Eine Freundin für den Skalp eines Feindes

"too many movie stars"
Elizabeth II über Grace Kelly


Ich hätte gern einen Sunbeam Talbot 90 MKIII. So einen wie den, in dem Grace Kelly Cary Grant in "Über den Dächern von Nizza" durch die Riviera chauffiert. Es muss nicht das hellblaue Cabrio sein, ein geschlossener Viertürer wie der, mit dem 1955 die Rally Monte Carlo gewonnen wurde, täte es auch. Ich hätte ihn gern zweifarbig, in perlmuttweiss und cremefarben, wie eine Linzer Schnitte, und ich hätte ihn, bestens restauriert, gerne aus einem Architektenhaushalt, in dem der Ehemann sich dachte, damit seiner Frau einen Gefallen zu tun, aber kurz darauf starb er, und dann stand der Wagen 20 Jahre lang in der Garage, denn die Frau hatte keine Lust auf die Plackerei. Der Sunbeam sammelte etwas Flugrost und Staub, und wartete auf bessere Tage. Irgendwann ruft die Architektenwitwe dann einen Gebrauchtwagenhändler und gibt ihm den Wagen einfach so mit, damit er weg und in der Garage mehr Platz für die Oleander ist, und ich treffe diesen Händler wiederum zufällig, weil ich gerade des Weges komme und er ihn an seinem Stand auslädt. 300 Euro habe ich dabei, die nimmt er, und ich fahre damit zufrieden nach Hause, und stelle mir schon vor, wie es nach ein wenig Putzen und Schrauben mit den Originalwerkzeugen am Tegernsee im kommenden Sommer sein wird, damit eine angenehme Bekannte zum Baden zu bringen.



Ich habe seit heute eine Ahnung, wie sich das anfühlt, denn tatsächlich wollte ich eigentlich daheim bleiben und Weintrauben ernten, aber dann musste ich doch kurz zu meinen Eltern, um eine Freundin abzuholen und an den Flughafen zu bringen, und auf dem Rückweg kam ich an einem Flohmarkt vorbei, der nichts bot, ausser einem british racinggrünen Dokumentenmäppchen aus feinem Leder für ein Handschuhfach, das nicht das meinige ist. Ganz hinten links jedoch, am wirklich letzten Stand, lehnte ein sehr klassisches Damenrennrad von Villiger aus einer Zeit, als es noch keine City Bikes aus Alu mit Zilliarden Gängen gab, in perlmuttweiss und cremefarben. Und einer Geschichte, die der oben dargestellten entspricht. 20 oder mehr Jahre in einer Garage im südlichen Münchner Speckgürtel, verstaubt, mit Flugrost, aber ansonten wie aus dem Geschäft. In diesem Fall: Dem gehobenen Fahrradfachhandel.



Denn es war eine Zeit, als man Rahmen noch von Hand aus Stahl europäischer Rohrzieher, Muffen und Silberlot einrichtete und baute, und nicht in Taiwan schweissen liess, eine Epoche, als der Übergang von Ausfallende zur Chromgabel wichtiger war, als ein Federweg. Es war eine Zeit, da noch nicht alle Komponenten aus Fernost kamen, und manche Firmen wie Villiger lieber technisch schlechtere Weinmann-Bremsen aus der Schweiz verbauten, als auf japanische Stopper zurückzugreifen. Bei DT-Speichen und Pletscher/ESGE-Gepäckträger sind die Schweizer dagegen heute noch die Marktührer, und warum das so ist, kann man auch an diesem Rad noch erfahren. Der Gummi für das Gepäck ist immer noch straff, die Räder mit - natürlich Schweizer - Maloyareifen - laufen makellos rund. Mavic-Felgen, Ofmega-Kurbeln, Lenker und Vorbau von der untergegangenen Firma Friko, wie auch Villiger selbst als Schweizer Produkt untergegangen ist, und als Billiglinie aus Deutschland nur noch den Namen mit den Schweizer Qualitätsrädern gemein hat.



Man könnte hier noch viel klagen über den Wandel der Zeiten, über die schreiend bunte Uniformität der jährlichen Produktionszyklen, das Verkommen des Rades zum Modeartikel, dessen Reparatur nicht lohnt, wenn es für bleischwer und voll gefedert für fette Deppen aus den Baumärkten rollt. Das Villiger hier dagegen wiegt nur 13 Kilo, und kostete weniger, als ich gemeinhin auf dem Wochenmarkt ausgebe. Ein wenig Putzen und Einstellen mit dem Werkzeug im Täschchen, in dem auch noch die Betriebsanleitung ist, ein wenig Fett in die Lager, vielleicht noch ein hübscher neuer Sattel, vielleicht nach alter Sitte die gefrästen Nuten in Kurbel und Sattelstütze cremefarben lackieren, und dann gibt es eine passende Schweizer Gefährtin für das französische Motobecane am See, das dann auch keinen Gepäckträger mehr braucht, denn dafür gibt es dann ja die angenehmen Bekannten auf dem Villiger, mit denen ich zum Baden radeln werde. Was im nächsten Sommer der grossen Depression schon eine Menge sein dürfte, aber wer weiss, wie billig dann das Benzin ist, und wer sich in England schleunigst von seinem Sunbeam Talbot 90 Mk III wird trennen müssen.

Montag, 20. Oktober 2008, 01:56, von donalphons | |comment

 
ooohh!:)

... link  

 
Wenn schon den Bach runtergehen, dann mit Stil.

Wundert mich ohnehin, dass man die Erinnerung an die schlechte zeit 45-55 nicht anzapft, da könnte man ja auch so einiges lernen, wie der Mensch mit krisen umgeht, im Guten, im Schlechten und im ganz Misrablen. Mit einem Rad jedenfalls kann man schnell und leise zum Organisieren fahren.

... link  

 
ja. man kann damit sogar in teuflischen unzeiten dem tod davonfahren, indem man sein hab und gut in zwei kleinen köfferchen an die lenkstangen hängt und damit an den schergen vorbei aus der eigenen wohnung zu einem versteck radelt. so wie grete weil in der vierzigern in amsterdam, oder wie mein vater ende der dreißiger in ostpreussen.

was wir jetzt noch brauchen, sind ordentliche rucksäcke.

... link  

 
Bitte sehr:
Nicht schön, nicht komfortabel, aber erprobt und mit einem unschlagbaren Vorteil : Wenn, was mir noch nie passiert ist, was kaputt geht kann man es mit Nadel, Faden Ahle oder allem was gerade zur Hand ist reparieren. Das richtige Teil zum Überleben ohne Schikimicki Scheiß.

http://brother-wolves-husky-kennel.eu/product_info.php?cPath=47_37&products_id=214&osCsid=ba299c256e046c84e2b13d4e9e7a927f

... link  

 
viel zu auffällig. es muss aussehen, als führe man zu einem wochenendpicknick. wie bei meinem papa. der war vier, als er auf dem gepäckträger des alten herrenrads saß, und vorne strampelte der älteste bruder. am lenkrad baumelte ein picknickkörbchen. darin war sogar essen, zur tarnung: wurst (aus schwein!), zwei äpfel und zwei schmalzbrote. auf diese weise radelte der älteste bruder seine gesamten geschwister, eines nach dem anderen, ins exil.

das ist eine spannende geschichte. für meinen geschmack mit ein bisschen zu viel spannung. aber es ging nochmal gut.

ok, es kann natürlich auch aussehen wie ein ausflug der parabajuwarischmilitanten pfadfinder - dann ginge vielleicht über österreich was.

aber auf _dem_ rad mit _dem_ rucksack (65 liter!) und dann auch noch auf einem grace-kelly- (oder eher audrey-hepburn-) rücken... nee, das fällt auf.

bye, ich gehe jetzt steckrübensuppe essen.

... link  

 
Wie wär´s mit standartenbesetzten Naziauto ankommen und an der Grenze sagen, dass man zur Mille Miglia und Benzino Berlusconi fährt, um es denen mal richtig zu zeigen? Werden Oldtimer kontrolliert?

... link  

 
wahrscheinlich nicht. aber danach wäre man bei berlusconi! aber ok... mir fällt dann schon noch was ein. wenn gar nichts mehr geht, läuft was über den haarschnitt.

... link  

 
Nun ja, wo du recht hast hat du recht , unauffällig ist was anderes, da hilft auch keine Blümchen ranstecken... OK die 80 KG zusätzlich sollten einem guten Bike nichts ausmachen und liefern Lebensmittel und Wärme für 4 Wochen aber wie du bereits sagtes... Fahrradanhänger in den Bergen ist was für totale Weicheier... Weidenkörbe... Es gibt ein D irgendwo, habe die URL gerade nicht zur Hand, eine geniale Korbmacherin die könnte aus Weiden Fahrradtaschen anfertigen ...
Dazu ein schickes Kopftuch alle der angesprochenen Grace Kelly und ein unpraktischer aber windbeweglicher ;-) Wickelrock... Könnte klappen...

Have fun
Otaku

... link  


... comment
 
So alt
scheint mir dieses schöne Rad nicht zu sein, dass es zu seiner Entstehungszeit nicht auch schon klobige Alu-Hobel mit ziemlich vielen Gängen gegeben hätte, oder?

... link  

 
Die Suntour-Schaltung wurde Mitte der 80er Jahre eingestellt, wie auch die Ofmega-Kurbel. Die ersten Alu-MTBs kamen erst um 1990 rum auf. Es hat keine Patina, es sieht neu aus, weil es nie genutzt wurde. Ich habe sogar noch einen Kontrollaufkleber aus Papier gefunden.

... link  

 
Ah,
so genau konnte ich das nicht datieren, da ich mich mit Komponenten nicht so auskenne. Aus dem hohlen Bauch heraus hätte ich das Rad wohl in den späten 80ern oder Anfang 90er verortet. Aber so passt es ja in der Tat einigermaßen zum Motobecane (*schnüff* genauso ein schönes Pärchen wie mein erstes Raleigh und das Motobecane-Damenrennrad, mit dem meine Ex nicht klarkam).

Mit den klobigen Alu-Hobeln aus der Zeit meinte ich gar keine MTBs, sondern eher die Seniorenschleudern von Kettler & Konsorten. Inzwischen haben ja auch viele Hersteller traditioneller Hollandräder solche Monster im Sortiment.

... link  

 
Ich habe an den - praktisch neuen - Reifen das Produktionsdatum gefunden: 4/85. Mithin also ungefähr 23 Jahre alt. Die grässlichen Kettler gab es damals durchaus.

Ich bin inzwischen auch gar nicht mehr so arg von Alu selbst in der besten Ausführung begeistert - und mein in Kanada geschweisstes Rocky Vertex ist wirklich nicht schlecht. Aber trotz aller technischen Überlegenheit finde ich gemuffte Stahlrahmen schöner.

... link  

 
@4/85:
Der Hammer. Wobei ich mich darauf einrichten würde, dass die Schläuche in der Zwischenzeit womöglich etwas mürbe geworden sein könnten. Aber wenns weiter nichts ist. Im Übrigen sind 13 kg für so ein Damenrad mit allem Drum und Dran wirklich kein Gewicht.

... link  

 
In meinem Rabeneick ist auch noch ein roter Originalschlauch - und hält. Ich würde damit jetzt keinen Pass mehr runterfahren, aber die typischen Gäste am Tegernsee werden damit nicht weiter als nach Rottach fahren. dafür sollte es reichen.

Ich habe gerade noch die Lager eingestellt und den Flugrost entfernt - dabei hat meine Begeisterung etwas nachgelassen. Der Rost war schlimmer als beim Rabeneick, was nicht gerade für die Verchromung spricht. Und die Pedallager waren nicht gefettet und so stark angezogen, dass in den Lagerschalen tiefe Rillen sind. Es ging gerade noch, sie erträglich einzustellen. Da hat jemand 85 nicht allzu sauber geschraubt.

... link  


... comment