Brunnenstrasse

Ungefähr zu der Zeit, als man auch von "Silicon Wedding" sprach, und der Begriff "Silicon Alley" durch die Gazetten geisterte, herrschte in Berlin die Loft-Manie. Tatsächlich hatte sich dank üppiger Förderung - manche sagen auch Parasitentum - im kalten Krieg auf beiden Seiten der Mauer die gesamtberliner Lebensphilosophie breit gemacht, dass irgendwer die schwangere Auster und die Stalinallee schon zahlt, und man deshalb nicht unbedingt die alten Fabriklofts aus den 20er Jahren mit arbeitenden Menschen füllen muss.

Dadurch rannte die boomende Netzwirtschaft direkt in Bürobauten, die nach langem Leerstand steuergünstig restauriert und vermietet wurden. In der Brunnenstrasse ist so eine Ansammlung von Komplexen irgendwo zwischen Aufbruch und Niedergang.



Rechts wird noch an Bauten gearbeitet, die niemals das an Profit einbringen werden, was man den Investoren versprochen hat. Links, und ein paar Häuser immer so weiter, ist der alte, graue Osten immer noch da. Im Grundstück daneben verottet ein Kleiderständer unter Laub, das wohl schon seit einigen Jahren nicht mehr entfernt wird, obwohl es sich eigentlich um den Garten einer Wohnanlage handelt.

Aber auch der Loftkomplex hat schon seine ersten Zerfallserscheinungen. In einer Bodenvertiefung wachsen Sträucher, und die mannshohen Plastikpilze, die wohl für eine besondere Form der Kreativität stehen, sind von der Witterung angegriffen. Der Komplex wirkt nur noch halbwegs sauber und modern, weil die Umgebung weitaus schlimmer ist.



Dafür auch billiger. So mancher Jungunternehmer im Loft wird darüber nachdenken, ob es woanders nicht erheblich günstiger ist, den Niedergang der New Economy abzuwarten. Denn diese Ecke der Stadt hat es nicht geschafft, schick zu werden. Wenn man durch den Torbogen auf die Strasse geht, ist direkt gegenüber Leerstand. Auch daneben ist alles zu vermieten. Provisionfrei, und auch 6 Monate mietfrei, was man so hört. Die Strasse rauf gibt es drei muffige Gebrauchtwarenläden, und die Strasse runter kommt ein Trümmergrundstück des zweiten Weltkriegs.

Ihr Loft hätte der Nukleus für etwas Neues in dieser kaputten Stadt werden sollen. Es ist ein Fremdkörper geblieben, wenn auch die Geschäftsideen, die hier zu Hause sind, längst nicht mehr Teil der Lösung sind.

Sondern die Avantgarde der Probleme.

Mittwoch, 12. Mai 2004, 19:24, von donalphons | |comment

 
Da wurde mit dem Denken von gestern versucht, was für morgen zu schaffen. Wer braucht noch eine repräsentative Büroflucht? Höchstens als wohlklingende Adresse, das wird Wedding wohl nie (was zu erwarten war). Alles andere kann man von überall in der Stadt erledigen. Ein paar Räume irgendwo langen.

... link  


... comment