Die Zukunft

Als man noch rote Etikettierbänder nahm und weisse Buchstaben hineinstanzte, als noch nicht in jedem Büro ein Drucker stand und das Hämmern der Schreibmaschinen, der über das Papier rasenden Kugelköpfe die Räume erfüllte, war die Zukunft noch gross und weit. Irgendwie richtige Zukunft, mit Fortschritt und Lösungen und Wendungen zum Besseren, verrichtet durch Industrie und Forschung. Was sie sagen, konnte man glauben und niederschreiben. In jener Epoche der roten Eikettierbänder waren all diese Entwicklungen ein probates Mittel, um in die Zukunft zu marschieren, ohne sich ideologisch neu zu orientieren. Man konnte Sonntags in die Kirche gehen und danach zum Schweinsbraten mit dicker Sosse und dann in der Redaktion etwas über Schnelle Brüter schreiben und das gefühl haben, alles sei richtig. Im Blatt, im Kopf, in den Resopalfächern mit dem roten Band.



Zukunft bedeutete damals grosse Maschinen und gigantische Kräfte, ein stetes Mehr und Weiter. Mehr Strom, mehr Energie, mehr Ausbeute, sagte der Kugelkopf dem Papier und presste seine Signatur elektrisch hinein. In den Fächern landete postalisch die Zuversicht und die Erwartung, das Nichts des Weltalls und die Lauge von Asse, und alles würde gut werden. Irgendwann vielleicht bräuchte man grössere Fächer, man wächst ja auch ein wenig mit dem Thema, das auch wächst, so ist das eben in der Zukunft, die man da beschreibt und die alle mitnehmen wird, ob sie wollen oder nicht. Mag sein, dass unten ein paar Leute zusammengeschlagen werden, dass ein Salzstock verfüllt wird und der Ozon leidet, aber wo wäre man ohne das alles.



Und irgendwann ist man auch so weit, dass man gar keine Entsorgung mehr braucht, denn die Wissenschaft findet Wege, sie zu entsorgen, und die PR findet, falls es nicht klappt, Wege, sie vergessen zu machen. Immer nur hinein in die Fächer der Zukunft. Manchen mag es nicht gefallen, aber das war doch schon immer so, und geändert hat es nichts. Niemand möchte im Mittelalter leben. Jeder möchte schöne, neue Büros, und praktische Resopalmöbel mit Fächern, die das Sortieren erleichtern. Das ist die Zukunft. Sie wird siegen, unter der Erde, im Himmel, ganz egal, und die relevanten leute, die in der Wissenschaft, die sehen es ja auch so.



Der Schrank ist noch da, der Mann mit dem roten Etikettierungsband jedoch ist in Pension gegangen. Und wenn der Schrank, was zu hoffen ist, erhalten bleibt, wird er in 30 Jahren ein höchst spannendes Stück zeitgeschichte sein, an dem man sehen kann, was man erwartete, was tatsächlich kam - und sich dann als nicht dauerhaft machbar herausstellte. Nur Resopal, das geht heute noch. Aber die Fächer sind längst in den Rechnern, jenen unbeachteten Abfallprodukten der Forschung, und in ihnen werden ganz andere Dinge als auf der Kugelkopfschreibmaschine niedergeschrieben. Es gab eine Ideologie, einen Glauben, eine Gewissheit, eine Zukunft.

Und das alles ist nur noch rotes Etikettierband auf einem alten Resopalschrank.

Samstag, 16. Juli 2011, 00:22, von donalphons | |comment

 
die hinterlassenschaften eines wissenschaftsredakteurs?

"we were promised jetpacks"

... link  

 
and flying cars.
Man nannte ihn wohl "Raketen-Paul", habe ich mir sagen lassen.

... link  

 
Aber es ist schon spassig zu sehen, wie das alles dann ganz anders gekommen ist.

... link  

 
oh ja mein großvater vermachte mir irgendwann seine populärwissenschaftlichen zeitschriften der frühen 50er Jahre.
die vorgestellten technischen errungenschaften waren zwar alle längst überholt, aber der damals ca. 12 jährige Rollproll hatte auf einmal sehr konkrete Vorstellungen vom Begriff "Zeitgeist" und ging 2 Jahre später ungeachtet des grafisch sehr entzückend aufgemachten Atomhypes auf seine erste antiakwdemo.
fortschritt ist immer auch nur das was man dafür hält.

... link  

 
"Raketen-Paul"? Da klingelt doch was...
.
Ah, ja: Vorhin, beim Jugoslawen, der sich heute natürlich Kroate nennt, lag auf dem Tisch, an dem der Chef immer sitzt, wenn das Lokal nicht ganz so voll ist, die lokale Schmutzzeitung "B.Z." und da war auf dem Titel in sehr großen schwarzen Buchstaben das rätselhafte Doppelwort: "Raketen-Paul" und ich - nicht sehr neugierig - sah's, las den Begriff und vergaß' das ganze. Dachte ich. Und nun erscheint's hier wieder. Seltsam.
Bin ja mal auf die Auflösung gespannt.

... link  

 
eine anspielung auf die 60ies ? raketen-pawel (paul) vonne russen ?

... link  

 
Wenn ich kurz mit einem Link behilflich sein darf? Das ist der Herr des Schrankes.

... link  

 
mhh schreibt man bei konservativen Zeitungen noch dazu das man "gedient" hat (18 Monate waren damals ja auch eher standard...) ? Oder war das CV sonst zu kurz ?

... link  

 
Hat nichts mit "konservativer Zeitung zu tun"!
CV soll keine Lücken aufweisen.
Sonst fragt man sich, ob er nicht 18 Monate beim Guru war oder in Afghanistan. Damals fuhr man da ja noch per Anhalter hin zum Kiffen etc.

... link  

 
naja für nen formalen CV stimmt das schon, aber hier hatte ich eher an den wenigzeiler aus Frl. Andreas link gedacht.

... link  

 
Den meinte ich auch. Ist doch eine interessante Info, ob jemand sich für das Gemeinwohl einsetzt oder in Brockdorff Mollys schmeißt !

... link  

 
Nicht alles ist anders gekommen ...
immerhin gibt es wirklich eine Raumstation, und entgegen dem, was viele politische Journalisten - z. B. im "Spiegel", der damals noch ein Nachrichtenmagazin war - in den 80er Jahren für möglich hielten, ist sie eine internationale Raumstation geworden. Damals war eben das Wettrüsten im All und Ronald Reagans "Star Wars"-Programm das beherrschende Thema. Und eher konservative Wissenschaftsjournalisten schrieben Lobeshymnen an die größzügigen Amerikaner, die (west-)europäische Wissenschaftler mit den Space Shuttles mitfliegen ließen - ohne zu erwähnen, dass zuvor "die Europäer" den Amerikanern die milliardenteuren Space Labs geschenkt hatten. Wohingegen heute wenigsten die Leistungen und Gegenleistungen in einem erträgliches Verhältnis zueinander stehen.

... link  


... comment
 
Das war wohl auch die Zeit der "Was ist Was" Bücher. Die habe ich als Kind noch gelesen. Damals hat man sich die Zukunft so richtig rosig vorgestellt. Heute gibt es Reportagen mit dem Titel "Die Zukunft ohne Menschen".

So hat sich die Zeit eben verändert. Keiner würde heute noch auf die Idee kommen, dass es sinnvoll ist, einen Menschen auf den Mond zu schießen. Vom Mars ganz zu schweigen…

... link  

 
"Was ist Was" gibt es immer noch
Auch damals, als ich vor über 35 Jahren eifrig meine "Was ist Was?" Bücher las, war das Zukunftsbild nicht "richtig rosig" - weder allgemein, noch in den meisten "Was ist Was?"-Büchern. Umweltschutz und folglich auch Umweltverschmutzung nahm schon einen breiten Raum ein. Und fiktiven Reportagen über das Ende der Menschheit und die Welt hinterher (damals meistens: nach dem Atomkrieg) gab es schon damals. Geändert haben sich allenfalls die Ursachen. Misanthropen, die meinen, die Erde wäre ohne Menschen besser dran, gab es auch schon - und noch mehr, die meinten, wenn mal eben 3 Millarden Menschen über die Klinge springen würden, wäre das an sich zu begrüßen. Darunter auch damals angesehene Wissenschaftler, wie z. B. Konrad Lorenz.
Ob wirklich "keiner " heute noch auf die Idee käme, dass es sinnvoll ist, Menschen zum Mond fliegen zu lassen, lasse ich einmal dahingestellt. (Das Verlangen, jemanden zum Mond schießen zu wollen, ist allemal ein Zeichen dafür, dass Kritikfähigkeit und guter Geschmack nicht völlig verkümmert sind.)

... link  


... comment