Ich schwanke noch.

Gnädig gesehen könnte das, was bei uns hier gut sichtbar an den Laternenpfählen über der Brücke hängt, auch ein Platzhalter für elitenändernde Aktivitäten während der nächsten Weltrevolution sein.



Ich denke aber, dass es zwar nicht übel gemeint, aber letztlich doch ein Zeichen für den Umstand sind, dass wir zwar alle formal in einem Staat namens Deutschland leben, dieser Staat aber mit höchst unterschiedlichen Realitäten aufwartet.

Denn ich wohne an einer Anliegerstrasse. Hier kommt keiner vorbei, der nicht hier wohnt. Damit das so bleibt, gibt es auch massive Strassenrandvorsprünge, 10 Meter lang und zwei Meter breit. Auch die hat der Ort komplett durchbeblumt, zur Freude der paar Dutzend Anwohner, von denen ein Drittel im Sommer ohnehin auf Ibiza, Mallorca oder Florisa weilt. Es gibt in diesem Land Orte, die sich Gedanken machen über den Blumenschmuck auf halber Höhe ihrer Laternenpfosten, was man da pflanzt und welcher Gemeindearbeiter an sonnigen Tagen dort das Wasser bringt. Es gibt aber auch ganz viele ganz andere Orte, in denen weggeworfene Kühlschränke und Hundekot den Strassenrand säumen.

Und vermutlich dennoch keine Weltrevolution. Weil jeder auf seine Art mit und ohne Blumen ruhig schläft und zufrieden ist, und es gar nicht anders kennt.

Mittwoch, 4. Juni 2008, 19:25, von donalphons | |comment

 
„Durchbeblumt“ ist ein ausgesprochen schönes Wort, von dem ich hoffe, es möge dereinst meinen aktiven Wortschatz bereichern.

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Was will das sagen? Standes- bzw. Klassendünkel rules, im wahrsten Sinn des Wortes? Und einem Penner, der eingepißt auf einer Treppe liegt, mal eben zu unterstellen, daß er "auf seine Art mit und ohne Blumen ruhig schläft und zufrieden ist", ist doch wohl der Gipfel des Zynismus, oder?
(Falls irgendeine Art von Ironie enthalten sollte, die sich mir beim ersten Lesen nicht erschlossen hat - bitte geduldig erklären.)

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Der Link ist allein bei "ruhig schläft", und was ich damit ironisch ausdrücken wollte ist, dass alle Schichten, jede auf ihre Art, die Gegensätze offensichtlich einfach verpennt, und nicht reagiert auf die Gegensätze, deren Fragwürdigkeit ich eigentlich mit der Anspielung auf dem Hängen von Laternen vermitteln wollte. Weil hier das Thema "soziale Schere" so deutlich an jeder Ecke zum Ausdruck kommt und trotzdem nie bewusst zu sein scheint. Weil ich mich manchmal frage, warum es so absolut kein Thema ist, warum man so wenig darüber liest. Weil jede angemessene Revolutionsrethorik nicht mehr hilft.

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Vielleicht, weil die einen keine Zeitung kaufen und die anderen davon am liebsten gar nichts wissen wollen.

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oder weil's fürs penner-sein einfach zu viele gründe gibt, die nicht gleich einsehbar sind und übrigens komplett jenseits von revolutionsabsichten. dafür, dass penner auf st. pauli liegen und nicht am tegernsee, ja dafür gibt es natürlich schon recht einfache gründe. "etwas sein" und "wo vorkommen" sind eben zwei verschiedene dinge, so gesehen.

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Das "Schöne" an der Sache ist aber, dass es zwischen meinem Tegernsee und Matts Reeperbahn immer noch Verbindungslinien und Koinzidenzen gibt, die vielleicht surreal und schräg sein mögen, aber mich doch in einem Umfang umtreiben, der in seinen psychodelischen Grenzen seinen Platz im Blog finden sollte. Normal ist das nämlich alles nicht. Schon gar nicht das Abfinden mit dem Existierenden.

Vielleicht noch zur Erklärung: Gleich hinter dem Blumenkorb beginnt eine der schönsten Flusslandschaften Deutschlands, das Luisenthal, das so atemberaubend grün ist und friedlich stimmen sollte, bis dann eben solche Dinge kommen, die man irgendwo als selbstverständlich erachtet. Nur ich scheine daran den Haken zu erkennen.

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Ich habe selbst das Wort "Klasse" für ein Relikt aus längst vergangenen ideologischen Kampfzeiten gehalten - bis der Herr New Economy-Geschäftsführer an einem spendablen Abend als Krönung meinte, das sei "eben seine Art, mit Klassenunterschieden umzugehen". Daher verstehe ich auch nicht, wie man es in solchen Gegenden tatsächlich aushalten kann, ohne bei Laternenpfählen ständig über andere Verwertungsmöglichkeiten nachzudenken. "Stein schlägt Schere". Mein Ideal einer sozial befriedeten Gesellschaft sieht anders aus.

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ja, das alles ist mit möglichkeiten der verdrängung, (psychologisch formuliert: "leugung") durchkreuzt, verquickt und verwoben, und daher braucht es auch zusätzlicher blumenkübel, denn die landschaft alleine wäre vermutlich zu roh oder zu wenig zivilisationshaltig, böte also zu wenige requisiten der verdrängung, i.e. zeichen der gestaltbarkeit oder menschlicher autonomie. allerdings muss man zugeben, dass leute, die sich ernsthaft mit krankheit, armut, dem elend befassen und vielleicht sogar versuchen zu helfen, relativ schnell einsehen, dass es dafür deutliche grenzen gibt. meine beobachtung ist, dass nur wer es ernst damit meint, dennoch weitermacht, dann aber absolut unsentimental. natürlich gibt es auch einen zusammenhang zwischen der wertedefinition in einer gemeinschaft und der menge an menschen, die diesen werten nicht entsprechen können. es ist schon insgesamt netter (und die fallhöhe ist weniger tief) dort, wo sich das, wofür man gewertschätzt, anerkannt und gelobt wird, an menschlichen eigenschaften orientiert und nicht an der menge dessen, was man besitzt oder verdient. genau deswegen ist es auf der reeperbahn aber eben auch nicht nett.

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Ich wohne in einem Viertel, das überwiegend von einer jung-dynamischen Großstadt-Oberschicht bevölkert wird. Man erkennt es zum Beispiel an Kinderwagen, die man auch in "Sex an the City" bewundern konnte, an Müttern in Designerklamotten (im Winter allesamt in hohen Lederstiefeln), den mit Hemden beladenen Herren in der Warteschlange vor der Reinigung oder daran, dass all diese Leute schick herausgeputzt zum verkaufsoffenen Sonntag strömen.

Typisch für dieses Viertel ist aber auch die seltsam gekleidete ältere Dame, die den ganzen Tag über, Schachteln und Kartons um sich herum verstreut, mit leerem Gesichtsausdruck an einer Ecke der Haupt-Geschäftsstraße steht. Eine andere ging letztens vor mir her und gab in einem seltsamen Singsang immer wieder "Ikeaikeaikea" von sich. Ein älterer Mann steht immer wieder an einer bestimmten Stelle und murmelt vorbeigehenden Frauen Obszönes hinterher. Von ein paar "normalen" Pennern, die Stammgäste in diesem Viertel sind, ganz zu schweigen.

Übrigens scheint es seit einiger Zeit dort auch eine Einrichtung für Russlanddeutsche zu geben (was genau es ist, habe ich noch nicht herausfinden können). Auf jeden Fall wartet dort jeden Morgen neu eine riesige Masse an Menschen geduldig auf Einlass, während direkt daneben die Porsches vorbeibrausen.

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