Von Paris über den Bieler See nach Gardone Riviera

Und das alles an einem Abend. Und obendrein ausgerechnet in Pfaffenhofen, ein Kaff, das das Pech hat, zur letzten poshen Vorstadt von München geworden zu sein, und unter seinen Söhnen auch die berühmten Haffa-Brüder (EM.TV) finden kann. Wenn es noch Lust hat. Ansonsten aber hat Pfaffenhofen immer noch eine mit Geschäften aus den 60er Jahren vollgestopfte Altstadt, der gerade von einem auch für Ossiiverhältnisse ausgesprochen hässlichen Kommerzgebiet vor der Stadt der Garaus gemacht wird. Bals wird es auch hier statt verstaubter Raumausstatter nur noch die stinkende ungrüne Wiese geben, und der Elektrofachhandel wird keinen bayerischen Namen mehr tragen, unter dem es nur die Auswahl unter fünf guten Rasierern gibt, sondern die lauten Namen üblicher Grossumsetzer, die 500 Schrottrasierer zum gleichen Preis offerieren, mit 0% Zins bis zum Lesen des Kleingedruckten. Wer dieses alte Pfaffenhofen noch mal sehen will, voller Menschen und Trubel, mit gefüllten Strassencafes und viel Schlenderei, dem bleibt nur der berühmte Nachtflohmarkt übrig, und es lohnt sich. es lohnt sich sogar, wenn man die Belästigung durch ein von Kindern überfülltes Karussel mit den besten deutschen Schlagern von Heintje bis Scooter mit einberechnet.



Und es hat was, über einen eher spärlich beleuchteten Markt zu gehen. Aladin, Schatzhöhle, nachtliches Brandschatzen, und all das zwischen den stark gerundeten Söhnen und Töchtern des Landes, die eigentlich nur zum Schauen kommen, allenfalls schlecht gegrilltes und in Sauce ersäuftes Fleisch fressen und nichts anzufangen wissen mit Büchern von Antoine Thomas (Paris und Amsterdam 1773) und den neuen Briefen von Edme Boursault nebst einigen von ihm selbst verfassten amourösen Briefen einer jungen Dame an einen jungen Herrn (Neuauflage Paris 1722). Da schlängelt man sich durch zwischen den dicken, älteren Herren, die vielleicht Standregulatoren suchen oder landwirtschaftliches Gerät, aus denen sie Lampen bauen, und den gierigen Erzfeindinnen meiner Person, den alten Schachteln auf der Jagd nach billigem Besteck und anderem Tischzierat.

Gerade noch wühlte einen von denen in einer alten, ledernen Reisetruhe, unter der liebevollen Ermahnung ihres Gatten - "Geh, Zenzi, dös brachma nimma" - da fällt auch schon der Blick auf das mit Töpfen und Küchenmessern gefüllte Behältnis. Nein, es ist kein banaler alter Koffer, denn wer billig verreiste, hätte sich keinen Aufenthalt im Grand Hotel Astor in Leipzig oder Urlaub im Grand Hotel Gardone Riviera leisten können, von denen die Aufkleber künden. Irgendwann muss der Koffer zu lang vor dem Auspuff eines Wagens gestanden sein, was den Brandfleck erklärt, und aussen, als er schon ausrangiert war, hat jemand Farbe über das stabile Belting Leder gekippt. Aber die Messingverschlüsse sitzen perfekt, und das Innenleben mit gestepptem Stoff ist wie neu. Man einigt sich auf 20 Euro, nun ist auch Platz für die Bücher, und den Rest der Tour kommen von den anwesenden Leder- und Taschenhändlern aus der ganzen Republik verlockende Angebote - aber bittschön, ein echter Aufkleber vom Grand Hotel Gardone Riviera, den man normalerweise nur als Fälschung auf Imitationen sieht! Niemals!



Ein klassisches Auerhahnbesteck und einen italienischen Tischaufsatz in Form einer Zitronenschale (3 Euro! Vor 15 Jahren gab es dafür ein Geschäft in München hinter dem bayerischen Hof, die nahmen ein paar hundert Mark dafür!) später führen die von Geiern -60 Euro für den Koffer, hier nimm! - belagerten Wege noch zu einem Herrn, den man schon etwas länger kennt. Er verdient sein Geld unter anderem mit dem Import von altem Modeschmuck aus den USA und dem Export von hässlichen, weiss gestrichenen Möbeln der 30er Jahre dorthin, und ab und an holt er auch einen Jaguar oder einen alten SL. Man redet etwas - toller Koffer, so billig, die Freuden der Kreditkrise, dann fällt der Blick in eine seiner Kisten. Da liegt eine Longines in Rosegold, eine Autofahreruhr mit flexiblen Bandanstössen, von links grabscht sich eine Frauenhand in diese Richtung, aber flink wie eine Packratte flutscht das feine Beispiel schweizerischer Uhrmacherkunst schon in die eigene Hand, und bevor das weibliche Ohhhhh verklungen ist, steht die Frage "wieviel" im Raum. Zwei Euro, sagt er, ohne im Dunkeln genau hinzuschauen. Ist ja nur eine alte Uhr. Und Nachtflohmarkt.

Was den Verfasser nun in gewisse publizistische Probleme bringt, sollte hier heute doch ein längerer, leicht hochnäsiger Beitrag über den momentan günstigen Erwerb alter Zeitmesser vom Bieler See bei unseren notleidenden Freunden in den USA stehen. 80 Euro für eine Longines Admiral 1200 ist zwar günstig, aber dieser letzte Griff auf eine wirklich aussergewöhnliche Handgelenkszierde der 40er Jahre verbietet fast den Vergleich. Aber nie weiss man in diesem Leben, wie es kommt, und solange man nur für ein paar Euro von Paris über den Bieler See an die Gestade der Olivenriviera kommt, soll es mir recht sein.

Montag, 11. August 2008, 17:32, von donalphons | |comment

 
Neid ist eine Todsünde
... ich muss mich echt zusammreißen...

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Aber aber, wer wird denn hier mit christlichen Moralvorstellungen kommen? Gehe hin und kaufe selber ein!

(Die Longines war ein Zufall, der Koffer ist ein Haufen Arbeit...)

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