Real Life 30.6.04 - Waldesruh

Gerade noch in Gedanken an die Geschichte von Alex Wolff von den Minusvisionen, und an seinen Crash im Mini, da schert der Bus aus und zieht rüber auf die Überholspur. Eine weitere Spur gibt es nicht. Mehr als ein Finger passt nicht zwischen seinen Blinker und Aussenspiegel, es wird noch weniger und die linken Reifen rubbeln über das Kraut auf dem Mittelstreifen, es wird klar, es kann nicht reichen, das wird zu knapp, und es vergehen noch ein paar Stunden so, die eigentlich nur Bruchteile von Sekunden sind, und dann prügelt der Lebensgeist die Faust auf Lenkrad, da wo die Hupe ist, und kaum ertönt das Quäken, schlingert der Bus zurück auf die rechte Fahrbahn, wo er gottverdammt hingehört und hoffentlich bleibt.

Ein paar Kilometer weiter ist ein Parkplatz, und irgendwie reicht es jetzt mit dem Brettern, es ist zu viel Adrenalin im Blut, und gleichzeitig sind die Augen durchgeglüht von zu viel Mittagsonne, denn im Büro in Berlin hat war dieses Naturspektakel nur selten zu sehen. Runter, anhalten, raus aus dem Wagen. Jenseits einer kleinen Wiese, die, wie hierzulande üblich, perfekt auf Golfrasenhöhe getrimmt ist, der Wald, der schon seit zehn Kilometern die Autobahn umschliesst und jede menschliche Siedlung vermissen lässt. Ein schmaler Traktorenweg, der hineinführt in das satte Grün, weg von den Abgasen, der Geschwindigkeit und dem Lärm.



Es ist wahnsinnig grün, es ist fast wie auf einer Postkarte, es riecht nach Bäumen und Erde, und vielleicht auch etwas nach Verwesung. Nach drei Minuten ist von der Strasse nichts mehr zu hören. Der Boden ist trocken und leicht sandig, weich und wie geschaffen für die rotbraunen Budapester. Wenn jetzt noch Lederflicken am den Ärmeln wären, könnte es fast eine Szene in einem englischen Wald sein. So ein Jacket hehlt eigentlich noch im Kleiderschrank und muss sein, falls es noch öfter in den Wald geht.

Aber wann? Das letzte Mal, das war... so richtig tief im Wald zu Fuss, das war im November, Anfang November 2002, auf einem der letzten New Economy Events auf Schloss Elmau, drinnen waren dumme Vorträge, nochmal in den Pool war bei dem Wetter etwas zu schade, und von den Almmatten um das Schloss ging es nur ein paar Meter runter zum Bach, dann hinein in den spätherbstlichen Nadelwald mit seinen zertrümmerten Kalkfelsen, hoch auf die erste Kuppe, dann einen Blick zurück auf das Schloss mit all seinen lächerlichen Posern, die da unten geschäftsmässig taten, powerpointeten und networkten. So klein, so banal, das alles, kein Grund um umzukehren, also weiter hinauf bis an die Stelle, wo die Geröllfelder ihre weissen Finger in den Wald krallten, unter diesem knallblauen Alpenhimmel, und in dem Wissen, dass die da unten eigentlich jetzt gerne ein paar Zoten aus der Munich Area hören würden. Aber bis sich die Flügeltüren zur Halle des Schlosses wieder öffnen, wird der Abstieg sicher noch, ja wie lange eigentlich, 2 Stunden bis hier hoch? So lang? Und dann geht es zurück durch Kiefern und Föhren, einen Grashalm zwischen den Zähnen und dann ohne Gewissensbisse wegen Verfettung hungrig ans Buffet, ja, das war das letzte Mal, wenn man mal vom Mountainbiken absieht.

Zurück zum Auto, die nächsten 200 Kilometer runtergerissen, und mitten in der Provinz ankommen. Das örtliche Käseblatt liegt auf dem Tisch im Wohnzimmer der Vorstadtvilla. Das Titelbild zeigt einen Lastwagen voller Bierdosen, der wegen eines übermüdeten Fahrers von der Autobahn abkam und in den Graben gestürzt ist. Kein Witz. Die Kaltmamsell weiss das.

Donnerstag, 1. Juli 2004, 01:27, von donalphons | |comment

 
Höre ich hier einen kleinen Wiederhall...
...aus Richtung eines Sanatoriums in den Schweizer Alpen, von dem einst ein junger Hamburger aufbrach, nur zu einem kurzen Spaziergang bergauf? Das lob ich mir.

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