60er

Wenn man so unterwegs ist und nur das Internet für die Arbeit frequentiert, bekommt man anderes gar nicht so mit: Der erstaunliche Aufstieg der Börsen etwa, eine ziemlich offensichtliche Abmachung weiter Teile der Medien, nur auf den DAX zu starren und bloss nichts zu sagen, was zeigt, dass die Misere noch lange nicht ausgestanden ist, dass man sich gerade sie Taschen volllügt, damit die Kurse wieder steigen und amerikanische Pensionäre den Eindruck haben, ihre Pensionen würden wieder Geld abwerfen. Ausserdem sind bald Wahlen, da würde jede Wahrheit nur schmerzen, und das will offensichtlich keiner, weshalb man sich unter wohlfeilen Wirtschaftskäuflingen an der PR von Twitter, Facebook und anderen Müllblasen des Internets berauscht (feat. deutsche Blogosphäre mit ihrem Kampfruf "nicht nur billiger, sondern für lau"). Solange wird es erst mal eine Weile abwärts gehen.



Ich habe mir das während meiner Reise überlegt: Mir geht es ja nicht direkt schlecht. Ich kann mir das schon leisten. Mir. Aber ich hätte massive Probleme, mir das zu leisten, was sich meine Eltern leisten konnten: Mit zwei Kindern wochenlang rumfahren, Urlaube machen, Skipässe zahlen, Wohnungen mieten und bei Bedarf auch kaufen. Meine Eltern kommen aus der Generation, die noch den ganzen Schub der 60er Jahre mitnahmen, Kredite in Zeiten hoher Inflation locker abbezahlten, und in den 80er und 90er Jahren in exakt jener Position waren, um bei den Umverteilungsprozessen auf der richtigen Seite zu stehen. Da kann nichts anbrennen.

Bei mir selbst - vermutlich auch nicht. Weil ich selbst im allerschlimmsten Fall noch immer genug hätte, um mein Leben so weiterzuführen, wie es gerade ist, nur dann eben ohne das Anlegen von Ersparnissen und mit deutlich reduzierten Kosten für Antiquitäten und andere Dinge, die ich nicht wirklich brauche. Ich kann auch nicht ganz ausschliessen, dass die kommenden Verwerfungen meine Verteidigungslinien gegen Risiken in Mitleidenschaft ziehen, aber egal, wie es ausgeht: Ich, für mich allein betrachtet, könnte nicht das leisten, was meine Eltern geleistet haben. Schon gar nicht in den kommenden zwei Jahren, in denen die Republik froh sein kann, wenn es wieder auf das gefühlte Niveau der 60er Jahre runtergeht. Mit all der Unsicherheit und den Verwerfungen, die wir dann sehen werden, nur geht es dann nicht mehr gegen alte Nazis, sondern eher gegen Klassen und Profiteure.

Was fehlt, ist der Rückenwind der historischen Entwicklung, und es ist vielleicht gar nicht so arg dumm zu schauen, was in den 60ern so war, und was man davon mitnehmen kann. Als ich von Orvieto ins Tal fuhr, dachte ich: Der klassische Italienurlaub mit einer Woche Strand und einer Woche Kultur wäre so ein Ding, das man wieder für angemessen erklären könnte. Klingt spiessig, wird aber bald eher beneidenswert sein. Oder Autoradio. Es ist manchmal ganz erstaunlich, wie viel Geld manche bei Onlineshops für mp3 ausgeben. Oder die daheim oder unterwegs selbst belegte Semmel. Obwohl es bei Orvieto eine Tankstelle mit angeschlossenem Feinkostladen gibt: Der Scamorza aus Brixen passte ganz vorzüglich zu den Panini aus Rom; das war zwar auch nicht gerade billig, aber billiger als der Dreck allemal, der normalerweise an der Tanke zu haben ist. Man zahlt heute in der Krise ziemlich viel Geld für Dinge, die es nicht gab, als die Wirtschaft reichlich Geschwindigkeit aufnahm. Demnächst kaufe ich vielleicht auch noch eine Thermoskanne.

Und zur Abrundung einen britischen Sport Saloon der Wirtschaftswunderzeit, und mehr richtiges Silber statt plated

Freitag, 10. April 2009, 23:55, von donalphons | |comment

 
Kaum bessere Zahlen gab es doch kürzlich auch vom deutschen Maschinenbau, der die Hälfte aller Aufträge verloren hat - stärkstes Minus seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahre 1958. Als Folge ging die Produktion von Rohstahl um 49,8 Prozent zurück - höchster Rückgang seit 1990. Kannegießer sieht die Grenzen der Kurzarbeit prompt auch schon erreicht.

Eine Thermoskanne besitze ich schon lange, mein Mittagessen nehme ich mir schon seit Jahr und Tag zur Arbeit mit (da weiß ich wenigstens, was ich esse), den Proviant auf Reisen auch. An eine Woche Italien brauche ich trotzdem gar nicht zu denken. Meine Nachbarn wohl auch nicht. Mindestens zwei von denen arbeiten in einem Metallunternehmen, das mehr als ein Drittel der Stellen abbauen will. Die Mitarbeiter bereiten sich gerade auf einen Streik vor.

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Relativ gesehen ist das noch Gold, weil der Maschinenbau am ehesten mit seinen langfristigen Aufträgen durchgleiten und die Probleme zeitlich strecken kann.

Der Rest ist die Hoffnung, dass man nicht den Baggersee wieder zur angesagten Location für alle erklären muss. In der New York Times war ein Beitrag über die Leute, die einfach ihre Boote absaufen lassen.

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Ach, ich reise ja ganz gern in Deutschland herum, haben meine Eltern mit uns früher auch gemacht. Immerhin muss ich mich heute ja nicht mehr zu fünft in einen R4 quetschen.

Motorboote stehen hier am Hafen schon seit längerer Zeit immer wieder einmal zum Verkauf, das lag aber eher an den Spritpreisen, vermute ich. Versenkt hat hier aber wohl noch keiner sein Boot.

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Immerhin wird man hierzulande nicht so oft ausgeraubt - in Rom hört man die übelsten Geschichten von Römern, die dergleichen beklagen. Soll auch nicht unbedingt besser geworden sein, die letzten Jahre.

Bei Booten sind die Betriebskosten einfach zu hoch. Es ist ja nicht so, dass ich mir das nicht auch überlegt hätte, aber für die paar Stunden im Jahr ist vermutlich der Besitz eines Zweitsportwagens eine günstigere und sinnvollere Anschaffung. Oder gleich wieder mehr Antiquitäten.

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Für gewöhnlich kann man ja Boote auch ausleihen, wenn man mal unbedingt eins braucht.

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60er Jahre waren schön für alle, aber für manche ist heute schöner
Man muss aber schon sagen, dass die Möglichkeiten für die Industrie-Kaste, mit solchen Krisen umzugehen, seit den 60er Jahren enorm gewachsen sind. Man kann heute ohne große Verluste zunächst die Zeitarbeiter entlassen. Die nächste Stufe ist, in Kurzarbeit zu gehen. Das kann man sich auch schön vom Staat bezahlen lassen. Dann folgen die Beschäftigungsgesellschaften, auch zum guten Teil auf Kosten des Steuerzahlers und als letztes natürlich betriebsbedingte Kündigungen. Heute viel einfacher als noch in den 60er. Damals hatten Gewerkschaften ja noch Einfluss. Heute verteilen sie hilflos ein paar Trillerpfeifen an entlassene Werksarbeiter nach dem Motto, es nützt zwar nix, aber es war gut, die Wut einfach mal herauszulassen. Alle diese Maßnahmen kosten den Unternehmer nicht wirklich viel, zumal die Bedeutung des Produktionsfaktors "Mensch" seit damals gesunken ist und man mit dem aufgehäuften Kapital schnell dort wieder die Produktion hochfahren kann, wo aufgrund floatender Währungen und Inflation die Löhne nach der Krise um 30 Prozent gefallen sein werden (z.B. in Ungarn). Man nennt das Management-euphemistisch "Das atmende Unternehmen". Auftragseinbußen von 30 Prozent und mehr werden leicht verkraftet. Da kann sich der eine oder andere dann mitten in der Krise durchaus noch eine Luxusjacht leisten

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48-Stundenwoche, 6-Tage-Woche, Überstunden, Akkordlohn, usw. Die 60er waren wirklich nicht schön für alle.

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Natürlich waren sie nicht schön. Aber ist die 54-Stunden-Woche totalengagierter Prekaristen schöner? Ausser, dass die damit angeben und nicht mehr dagegen kämpfen, und sich dann noch hinstellen und über Festangestellte wie über Dinosaurier reden?

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48-Stundenwoche ist heute schon die Regel, weil Überstunden z.B. bei 4,50 Euro die Stunde im Einzelhandel erst gar nicht aufgeschrieben werden aus Furcht vor Entlassung. Die 6-Tage-Woche steht bestimmt bald auf der politischen Agenda, die 6-Tage-Schule wird ja schon wieder gefordert. Akkordlohn kann durchaus ein ehrlicher Lohn sein, wenn er seinen Mann ernährt und die Arbeitsbedingungen stimmen. Und damals konnte sich ein Arbeiter auf Akkordlohn sein Häuschen bauen (jedenfalls in meiner Nachbarschaft). Manch Akademiker hat da heute erhebliche Probleme

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Das mit dem Häuschen ist oft auch eine Kluft zwischen Realität und Anspruch. Schiefer im Badezimmer, gehobener Küchenluxus, Benz-Sofas und zeitgenössische Entertainment-Elektronik, repräsenativer Garten (aber nicht zu groß) - das erachten nach meinen Beobachtungen viele Eigenheim-Besitzern als Standard (sonst könnte man ja auch in einer Mietwohnung hausen...). Genau wie Öko-Energiespar-Aufwendungen, die sich in 30 Jahren nicht rechnen.

Das ist der Unterschied zu den 60ern.

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