Des einen Mannes Verlust

ist des anderen Mannes Gewinn, sagten die Briten in einer Epoche, die noch keine Derivate, CDOs und chinesischen Billigdreck oder deutsche Klingeltonbetrüger kannte, und die bei solchen Geschäften üblichen Wertverschiebungen von Qualität zu Müll. Da lobe ich mir den ehrlichen Flohmarkt; eben jenen, den ich vor vier Wochen aufgrund einer motorisierten Unpässlichkeit aufzusuchen leider nicht in der Lage war. So ein ausgefallener Tag belastet dann wochenlang das Konto mit viel zu üppigen Zahlen, und ausserdem war ich diesmal mit dem grossen Wagen unterwegs. Ich hob ab. So einiges. Und kaufte. Auch so einiges. Das übliche sowieso:



Momentan sind Gäste da, und da merkte ich, dass ich nach nur vier Tagen gezwungen wäre, die Rotation der Frühstücksmesser von Neuem zu starten, oder auf Versilbertes auszuweichen - das darf natürlich nicht sein. Ein Tortenmesser kann man immer, ach was, öfters als immer brauchen. Und die Gabel ist schwer und wäre reichlich teuer, aber der Verkäufer hatte eine Waage dabei und verkaufte sie zum Materialpreis. Vor zwei Jahren hätte man dafür 30 Euro oder mehr bezahlt, aber, so der Mann, inzwischen merke man die Krise. Bevor er es aber einschmelze, verkaufe er es so. Zu der Gabel, die ein Geschenk des Prinzregenten an einen Leutnant Roesch ist, wird noch einiges zu sagen sein, aber während ich noch überlegte, sah ich einen Stich von Riva am Gardasee. Oder auch: Riva in Tirol, wie darunter stand.



Denn Riva war mal in Tirol, genauer in Welschtirol. 1850 ist der Stich entstanden, da war noch sehr viel Italien sehr österreichisch, und Riva sollte es auch bis 1918 bleiben - weshalb Riva und das dahinter gelegene Arco auch zwei der hübschesten k.u.k.-Kurorte waren, und wäre ich nicht gerade auf dem Flohmarkt gewesen, wie gern wäre ich gerade dort. Aber solche Grüsse des 19. Jahrhunderts, hübsch gerahmt zumal, sind teuer, pardon, was kostet der Stich? Welcher? Na der auf dem Berg anderer Stiche. Ach so, alle gleich viel. 5 Euro das Stück? Und wenn man mehr nimmt, gibt es Rabatt? Mit Rahmen. Von den römischen Veduten über die kolorierten Pflanzen bis zu den Ansichten deutscher Schlösser. Höhö. Chrchr. Oh, auch ein paar chinesische Handelsschiffe auf dem gelben Fluss, für die Küche neben die Imarisammlung. Schönes Wetter heute.



Der Grund für dieses Geschäft: Des einen Mannes Gewinn... hinten standen noch die Preise der Galerie drauf, die sich nicht der Preisgestaltung des Marktes angepasst hatte. Eine Galerie in einem westdeutschen Kurstädtchen. Und die Preise waren durchaus anspruchsvoll... ist des anderen Mannes Verlust.

Das war am anderen Ende des Flohmarktes von jenem Ort gesehen, wo mein Auto stand. Und noch drei Reihen zu laufen. Also liess ich die Beute - Sie verkaufen das auch sicher nicht weiter, ja? Prima! - für die teilweise Gestaltung der 30 noch kahlen Gangmeter zurück und suchte weiter. Wie fein, dachte ich, wäre es jetzt, einen grossen Koffer zu finden, bestens erhalten, aus den 30er Jahren, am besten in ausgefallenem Schweinsleder und mit den Verschlüssen, die auch Hermes und andere in Frankreich verwendeten, mit absolut sauberem Innenleben und am besten für nicht allzu viel Geld - neu würde es mich bankrottieren, aber so ein feines Original, um die Bilder zum Auto zu schleppen - und das Silber, und die barocke Kasel, die gerade noch erstanden wurde, und die Bücher, und das Aquarell - so ein wirklich grosser, extrem schicker Reisekoffer, der wäre schon was. Mit präszisen Nähten und Lederkappen an den Ecken, und Messingnieten, die glänzen, als wäre der Koffer nie auf ihnen abgestellt worden. In etwa so einer, wie da vorne steht.



Und dessen Besitzer meint, seine Frau würde ihn umbringen, wenn er den wieder mitbringe, denn sie habe ihn gezwungen, einen Teil seiner Ledersammlung aufzulösen. Da hilft man natürlich gerne.

Und so wurde es ein netter Vormittag in Pfaffenhofen, und dann kamen die Gäste nach, und es wurde auch ein netter Tag, alles in allem.

Montag, 24. August 2009, 19:01, von donalphons | |comment

 
Manchmal habe ich das Gefühl, Sie sammeln nicht nur, sondern wollen mit den Objekten auch eine Gesellschaft und eine Zeit retten, die es nicht mehr lange geben wird.

Je mehr Starbucks in Deutschland wächst, desto mehr decken Sie Ihre Mahagoni Tische mit feinstem Porzellan und massivem Silber !
Welch anerkennenwerstes und doch so tragisches Unterfangen.

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Siebenstein (Verzeihung, kindliche Fehlprägung zu Koffern scheint mir).
Liebe Grüße!

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Diese Art der Fehlprägung habe ich auch - in Form von Koffer Werschätzung und Kauf. Ist wohl eine seltene männliche Variante zum Taschensysndrom von Frauen.

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There's only one proper way for a professional soldier to die: the last bullet of the last battle of the last war.
George S. Patton

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Großer Wagen?
aehm, doch nicht etwa _der_ grosse Wagen?
Denn dann würde er uns nicht mit Tortenmessern ablenken, oder?

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Rettung der Umgangsformen vs. Abgrenzung
Einerseits wünscht sich der Don, dass es mehr Bewusstsein für Dinge wie Silberbesteck oder Lederkoffer gibt.

Andererseits ist er wohl bedacht darauf, sich abzugrenzen. Aber grenzt er sich von Geldärmeren oder von Stilärmeren ab? Sicherlich tritt die Kombination durch die Verhältnisse bedingt häufiger auf.

Wenn es ihm jedenfalls um die Wertschätzung dieser Gegenstände und Praxen geht und er sich möglichst viele Menschen wünscht, die sich ebenfalls für diese Dinge erwärmen können, dann sollte er sich überlegen, ob er seine gesammelten Exponate nicht öffentlich zugänglich machen sollte. Und damit es wirklich um die alltägliche Praxis geht nicht in einem „einfachen Museum“, sondern in einem „Mittmachmuseum“. Vielleicht so eine Art Café/Bistro mit Ausstellung der Gegenstände (inkl. kleiner Stilkunde) und Restauration damit auch die Praxen geübt werden.

Andererseits wäre das viel Arbeit. Und so bleibt weniger Zeit zum sammeln. Aber vielleicht gäbe es dann mehr Nachwuchs und durch die höhere Nachfrage mehr (oder überhaupt noch welche) von diesen Dingen.

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Ich denke, man kann das nicht primär mit Distinktionsgewinn abhandeln, es ist eine Haltung. Zur Distinktion wäre statt Tegernsee-, Kuchen, oder Passstrassenfotos andere geeigneter. Beispielsweise ein Terassenblick auf den Petersdom, schickes Essen oder die Dächer Münchens mit Frauenkirche. Abgrenzung klappt nur, wenn die anderen dies auch bemerken und anerkennen. Ein alter Lederkoffer oder Silberbesteck taugt da nicht so ganz für.

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Lob der Dialektik
Nämlich die Dialektik zwischen diesem Thema hier:


http://metalust.wordpress.com/2009/08/24/das-kind-mit-dem-bade-ausschutten-der-distinktionsgewinn/



und diesem:


http://che2001.blogger.de/stories/1472082

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Ganz banale Frage
Mal eine ganz banale Frage: wie komme ich denn am ehesten an einen ganz banalen, zutiefst bürgerlichen Tortenheber (diese dreieckigen Schäufelchen), ohne mich für neues WMF-Silber zu runinieren, oder das Ding billig aus Blech zu kaufen? Sonst kaufe ich so Zeugs durchaus bei den Schweden, aber ein Tortenheber soll auch mit meinem Lomonossov-Geschirr, dem Silberbesteck meiner Großmutter aus den 1960er Jahren, und der Kiste voller Rosenthal gleichen Alters, die noch bei meinen Eltern darauf wartet, daß endlich mal wer mit dem Auto und nicht dem Zug zu mir kommt, zusammenpassen.

Auto habe ich nicht, sonst würde ich natürlich auch nach Pfaffenhofen fahren, und in einem Antiqitätenladen wäre es wieder grottenteuer. Ich will ja nur gelegentlich mal ein Kuchenstück ohne auseinanderzufallen auf einen Teller plazieren.-

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Ich kann in der Hinsicht - es ist ja nicht viel - schon auch die Auer Dult empfehlen, wenn es mit dem MVV sein soll, oder aber mit etwes Umsteigestress den Flohmarkt in Freimann. Wenn sich draussen nichts findet (was mich überraschen würde) gibt es in der Antikhalle sicher das Gewünschte.

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sethos
Sie sollten unbedingt ein passendes Tortenmesser dazu erstehen!!

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Danke!! Da werde ich dann mal die nächste Auer Dult aufsuchen, und sonst nach Freimann pilgern. Es ist ja nicht so, daß ich ohne Tortenheber (und -messer) irgendwie verhungern würde.-

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