Zeiten der Enthaltung

Jemand war so freundlich, eine Gratiszeitung an die Tür zu stecken. Vermutlich ist der Heimatzeitung aufgefallen, dass dieses Haus von 5 Abos mittlerweile auf 0 herabgesunken ist, und möchte nun, dass sich die Bewohner erneut mit Neuigkeiten über 50 Jahre Schuhgeschäft Huber in Geisenfeld von vor drei Tagen infizieren und bestellen.



Nachdem es mir gerade nicht so besonders übertoll geht - es kommt gerade einiges zusammen - ist das vor der Abfahrt noch einmal eine nette Geste: Sicher, ich brauche einen neuen Motor. Aber hey! Immerhin bin ich nicht zum würdelosen Untergang verdammt. Zeitungen vergehen, aber Leute wie mich, die für die Bindung sorgen, die sonst dauerhaft verloren ist, wird man immer brauchen. Mirabellen sind ja auch immer da und werden immer gegessen.



Daneben hängen übrigens Steinäpfel: Sehen aus wie Äpfel, sind aber ungeniessbar, man kann sie höchstens zur Dekoration herumliegen lassen, oder - deshalb wurden sie früher auch gepflanzt - an Tiere verfüttern. So kommen mir mitunter Versuche vor, dezidiert für solche Zwecke vollkommen untaugliche Leute irgendwie zu Marken aufzubauen, weil irgendwelche Berater das sagen: Man muss zur Marke werden. Einen Scheissdreck sagen die: Entweder ist man eine Persönlichkeit, oder eine Wurst. Und Journalismus geht, man betrachte die Erfolge von Sun und News of the World, die sicher nicht einzigartig sind, eher in Richtung Wurstbetrieb denn in Richtung Persönlichkeitsschule. Man gebe den Maulaufreissern ein Blog, dann sieht man ja, wie sie den Medienwandel beherrschen, von dem sie reden. Die meisten sind platt wie geplatzte Schläuche.



Oder anders: Wenn sie es so toll könnten, wie sie sagen, dass andere es betreiben müssten - dann würden sie ihre tolle Kompetenz doch längst selbet unter Beweis stellen, wie es es bei Carta und the European mehr oder weniger tun. In Wirklichkeit sind sie nur gross, wenn es darum geht, anderen das Offensichtliche zu sagen: Dass sie es falsch machen. Haben sie sich dann irgendwo eingenistet, gehen sie das alles erst mal ganz langsam an, orientieren sich absolut nicht nach oben, sondern schauen, dass sie minimal besser sind als das, was der untere Durchschnitt leistet. Der untere Durchschnitt macht Bleiwüste? Macht man eben ein Bild. Der untere Durchschnitt packt das mit der Leseransprache nicht? Sagt man halt mal "Ich". Der untere Durchschnitt reitet Steckenpferde, die sonst keine alte Sau interessieren? Schreibt man halt was über ein populäres Thema.



Vermutlich wissen sie, dass an Bäumen voll mit unreifen Äpfeln am ehesten jene genommen werden, die nicht ganz so unreif aussehen. Man ist dann gespannt auf den nächsten Rülpser gegen andere Medien - zu gern wüsste man, wie so ein Nixkönner und Keineanstrengungmöger es dann begründet, warum andere schlecht sein sollen. Und ich verstehe mittlerweile besser, warum hintenrum so viele Augen verdreht werden, wenn mal wieder eine ganz tolle Ideen mit diesem neuen Internet aufkommt: Das bringt dann halt Leute an die Oberfläche, die besser den Rest ihrer Tage irgendwo den Stuss erzählen, der ansonsten keinen in seinen Lesegewohnheiten stört. Es reicht halt nicht zu sagen, dass die anderen zu lahm sind: man muss schnell sein und wissen, wie man diese Geschwindigkeit kontrolliert.



So denkt man eben, Kilometer für Kilometer, und auch an anderes und daran, dass man in Zukunft vielleicht noch ein wenig besser aufpassen und genauer hinschauen sollte. Nicht, weil die Welt schlecht ist und genauer Prüfung bedarf, sondern um das Schöne zu entdecken: Das Miese zeigt sich leider schnell genug ganz von allein. Sicher, ich habe gerade nur einen Leihwagen, aber eben auch mehr als nur ein Rennrad, sicher, ich werde ein paar Einschnitte vornehmen müssen, aber ich weiss auch, wo all die guten Apfel- und Mirabellenbäume stehen. Man muss nur die Augen offenhalten. Und ab und zu anhalten, um etwas mitzunehmen.



Ich mag diese Zeit der frühen Reife sehr; bald wird man sogar die Bäume stützen müssen, denn sie tragen schwer, sehr schwer an ihrer Last. Ich denke, ein erfolgreiches Projekt sollte wie so ein Baum aussehen, und das geht am besten, wenn man dazwischen nicht zu viel Gestrüpp hochkommen lässt in der Hoffnung, dass sich daran schon irgendwas einfinden würde, was irgendwem schmecken könnte. Es gibt schöne, alte Sorten und andere, die ebenso gut wie modern sind, und dann noch welche, die durchaus als Hecke einen Lebensraum darstellen: Aber nur, weil ein Garten zugewuchert ist, ist er noch lange nicht natürlich oder einladend. Das vesteht jeder Bauer. Aber in den Medien wirft man eine Handvoll Brenesselsamen an Hagebuttensträucher und wundert sich, warum der Steinapfelbaum nicht endlich bessere Früchte trägt, obwohl man ihm doch eine schöne Bewässerung gebaut hat.



Spätestens bei der Ernte, sollte man meinen, erkennt man, was da gut funktioniert hat, und was man besser nicht angebaut hätte. Das hat dann auch ein klein wenig mit einem Verständnis für die Bedürfnisse der Menschen zu tun. Nehmen wir nur einmal die alten Birnensorten, die nicht im Mindesten so knackig und frischestrahlend sind, wie es die Ideologie vorschreibt. In solchen Fällen muss man eben dazu sagen, dass es gar nicht schadet, wenn man daraus einen famosen Birne-Baiser-Kuchen macht: Das vestehen die Leute dann auch, wenn die Gabel durch das saftige Fruchtfleisch wie durch warme Butter gleitet, und man die Frucht mit der Zunge zerdrücken kann, so süss, wie sie ist. Was sie gar nicht verstehen, wäre eine andere Ansprache, wenn man sich an den Weg stellen würde und sie anblaffen, dass sie verschwinden sollen, wenn sie nicht mal wissen, wann dieser Baum gepflanzt wurde und welche Rolle er in der Biographie eines lang vergessenen Pflanzenforschers spielt.



Auch das ist etwas, was die Bauern bei uns aufgrund der Bewusstseinswandels begriffen haben. Die Kundschaft ist ja nicht dumm, die Kundschaft würde schon etwas anderes als nur die Lady Gagas des Obsthandels wollen, man muss es eben zusammen entdecken und vermitteln. Es gelingt den Bauern, es gelingt einer Zeitschrift wie Landlust, alle gaffen das an, kratzen sich am Kopf, und dann gehen sie mit Debbie Harris im Ohr in den Supermarkt, diskutieren darüber, was in den untersten Regalen ist, schauen auf schreiend aufgemachte Sportillustrierte und Modejournale ohne Inhalt, lästern über Vegetarier und reden darüber, was letzte Woche im TV war, wo sie sich über Ballettgequatsche gezappt haben. Und irgendwann merken sie, dass es nichts bringt, so Zeug den Leuten vor die Haustür zu legen, die einfach etwas anderes haben wollen.



Dann aber ist es schon reichlich spät. So wie heute auch. Nur bin ich bald daheim, und die Zeitung klemmt immer noch an der Tür.

Samstag, 16. Juli 2011, 19:14, von donalphons | |comment

 
Vor ein paar Jahren habe ich nach über 25 Jahren mein FAZ Abo abbestellt. Die texte ließen nach, die vielen bunten (Archiv) Bilder tauchten auf jeder Seiten auf. Zuletzt dann auf der Titelseite, was dann zu meiner Kündigung führte.
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Was die Zeitung nun bringt, kann ich auch (fast) alles auf ihrer Internetpräsenz lesen, und dazu noch das eine oder andere gute Blog. Wahrscheinlich würde ich dafür auch zahlen. Aber das Zeitungsabo war mir das Geld nicht mehr wert.

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Ja, das ist schon komisch. Ich bin natürlich auch mit der Zeitung aufgewachsen, wir Kinder haben die jeden Morgen auch gelesen, und meine Schwester hatte auch die Süddeutsche und den Spiegel eine Weile im Abo... ich war immer mehr auf Bücher ausgerichtet, das erklärt auch manches. Aber Zeitung lese ich nur im Urlaub, ansonsten passt das Angebot nicht zu meinem Leben. Was ich so erlebe, ist das Bröckeln und Rieseln hinter den Fassaden. Grosse Namen, riesige Theman - sie alle schnurren zusammen, wenn sie in die Schwefelsäure des Internets gehalten werden, und man fragt sich: Ist das erst jetzt so, oder merkt man das erst jetzt?

Ich bin übrigens in der Hinsicht kein Ketzer - viele Journalisten lesen auch keine Zeitung mehr.

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Äh,
stimmt. Zumindest keine Tageszeitung. Das hier so oft geschmähte Ostelbierblättchen finde ich inzwischen wieder erträglich, auch wenn ich das ganze Pensum nicht jede Woche schaffe.

Aber die regionale Tageszeitung braucht es nicht wirklich. Manchmal legt die RP hier Probeexemplare ab, kündigt dies aber nicht an, und dann denk ich, das wäre das Exemplar der Nachbarn und lasse das Blatt liegen. Wenn ichs dann doch mal in die Hand nehme, merke ich, dass ich auch weiterhin gut ohne das alles leben kann. Für tagesaktuelles Gehechel müsste wegen mir kein Baum mehr umgeholzt werden.

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Mein Heimatblatt hat Samstag an derselben Stelle der Titelseite, mit ähnlichem Foto, in exakt derselben Typographie dasselbe „Thema“ beackert wie in der Zeitung an der Türklinke.
Anderer Verlag (Medien Union Ludwigshafen), same Shit? Man kann sich das wirklich alles sparen und sofort zum Torte essen übergehen.

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Wer zum Geier ist denn "Debbie Harris"?
;-)

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Naja, es gibt ja noch die Altmodischen wie mich, die bedrucktes Papier täglich brauchen. Vielleicht stirbt das Medium mit unserer Generation aus. So what? Es gab eine Welt vor der Tageszeitung und es wird eine Welt danach geben.
Was viel wichtiger ist: die Haustür, ist das 17. Jahrhundert? Ich bin beeindruckt, auch wenn sie nicht ganz so alt ist.

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Die Tür wurde vermutlich 1720 bei der grossen Hausumwidmung an dieser Stelle verbaut, ist aber, wie man an den Beschlägen hinten sieht, schon mal anderweitig verwendet worden.

Auch die FAZ hat im letzten Jahr wieder kräftig über 2% verkaufte Auflage verloren, wie alle überregionalen Zeitungen. Nicht ganz so schlimm, aber nachdem die Frankfurter Rundschau 10% verloren hat, fragt man sich schon, warum die FAZ das nicht in eigene Gewinne ummünzen kann.

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1720? Jesses! Ich hab ja schon oft betont, daß ich mehr vom Nutzen als vom Nachteil der Historie für das Leben überzeugt bin. Aber so ganz konkret ist das wieder mal überwältigend. Nächste Woche geht es übrigens zur Uta von Naumburg und ihrem Meister. Eine wunderbare Ausstellung, scheint es.
Ich habe ja öfter mit auszubildendem Jungvolk zu tun: die Tagespresse ist wirklich auf dem absteigenden Ast. Da helfen auch keine Konzepte mehr. Die Jungschen sind nicht dümmer als wir, eher intelligenter. Sie können aber mit den Print-Sachen nichts mehr anfangen und orientieren sich auf ganz anderen Kanälen. Tempi passati. Außer einem Untergang in Würde bleibt nichts mehr.

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mhh tut sie das wirklich, die jugend? eine flimmerkiste ist selten geworden, aber keine zeitung ? käse! nicht gedruckt oder sowas (aber auch noch manchmal), aber in jedem fall täglich. Der Konsum dürfte bei denen die eh zur Zielgruppe gehören eher mehr geworden sein. Man hat nicht mehr nur eine im Abo, man pickt sich die spannendsten Artikel aus den überregionalen. gerne auch 2-3 mal pro tag.

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Welche Würde? Die Verlage und Medien von FR bis ARD hatten 10 Jahre Zeit, sich neu zu orientieren und neue Wege zu beschreiten. Sie haben 10 Jahre Berater bezahlt und Schwachköpfe eingestellt, sie sind auf jeden Quatschkopf von Social Media Fasel reingefallen - statt sich einmal zu überlegen: Was wollen unsere Leser? Sieht man prima bei Christian Jakubetz, der im Ruf steht, zumindest den Medienuntergang beschwören zu können, und bei der FAZ gerade vorführt, dass andere anrüffeln das eine ist. Aber es dann besser machen das andere.

Landlust geht's famos, die haben es verstanden, aber die Tageszeitungen haben es sich in der Geriatrie bequem gemacht, schieben es auf den Zeitgeist und warten auf das Ende. Und sage bitte keiner, sie würden doch bloggen und es gäbe gute Ansätze: Nur weil es Leute wie mich gibt, bedeutet nicht, dass bei den anderen hinter den modernen Fassaden nicht der gleiche Müll wie früher ist.

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wie alt ist denn der durchschnittsleser der landlust ?
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wäre man böse, könnte man deren Leserschaft realitätsflucht unterstellen. drumherum ziehen dunkle wolken auf, die welt ist schrecklich kompliziert geworden und überall kann man nachlesen, dass es auch nicht mehr besser wird. wirtschaftswunderland ist abgebrannt.
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das kann man sich also sparen und beschäftigt sich statt mit schlechten nachrichten lieber mit schönen gärten und gutem essen.

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Mag so sein. Und? Sie gewinnen Auflage. Sie verdienen sich dumm und dämlich. Es ist eine Entwicklung, sie haben das passende Produkt, die FAZ dagegen ein Blog, in dem es über 5 Supermarktmythen geht, bei Bild kooperiert man mit Discountern, die Zeit macht den Wochenmarkt - man kann so und so darauf reagieren. Genau betrachtet gibt es jetzt auch keinen Mangel an schlechten Nachrichten. Lücke, Markt, Profit, so einfach.

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Freilich zieht sich das Jungvolk Infos aus dem Netz. Aber wo ist dabei das Geschäftsmodell? Eine funktionierende Variante des Micro-Payment wäre _der_ Überflieger im Netz, finde ich. Daß es erfolgreiche Print-Nischenprodukte gibt bezweifle ich gar nicht. Bei den niedrigen und weiter sinkenden Druckkosten werden wir noch eine ganz Menge solcher Produkte erleben. Aber am Niedergang der Tagespresse wird das nichts ändern.

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Naja, die FTD probiert es gerade, indem die besten Kolumnen hinter der Paywall verschwinden... meines Erachtens wird es so sein, dass man eben mit entsprechenden Marken und Themensetzungen Anhänglichkeiten aufbaut und die dann entsprechend zielgenau vermarktet. Das ist nicht undenkbar, solange man nicht an den real existierenden Journalismus denkt. genauso könnte man auch auf die Idee des Sponsorings einzelner Markenteile kommen. Alles nicht einfach, aber das Problem ist eher, dass entsprechende Angebote seitens der Onlinemedien nicht existieren.

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Vermutlich wird es in der Richtung Apple-Apps gehen. Ein abonnement-ähnliches Zahlmodell mit Exklusivitätsanspruch, in beide Richtungen. Ich hab etwas, daß du woanders nicht bekommst und ich bin cool, weil ich es mir leisten kann. Nischenprodukt eben.

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Naja, nachdem Apple den deutschen Verlegern gezeigt hat, dass sie gerade mal unter den Fussabstreifer dürfen, ist die Euphorie in der Sache weg, und ich wäre auch nicht überrascht, wenn die ersten Grossprojekte bald wieder verschwinden würden. Bei The Iconist von Springer wettet man ja in meinem Bekanntenkreis schon auf den Zeitpunkt, da es ihnen wie dem 2nd Life Magazin aus dem gleichen Hause gehen wird.

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Ich glaub ja nicht, daß die deutschen Verleger Erfolg haben werden. Das sind naive Trottel, die denken, daß die Welt ihnen wohl will. Apple hat schon Erfolg. Irgendwas mit Obst eben...

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