: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 1. August 2010

Ein viertel Jahrhundert später

Als ich nach meinem Abitur die Reise nach Amerika auch noch hinter mich gebracht und begriffen hatte, dass dieses Land absolut nichts für mich ist, brachte ich aus San Francisco einen schweren Jet Lag mit. Es war Sommer. Und ich wachte jeden Tag noch vor Sonnenaufgang auf. Ich laborierte wochenlang daran herum, und weil ich ohnehin nichts anderes zu tun hatte und der Studienbeginn noch fern war, schwang ich mich jeden morgen auf das Rennrad und fuhr eine Tour mit 60 Kilometern ins Altmühltal Mit allem Drum und Dran dauerte das zwischen 2 und 2,5 Stunden. Dann gab es Frühstück. Im Herbst blieb ich sogar ein paar Mal unter zwei Stunden, was ziemlich schnell war. Heute, 24 Jahre und nicht ganz so viele Kilo mehr am Körper später, war ich am Einstieg zu meiner alten Strecke auf Aussentermin.



Und dachte mir so: Probieren wir es. Schliesslich ist auch die Technik weiter, das alte KTM wog 10,5 Kilo, das Votec 7,7, das sollte helfen. Das Wetter war perfekt, es war überraschend wenig los, und die Strecke war so wie früher: Wellig und abwechslungsreich, noch nicht durch Ortsumgehungen verschandelt, die Dörfer sind etwas gewachsen und es sind mehr Marterl in den Kurven, aber es ist immer noch die gleiche schöne Strecke über Seitenstrassen und Jurahöhen hinunter ins Altmühltal.

Aber schon an den ersten Steigungen... früher war es wie Achterbahnfahren, mit Karacho den Berg hinunter und die nächste Kuppe im Stehen genommen. Nach einer Weile weiss man genau, wie schnell man sein muss, damit man wieder nach oben fliegen kann. Heute bin ich dank des Untersatzes sicher noch schneller, aber es reicht nicht mehr die Hügel hinauf. Die Hälfte geht immer, aber zur Spitze hin, wenn die Steigung lang ist, krieche ich dann. An keiner Stelle unter 10 km/h, aber es ist nicht mehr der rasante Ritt über Berg und Tal, sondern eher von Berg zur Qual. Und das geht auch auf die Zeit und die Muskeln.



Immerhin sind am Hinterrad zwei grosse Ritzel, die ich an keiner Stelle bemühen musste, auch nicht am langen, elend langen Anstieg hoch auf die letzte Jurakuppe. Ein paar Minuten später musste ich dann aber die Bremsen bemühen. Statt des üblichen Schmatzen kam ein Knirschen, statt der Bremsleistung ziemlich wenig Entschleunigung. Shimano hat die Bremsschuhe so konstruiert, dass Plastikschrauben auf der Innenseite der Schuhe ab einer gewissen Abnutzung der Bremsbeläge an der Felge aufsitzen. Das bremst dann eher bescheiden, und wenn man in das Schambachtal hinuntersaust... nicht die 18% vom letzten Mal, aber 15% sind auch nicht ohne, und man merkt das erst, wenn man richtig hart bremst. Ich würde mir wünschen, die Erfinder dieser Konstruktion, die wie ein Abendessen mit Lobo*, Niggemeier und Turi gefallen kann, auch mal diese Erfahrung machen würden - unten kommt abrupt eine Vorfahrtsstrasse, und das Gefälle bleibt bis zu diesem Punkt erhalten. An dem Punkt zückte ich dann ein Messer und schnitt die Plastikschrauben ab. Kann sein, dass die Beläge nicht mehr rausgehen, aber das ist mir egal: Das Zeug bleibt nicht an meinem Rad. Die Modolobremsen am KTM waren auch eher zur Optik verbaut, aber damals war alles noch schlechter, und man wusste, dass man auf Selbstmordgeräten sass. Heute hat man das angeblich beste System der Welt, und rauscht knirschend mit Tempo 40 in die Kreuzung. Da kommen so schnell wie möglich Campagnolobremsen dran.



Ach ja, Kipfenberg. Der Weg von Schambach nach Kipfenberg führt an den Restaurants meiner Kindheit vorbei, aber dort halten würde nun nicht nur den Schnitt, sondern auch die Figur versauen. Also weiter, immer weiter, wieder die Juraanhöhen hinauf, durch verwinkelte Dörfer und dann hinunter ins Donautal. 3 Stunden, sagt die Uhr. Das ist ein 20er-Schnitt mit allen Zwischenstops, früher haben Bremsen funktioniert und ich hatte kein Blog zu bebildern, aber: Das ist nicht gut. Noch weniger gut ist mein doch ziemlich erschöpfter Zustand. Gut gehalten, sagen manche, wenn sie mich nach langer Zeit wieder sehen. Nicht wirklich, muss ich sagen.

Und dass andere in meinem Alter vermutlich nicht mal mehr zum Bäcker radeln könnten, ist auch kein Trost. Das muss besser werden.

*dass ich mal im direkten Vergleich zwischen "Blogger" und CSU-Ministerin nicht letztere für komplette 100% der bescheuerten Aussagen, kindischen Faseleien und debilen Albernheiten zum Thema Internet verantwortlich sehen würde, hätte ich auch nicht gedacht, aber das hat man davon, wenn führende Gestalten der Szene zum falschen Zeitpunkt mit dem falschen Pleitier den falschen Werbevermarkter gründen.

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Freitag, 30. Juli 2010

Es grollt im Internet

Es ist einer der Tage, den manche nicht schätzen werden, weil Konkurrenz das Geschäft nur für manche belebt und für andere verkleinert - aber nach anderthalb Jahren und 31000 Kommentaren war es bei der FAZ einfach mal an der Zeit, etwas Neues auszuprobieren. Ein Multiautorenblog über Internet, Computer, Menschen und Gesellschaft. Mit dabei bei dieser kleinen, nicht zu ernsten Barockoper ist unter anderem Malte Welding und andere, die sich vielleicht irgendwann zu erkennen geben. Hier geht es los:

http://faz-community.faz.net/blogs/deus/archive/2010/07/30/das-neue-internet-und-die-alten-toten-eliten.aspx

Ich werde da allersings nur sporadisch Rezitative vortragen, die grossen Arien singen die anderen.

(Und das war einer der Gründe, warum ich in den letzten Tagen so unter Druck stand. Einer, und vielleicht auch der Schönste.)

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Zukunft

Der technische Fortschritt ist im unten stehenden Bild zu betrachten. Wir sehen drei Systempedale für Fahrräder. Zwei sind zerklüftet und vor allem aus billigem, lackierten Eisen, eines ist aud hochglänzendem Aluminium. Zwei sehen aus wie kaputte Maschinen, eines ist elegant. Zwei wiegen 100 Gramm mehr als die schlanken, gerade Formen des anderen. Zwei können noch nicht mal an der Längsachse mit der Kurbel verschraubt werden, sondern nur über einen Inbus, den man über den Achsenkopf einführt. Sprich, man wurschtelt zwischen Rahmen und Kurbel rum. Sollte man den Inbuskopf beschädigen, kann man die Kurbel wegwerfen - die Pedale werden nie mehr herausgehen.



Das Pedal oben links braucht zudem einen 8er-Inbus, den so gut wie niemand auf einer Tour dabei hat, bei 6 ist normalerweise Schluss. Man sollte glauben, dass die systempedale links mit ihren kleinen Mechanismen auch weniger aushalten, als das grosse Pedal, und es stimmt. Zudem hat das grosse Pedal Rillenkugellager, während die anderen recht bescheidene und sehr kleine Konuslager besitzen. Es gibt keinen Aspekt, der für die kleinen, schweren, scheusslichen und anfälligen Pedale spricht. Aber die sind die Zukunft. Und das Pedal rechts entspricht einem System, das kaum mehr verwendet und produziert wird. Auslaufsmodell.



Zum Glück fahre ich ein altes Colnago und schraube dran, was mir gefällt. Gerne auch den technischen Rückschritt.



Lustigerweise gibt es aber schon wieder ein neueres System, bei dem die Platten grösser und die Formen glatter werden. Angeblich soll das besser halten. Soso.



In zehn Jahren schaue ich mir das vielleicht auch mal an, aber solange sollten die alten Pedale halten.

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Freitag, 30. Juli 2010

Es dauert eben etwas

Manchmal werde ich gefragt, ob ich Hausmeister bin - und ganz ehrlich, wenn ich ausserhalb des Internets unterwegs bin, gilt meine Hauptsorge mehr dem Haus, in dem ich wohne, als irgendwelchen Blogs. Das mit den Blogs kann schnell vorbei sein, aber so ein Haus, das begleitet man nicht ein Leben lang - das begleitet einen ein Leben sucht sich dann einen anderen, wie es das seit 410 Jahren schon tut.

Vor etwas mehr als einem Zehntel dieser Zeitspanne wurden die ehemaligen Wohnungen- oder sollte man sagen, Verschläge? - für Dienstboten, die damals schon normale Räume waren, zu einer grossen Wohnung zusammengefasst, und mit neuen Böden und Türen zu einer modernen Wohnung gemacht. Daneben ging es auch hinauf in den Speicher, und auch dort wollte man eine Tür haben. Die hatte, weil mit meinen Eltern neue Bewohner kamen, natürlich eine geringe Priorität. Der Handwerker machte also erst die Wohnung, brauchte länger als gedacht, hetzte sich ab, und als der Einzugstermin nahte, war noch nicht mal die wenigstens schon grundierte Wohnungstür gestrichen. Das und die unbehandelte Tür zum Speicher würde er nochnal irgendwann machen, sagte er.

Dann kam dies und jenes dazwischen, da war noch ein Termin und hier wäre es schlecht, sicher doch bald - das Ende vom Lied war irgendwann eine Tapezierung der Türen und das Ableben des Handwerkers. Die Tür zur Wohnung habe ich vor 17 Jahen hergerichtet und gestrichen, aber die Tür zum Speicher...



Die habe ich von den Tapeten befreit. Dann musste ich aber oben erst mal dies und jenes tun, die Wände verputzen und die Hölzer von Farbe befreien, Möbel tragen oder über die Fassade nach oben ziehen, weil die Stiege zu eng war. Es war eine Mordsarbeit und Schlepperei, und als ich dann darin wohnte, endlich, endlich, wollte ich erst mal ausruhen. Dir Tür mache ich irgendwann später.

Später sagte ich mir, dass so eine fleckige Tür mit Tapetenresten der beste Diebesschutz ist, denn niemand vermutet dahinter irgendwas. Ab und an im Baumarkt vor den Farben überlegte ich, ob ich sie nicht doch - und dann vergass ich es wieder. 17 Jahre liegen zwischen dem Abreissen der Tapete und dem heute vollzogenen Reinigen von all den ekelhaften, kleinen Fitzeln.

Ich bin aber fest entschlossen, die Tür heute zu streichen. Gleich nach diesem Beitrag und einer Radtour und noch was zum Essen, also dann doch morgen. Spätetens. Wobei Holz natur ist auch nett, also, am Samstag reicht immer noch, ausserdem muss der Pinsel noch trocknen.

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Mittwoch, 28. Juli 2010

In der Hitze des Sommers

Was könnte besser zu diesem mal brüllend heissen, mal bitterkalten Sommer passen als eine wilde Liebesgeschichte, die in Tränen endet, mit sexy Funkeln, kriminellen Methoden und vorgeführten Bürgern, die Opfer ihrer Gier werden? Gluten der Donau! Wallungen des Mains! Erzittern der Elbe! Nur die Berliner sind immer noch pleite und schmutzig trübt die Spree. In der FAZ. Mehr oder weniger.

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Schneckenslalom

Es ist gerade nicht leicht, alles so zu organisieren, dass im Flickenteppich des Tagesablaufs mit so vielen unterschiedlichen Anforderungen bei Tageslicht ein Bereich bleibt, der zwei Stunden umfasst und, auch das ist wichtig, frei von Regen ist. Wäre ich in den Bergen, würde ich vielleicht bergesteigen gehen, aber ich bin in der Ebene, und die Wolken sind ohnehin so niedrig, dass alles kraxeln in der grauen Suppe enden würde. Es ist nichts besonderes, letztes Jahr bin ich ebenfalls um diese Zeit entlang einer frisch eingeschneiten Bergkette nach Benediktbeuren gefahren. Man gewöhne sich an solche Kapriolen. Und beschäftige sich mit der Erweiterung der Radbekleidung, denn so wie heute war es dann doch, zumindest am Abend und im regennassen Wald, recht frisch. Und zwischendrin auch regnerisch.



Weshalb auch so ziemlich jeder Weg voller Schnecken war (oben: Schneckenperspektive. Keine angenehme Sache, wenn der Radler 3000 mal schneller ist). Ich bin da etwas sensibel, wenn ich Sport treibe, und versuche nach Möglichkeit, die Natur so weit wie möglich für sich zu belassen, auch in Sachen Schnecken, selbst wenn ich eigentlich wenig Sympathien für diese Gattung hege, zumal für die ordinäre Nacktschnecke. Aber auch die wollen leben, also kurve ich, passe auf, bremse, wenn nötig, und verlasse den Wald, weil es einfach zu viele sind. Sollen sie doch ihre Orgien feiern. Fahre ich halt durch Felder und entlang des Flusses, wo meine ab und an gehegte Idee, es vielleicht doch mal mit einem Segelboot zu probieren, den üblichen Dämpfer bekommt.



Denn es ist wie am Tegernsee: Viele dieser Boote liegen einfach nur rum. Monatelang, jahrelang. Ich bin vermutlich nicht der einzige, der Probleme hat, zeitfenster zu finden, und für so ein Boot braucht man mehr als zwei Stunden, man braucht zudem schönes Wetter und Wind und einen Liegeplatz und eine Clubmitgliedschaft und Zulassung und hier und da nich was und einen Segelschein und der Partner muss auch Zeit haben... dann doch lieber das Radl. Einmalige Anschaffung, unbegrenzt Spass, minimaler Wartungsaufwand, keine weiteren Kosten, immer betriebsbereit, man kann auch seine Brötchen damit holen, und nicht nur ertrunkene Angler. Es ist nicht so schick wie eine Einladung zum segeln. Aber es ist auch nicht so ärgerlich wie die Berechnung des Aufwandes im Verhältnis zum Spass.



Auf dem Heimweg dann vorbei am Westviertel, wo die Gärtner die Gunst der kühlen Stunde nutzen und die Bäume und Hecken stutzen. Das kleine Haus im französischen Stil, das im Gegensatz zu vielen Klötzen eine Bereicherung des Viertels ist, hat die Verandatüren geöffnet, und im offenen Kamin werden die frisch gesägten Zweige verbrannt. Es riecht sehr novemberlich. Daheim regenet es gleich wieder, und ich koche Chili, für die Abwehrkräfte.

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Mittwoch, 28. Juli 2010

Auf dem Dorf.

Ich mag Bayern. Wieder. Das war nicht immer so, eigentlich war es bis Berlin nie so, und davor schien es mir nur in München erträglich, aber Bayern hat sich gewandelt. Das alte Bild, das ab und an noch transportiert wird, von den zurückgebliebenen Kaffbewohnern, die bis zum jüngsten Tag CSU wählen, ihre Kinder schlagen und Alkoholiker sind, das stimmt einfach nicht mehr. Ist zur Folklore verkommen, wird auf dem Oktoberfest nachgeäfft, von Italienern, Düsseldorfern und Australiern.

Gestern habe ich etwa zwei junge Männer kennengelernt, die an meinem ehemaligen Gymnasium Lehrer sind. Wir hatten damals einen 68er, einen netten Deutschlehrer, der sich letztlich umbrachte, und eine engagierte Englischlehrerin. Der Rest waren autoritäre Schinder zwischen Schwarz und Braun, die den alten Blödsinn mit der Ehrfurcht vor Gott noch genau nahmen und Leute, die das Schulgebet doof fanden, exterminierten. Wir hatten alte Nazis, die von SS-Uniformen schwärmten. Wir hatten Leute, die gezielt die Schnitte auf 4,5 runterkorrigierten. Wir hatten Lehrerkombinationen, da konnte man sich ausrechnen, dass man durchfallen würde. I)n Englisch stürzte ich bei einer gewissen, für ihre Heimtücke stadtweit bekannten Lehrerin um drei Notenstufen ab, um dann, als ich eine andere Lehrerin bekam, wieder drei Noten zu steigen. Der Direktor war gnadenloser CSU-Parteigänger. Die jungen Lehrer, die jetzt dort sind, hätten sich zu meiner Zeit allein schon wegen ihres Aussehens als Schüler massiven Ärger eingefangen. Es ändert sich hier alles. Sehr schnell, sehr heftig.



Solange man nicht auf die Dörfer fährt. Gestern war wieder so ein Tag, da ist mir wieder eingefallen, warum ich in den letzten Jahren in Bayern lieber Bergwandern und Bergradeln war. Wewil man nicht durch die Dörfer kommt.

Da hat das Elend der Saufparties nie aufgehört, genausowenig wie die endlose Liste der Wochenendtoten. Noch immer knattern sie mit frisierten Mopeds vorbei, noch immer ist alles voll mit tiefergelegten Polos der Motorsportfreunde Hinterschlunzing, noch immer sind die Strassen voller niedergefahrener Tiere, und einige Marters an meiner Strecke nach Nassenfels sind recht neu. Am Rande des Juras zerfallen immer noch die alten, mit Ketten abgeschlossenen Bauernhöfe, während sich davor das Elend der Toskanabunker ausbreitet. Die Gegend ist reich geworden, auch die Dörfer, jedes Kaff in 30 Kilometer Umkreis wurde gross und üppig, es geht hier nicht anders, aber bei jedem anrauschenden Vollgasdeppen merkt man die Unzufriedenheit, die Agression, das Nichts.

Und das wird sich vermutlich auch nicht so schnell ändern. Denn die niedrige bayerische Abiturientenquote kommt nicht nur aus den armen Schichten, sie kommt vor allem aus den Dörfern, zwischen den Feldern und dem Kriegerdenkmal. Und dieses Bayern wird noch lange brauchen, um sich zu ändern.

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Dienstag, 27. Juli 2010

Nur ein Stück

Es ist nicht geradee ein gutes Zeichen, wenn der einzige als solcher erkennbare Käufer einen aus Eisen zusammengeschweissten Flamingo vom Flohmarkt in Pfaffenhofen trägt. Ein Markt nach einem regnerischen Samstag mit Schlamm und tiefen Pfützen, der ohnehin nur vielleicht die Hälfte der sonst vertretenen Händler angezogen hat



Der Mann, der mir normalerweise italienische Capriccios verkauft, hatte diesmal nichts. Die Frau mit den Silbervorlegebestecken hatte überambitionierte Preisvorstellungen mit dem Hinweis auf den Weltmarktpreis des Materials. Mein amerikanischer Freund hatte keine neue Lieferung, die schönen Kerzenständer waren nur zusammen mit einer scheusslichen Uhr zu haben, das schöne, kleine Gemälde sollte 5000 kosten, vielleicht noch 4000, und die kleine, schwarz lackierte Chinavitrine brauche ich nicht mehr. Eine Büste ist zu schlecht und zu teuer. Daheim wäre die Matinee im Rokokojuwel, hier hat eine Frau einen nachgemachten Rokokospiegel für 400 Euro. Ich brauche keinen Spiegel, und die Art Spiegel, die ich brauche, habe ich seit drei Jahren nicht mehr gefunden. Vor drei Jahren hatte ich auf einer Auktion Glück, und konnte einen Fürther Venezianer kaufen. Seitdem sind diese Spiegel in allen besseren Einrichtungszeitschriften zu sehen. Und entweder extrem teuer oder extrem gefälscht. Jedenfalls für mich unerschwinglich.



Dieses Exemplar jedoch ist stark beschädigt, unten hat sich die Versilberung aufgelöst, und oben ist, so der Händler, eine Biedermeierkommode beim Transport hineingeknallt Ein paar mal ist eine Randleiste gebrochen, aber sie hält. In 30 Jahren geht das als Patina durch. In 30 Jahren kann ich Geschichten erzählen, wie ich damals in Pfaffenhofen doch noch einen Venezianer bekam. Das Elend mit diesen Stücken ist, dass sie so selten überlebt haben, weil die blind und fleckig wurden, sensibel waren, und irgendwann als vollkommen kitschig galten. Zusammen mit den früher recht hohen Preisen ist das keine gute Kombination. Drei Jahre habe ich gesucht und gewartet. Vielleicht wird es jetzt 5 Jahre dauern, oder noch länger, bis ich den nächsten finde. Ich brauche noch mindestens zwei davon.



Aber immerhin, mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, aber es ernährt sich. Ein Stück habe ich gefunden, auf dem grossen Markt. Nur eines. Aber es war das richtige Stück.

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Pfaffengeschwätz, elendes

Brannte im 18 Jahrhundert eine Oper während er Aufführung eines Lustspiels nieder, kreischten die Betschwestern, Mönche und Soutanenträger, dass Gott hier das liderliche, verkommene und perverse Gesindel bestrafe, das nur sein Vergnügen im Sinn hatte.

Stürzte dagegen eine Kirche während des Gottesdienstes ein, betrachtet man die Überlebenden als wundersam Gerettete, zum höheren Ruhme Gottes.

Daran sollte man sich erinnern, wenn man jetzt vorschnell über den Tod bei Amusement urteilt.

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Sonntag, 25. Juli 2010

Männernichtversteherinnen

Frauen verstehen absolut nicht, warum Männer mehr als, sagen wir mal, drei Rennräder brauchen. Das ist halt Sport, davon verstehen Frauen, naja, sagen wir mal, nicht allzu viel.

Aber wenn man dann nur rumsitzt und sich seiner Idealfigur in Doppelspitzkegeligkeit annähert, ist es auch nicht gut. Dann kommt die Diktatur, die in Sachen Abtreibung und Ehe abgeschafft wurde, als Schlankheitswahn mit repressiven Methoden zurück.

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Das beste Oparad

Zum Ausprobieren des seltenen Vogels gibt es eine kleine Seitenstrasse, die für Autos gesperrt ist. Sollte beim Antritt eine Speiche reissen oder der Gabelschaft brechen, fällt man nur hin, und nicht unter ein Auto. Und zuerst muss man Vertrauen zu einem neuen Stück aufbauen.



Besonders, weil es in einem nicht gerade guten Zustand war. Die Inspektionen hatten vernehmlich geschludert, die Kettenblätter waren eher lose verschraubt, die Schaltung war nicht richtig justiert und das Rad zum Justieren war verklemmt, der Umwerfer war in seiner Bewegung nicht begrent, überall war etwas zu schrauben, und nur, weil es daheim läuft, muss es noch lang nicht unter Volllast gut gehen.



Allerdings: Die Schaltung ist die Beste, die ich je hatte. Ich bin bei Mavic skeptisch, denn an meinem Rocky Mountain Vertex sind die extrem hochwertig wirkenden und teuren Offroad-Komponenten aus diesem Hause: ich habe es nie geschafft, sie problemlos zum Laufen zu bringen. Egal welche Ritzel, egal welche Schaltungsrädchen und Züge: Meines Erachtens sind die Schalthebel eine Fehlkonstuktion. Bei der Mektronic geht alles wie von selbst, der Unterschied könnte nicht grosser sein. Egal wo man hingreiftt, überall ist ein kleiner, gelber Hebel, den man nur antippen muss, und wie von selbst liegt der Gang drin. Will man schnell hochschalten, bleibt man einfach drauf.



Man könnte nun denken, dass alles bestens ist unter bayerischem Himmel und über brüchigem Asphalt, denn der Rest sollte keine Probleme bereiten. Der Rahmen ist enorm steif. Der Lenker fühlt sich gut an. Die Position ist fast perfekt. Was an Dura Ace verbaut ist, funktioniert gewohnt unauffällig. Nie mehr am Lenker rumziehen, um Gänge einzulegen. Schnell antreten, denn alles ist so leicht. Rauf bis 45 km/h ohne ein Zeichen von Schwäche. Und dennoch, es hat den Fluch der besten Ausstattung.



Wer immer den Vorbesitzer beraten hat, musste nicht auf das Geld schauen. Es gibt nichts, kein Teil an diesem Rad, das nicht 2000 ein Spitzenprodukt gewesen wäre. Auch die Vollcarbongabel von Time. Diese Gabeln waren Mitte der 90er an den Rahmen der Tourgewinner, aber sie hatten keinen ungetrübten Ruf: Sie waren wie viele andere Gabeln aus Nichtitalien zu wenig gebogen, und verfügten deshalb am Rad über zu viel Nachlauf. Das verwässert die eher nervösen Lenkeigenschaften von Rennrädern. Aus italienischen Sensibelchen werden deutsche Hausfrauen. Das Votec hat schon einen recht langen Radstand und eher flache Winkel, es ist von Natur aus keine italienische Rennradzicke. Aus dem Votec macht die Timegabel ein Schienenfahrzeug. Und obwohl am Vorderrad ein Kilo weniger Gewicht als bei meinen anderen Rädern ist, habe ich keines, das so träge auf Lenkbewegungen reagiert, wie das Votec. Manchmal reicht es nicht, das Beste zu nehmen: Man muss nehmen, was am besten passt.



Es ist trotzdem ein tolles Rad. Enorm schnell, auch beim Antritt am Berg. Es hat tolle Laufräder, die jede Klingel ersetzen; man hört einfach zu treten auf, und vom Freilauf kommt ein Geräusch, als würde ein böses Tier einen grossen Knochen zernagen. Und meistens geht es ohnehin geradeaus. Während mein Colnago und Battaglin stets wissen lassen, dass sie einen jederzeit umbringen, wenn man an der Lenkung rumschlampert, dass sie in jede aberwitzige Kurve gehen, auch wenn sie damit den Fahrer töten, wenn er nicht aufpasst, sagt das Votec: Alles bestens. Zieh ruhig am Lenker, es passiert nicht viel. Ganz locker bleiben. Blöderweise kommt dann aber der Moment, da man schnell in eine Kurve hetzen muss. Und genau das tut das Votec nicht, es tut nur überrascht und will darüber reden, dass es nicht im Kleingedruckten steht, es müsse mit dieser Gabel jetzt sofort in die Kurve. Von wegen, Es geht allenfalls in einen langen Bogen, zu lang vielleicht. Tödlich ist nicht das dauernde Gezicke der Italienerinnen, tödlich ist das deutsche Einlullen über der französischen Gabel in jenem Moment, da es schnell und nicht mehr gerade gehen muss. Es ist allein wegen der irrwitzig schnellen und effektiven Schaltung und des Gewichts formal besser als mein schon sehr feines Colnago. Aber Technik ist nicht alles, es fehlt einfach ein wenig der Charakter und sehr das heisse Blut.



Das Votec sieht böse, avantgardistisch, schnell und wieselflink aus. Ist es nicht. Es ist brav, bieder, technisch ausgereift und ein prima Rad, wenn man mit relativ niedriger Leistung relativ schnell von A nach B radeln will. Es ist das vielleicht schnellste Oparad, das man sich vorstellen kann.

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Sonntag, 25. Juli 2010

Ein vergessener, schräger Vogel

Und wieder so eine Sache: Traum erfüllt, einmal etwas wirklich Tolles gekauft, aber nicht mehr ganz jung, wie es eben so ist im Leben, ausserdem ist es nicht das Allerbequemste, anstrengend ist es auch, dann steht es eine Weile rum, südlich von München, und steht, und steht, und ist immer eigentlich noch ganz gut, aber vielleicht war es doch etwas zu viel... und nach 10 Jahren und ein paar hundert Kilometer, oder weniger, stellt sich die Frage, ob das jemand vielleicht noch haben will... Zustand wie neu, nur halt sehr exotisch für 2010 und 10 Jahre Geschichte, die sich einen anderen Weg gesucht hat. Exotisch war es schon beim Kauf, aber jetzt gibt es nicht mal mehr im Internet etwas darüber, die Firmen sind untergegangen, verschwunden, haben die Produkte längst vergessen, und sollte je etwas darüber in HTML existiert haben, ist es längst verschwunden.

Nun habe ich ein Herz für tote und abgestorbene Zweige der menschlichen Entwicklung und Technik, weil die zweierlei aufzeigen: Die Vergeblichkeit so vieler Fortschrittsbemühungen, und die später folgende Idiotie, es erneut zu versuchen, wenn diese Äste uneinsichtug neu zum Austreiben gebracht werden. Schlechte Blogs schreibunfähiger Journalisten, bei der Blogbar festgehalten, sind so eine Sache. Oder auch Radtechnik: Die aktuelle Kubeltechnik von Shimano mit Hohlachsen kenne ich auch noch von den Bullseyekurbeln, die hier noch rumliegen - und die sind 20 Jahre alt. Und nächstes Jahr wird jeder auf elektische Schaltungen eingeschworen - gab es schon von Suntour vor 20 Jahren an der Kurbel und vor 10 Jahren bei Mavic am Hinterrad. Womit wir bei einem ohnehin schon seltenen Votec R-1 Rahmen in der 1280 Gramm schweren Leichtversion sind, der mit einer noch selteneren Mavic Mektronic ausgerüstet ist.



Grossbild

Dazu hat es so ziemlich alles, was vor 10 Jahren gut und teuer war:



Rolf Laufräder. Wiegen unter 1600 Gramm. Ziemlich leicht. Und farblich durchaus passend zum Schwarzgelb der Time Carbongabel abgestimmt.



Einiges von der Dura Ace 7700. Jetzt nicht unbedingt meine Lieblinge, aber technisch ohne Tadel. Nicht schwer. Dauerhaft. Darunter der Funksensor des Zentralrechners des Rades, von dem aus man sogar schalten kann.



Am Lenker die enorm futuristische Bremsschalthebel. Nachdem Mavic damit trotz enorm hoher Entwicklungskosten für dieses System nie einen Fuss auf den Boden des Marktes bekam und die Serie mit den elektischen Schaltwippchen bald wieder einstellte - und obendrein die UCI deren Einsatz im Rennen verboten hat -, wirken sie auch heute noch recht ungewöhnlich. Da braucht man nicht mit einem Fixie ankommen, wenn man auffallen will.



Ach so, Fixies: Die sind ja so leicht und so zuverlässig, weil nichts dran ist, was kaputt gehen kann. Das Votec wiegt 7700 Gramm, und die Technik ist wie immer: Wenn man sich darum kümmert, geht es auch. Man beachte übrigens die Zwischenräume zwischen den Ritzeln: Kein Schmutz. Wie neu.



Optisch.. nun ja. Ungewöhnlich. Das Schaltwerk ist recht klobig, aber dafür braucht es keinen Seilzug, die Befehle kommen per Funk. Dadurch wirkt das Rad sehr aufgeräumt. Ein Schloss kann man sich fast sparen: Ohne den Computer am Lenker, der gleichzeitig die Sendeeinheit ist, kann man am Rad nicht schalten. Fast, weil die Einzelteile, falls man es zerlegt, auch nicht ganz wertlos sind. So um die 8000 Mark musste man vor 10 Jahren dafür zahlen.

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