Nicht ganz harmlose Plaudereien
Ich bin ein notorischer Zuspätkommen, oder genauer: Ein notorischer Gefühltzuspätkommer. Tatsächlich komme ich ab und an zu spät, wenn die Strecke weit und das Ziel in der unglücklichen Beitrittsruinenzone liegt; und das, obwohl ich hinter der bayerischen Grenze gern zum Raser werde, um das Elend nicht betrachten zu müssen. Fahren Sie mal nach Chemnitz.
München ist näher, und da sollte es klappen. Entsprechend pünktlich stand ich dann auch gestern, geschniegelt und gestriegelt, vor den Toren des Veranstaltungsortes. Die Tür war zu, niemand war zu sehen, also klopfte ich nach vergeblicher Klingelei am letzten beleuchteten Fenster und verlangte Eintritt. Dort wurde mir dann freundlicherweise gesagt, dass ich nicht pünktlich, sondern einen Tag zu früh dran bin. Dergestalt nutzlos begab ich mich nach Schwabing zum beliebten Sport des Frustkaufens, namentlich Lederwaren, oder besser Halblederwaren: Bücher aus vergangenen Zeiten aus den Wühltischen der Antiquariate.
Da war also, passend zur kommenden Reise, ein Vergil von 1821, die sich sehr schick im Handschuhfach machen dürfte, und eine französische Homerübersetzung von 1815 mit sehr blutigem Frontispiz - Odysseus metzelt daheim die Freier seiner Frau Penelope nieder, zu seinen Füssen ein abgeschlagener Kopf, aber damals hatte man ja noch geeignetes Personal. Kurz vor dieser alles entscheidenden Szene muss eine französische Frau nach 1908 das Lesen dieses Buches beendet haben, denn im 16. Gesang findet sich ein Einmerker in Form einer Schnupperkarte des Parfums "Séduction" der Gellé Freres, das 1908 in Paris aufgelegt wurde. Das darf drinnen bleiben; meines Erachtens ist Produktinformation, mit der man es hier zu tun hat, etwas ganz anderes als Werbung oder PR, die man allzu oft in Form von Gebetszetteln in alten Büchern weniger erfeulicher Vorbesitzerschaft findet.
Dazu noch ein Buch mit dem netten Namen "Harmlose Plaudereien eines alten Münchners" von Otto von Völderndorff, der 1898 seine Texte aus den letzten Jahren dieses Jahrhunderts zusammenfasst und eine ergiebige Quelle für Gesellschaftliches aus der Münchner Oberschicht seiner Zeit vorstellt. Reichlich freimütig und gar nicht so harmlos übrigens, denn manche der darin genannten 400 Personen kommen nicht allzu gut weg. Allerdings war das Buch damals reichlich teuer, und dürfte nur unter eben jener Gesellschaft kursiert sein, der das alles ohnehin schon hintertragen wurde. Schliesslich hatte man damals keine Glotze oder kein Internet, um gegen die eigene Nichtswürdigkeit und Charakterlosigkeit irgendwelchen Kommerzdreck zur Identitätsstiftung zusammenzuklauben, und musste seilbst unterhaltend sein, um akzeptiert zu werden.
Ich glaube, ich werde in den nächsten Tagen einiges lernen dürfen, und der alte Völderndorff, dessen Familie nach eigenem Bekunden mit ihm auszusterben geneigte, wird mir ein angenehmer Begleiter durch die Niederungen von PR, Werbung, Marketing und davon käuflicher Johurnaille sein, die ich in den kommenden Tagen mit feinen Ledersohlen rektal, oder, so sich die Möglichkeit bietet, auch fazial zu betreten gedenke. Vielleicht adoptiert er mich ja ideell.
München ist näher, und da sollte es klappen. Entsprechend pünktlich stand ich dann auch gestern, geschniegelt und gestriegelt, vor den Toren des Veranstaltungsortes. Die Tür war zu, niemand war zu sehen, also klopfte ich nach vergeblicher Klingelei am letzten beleuchteten Fenster und verlangte Eintritt. Dort wurde mir dann freundlicherweise gesagt, dass ich nicht pünktlich, sondern einen Tag zu früh dran bin. Dergestalt nutzlos begab ich mich nach Schwabing zum beliebten Sport des Frustkaufens, namentlich Lederwaren, oder besser Halblederwaren: Bücher aus vergangenen Zeiten aus den Wühltischen der Antiquariate.
Da war also, passend zur kommenden Reise, ein Vergil von 1821, die sich sehr schick im Handschuhfach machen dürfte, und eine französische Homerübersetzung von 1815 mit sehr blutigem Frontispiz - Odysseus metzelt daheim die Freier seiner Frau Penelope nieder, zu seinen Füssen ein abgeschlagener Kopf, aber damals hatte man ja noch geeignetes Personal. Kurz vor dieser alles entscheidenden Szene muss eine französische Frau nach 1908 das Lesen dieses Buches beendet haben, denn im 16. Gesang findet sich ein Einmerker in Form einer Schnupperkarte des Parfums "Séduction" der Gellé Freres, das 1908 in Paris aufgelegt wurde. Das darf drinnen bleiben; meines Erachtens ist Produktinformation, mit der man es hier zu tun hat, etwas ganz anderes als Werbung oder PR, die man allzu oft in Form von Gebetszetteln in alten Büchern weniger erfeulicher Vorbesitzerschaft findet.
Dazu noch ein Buch mit dem netten Namen "Harmlose Plaudereien eines alten Münchners" von Otto von Völderndorff, der 1898 seine Texte aus den letzten Jahren dieses Jahrhunderts zusammenfasst und eine ergiebige Quelle für Gesellschaftliches aus der Münchner Oberschicht seiner Zeit vorstellt. Reichlich freimütig und gar nicht so harmlos übrigens, denn manche der darin genannten 400 Personen kommen nicht allzu gut weg. Allerdings war das Buch damals reichlich teuer, und dürfte nur unter eben jener Gesellschaft kursiert sein, der das alles ohnehin schon hintertragen wurde. Schliesslich hatte man damals keine Glotze oder kein Internet, um gegen die eigene Nichtswürdigkeit und Charakterlosigkeit irgendwelchen Kommerzdreck zur Identitätsstiftung zusammenzuklauben, und musste seilbst unterhaltend sein, um akzeptiert zu werden.
Ich glaube, ich werde in den nächsten Tagen einiges lernen dürfen, und der alte Völderndorff, dessen Familie nach eigenem Bekunden mit ihm auszusterben geneigte, wird mir ein angenehmer Begleiter durch die Niederungen von PR, Werbung, Marketing und davon käuflicher Johurnaille sein, die ich in den kommenden Tagen mit feinen Ledersohlen rektal, oder, so sich die Möglichkeit bietet, auch fazial zu betreten gedenke. Vielleicht adoptiert er mich ja ideell.
donalphons, 19:01h
Dienstag, 31. März 2009, 19:01, von donalphons |
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derflash,
Dienstag, 31. März 2009, 20:57
ja, die beigaben in alten büchern sind oft, na, bedeutender? als das buch selbst. oder wenigstens genauso interessant. halten sie auch die augen auf nach bücherskorpionen - und gewähren ihm in Ihrer bibliothek asyl. diese nützlichen tierchen entfernen, und das kosten- und schadensfrei, milben und andere kleinstviecher die sich unschön breitmachen.
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donalphons,
Mittwoch, 1. April 2009, 02:01
Der Bücherskorpion
ist sogar für mich neu. Ich hatte noch nicht, scheint's, das Vergnügen.
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derflash,
Mittwoch, 1. April 2009, 14:30
falls einer gesichtet wird: harmlos und machen lassen. gehört zu den pseudoskorpionen. sieht aus als hätte eine größenwahnsinnige wanze mit einem skorpion angebandelt.
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anderl,
Dienstag, 31. März 2009, 23:42
Elend
Ich empfehle Leipzig. Gerade wenn man (wie ich) aus einer Gegend kommt, die im Grunde recht wohlhabend, satt und in sich selbst erstarrt ist, merkt man, dass sich da im kulturellen Bereich noch immer dauernd etwas bewegt. Man merkt auch, dass der Boden brüchig ist und alle latent verspüren, dass es am nächsten Tag gar nicht gut aussehen kann. Aber auch das hat was. Und überhaupt, Bücherfreunde sollten wissen, dass DDR-Ausgaben oftmals viel aufwändiger und schöner gestaltet waren (ganz zu schweigen von den Illustrationen) als die Massenartikel im Westen. Man kann die Konsumdrüse diesbezüglich sehr gut entleeren.
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anjejackert,
Mittwoch, 1. April 2009, 00:31
ist das verwunderlich, dass die dame kapituliert hat? 12200 hexameterverse und dann noch diese bettler-geschichte und das ewige weissagen...ganz zu schweigen von den ganzen namen (da ist dostojewski noch leichter zu bewältigen): Telemachos, Argos, Penelope, Athene, Eumaios, Melantho, Lotophagen, Kirke...da blickt ja keiner mehr ohne zeichnungen mit stammbaum und verzweigungen durch...
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donalphons,
Mittwoch, 1. April 2009, 01:16
Anje, es ist eine typisch leichte französische Übersetzung ganz ohne Nachdichtung. So sind die Gesänge auch als "Bücher" übersetzt. Möglicherweise hat sie das Interesse verloren, als es nicht mehr um den Odysseus Abenteuer ging, sondern nur noch um Ehe, Kinder und ungeliebte Hausfreunde.
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donalphons,
Mittwoch, 1. April 2009, 01:58
Ach, DDR-Bücher... komischerweise selbst eine Art Klassengesellschaft. Papiermüll über weite Strecken, und ab und an extrem feine Dinge. Das Lexikon zur Buchkunst etwa, das Decamerone, oder Thomas Nashes glückloser Reisende, der mich morgen nahc Hamburg begleitet... dort soll es hässlich sein.
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anjejackert,
Mittwoch, 1. April 2009, 23:26
... eher unwahrscheinlich.gerade diese 3 themen dürften die damen von damals interessiert haben...vermutlich hat sie das buch einfach wegen einer unheimlich wichtigen stickerei weggelegt...
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