsinken. Ich hasse es, der CSU recht geben zu müssen, aber neben dem Arnutsproblem in Deutschland gibt es auch ein Problem im Umgang mit Wohlstand, eine "Oben/Unten"-Debatte, die niemandem was bringt, weil sie die Realitäten negiert.



Diese verlogene Debatte funktioniert über Archetypen, angefangen in der Glotze und endend bei den Blogs. Der böse Reiche, das sind die Zumwinkels und die Pooths, und das Spreeblickumfeld johlt, wenn dann ein Sascha Lobo bei einer Rentendebatte einen anderen wegen seiner teuren Uhr anpfeift. Der gleiche Lobo beschreibt bei Twitter, wie er kurz vor knapp ein paar tausend Euro Steuerminderung durch ein Fahrtenbuch zusammenbaut, und bietet zusammen mit Vorzeigerebell Johnny Haeusler für sein PR-Projekt für die CeBit einen Minijob mit allen wenig erfreulichen sozialen Folgen an. Und keiner frägt ihn, warum er und seine Kumpels das "Angebot" nicht selber wahrnehmen, und wie er dann diesen Job für sich selbst gegenüber der CeBit abrechnet. Faktor 2? Faktor 3? Wieviel verdient man, wenn man andere als Minijobber laufen lässt? Oder nehmen wir mal eine, beim Berliner Prekariat verhasste teure Uhr: Kann gut sein, dass sie ein paar tausend Euro kostet. Aber daran verdient ein Händler, ein Fabrikant, ein Uhrenmechaniker, es erhält einen werthaltiger Teil unserer Kultur, es ist gut, dass es so ist, und weitaus besser, als Plastikdreck aus Fernost, der dort unter übelsten Bedingungen produziert wird jedes Jahr im Müll landet. Teuer ist nicht zwingend asozial, genausowenig wie billig gut für alle ist: Die allseits bekannten Junkanbieter sind Durchlauferhitzer des Elends, angefangen bei Raubbau an der Natur über unwürdige Arbeits- und Produktionsbedingungen bis zu den Tricks, mit denen sich solche Firmen der Steuerpflicht entziehen.



Ich habe weniger Angst vor den real existierenden Reichen als vor den populistischen Heuchlern mit den einfachen Lösungen, die gerne deren Platz einnehmen wollen, um genauso beschissene Jobs anzubieten, mir ist der stille Solarinvestor lieber als der sozialgetünchte Blogstricher, dem es nach Erreichen von 2000 PIs nur noch um die Werbung geht; ich bin für eine sinnvolle Umverteilung, deren Ergebnis nicht jedes Jahr eine modische Furnierimitateinrichtung aus der Ukraine ist. Ich gebe gerne, weil mich der Anblick von Elend krank macht, aber es macht mir mehr Spass zu sehen, wenn sich Leute Gedanken machen, wie man etwas an den Zuständen ändern kann. Almosen sind kein Weg, Verschwendung auch nicht, und schon gar nicht an der Stelle, wo das eine in das andere übergeht. Armut ist nicht sozial, also muss es der Wohlstand und der Reichtum sein. Dieses Land braucht Wohlstand, viel Wohlstand auf allen Ebenen, und eine Menge Hirn, Verständnis von Zusammenhägen und Engagement.

Reichtum bedeutet Verantwortung, am Tegernsee wohnen und den Rest abtun ist genauso falsch wie ein gefälschtes Fahrtenbuch und Freunde, die sowas komisch finden, und vielleicht ist das Grundübel dieses Landes gar nicht so sehr die soziale Kluft, sondern die beschissene Verantwortungslosigkeit, die Leckmichmentalität, die kichernde Akzeptanz dieses Verhaltens von der CSU Hintertupfing bis in die Souterrains von Mitte, unabängig von Herkunft und sozialem Status.

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Freitag, 27. Juni 2008

Empfehlung heute - die wunderbare Jugend

einer Tochter eines italienischen Eisherstellers findet sich im Blog der Intelligent Life, an dem man wunderbar die Dummheit deutscher Fäuletons ergründen kann - denn hätten sie auch nur ein Bröckerl Hirn, würden sie ihren Lesern ähnlich schöne Seiten schenken.

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Der neue Spielplatz für Foodporn

So sieht es aus, wenn man etwas Kartoffeln, Broccoli, Zuchini, Egerlinge, Tomaten, Eier, saure Sahne, Spinat, Lauchzwiebeln, Rukola, einen milden Gorgonzola und Scamorza zu einem Gratin formt, es in den Ofen stellt -



und dann wie geplant im Rechaud daheim serviert. Ich bin kein grosser Fan von Restaurants, die sich schon ziemlich strecken müssten, um ähnliches zu bieten.



Für vier Personen auf jeden Fall ausreichend. Aber vielleicht bräuchte ich doch noch ein zweites Exemplar. Man weiss ja nie, wer kommt, und so eine Bergwanderung macht hungrig.



Nein, es ist nicht gerade die leichte Küche. Aber fasten werden wir alle noch, wenn wir tot sind. (Vielleicht sollte ich mal wieder ein Berliner Müllbild aus dem Archiv holen, um mich zu erinnern, dass alles hier keine Selbstverständlichkeit ist)

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Freitag, 27. Juni 2008

Real Life 26.6.08 - Zahltag

Wer zahlt sie eigentlich?

Wenn alles gut geht, wird das bei dem Streitwert für die Gegenseite so teuer, dass Sie sich darüber keine Gedanken machen müssen.

Und wenn nicht?

Die meisten Mandanten haben ihre Anlagestrategien breit aufgefächert, grauer Kapitalmarkt, Aktien, Festgeld, Immobilien,und vermutlich jede Menge Schwarzgeld irgendwo. Und es gibt so Tage, da entgeht nichts den schlechten Meldungen, da wollen Anwälte viel Geld für den Schriftsatz der Selbstanzeige, die Steuer will Geld, die Inflation frisst die Festgeldzinsen auf, die Aktien crashen, von den Immobilien kann man nicht runterbeissen, obwohl das fein wäre: Denn der graue Kapitalmarkt nämlich braucht erwartungsgemäss frisches Geld von den Gesellschaftern. Heute war so ein Tag. Ein verdammt hässlicher Tag. Es ist gar nicht so leicht, an so einem Tag einer Betroffenen eine schlüssige Antwort für den schlimmsten Fall zu geben.

Keiner, vermutlich. Soweit ich informiert bin, haben die meisten Gesellschafter schon Vorsorge getroffen, damit die Geschichte nicht auf ihr Vermögen durchschlägt. Schlecht für mich, aber ich kann es irgendwo verstehen. Allerdings kann es auch sein, dass die Gegenseite versucht, ihr Geld aus der Gefahr zu bringen, für den Fall, dass sie verlieren. Wäre auch nicht besser. Es kann alles sehr, sehr lang dauern. Vielleicht sollte ich mal anfangen, meine Rechnungen einzutreiben.

Sie lächelt süffisant und beruhigt dich, dass du bei ihr keine Angst haben brauchst, denn sie hat keinen Mann mehr, dem sie noch etwas überschreiben könnte, und wenn es durch alle Instanzen geht, wirst du das Vergnügen haben, deine Auftraggeber die Rechnungen mit ihrem Erben ausfechten zu sehen, denn sie glaubt nicht, dass der freiwillig irgendwas rausrückt. Draussen gleitet unter Regenschleiern die entzückende Landschaft des Starnberger Sees vorbei, leider unter einem grauen, feuchtnassen Bleihimmel, der den Blick zu den Alpen in etwa so versperrt wie die lausige Natur der Berlinimmobilie den Weg zum versprochenen Ertrag.

Du erzählst ihr den neuesten Tratsch von den armen Schweinen, mit deren Geld gerade in der Hauptstadt weisse Pferde in Restaurants untergebracht werden, und welche Summen angeblich bezahlt wurden, um genehme Berichte darüber in ohnehin fondsfreundliche Zeitungen zu bringen. Von der Designclique der selbsternannten "Designladies", die Frauen umgarnt, deren Männer dann zeichnen oder bei Verfahren helfen sollen. Es geht immer noch schlimmer, hier kann man sich wenigstens wehren, oder dem Gegner einen Herzkaschperl mitverursachen. Dann kommt das Tor, das sich automatisch öffnet, die Auffahrt, und sie bittet dich, in die hallenartige Garage zu fahren, von da aus hat sie es bei diesem Wetter leichter ins Haus.

Zwei grosse Wägen stehen noch da, und Möbel. Das kommt alles raus, sagt sie und entschuldigt sich für die Unordnung, das steht jetzt schon hier, seit sie die Stadtwohnung aufgegeben haben, jetzt will sie Ordnung machen und hat auch schon einen Händler, der das ganze Zeug abholt. Ein Halsabschneider, aber sie hat keine Lust, sich noch damit auseinander zu setzen, der Erbe hat kein Interesse dafür, nur die Sache mit den Stühlen von ihren Urgrosseltern ärgert sie: Die sind nämlich durchaus was wert, aber damals beim Umzug gingen die Kissen verloren, und deshalb würde sie der Erbe wegwerfen, der Händler jedoch will sie einfach so umsonst haben. Die beiden da.



Dort stehen zwischen Schränken und Tischen zwei rot und gold gefasste Rokokostühle mit hohen Lehnen, nicht perfekt erhalten, aber keine Kopien, geschnitzte Originale aus der Zeit um 1740 mit alten Reparaturen. Die Sorte, deren Anblick dir in der Leistengegend weh tut. Die Sorte, deren Marktpreis auch reiche Designcliquen in Berlin nicht mal eben aus der Portokasse bezahlen könnten. Um 1870, erzählt sie, hat ihr mit Getreidespekulationen und Überseeprodukten reich gewordene Urgrossvater im Badischen ein Schloss mit dem gesamten Mobiliar gekauft, vieles wurde ausgetauscht und das Schloss durch den Wandel der Zeiten wieder verkauft, aber diese Stühle haben sich erhalten, natürlich müsste man sie renovieren, aber zum Verschenken an einen Händler, nein, da würde sie sie lieber verheizen.

Ich tausche meine Forderungen gegen die Stühle, sagst du, ohne eine Sekunde darüber nachzudenken, dass dein Verhalten absolut unschicklich ist. Und du eigentlich keinen Stuhl mehr brauchst.

Sie findet das unschicklich, da viel zu teuer bezahlt und drängt dir obendrein noch ein Teeservice auf, das du natürlich auch nicht mehr brauchst.

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Empfehlung heute - Mönche essen alles.

Insofern ist es mutig, sich als Gorillaschnitzel in die Klauen einer Kirche zu begeben.

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