Alte Männer und Kisteninhalte

Sehr guter Text von Don Dahlmann, übrigens. Ich denke, dass es vor allem die ungeliebte Erkenntnis ist, dass Bloggen wie jedes echte Schreiben Zeit braucht, die den Prozess der Blogeinstellung mitunter so schwierig und unangenehm macht. Der Übergang vom langsamen Blog zum schnellen Twitter oder zur "Timeline" ist wie vom Buch zur Morning Show im Radio, und ab und an ahnt mancher, was er da verliert. Anderen ist es egal, weil Schreiben saugt volle Kanne ey.

Hier ist gerade viel los, ohne dass es wirklich interessant und spannend wäre: Mieterwechsel, Familiendinge, Freundschaftliches, gesundheitliche Problembehandlung durch Ignoranz und anderes, das nicht ins Blog gehört. Oder anders, es ist nicht langweilig, es sieht nur so aus. Allerdings ist da noch die anstehende Reise Richtung Italien, die ihre Schatten voraus und mich um 25 Jahre zurück wirft. Denn das Rennen, an dem ich teilzunehmen gedenke, ist zwar für Oldtimer, aber zu meiner bitteren Erkenntnis muss ich sagen, dass diese Oldtimer die Träume meiner Jugend waren. Sprich, wenn die Räder veraltet sind, dann bin ich...



Es ist vielleicht in dieser Hinsicht gar nicht so gut, das alte Zeug immer aufzuheben. Bei den Fahhrädern wurde eines, das erste, einem Bekannten gestohlen, dem ich es dummerweise geliehen hatte. Immer, wenn ich ein hellblaues KTM mit gelber Schrift sehe, zuckt es mich. Ich habe zwei Bianchis verunfallt, und von einem sind die Reste noch im Keller, und vier Räder habe ich an andere weitergegeben, zwei davon fahren noch, zwei andere hängen an Wänden. Der Rest, und es sind mehr als 2, ist noch da. Nur die letzten 10 Jahre fehlen in der Sammlung, aber ich bin ohnehin der Meinung, dass sich seitdem nicht mehr so arg viel getan hat. Bei meinem Saronni für die l'Eroica hatte ich erst den Eindruck, dass es Äonen weg von den anderen Rädern ist, aber erstaunlicherweise lag das vor allem an den originalen und sehr dünnen Reifen.

Inzwischen stellt sich wieder das Gefühl einer Vertrautheit ein, das wenig angenehm ist, wenn man sich überlet, wie alt die Kiste ist, auf der man sitzt. Man kann damit umgehen, weil man es gelernt hat. Heutige Jugendliche wären vermutlich völlig von den schwergängigen Bremsen und den seltsamen Schalthebeln überfordert. Das ist kein Vorteil des Alters, denn diese Maschinen existieren kaum mehr. Auf ein Rennrad aus den 80ern kommen bei Ebay 50 aus den darauffolgenden Jahrzehnten. Man hat eine Geschichte, deren Grundlagen verschwinden.



Inzwischen suche ich immer noch meine alten Rennradschuhe von Detto Pietro. Die sind noch handgenäht aus Leder mit vielen Löchern und Schnürsenkeln, und leider irgendwo in der Garage meiner Eltern verschwunden. Weggeworfen, steht zu befürchten. Und anderweitig in der Art nicht mehr zu beschaffen, ausser bei sündhaft teuren Spezialanbietern, die mit dem Retrotrend gute Geschäfte machen. Was ich allerdings anderweitig und unter anderen Voraussetzungen entdeckt habe, sind meine alten Adidas Merckx, von denen ich auch dachte, dass sie beim Umzug nach Berlin verschwunden sind. Mit denen hat es eine besondere Bewandtnis, wenn man sie mal neben all die todschicken Hipsterturnschuhe hält, wie jene, die Trickers für den Preis von weit über 100 Billigdönernn "in englischer Handarbeit nach alten Mustern" produziert.



Da hat man plötzlich mit einem dreissig Jahre alten Schuh die modernen jungen Leute wieder am Schlawittchen, und vor allem: Die suchen händeringend nach den Originalen, deren potthässliche Neuschöpfungen auch wieder zu bekommen sind. Obwohl damals die Adidas schon doppelt so teuer wie die Detto Pietro waren - 179 DM war 1988 nicht wenig Geld - fand ich die italienischen Schuhe ohne Plastikeinsätze sehr viel besser. Aber wenn es dabei bleiben sollte, und ich mit den Adidasschuhen starten muss, ist es so auch nicht schlimm. Manchmal hat es eben doch seine Vorteile, wenn man alt ist und Kisten voller Zeug hat, das man nicht wegwirft.

Darüber habe ich im Netz noch etwas anderes gefunden, was mich sehr erfreut - dieses Bild von Merckx und anderen Mitte der 80er Jahre (und zum Glück in Schwarzweiss, in Farbe wäre es schlimm): Mir geht es um den Herrn in der Mitte meit dem sagenhaften Leibchen eines Küchenherstellers, und hier wiederum um die wirklich schicken und ansonsten gar nicht so sportüblichen Socken. Als Kind der 80er Jahre habe ich eine enorme Aversion gegen kurze weisse Sportsocken, ich trug immer nur dunkle, lange Socken, und ich werde das auch nicht ändern. Mit dem Bild habe ich ein historisch korrektes Beispiel für diese meine Haltung auch im Sport. Die passenden Socken habe ich, die Trikots kommen hoffentloch morgen, fehlen also nur noch Knickerbocker.

Und ein paar hundert Trainingskilometer, damit ich nicht mehr ganz so alt und gebrechlich daherkomme, und schneller trete, als andere junge Leute in grossen Städten, die sie nie verlassen, im Bus twittern.

Donnerstag, 9. September 2010, 01:50, von donalphons | |comment

 
Wenn Sie Eddie's
Gesichtsausdruck – am Start – halbwegs hinkriegen
(Socken? Nebbich!), - wer wird dann noch nach Ihrer Ziel-Einlauf-Nummer fragen?

Good luck!

(Verdammt schönes Foto, das Rad an der Dampflok, Rrreesch-pekt.)

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Ich frage mich ja eher, wie mein Gesichtsausdruck nach dem Einlauf sein wird - wie nach einem anderen Einlauf, nehme ich an.

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Einlauf? Und ich dachte, es geht um ein Radrennen.

(Sorry, der musste sein, der lag so nah...)

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Youporn für Schlaflose:
gibt es das erste Bild auch mit einem grösseren Ausschnitt? Schön ist es allerdings auch so - und spannend, daß die 4 Räder versetzt sind.

(Nur der 2. Satz Ihrers Beitrags (letzter Halbsatz) könnte noch etwas Retusche gebrauchen.

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Leider nein - ich hatte auch den Eindruck, dass die Lok das Rad erschlagen würde. Satz ist verbessert, danke.

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Feht auch noch so eine entstellende Kappe. Im Chianti soll es sonnig sein.

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Ohne Helm würde ich da nie fahren, ich will ja hübsch alt werden.

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Stilecht wäre wohl eine alte Sturzkappe. Aber in diesem Fall würde ich auch auf Tradition pfeifen.

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Zu Hosenmode, Barttracht und Kopfbedeckung gäbe es hier noch eine Anregung:

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/94/Leon_Georget_1909.jpg

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"die den Prozess des Entbloggens mitunter schwierig ist."

Hä?

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besser? Es war spät in der Nacht.

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Danke, ich kam nicht draus, wie der Schweizer sagt.

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Passt schon.

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...aber erstaunlicherweise lag das vor allem an den originalen und sehr dünnen Reifen.

Interessant, dass Du es ausgerechnet daran festmachst. Ich stecke ja wie dieser Tage schon mal gesagt mittendrin in diesem Umgewöhnungsprozess, den Du schon länger hinter Dir hast.

Den Unterschied zwischen den Dackelspaltern und den 23ern nehme ich gar nicht so prominent wahr. An meinem ersten Raleigh hatte ich Mitte der 90er schon 23er dran, bis ich dann befand, die 20er sähen doch schärfer aus.

Gewicht, Fahreigenschaften und Ergonomie jetzt mal außen vor gelassen, womit ich immer noch fremdle ist die eklatante Klobigkeit moderner Renner im Gesamten und in einzelnen Bauteilen. Allein schon dieser kantige schwarze Klotz von ITM-Vorbau und die fetten Spacer ständig im unteren Sichtfeld oder das abflussrohrdicke Steurerrohr und die Carbongabel, die auch eine Baggerschaufel tragen könnte, schön ist das alles wirklich nicht. Aber dass Schönheit keine notwendige Bedingung für Geschwindigkeit ist, sieht man ja auch an den immer abstruser aussehenden Formel-1-Boliden.

Und so toll das auch ist, wie das Koga jeden Newtonmeter Kraft auf die Pedale in Geschwindigkeit umsetzt, das Glücksgefühl, auf einem schlanken und dunklen Stahlrenner mit weißem Sattel und Lenkerband und blank schimmernden Anbauteilen rumzucruisen, ist eben doch etwas anderes.

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mark, ich kann das im Grunde alles unterstreichen. Aber manchmal ist "klassisch" der Euphemismus für "veraltet". Ich cruise auch gerne im Spitfire. Aber die Bremsen mahnen halt zum vorausschauende Fahren und sind nicht das, was man heute noch freiwillig wählen würde. Gleiches gilt für die hoppelnde Hinterachse mit ihrer Blattfeder. Auf dem aktuellen Rennrad fühle ich mich nicht weniger wohl als auf den Vorgängern, nostalgische Verklärung mal außer acht gelassen, und es kann alles besser als seine Vorgänger. Abgesehen davon gilt bis zu einem gewissen Punkt natürlich: It's not about the bike; it's about the engine.

Aber den ordnungsgemäßen Nachweis für ein weißes Lenkerband kann ich zumindest erbringen:

http://www.chimbuka.de/extern/rad.jpg

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Es sieht aus, als würde alles noch viel fetter:

http://bikesnobnyc.blogspot.com/2010/09/pull-my-strings-new-puppetry.html

35mm dicke Lenker. Ich habe noch nie einen gebrochenen Qualitätslenker gesehen, der nicht vorher einen Scaden oder schweren Sturz hatte. Aber um Lenker so dick und gleichzeitig leicht zu machen, muss das Material so dünn sein, dass es keinen Schlag mehr aushält. Die gleiche Sache wie bei Carbon: Steif beim fahren, aber wehe, ein Schlag kommt von der Seite. Und wenn sie dann auf 40 mm sind, entdecken sie den "Slim Look" wieder.

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@anderl: Ja, völlig einverstanden.
Mir läge auch nichts ferner als der Versuch, die beiden Fortbewegungsarten gegeneinander auszuspielen. Ich bin froh, beide Optionen zu haben und je nach Lust, Laune und Tagesform zu entscheiden, ob ich eher bolzen oder mehr so in Schönheit rollen will.

Ich würde in meinem fortgeschrittenen Alter Authentizität auch nicht mehr über Sicherheit stellen wollen. Den alten Weinmann-Bremsen trauere ich nicht hinterher. Und wenn mir tatsächlich mal nachrüstbare Modolo-Schaltbremshebel mit dem passenden Zahnkranz über den Weg laufen, kenne ich nichts.

Das abgebildete Kreuz-Bube-Gelöt aus dem Hause Colnago ist nun wahrlich nicht hässlich oder übermäßig klobig. Das Outift spielt sehr schön mit Schwarz und Weiß. OK, auf die Beachcruiser-Reifen hätte ich vielleicht verzichtet. ;-))

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ichtig fett wird es bei den Zeitfahrrädern:
DA, im Radladen hier um die Ecke, der ausschließlich Wilier führt, da wurde mir dieser Tage ein feinstes Carbon-Rähmchen präsentiert. Ich weiss nicht mehr, welches Modell das war, aber zu den Ausfallenden sah das aus, als hätte man Plastik erhitzt und so dünn gezogen, wie es nur geht. Laut Ladenbesitzer soll das tolle Dämpfungseigenschaften mit sich bringen.

Vertrauenserweckend sah es für mich nicht aus. Und ich selbst fühle mich auf dem Alurenner gar nicht unkomfortabel, so wie das wegen der "Härte" des Alus immer suggeriert wird.

edit: Richtig fett wird es bei Zeitfahrrädern:

http://www.wilier-versand.de/artikelbereich/wilier-rennraeder/artikel_details.html?ArtNr=2463576

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Wilier hat früher tolle Stahlräder mit Chromlack gemacht...

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Schade, daß ich erst 10 Tage später in der Toscana bin. Ich würde zu gern an der Strecke oder besser noch im Ziel stehen, um den DA Tifoso zu mimen !

Knickerbocker sehen sicher gut aus. Wo lassen Sie die machen?

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Dafür bin ich schon fünf Tage früher da - gleich nach dem Flohmarkt in Pfaffenhofen geht es los.

Was man so hört, soll es beim Rennen ohnehin übervoll sein, und ich sehe unauffällig aus. Meine Hose lasse ich bei der türkischen Schneiderin in der nächsten Strasse machen, die kann das noch mitsamt Einsatz. Da gehen bei uns auch die Jäger hin.

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Der Text von Don Dahlmann handelt im Grunde davon, wie schwer es ist ein Blog in das "Leben" einzubinden. Das spielt sich bei manchen anscheinend zu einem immer grösseren Teil in sozialen Netzwerken und anderen Internet-Kommunikationskanälen ab. Im Prinzip hat sich dabei wenig verändert. Ob Facebook oder Real-Life-Treffen. Auf Blogbeiträge aufmerksam zu machen und diese in die Kommunikation zu integrieren war immer eine Hürde.

Ich habe bei einer PR-Dame mal eine Prozess-Chart gesehen, die den Ablauf beschreibt, wie die Selbstvermarkterin eigene Blogbeiträge in das "social net" verteilt. Wahre Status-Update-Kaskaden.

Keine Lösung und es wird womöglich auch keine geben. Es ist ein Geschwindigkeitsbruch, der auf Tiefe (mal mehr mal weniger...) und Dauer angelegte Inhalte vom schnellen Echtzeit-Austausch trennt. Blogs sind sperrig und wehren sich dem lustigen Kaputtkommentieren auf den online Kinderspielplätzen.

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Ich habe auch den Eindruck, dass für das Injezieren von schnellen Sachen klar Twitter im Vorteil ist: Für das digitale Grundrauschen der Junkies. In letzter Zeit las ich aber auch von einem frustrierten Twitternebenprojektgründer nachdenkliche Zeilen, dass Twitter sich ansonsten nicht so toll eignen würde, weil: Es ist eine gated community, wer nicht dabei ist, ist draussen, und für das Mitmachen muss man ein gehirnamputierter Vollspack mit Awarenessgeilheit sehr engagiert und zeitraubend dabei sein.

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"...bei einer PR-Dame mal eine Prozess-Chart gesehen, die den Ablauf beschreibt, wie die Selbstvermarkterin eigene Blogbeiträge in das "social net" verteilt. Wahre Status-Update-Kassaden."
Sowas gibt's tatsächlich? Was ist das für ein Leben? Ich dachte immer, der Don übertreibt mit seiner manchmal drastischen Kritik. Aber "gehirnamputierter Vollspack mit Awarenessgeilheit" trifft's wohl.

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