Real Life 15.6.08 - Fallende Feste

Schon seit Jahren hatte der Efeu den Balkon der Familie H. zerstört. Vor wenigen Wochen wurden dann die betroffenen Holzplanken ausgetauscht, der Efeu abgerissen und bei der Lasur gepfuscht, denn die neuen Planken waren viel dunkler als ihre Vorgänger. Nachdem das fehlende Grün Frau H. aber ohnehin befremdete und man wegen sowas auch als Millionärin keinen Gärtner anrufen muss - kostst ja alles nur Geld -, stieg sie auf die Leuter, zog die Kletterrosen hoch zum Balkon, rutschte aus und landete mittelunsanft in einem Buschwindröschenbeet; meistenteils jedenfalls; ein Fuss schlug jedoch auf dem neu angelegten Holzboden der Terrasserweiterung auf, mit der Folge einer schweren Stauchung, Verdacht auf Bruch des Mittelfussknochens und Überweisung in eine Klinik an einen idyllischen, oberbayerischen See, wo ihr Mann solange die Geschäfte aus dem Hotel erledigt und ansonsten alles tut, um die Unpässlichkeit wie eine normale Kur wirken zu lassen.

Da gibt es nur ein Problem: Das Gartenfest war lang geplant und entsprechend vorbereitet; die Zelte waren angemietet und die Torten fest bestellt, eine Absage wäre unerfreulich gewesen, und als dann die Schwiegertochter in der Hoffnung auf das Ausbleiben des Ernstfalles und eine empörte Zurückweisung durch Frau H. meinte, sie könnte das ja auch übernehmen, musste sie - den von Susi verbreiteten Gerüchten zufolge - wenig erbaut erfahren, dass Frau H. die Initiative uneingeschränkt begrüsste, schliesslich musste die Eingeheiratete auch mal endlich lernen, wie man sowas macht. Und nun stehen draussen die Zelte in einem infernalischen Hagelschauer, ein paar zurückgelassene Gläser glänzen im nassen Gras, und auf den 20 Matern von den Zelten zu den trockenen Innenräumen sind alle - um es vorsichtig zu sagen - feucht geworden. Und die Schwiegertochter, die nicht erwartete, plötzlich all diese Leute im Haus zu haben, ist vor lauter Unorganisiertheit am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Du stehst mit Susi ziemlich am Rand des Debakels, aus dem gerne jeder verschwinden würde, aber keiner natürlich nach einer Stunde einfach so gehen kann, also nässt und dampft man sich was vor und isst Kuchen im Stehen. Oder begeht einen Fauxpas.

Monika! Monika! zischt es neben dir, es ist der Herr, der an Sylvester die dumme Idee hatte, bei dir daheim Kerzen - und Krabbensalatplastikverpackung - am Gasherd anzuzünden, und die Gerufene versteht gar nicht, was sie getan hat und fragt etwas verwundert Ja? Und alle schauen sie an. Was nicht weiter verwundert, denn sie ist völlig frei und einsam in einer Isolation, die man nicht als splendid bezeichnen kann. Monolithisch steht sie auf dem grossen Seidenteppich, den sie zu überqueren gedachte; vermutlich weil er so schön frei war und alle anderen Gäste natürlich wissen, dass man sich mit schmutziggrasenen Schuhen keineswegs darüber bewegen sollte.

Monika ist neu hier, flüstert Susi. Denn der junge Herr, der gerade einen Anlass bekommt, sich in ein paar Wochen bei Frau H. zu entschuldigen, der junge Herr, dem nach Weihnachten die blonde Freundin mit Hilfe von Mama und Papa ausgezogen ist, hat jetzt wieder eine Partnerin - noch jünger, schon wieder aus der Firma, einen Import aus Norddeutschland, Assistentin in irgendeiner Abteilung der grossen Frabrik und jetzt auch Copilotin in einem weissen Werkswagen sowie Anlass zur allgemeinen Verwunderung, wie man, wenn man schon so angezogen ist, auch noch triefend über den Seidenteppich zum Klo laufen kann.

Monika ist von bewundernswerter Einfalt, sie versteht gar nicht, was los ist zuckt die Achseln und marschiert sicherheitshalber einfach mal weiter dunkle Flecken auf den hellen Feldern des Paradiesteppichs hinterlassend, einen rautenförmigen Abdruck vorne und ein kleines Löchlein dahinter bei jedem Schritt, womöglich denkt sie sogar, man bewundere ihre tief ausgeschnittene Toilette, die das Tattoo auf dem Schulterblatt ganz natürlich sehen lässt. Oder die Tasche "a la russe" mit dem auffälligen Namen in Goldbuchstaben. Für ihren Freund ist die versauende Überschreitung von Frau H.´s Heiligtum vielleicht noch etwas unangenehmer als der Moment, da die Eltern seiner Ex mit den Möbelpackern kamen - da haben es direkt nur wenige miterlebt, aber das hier sieht jeder. Da, wo Monika herkommt, haben sie Stroh auf dem Boden, gibt Susi den Tratsch der kommenden Wochen vor. Wie gefällt sie dir eigentlich so?

Die unfreiwillige Gastgeberin kommt vorbei, entschuldigt sich überflüssigerweise für das Wetter und entbindet dich von der Pflicht, etwas halbwegs Geistreiches über Nichtigkeiten so zu sagen, dass es bei Susi als Kompliment für sie selbst ankommt. Draussen ist es kalt, die Scheiben sind beschlagen, man reicht Tee für die Wärme und Sekt zum Betäuben, und als dir später Monika vorgestellt wird, lässt du vorsichtig durchblicken, was es mit dem Teppich so auf sich hat, was sie mit einem "Weia und ich bin drübergelatscht" erwidert, verlegen an ihrem Tattoo rumreibt und dir bald erählt, wo sie sonst noch die Natur ihrer Oberflächen mit welchen Mitteln modifiziert hat.

Ihr Freund bekommt das auf einem Ohr mit und weiss nicht, ob er froh sein soll, dass nur du, der bekanntermassen weltgewanderte, über die bayerischen Landesgrenzen hinausgekommene Exzentriker mit den komischen Marotten und diversen asiatisch wirkenden Bekannten das alles erfährt, oder befürchten muss, dass es von ihr demnächst auch Leuten unterbreitet wird, die seiner gesellschaftlichen Stellung schaden können. Du hättest ihn beuhigen können, Susi hat alles gehört und Stress mit ihrem Freund, womit alles, wirklich alles zu spät ist, in dieser entzückenden, gastfreundlichen Provinzstadt, wo man auch noch posthum Gartenfeste feiern würde.

Montag, 16. Juni 2008, 01:42, von donalphons | |comment

 
Das ging doch jetzt gegen Norddeutschland, oder?

... link  

 
Unter uns, Bayern gelten hier im Norden ja auch eher wenig ;-)

... link  

 
... Bergdeutsche halt ... und dann noch dieser Dialekt - geht einfach gar nicht, tststs...

... link  

 
Nein, das ist einfach brühwarm serviert und meines Erachtens gar nicht ungerecht verteilt.

... link  


... comment
 
Wir Norddeutschen sind soviel Regen nicht gewohnt.

... link  


... comment
 
Die Hölle ist ein Gartenfest.

... link  

 
Die Hölle sind die Leute, die bessere Gesellschaft spielen und dabei vergeblich versuchen, ihre einfache Herkunft zu überspielen.

Südlich des Mains eine sehr verbreitete Verhaltensweise. Tendenz steigend je näher man den Alpen kommt.
(Gott, bin ich froh, nicht mehr dort zu wohnen)

... link  

 
Also, ein kleines bisschen sympathisch ist mir Monika nach der Geschichte ja schon. Auch wenn ich wenig mit ihr gemeinsam habe (jedenfalls weder Tatoos noch Schönheits-OPs) - höchstens die norddeutsche Herkunft. Das mag der Grund sein.

... link  

 
Ich erinnere mich noch an eine Szene aus dem Roman "Der Campus", in der der (bürgerliche) Protagonist auf einer Beerdigung eines Mitglieds einer Adelsfamilie versehentlich in das offene Grab purzelt. Alle, einschließlich seiner Lebensgefährtin, die sich ohnehin zu "Höherem" berufen fühlt, sind völlig betreten und peinlich berührt - nur der Adel selbst nimmt es mit Humor und lädt ihn anschließend sogar noch zu sich ein.

Natürlich sind feine Umgangsformen etwas wert, und sie helfen einem oft im Leben. Aber richtig vornehm ist nur, wer mit den Fauxpas anderer Leute souverän umgehen kann, ohne sie zu beschämen. Das ist jedenfalls ein entscheidendes Kriterium, wonach ich solche Leute beurteile.

... link  

 
amelia,

Aber richtig vornehm ist nur, wer mit den Fauxpas anderer Leute souverän umgehen kann, ohne sie zu beschämen.

genau so ist es.

derjenige, der schon da ist, wo der aufsteiger erst hin will, hat das ganze verbissene, letztlich aufgesetzte - hach, wie mache ich das richtig und weia, wenn ich das jetzt falsch mache - gar nicht mehr nötig. der weiss, dass er es richtig macht, und wenn er es eben falsch macht, macht er es bei sich zu hause, wo er das darf, oder bei leuten, die ihm deswegen nicht böse sind. daher kommt die souveränität dieser schicht.

... link  


... comment
 
... Da, wo Monika herkommt, haben sie Stroh auf dem Boden, gibt Susi den Tratsch der kommenden Wochen vor. ...

Ja, Ja, vorbei sind die Zeiten, als Chefärzte noch ihre Krankenschwestern zu heiraten pflegten!

So heißt es in der Studie des Makroökonomen Gustav Horn:

"Zugleich schotte sich die Mittel- und Oberschicht gegenüber der Unterschicht immer mehr ab. «Das ist beispielsweise auf den Heiratsmärkten deutlich zu beobachten: Vor 30 Jahren heiratete der Chefarzt gerne die Krankenschwester, heute heiratet er die Kollegin», sagte Horn."

... link  

 
na ja, so chefarzt-krankenschwester-ehen, ob das immer für alle teile das beste war, ich weiss nicht.

was mir gesichert scheint, ist, dass lehrer/innen gern im kollegenkreis heiraten.

... link  

 
Das mit dem Stroh war auch eine Anspielung auf einen im Internet und sogar in unserer Provinz nicht unlegendären B-Porno, und die "Gambrigkeit" des Herrn in Bezug auf seine Begleiterin.

Ich persönlich glaube nicht, dass es diese Zeiten je gegeben hat. In meiner weiteren Familie gab es noch 1924 einen dramatischen Doppelselbstmord, weil beide Clans der Meinung waren, eine Heirat wäre durch die Klassenunterschiede nicht möglich. Der Vorfall hat dann einiges aufgebrochen, bei meiner Grossmutter wurden ihre extravaganten Heiratsansprüche einfach so hingenommen, aber auch sie wiederum hatte klare Vorstellungen, was gut für meine Mutter ist. Die härtesten Vorurteile habe ich persönlich nicht in meinem - trotz allem eher legeren Umfeld - angetroffen, wo meine Eltern mit der Verkäuferin genauso wie mit der Apothekerstochter klar kamen, sondern in der Mittelschicht, wo es den Müttern immer extrem wichtig war, dass die Freunde aus den "richtigen" und womöglich besseren Kreisen kamen. Lieber ein durchgeknallter Rechtsnwalt als ein netter kaufmännischer Angestellter war da die Devise.

Was natürlich noch mit reinspielt, ist das Aussterben meiner Gesellschaftsschicht. Früher gab es einen gewissen Überschuss an in den besseren Kreisen unvermittelbaren Leuten, Exoten, Rebellen, Drittgeborenen und unehelichen Kindern mit üppiger Apanage, die ihren eigenen Weg gingen. Mit der Pille hat sich das radikal geändert, das Einzelkind ist die Regel, und es wächst im Gefühl auf, dass es etwas Besonderes ist und etwas Besonderes braucht. Dazu kommen dann auch noch Interessen wie Oper, Konzerte, gesellschaftliche Aktivitäten und Begünstigungen, die als vollkommen normal gelten und nur auffallen, wenn sie mit dem Partner nicht mehr möglich sind. An so etwas ist die Ehe einer mir gut bekannten besseren Tochter zerbrochen.

... link  

 
Man kann ja über die DDR viel schlechtes sagen. Aber eine gewisse Durchlässigkeit sozialer Schichten bzw. eine Beliebigkeit hinsichtlich der Statussymbole ist für mich im Nachhinein sehr deutlich. Da wohnte eben der Abteilungsleiter eines Großbetriebes im Plattenbau und jemand, der als Hausmeitser jobbte, in einem Teil einer Villa - und niemand fand das irgendwie bemerkenswert. Auch da, wo ich herkomme, gab es "bessere Viertel" - aber da wohnte nicht zwangsläufig auch die "bessere Gesellschaft".

... link  

 
@Don: Bedeutet dass dann auch, dass auf Familienfeiern das ältere Publikum sich lang und breit über die Benimm-Verfehlungen des einzigen anwesenden Kindes auslässt, wie es in meiner Kindheit regelmäßig der Fall war? Anlässe gab es genug: Leute beim Begrüßen nicht angeschaut oder Namen nicht genannt, beim Essen Ellenbogen auf dem Tisch, mit dem Essen gekleckert, einen Teil des Essens liegen gelassen, irgendwem ins Wort gefallen (anstatt, was für ein Grundschulkind unter lauter Erwachsenen extrem schwierig ist, brav und schweigend am Tisch zu sitzen)...

Manche Leute stehen ja in der Kindererziehung auch heute (wieder?) auf sowas. Aber ich finde es, ehrlich gesagt, sehr demütigend - auch noch in der Erinnerung nach Jahrzehnten.

... link  

 
Naja, wenn man mit einem bürgerlichen oder kapitalistischen Lebensstil die Freunde von der Stasi auf sich aufmerksam machen würde, ein klares bekenntnis zur Klasse jenseits von Arbeiter und Bauern ablegen wollte und dann noch Ansprüche auf eine enteignete Villa erhoben hätte -

ich sag´s mal so: Es hat der DDR, ihren Villen und dem Siedlungsbau nicht wirklich gut getan, was da gemacht wurde. Zusammen mit der Konsumwut des Westens und der sozialwen Abrissbirne gibt es eben diesen gesellschaftlichen Bruch in der Tektonik, dass die Anschlussgebiete in ihrer Gesamtheit nach unten durchgereicht wurden.

Meines Erachtens ist eine klassenlose Gesellschaft unmöglich. Was aber nicht unmöglich ist, ist die Hoffnung, dass es in allen Schichten ein Bemühen gibt, mehr zu erreichen als eine Fernbedinung für RTL-II-Nachrichten und der erste beim Sonderangebot des Supermarkts zu sein. Gerade im Bereich der Arbeiterbildung hat sich da wenig zum Besseren gewandelt, und dass auch meine Schicht in der Mitte kulturell auseinanderbricht und untergeht, steht ausser Frage. Ich habe eine gute Freundin, die hasst eigentlich Kinder, überlegt aber, trotzdem schwanger zu werden, damit sie den sich fortpflanzenden Idioten, den gierigen Karrieristen und den Verbrechern an der Spitze nicht dauerhaft das Feld überlässt.

... link  

 
Im übrigen ein interessantes Detail, dass man in der Provinz einen B-Porno kennt und (worauf die Anspielung schließen lässt) davon ausgeht, dass andere ihn auch kennen.

Ich hätte mit dieser Anspielung nichts anfangen können.

... link  

 
Amelia, es gab da noch eine weitere Szene, die ich nicht aufgeschrieben habe.

Als Susi mal verschwinden musste, kam der Sohn der Schwiegertochter, 9 Jahre alt zu mir, der ich allein rumstand. Und erzählte mir brettlbreit, was ihm sein Vater über mich erzählt hat, von meiner wilden Jugend und ob die Beulen in meinem Auto daher kommen, dass ich immer noch ein Raser bin. ... Um dann über das Nachbarhaus zu reden und zu erklären, dass der Arzt wegen der Scheidung kein Geld mehr hat und es jetzt schon seit einem Jahr nicht weiter geht. ...

Früher hätten mir meine Eltern sowas erst gar nicht erzählt, und ich hätte es, selbst wenn ich wüsste, nie weitergetratscht. Tischmanieren waren bei uns nie ein Thema, denn das wurde uns so eingedrillt, dass ich gar nicht anders kann. Ich habe es noch mit den Büchern unter dem Arm gelernt: Jeweils ein neues Buch zwischen Oberarm und Brust eingeklemmt, und wenn ich es das Mittagessen über durchgehalten habe, durfte ich die Bücher behalten. Das einzige Problem ist dabei übrigens nicht das Essen und die aufrechte Haltung, sondern das reichen der Teller beim Servieren.

Wir waren damals alle perfekte kleine Prinzessinnen und Prinzen, es hat immer eine hand zwischen den Rücken und die Suhllehne gepasst, wir fanden das ganz normal, und natürlich haben wir das Maul gehalten, wenn Erwachsene geredet haben. Ich war letztes Jahr mit meinem Dad bei einem ehemaligen Geschäftspartner und dessen Sohn, da habe ich auch kaum was beigetragen. Das ist bei uns so.

... link  

 
Na ja, bei meiner Familie spielte vermutlich die Tatsache, dass meine Großeltern Aufsteiger aus dem Arbeitermilieu ohne akademische Bildung waren, eine entscheidende Rolle. Man wollte es in der strengen Erziehung der "echten" Oberschicht gleichtun (das galt auch für die Enkelin - und es wurde entsprechender Druck auf meine Eltern ausgeübt), aber die einfache Herkunft spielte doch mit rein. Ich habe es vermutlich aber auch als sehr belastend empfunden, weil es in einer Zeit geschah, in der fast alle Eltern in meinem Umfeld ihre Kinder in einem eher liberalen Geist erzogen haben.

Vielleicht haben meine Vorfahren auch solche Erfahrungen wie Monika gemacht, ich weiß es nicht. Ich nehme ihnen ihre Vorstellungen von Erziehung aber dennoch übel. Später musste ich beruflich unter liberal erzogenen Mittelschichtskindern meinen Weg machen - und da zählten nicht Drill und Unterwürfigkeit, sondern andere Eigenschaften. Unter anderem der Mut, sogar unter "gesellschaftlich höher gestellten Menschen" gelegentlich den Mund aufzumachen.

Das mit dem Schweigen, wenn z.B. Mitglieder der eigenen Familie mit höherem Rang zugegen sind, habe ich bei Menschen adliger Herkunft übrigens auch schon mal erlebt. Es war seltsam, weil die bürgerlichen Teilnehmer der Tischrunde sich alle ganz locker unterhalten haben.

... link  

 
Monika hat keine Erfahrungen gemacht, die ist in diesem Kontext unschuldig und ahnungslos wie ein Neuigeborenes, und man wird sich mit ihr arrangieren, weil der Vater des Typen alles regeln wird, oder sie trennen sich, was für sie das beste wäre - nicht, weil sie stören würde, da gibt es in der besseren gesellschaft noch ganz andere Kaliber, sondern weil der Typ nichts taugt und ich verstehe, warum er nach dem letzten Debakel jetzt fast einen auf Kindsverderber mit einer 12 Jahre jüngeren Uniabsolventin macht. Ansonsten ist Monikas Nachname "Unbekümmert", und wie ich ihren Ausführungen entnehmen durfte, ist sie selbst auch nicht die Diskreteste.

Was die Liberalität der Erziehung angeht, bin ich gespalten, seitdem ich SchülerVZ kenne. Ich bin sehr froh, da keine Entscheidungen treffen zu müssen, die mir vom sozialen Wandel ohnehin abgenommen werden würden. Und ich bin ganz sicher nicht reaktionär.

... link  

 
Für mich haben übertriebener Drill und ständiges Herumreiten auf "Fauxpas", die rein auf Äußerlichkeiten beruhen, den Nachteil, dass sie Menschen mit geringerem Selbstvertrauen produzieren. Manche Erwachsene empfinden solche Kinder aber natürlich als angenehm.

Und wenn die Erziehung sich zu sehr an reaktionär-konservativen Werten orientiert hat (wozu z.B. auch ein veraltetes Frauenbild gehört - nach dem Motto: Hauptsache, sie kann gut putzen und sich elegant bewegen!!!), hilft sie bei der Bewältigung des modernen Lebens auch eher weniger.

Das ist ein bisschen so wie die Eltern, die heute anscheinend ihre Vierjährigen in Power-Point-Kurse schicken. Glauben die ernsthaft, dass dieser Mist in 20 Jahren in der Geschäftswelt noch so en vogue sein wird wie heute? Ich hoffe das jedenfalls nicht...

... link  

 
Wie hieß es mal so schön? Es braucht mindestens drei Generationen, um es in die besseren Kreise zu schaffen. Und ab da nochmal 3 Generationen um wieder unten zu landen. Man könnte sowas mit gutem Willen durchaus noch als durchlässige Gesellschaft bezeichnen. Aber:

Dafür braucht man die Mittelschicht, die uns jetzt leider wegwegbricht.

... link  

 
Noch eine traurige Beobachtung zum Thema Schichtendurchlässigkeit, RTL2-Konsumenten und Vererbung der elterlichen Gepflogenheiten:

Am Wochenende war "Lange Nacht der Wissenschaften" und ich habe bei mir am Institut einen Stand betreut. Das Publikum war durchweg "geistige" Mittelschicht. Normale, sympathische Eltern ohne Macken, die ihren Kinder spielerisch ein paar wissenschaftlich angehauchte Dinge zeigen wollten. Die typische RTL2-Familie war nur sehr wenig vertreten, aber dafür habe ich diese Brut dann wieder in der S-Bahn erleben dürfen: laut plärrendes Handy in der einen Hand, Bier in der anderen. Der typische Mandy-Cindy-Kathleen-Ronny-Mike-Verschnitt aus Marzahn. *grmpf*

1. Es ist schade, dass die geistige Unterschicht durch den billigen Konsum und die einfachen Effekte befriedigt wird und sich damit auch zufrieden gibt. Wie kann man diese Menschen im frühen Alter wieder "einfangen" ?
2. Mir ist nie so klar geworden, welche Wichtigkeit das Bemühen der Eltern um eine behutsames Heranführen an Wissen hat - egal aus welcher Fachrichtung.

... link  

 
@ oberlehrer,

Man kann ja über die DDR viel schlechtes sagen. Aber eine gewisse Durchlässigkeit sozialer Schichten bzw. eine Beliebigkeit hinsichtlich der Statussymbole ist für mich im Nachhinein sehr deutlich. Da wohnte eben der Abteilungsleiter eines Großbetriebes im Plattenbau...

war das mit der durchlässigkeit wirklich so?

klar wohnte der abteilungsleiter im plattenbau, und auch der facharbeiter. und beide fühlten sich auf diese weise hoch belohnt, denn nur wer durch leistung und gesellschaftliches engagement die sache der ddr und damit die der sed zu der seinen machte, durfte in den plattenbau mit zentralheizung, bad, dusche, wc.
für wen da kein platz war, in der ddr herrschte wohnungsknappheit, dem blieb der altbau mit ofenheizung und möglicherweise etagenklo.

wie war das mit dem studium?
das war abhängig von der gesinnung der eltern und der eigenen gesinnung, die kinder von kapitalisten waren im nachteil. ebenso bekennende christen, ausser man hiess kasner und der papa pastor konnte gut mit der sed. so haben wir heute eben die lage, dass jeder gelernte ddr-bürger, der in der lage ist, einen korrekten satz, womöglich noch mit haupt- und nebensatz, zu bilden, sich dies mit reichlich rotlichtbestrahlung erkauft hat.

wie war das mit den kindern der nomenklaturisten?
ich denke doch, dass die, sofern sie mitmachten, es ziemlich leicht im leben hatten. wie war das mit den kindern der intelligenz? ich nehme doch an, ähnlich. oder gab es tatsächlich so etwas wie sozialen abstieg, der nicht der opposition (bewährung in der produktion) zuzuschreiben war? ich denke doch, dass, wer da einmal oben war, wenn schon, dann doch recht weich fiel.

wer heiratete wen?
heiratete des abteilungsleiters töchterlein wirklich den sohn des facharbeiters aus dem gleichen haus? dann vielleicht, wenn der schwiegersohn in lauerstellung zeigte, und das wieder durch leistung und durch gesellschafliches engagement im sinne der sed, dass er dabei war, sich für grössere aufgaben zu qualifizieren, er also der junge mann war, der eine zukunft vor sich hatte.
wenn nicht, dann doch wohl eher nicht.

was die statussymbole anging: wenn man auf einen trabi zehn jahre warten muss, und so etwas wie verbraucherkredit unbekannt ist, so dass arbeiterehepaare - beide berufstätig, das war die regel in der ddr - auch jahre auf eine anbauwand sparten, dann können mancherlei dinge zum statussymbol werden.

statussymbole waren am einfachsten durch westgeld zu erlangen. wer grosszügige westverwandschaft hatte, war klar im vorteil. klsr im vorteil war auch, wer ein geschickter organisierer und verwerdter des organisierten war, sprich handwerker, denen man nachsagte, das was sie bei der arbeit klemmten, nach der arbeit zu verlöten. von daher war einem gewissen akademischen dünkel ein dicker riegel vorgeschoben.

das mit den schrebergärten und den lauben darauf war eher der notwendigkeit als der sozialen differenzierung geschuldet, anders hätten es familien in den engen wohnungen nicht ausgehalten, vom beitrag zur frischgemüseversorgung ganz abgesehen. aber wie war das mit der datsche in feriengegenden? es gab da schon welche, die sowas hatten. wie war das mit der jagdausübung, die war doch auch den guten genossen vorbehalten, die sich auch mal so fühlen wollten wie ihr genosse staatsratsvorsitzender.

wie war das eigentlich mit den reisekadern? es durften nämlich welche zum klassenfeind, und das zu dürfen war eine ganz besondere auszeichnung, die auch von ganz besonderer zuverlässigkeit und ergebenheit gegenüber der sed zeigte, oder nicht?

... link  

 
@auch-einer

Bevor ich Dein Traktat auseinandernehme, gebe ich Dir großzügig die Gelegenheit, ein paar der gröbsten Widersprüche auszubügeln.

... link  

 
Na,na.
Das hier ist zwar ein traditionell linkes Blog, aber die Aufforderung zur Selbstkritik, bekannt aus RAF, Kulturrevolution und GPU-Verhören ist hier noch nie State of the Art gewesen.

... link  

 
Das war keine Aufforderung zur Selbstkritik, sondern dazu, den Text um ein paar fragwürdige Dinge zu bereinigen, damit ich weniger Arbeit habe...

... link  

 
Ich fürchte, dem wird hier keiner nachkommen. Ihr Einsatz bitte.

... link  

 
@Don: Einen Eklat, weil ein Mitglied der Familie einen "falschen" Partner geheiratet hat (es ging nicht um die Person selbst, sondern um ein Kriterium, das man heute als eher nebensächlich ansehen würde), gab es in meiner Familie noch viel später, ich denke, es dürfte in den späten 50ern gewesen sein. Bis zum Selbstmord hat es nicht geführt, aber es muss verheerend gewesen sein - und es ist auch nicht so, dass man sich seitdem irgendwie wieder näher gekommen wäre. Dass es nur in diesem einen Fall geknallt hat, lag daran, dass die anderen Familienmitglieder brav gemacht haben, was in puncto Heiratspolitik von ihnen verlangt wurde. Weiß nicht, ob das damals so üblich war, oder ob die Verhältnisse bei uns besonders konservativ waren.

... link  


... comment
 
Monolithisch steht sie auf dem grossen Seidenteppich, den sie zu überqueren gedachte; vermutlich weil er so schön frei war und alle anderen Gäste natürlich wissen, dass man sich mit schmutziggrasenen Schuhen keineswegs darüber bewegen sollte.

und überhaupt, das legt dann doch wohl an der gastgeberin, dass da die gäste mit den nassen, dreckigen schuhen ins wohnzimmer müssen. die soll sich mal nicht so haben, selber schuldig, wenn sie mit ihrem bodenbelag protzen will. hätte sich besser einen gobelin an die wand gehängt, da wäre das nicht passiert.

... link  

 
Genau.

Einerseits sind wir Norddeutschen ja schon mit Gummistiefeln an den Füßen zur Welt gekommen; und so verhalten wir uns dann eben auch anderswo.
Andererseits gehören Teppiche, auf die man nicht rauftreten darf, an die Wand.

... link  

 
Also, es gibt da bei uns eine Regel, nach der Teppiche gekauft oder Räume für Teppiche geplant werden: Man muss immer noch seitlich vorbei gehen können. Und desto grösser der Raum, desto grösser sollte auch die freibleibende Fläche sein. Bei einem Läufer im Gang sollte es auf beiden Seiten mindestens ein halber Meter sein, in einem Raum über 30 m² reicht ein Teppich mit 20m² - oder aber man nimmt 2 Teppiche, einen zum Drumrumlaufen und für die Katze zum Zerkratzen - die darf das natürlich - und den anderen stellt man unter die Sofas und den Tisch. Man versucht natürlich, einen Kompromiss zu finden zwischen der Repräsentation und den parktischen Bedürfnissen.

Und dass man mit dreckigen Schuhen frisch vom zertreten Rasen nicht über einen hellen, feinen Teppich rennt, sollte eigentlich kein Geheimnis der höhreren Raketenwissenschaft sein. Die Wand, an den man diesen Teppich hängen könnte, müsste erst noch gebaut werden.

... link  

 
Warum man sich
einen Teppich auf den Boden legt, um den man dann noch drumrumlaufen können muss, erschließt sich mir nicht wirklich. Ich sage das auf die Gefahr hin, dass gleich Steine fliegen: Der einzige Teppich, der hier in der Wohnung Sinn macht (ja, Anglizismus, ich weiß), kommt von Ikea und liegt im Kinderzimmer. ;-)

... link  

 
Er hat Ikea gesagt.

... link  

 
Es regnet nicht jeden Tag, und das Gefühl, über einen teppich zu laufen, ist für manche eben sehr angenehm. ich mag das, diese Weichheit, die Wärme, das Natürliche. Und natürlich mag man die Kunst, deren Anblick einen jeden Tag erfreut, nicht verschmutzt sehen. Also passt man auf.

... link  

 
Ja,
das ist mir schon klar. Selbst in meinem nicht soo superdollen Elternhaus waren die Teppiche im Wohnzimmer sakrosankt, und die Teile haben mich und meine Brüder sowie manchmal dann auch deren Kinder einigermaßen unbeschadet überstanden. Nach dem Brand in der Küche waren sie trotzdem nicht mehr zu gebrauchen, aber das soll jetzt kein Vorwurf an den Teppichhändler sein.

Es ist auch nicht so, dass ich es generall als Zumutung empfände, auf gute Sachen aufzupassen. Aber Teppich bietet sich hier allenfalls im Schlafzimmer an. Oben im Wohnzimmer, wo man für gewöhnlich eh nicht in Straßenschuhen hochstapft, liegt Teppichboden. Damit ist den Belangen der Gemütlichkeit hinreichend Genüge getan, finde ich.

... link  


... comment
 
Die erste Junihälfte ist meistens verregnet und kühl.

Schafskälte aka Europäischer Monsun.

... link  

 
die gesamte diskussion (oder die sprechbeiträge) machen mir gerade im augenblick klar, aus welchem grund ich in meiner wohnung (in meinen wohnungen) keine teppiche habe. ich lebe teppichlos. aus gründen. und die hatte ich bisher noch nicht wirklich reflektiert.

... link  

 
Die meisten Orientteppiche sind sehr robust. Wenn ich mich richtig an das erinnere, was mir mal eine Händlerin erzählt hat, haben ihre ursprünglichen Besitzer, also die, die sie auch gemacht haben, sie einfach im Fluss gewaschen.

Ich verstehe Leute nicht, die mit verdreckten Schuhen ein Haus betreten. Da schaut man doch, wo man hintritt. Braucht es dazu schon eine besondere Erziehung?

... link  

 
Na ja, wenn man während einer verregneten Gartenparty einen gewissen Ort aufsuchen muss, bleibt einem vermutlich nichts anderes übrig, als mit verdreckten Schuhen das Haus zu betreten - es sei denn, man möchte mit nackten Füßen (bzw. in dem Fall vermutlich in Nylonstrüpfen) durch die Gegend tapsen, was vermutlich auch nicht ganz der Etikette entspricht. Die Frage ist sicherlich, wie leicht es in dem konkreten Fall gewesen wäre, den Teppich zu meiden (und übrigens auch, wie viel Alkohol die Dame vorher getrunken hatte).

... link  

 
Das Dilemma liesse sich begrenzt lösen, würde man die Teppiche vorher aufrollen. Ein Aufrollen während des Debakels wäre natürlich eine Katastrophe, würde man doch den Gästen signalisieren, dass sie dreckig sind. Das Stehen am Rand des Teppichs erlaubt es beiden Seiten, ihr Gesicht zu wahren, solange es zufällig wirkt und sich alle daran halten. Das Problem entsteht, wenn jemand die Grenzen bricht und damit zeigt, dass die Schuhe schmutzig sind und das Haus nicht bereitet ist.

Natürlich ist das alles profan. Es wird nächste Woche durch den nächsten Fauxpas abgelöst sein, den ich aber kaum erleben werde, weil ich anderweitig Verpflichtungen habe. Höchst profaner Natur, natürlich.

... link  

 
Womit wir von den Verfehlungen Monikas weg- und bei den Verfehlungen der Schwiegertochter angekommen wären, bei denen die ganze Geschichte ja ihren Ausgang genommen hatte (oder nein, eigentlich waren es Efeu und Buschwindröschen der Frau H.).

Es ist schon erstaunlich, wie vielschichtig Ursache und Wirkung im Leben der Upper Class sein können.

... link  

 
Ein Minenfeld, das ich nur amüsant finden kann, weil ich jederzeit grundlos an den Tegernsee, meine Wahlheimat (wie das schon klingt) fliehen kann. Allein, kleine Anlässe mit grosser Wirkung verbegen nur das wahre Drama dahinter, eine gewisse Leere, die ein Mangel an Bedrängnissen hinterlassen hat. Und natürlich die Frage, wie man das einkleidet, sei es nun die Empörung oder aber eine Distanz, die in meinem Fall aber keinesfalls verhehlen will, dass auch ich Piercings und Co. definitiv nicht als statthaft oder gar sexy empfinde.

... link  


... comment