Vom Aussterben

Man kann es natürlich auch ignorieren. Wie die Kuh im Viehtransport, die nichts begreift, wie der Dinosaurier, der den Kometeneinschlag unter "weit weg in Mexiko" abheftete, oder wie der Hummer, der wohl eine Weile im Kochtopf gar nicht merkt, dass es zu warm wird. Es sind auch weniger die 22 Millionen Dollar grossen Dinge, die andernorts vom Ende einer Ära künden, sondern das Verschwinden ganz banaler Dinge, an denen doch so viel hängt. Man kann es übersehen. Aber wenn man es sich vergegenwärtigt, ist es ein Schock und eine sehr traurige Erkenntnis über diese meine Welt.



Dabei fing alles genauso gut an, wie diese Zeit des Zwetschgendatschis immer angeht: Mein Lieferant hatte an seinem Südhang gezielt die besten Exemplare gepflückt und aufgehoben, bis ich mal wieder zu spät eintrudelte. Der Teig ging langsam wie ein CSU-Politiker nach der Anklage wegen Kinderpornographie, das Fleisch der Zwetschgen löste sich akzeptabel von den Kernen, und bald war die Küche erfüllt von diesem ganz spezifischen Geruch der Süsse, die aufgeschnittene Früchte in der Wärme eines vorheizenden Ofens verbreiten. Jetzt nur noch den Teig auf dem Backpapier auswoigeln -

welches Backpapier. Da ist keines. Wenn die Mitbewohner gern Tarte essen und die Gäste auch und die Eltern genauso, dann geht sowas schnell zur Neige. Zu schnell. Wie jetzt. Aber es war erst sechs Uhr, der Supermarkt um die Ecke hatte noch bis acht offen, also ging ich schnell Backpapier besorgen. Dachte ich. Da war nach längerem Suchen auch so eine Ecke mit Mülltüten, Alufolie und Gefrierbeuteln. Sonst nichts. Kein Backpapier. Nicht aufs Maul gefallen, fragte ich nach. Und musste mir sagen lassen, dass sie es mangels Nachfrage vor ein paar Wochen aus dem Programm genommen haben. Vielleicht wieder im Winter. Ich suchte einen Drogeriemarkt auf, der Backpapier vorrätig hatte, aber da dachte ich mir -

in diesem Supermarkt decken rund 3000 Altstadtbewohner ihren täglichen Bedarf vor allem an Lebensmitteln. Sie haben Zilliarden Versionen Chips und Trillionen Dosen und Kühlregale kulinarisch frigider Art so lang wie von den Franziskanerinnen bis zu meinem Jesuitenhochbunker. Und in dieser Altstadt ist die Gentrifizierung abgeschlossen, die Preise liegen auf dem Niveau normaler Münchner Wohnviertel. Hier wohnen diejenigen, die angeblich die Zielgruppe für besseres Essen, Kochkurse und gehobenen Lebensstil sind. An diesen Leute orientiert sich das Weinangebot, die nagelneue Brottheke und die Bioeier - was da halt so Bio ist. Und diese grosse Menge kaufkräftiger Leute braucht kein Backpapier.



Was im Umkehrschluss bedeutet, dass sie auch nicht backen. Dass sie lieber 1,95 Euro für ein Stück Zwetschgendatschi bezahlen, das in zwanzigfacher Ausführung in weitaus besserer Qualität auf meinem Backblech entsteht. Dass sie ihren Ofen vermutlich nicht nutzen, weil sie eine Microwelle haben.

Nun ist Backpapier per se schon eine eher fragwürdige Angelegenheit für Faulpelze, denen das Einbuttern und Putzen von Formen zu viel Aufwand ist.Ich kann von mir nicht behaupten, auch nur ansatzweise an die Koch- und EssKünste der Familie anknüpfen zu können; die alte Clanküche Anno 1860 ist inzwischen meine Bibliothek, die Speisekammer dagegen die Küche. Ich esse zu spät mit zu wenigen Gängen und ziemlich durcheinander. Es sieht vielleicht nicht so aus, aber weil ich Single bin, stellt mein Haushalt einen klaren Niedergang im Vergleich zur organisierten Küchentätigkeit für Mehrpersonenhaushalte dar, die ich theoretisch beherrschen würde, aber nicht praktiziere. Ich verkörpere die höchst flexible Auslegung der Tradition -

aber wie es mir nun erscheint, in einem Umfeld, das diese Traditionen zu teilen aufgehört hat, und zwar derartig konsequent, dass es sich nicht mehr lohnt, dafür die nötigsten Utensilien zu verkaufen. Das ist hart. Vielleicht sollte ich mich jetzt einfach am Zwetschgendatschi totfressen, denn was will ich in so einer Welt.

Sonntag, 10. August 2008, 01:46, von donalphons | |comment

 
Extravagantes Spezialistentum...
So sehen das inzwischen manche Läden. Bald gibt es dann Backpapier bei Manufactum.

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Exzentrische Marotte ewig Gestriger. Ich warte ja nur auf den Tag, da die EU mit irgendeiner "Gesundheitsbestimmung" den Verkauf ungespritzter Zwetschgen verbietet, solange sie nicht in millionenteuren Glasplantagen mit Kunstlicht angebaut werden.

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Es gibt Backpapier bei Manufactum.
manufactum.de/Produkt/0/751897/PergaminHaushaltsrolle.html

"... und überhaupt als umweltfreundlicher und ästhetischer Ersatz für Kunststoff- und Aluminiumfolien.

Muß aber eingefettet werden, ist ja manufactum ;->

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Danke - es ist wohl nicht mehr weit hin. Blöderweise ist der nächste Laden in München.

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Ach, Neid. Dabei war ich heute bei der reizenden I. und habe großartigen Kuchen bekommen, aber das - aber so ein Stück - eins ginge noch, das weiß ich bestimmt. Mit Sahne. Und dann zu Bett.

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Eines sollte immer gehen. Und falls es nicht geht: Füttern lassen! Was der Leber der Gans gut tut, kann dem Menschen nicht schaden. (Wobei so eine überzuckerte Schweinerei vor dem Schlafengehen garantiert für schwüle Träume sorgt)

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Vielleicht sollte ich mich jetzt einfach am Zwetschgendatschi totfressen, denn was will ich in so einer Welt.

Zumindest mancher Deiner Leser werden angesichts solcher Fotos eines Tages gewiss platzen. Vorher solltest Du Dich aber auch nicht totfressen.

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Ach.
Manche Leser sind doch ohnehin nur hier in der Hoffnung, etwas zu lesen, was sie nicht platzen lässt vor Ärger. Syphilis, ein abgeranntes Haus oder auch die schwarzen Blattern sind Gefallen, die ich ihnen leider nicht tun kann. Kleine Warnung - montags beschäftigen wir uns erneut mit dem Thema Luxusuhren.

Und was das begaffen von Essen angeht: Die erhöhte Speichelproduktion bringt den Körper zum Abnehmen. Als Ersatzhandlung rate ich zum Kauen eines Grashalms; das mache ich auch immer, wenn ich auf Berge steige.

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Nihil desperandum.
Backbleche lassen sich auch einfetten. Zur Not wäre da noch Alufolie...

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Ich weiss. Aber sollte doch mal was anbrennen an den - ich koche ziemlich viel - angeschabten Backblechen, ist das weniger lustig.

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Zwei ketzerische Gedanken ...
Könnte es nicht sein, dass gerade im Rahmen der Gentrifizierung, im Rahmen des "ich kaufe bei Handgemacht, deshalb bin ich" das Einfetten von Kuchenblechen wieder in Mode gekommen ist? Wozu hat man denn das milimeterdick emaillierte Kuchenblech, das auf verlorenen Werkzeugen vom kleinen, feinen und wiederentdeckten Hersteller vom Facharbeiter hergestellt wurde, sich für teuer Geld geholt? Wäre doch möglich - oder?

Auch möglich wäre allerdings, dass zur "gentrifizierten" Wohnung die Edeleinbauküche gehört, die natürlich auch anti-haftbeschichtete Backbleche im Backofen hat ...

Auch wenn mir die erste Variante sympathischer ist (und auch hier praktiziert wird, mit jeglichem Blech (Papier ist nur für die Weihnachtsbäckerei, aber mit der hast Du es ja nicht so, verständlicherweise)), ist vermutlich die zweite wahrscheinlicher - und, wenn man sich so manche Backpapiere anschaut, auch die gesündere und nachhaltigere.

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btw: Guten Appetit. Merke gerade, dass wir vergessen haben, Kuchenbelag einzukaufen ... mal sehen, ob es noch reicht.

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Ich finde das sehr irritierend, daß es da kein Backpapier gibt. Aus leidvoller Beobachtung weiß ich schließlich, daß man das auch für Tiefkühlpizza braucht. Und wo Studenten sind, da ist Tiefkühlpizza nicht weit.

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Ich habe es mir schon mal so erklären lassen, dass sie es einfach auf einem Teller (vielleicht gar dem einzigen Teller) in die Microwelle schieben. Oder einfach so aufs Blech. Einen hungrigen Studenten halten ja nicht mal Salmonellen auf.

Die Kocherei dieser leute bekomme ich teilweise schon beim Einkaufen mit (Schmand ist eigentlich das einzige, weswegen ich noch in den Supermarkt muss), und ich kann nur sagen: Da ist kein Griff zu Frischem. Nie. Absolut nicht.

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Dafür bietet die Industrie Tiefkühlpizza mit fertig zugeschnittenem Backpapier an, für Leute, die zu doof sind selber welches abzuschneiden...

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(Übrigens habe ich nichts mehr übrig: 5 Mitbewohner, eine Tante, meine Eltern und eine kleine Fressattacke gegen 3 Uhr haben 4 Kilo Datschi den Rest gegeben.)

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"die zu doof sind selber welches abzuschneiden"

Man kann Bachelor und Master nie trauen.

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Sehr fein. Lecker.
Und auch noch klug und weise. Nicht nur der Zwetschgendatschi. Alles aufgegessen. Prima. Gibt Sonnenschein (wie der Text).

Aber der Vergleich mit dem CSU-Politiker und der Gehgeschwindigkeit des Teiges, der ist ja sowas von köstlich, der wird meine Ganglien nie wieder verlassen. Aber da ja bekanntlich auch das Vergessen nicht vor dem Vergessen gefeit ist ist, habe ich ihn vorsichtshalber in meinem Tagebüchlein gesichert: Unter Zwetschgendatschi. Dank!

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Sehr schön auch, wie die Zwetschgen beinahe senkrecht stehen. Obwohl Stadtkind, konnte ich früher auch ganz einfach eimerweise Zwetschgen nach Hause tragen, es gab herrenlose Bäume, die man einfach so abernten konnte, bzw. ein sogenannte "Zwetschgenallee", einen Spazierweg nahe des Flusses; dort musste man mit "Räuberleiter" einen Baum erklimmen, konnte sich an den reifsten Früchten erst mal sattessen und dann mit wenigen Griffen den Eimer füllen (mit Kirschen geht das viel langsamer). Kam ein missmutiger alter Mensch vorbei, der rief: "Dieser Baum gehört der Firma Musterschmidt!", dann wies man freundlich darauf hin, dass die Firma die Zwetschgen noch nie geerntet hat, worauf der alte Mensch kurz wegging und dann seinerseits mit einem Plastikeimer wiederkam, ob man denn auch für ihn, und man bekäme auch eine Mark.
Am frühen Abend mit den Zwetschgen nach Hause, waschen, schneiden, entkernen, der Teig war ganz einfach, und dann gab's zwei Bleche, dafür waren es immernoch zu viele Zwetschgen, selbst wenn man sie ganz senkrecht gestellt hat.

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Ich finde das sehr irritierend, daß es da kein Backpapier gibt. Aus leidvoller Beobachtung weiß ich schließlich, daß man das auch für Tiefkühlpizza braucht.
Ha, Irrtum! Ein Backrost reicht völlig! ;)

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Bitte. Ich komme aus Bayern, ich kenne das aus eigener Anschauung.

Die besten freien Zwetschgen gibt es auch bei uns an einer alten Landstrasse, die von Neuburg Richtung Westen führt; dabei auch Marillen, Kirschen und sehr viele Äpfel. Leider wollte die Bäume nach einem Jahr der Überfülle keine Früchte mehr liefern, also ging ich letztes Jahr über zu einem Herrn, der noch mit Waage und Gewichten arbeitet und einen vorzüglichen Streuobstwald sein eigen nennt. Und der weiss inzwischen genau, wieviel ich für ein Blech brauche.

Und bezüglich des Backrostes habe ich in meiner Eigenschaft als Vermieter schon mal einen Herd gesäubert, der sehr für diese Annahme schimmelte äh sprach.

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Ich benutze in der Tat antihaft-beschichtete Backformen und Bleche und kaufe deswegen kein Backpapier. Wobei diese Formen nach einer gewissen Zeit schon ein bisschen schmuddelig aussehen, weil man sie ohne Kratzen nicht ganz sauber bekommt (auch nicht mit langem Einweichen in Spülmittel).

Aber mir fällt dieses Problem mit anderen Haushaltsdingen auch immer wieder auf. Zum Beispiel habe ich vor einer Weile mal ewig nach einer anständigen Pfeffermühle gesucht (wie ich hier an anderer Stelle schon mal beschrieben haben) - es gab nur Super-Luxus-Teile für 50 Euro aufwärts oder aber Billigschrott. Ähnlich mit den Eiswürfelbehältern, die ich vor allem für selbstgemachten Eistee brauche: Man kriegt zwar an jeder Ecke jegliches Cocktail-Equipment, aber kaum mal eine anständige Eiswürfelform. Kaufen die alle mittlerweile das Fertig-Eis an der Tankstelle?

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Das gleiche Problem hat man auch mit Backpapier, weil sich die verdampften Flüssigkeiten auch niederschlagen. Meine Form für die Tarte ist innendrin sauber und aussen nur foodporntauglich, wenn man auf Dinge jenseits der üblichen Präferenzen steht. Aber immer noch besser als meine Pfanne des Grauens :-)

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eine pfanne des grauens braucht jeder haushalt. meine habe ich von meiner großmutter geerbt. sie ist aus einem emaillierten granatenboden gefertigt. derzeit würde sie mir zwar das ceranfeld verkratzen, aber bestimmt habe ich bald einen gasherd.

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Nun, ich habe seit 2004 Gasherde, und zu diesem Zweck eine alte, dünne Alupfanne aus dem Familienmüll mit marginalen Beschichtungsresten. Geht aber wie Hölle. Dagegen die neuen Edelpfannen für den Ceranherd am Tegernsee: Jedes Omelett wird zum Geduldspiel und danach auch noch oft zum undefinierbaren Eihack.

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Und bezüglich des Backrostes habe ich in meiner Eigenschaft als Vermieter schon mal einen Herd gesäubert, der sehr für diese Annahme schimmelte äh sprach.
Ja nun, man sollte den Backofen schon ab und an säubern. :S

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Siehste ... und ich habe Backpapier zuhause obwohl ich nie kaum backe ... nur so, weil's eben in den Haushalt gehört!

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Musste auch grinsen, als ich irgendwo mal erzählt habe, dass ich gelegentlich Brot selbst backe, und es dann hieß: Wie, ohne Brotbackautomat und ohne Backmischung? Geht das denn auch? Dabei geht das sogar sehr gut.

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Ein Freund irakischer Herkunft eröffnete mal einen Orient-Grill. Bei der Abnahme durch das Ordnungsamt fragte ihn der Amtsmensch: "Herr Hussein, wieso haben Sie nur Elektroherde und keinen Gasherd?". Da erwiderte der ganz cool: "Wir Kurden haben etwas gegen Gas, das ist so ähnlich wie mit den Juden."

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Tiefkühlpizza in die Mikrowelle? Das macht - mit oder ohne Teller - jeder exakt nur einmal (hoffe ich). Ich habe mal versucht "richtige" Pizza in der Mikrowelle aufzuwärmen und möchte mir seither nicht vorstellen, dass so was tatsächlich jemand ißt. Soviel Prüfungsstress kann gar nicht sein...

Bäh.

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Nu mal nicht so vorschnell über Studenten herziehen, bitte!
Aus eigener Erfahrung (Langzeitstudent) kann ich berichten, dass ich kaum je einen Studenten Tiefkühlpizza habe essen sehen. Die Gründe hierfür liegen vermutlich vorrangig im miserablen Preis-Leistungs-Verhältnis und der geschmacklichen Ungenießbarkeit. Außerdem gibt es ja für den Notfall immer noch genug Dönerbuden.

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Da, wo Don wohnt, studieren doch die Elitessen (BWL oder sowas), die haben auch genug Geld für 'ne olle Tiefkühlpizza.

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Also, wenn ich nach dem Gegrille dieser Leute gehe, das ich von der dachterasse aus miterlebe, kann Geschmack nicht das Kriterium sein. Ich gucke natürlich, was die - hier übrigens leicht erkennbaren - Studenten so kaufen, auf dem Wochenmarkt sind sie nicht, und im Supermarkt sehe ich nicht wirklich viel frisches Gemüse auf den Laufbändern.

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