Sehr zu empfehlen - was alles geht

Und irgendwann ist dann der Moment erreicht, da das Unheil in das Leben eines Wohnungsrestaurateurs tritt. Oft, allzu oft ist das Unheil die Zweitgeborenenbrut der eigenen Eltern, und die wirft, weil genervt, neidisch oder einfach nur so, einen schiefen Blick auf einen Teppich und sagt: Das passt überhaupt nicht zur Wandbespannung. Und verweist auf Hypeblättchen wie AD - Architectural Digest, in der irgendwelche Villen von Sachsen-Glorias und Häuser von promotiongeilen Tütü-Architekten vorgestellt werden. Da ist das von mir geplante Ambiente nämlich nicht abgebildet, also kann es gar nicht passen.

Nun bin ich Kulturhistoriker mit einem Schwerpunkt auf frühe Neuzeit und die AD nur ein von vielen Anwaltsgattinnnen gehaltenes Werbeblättchen, das mitunter heute das nachzuschreibt, was vor 6 Monaten bei International Interieur zu lesen stand - so sieht man da momentan auf Kronleuchtern die spiessigen Hütchen auf den Lampen, die Dolce & Gabbana in einem Anfall von Interieurverarsche verwendet haben. Bitte, wie gay ist das denn? Hütchen. Also echt.

Nichts desto trotz hilft es, sich die zeitgemässen Farben der geplanten Einrichtung am lebenden Objekt anzuschauen. Gleich neben meiner Provinz ist gewissermassen die Provinz der Provinz mit dem Namen Neuburg an der Donau. Neuburg ist für uns das, was Tschernobyl für Kiew ist, und ihr Autokennzeichen ND steht bei uns für "Nationaldepp". Nach Neuburg fährt man über den Deadroad Track der B16, eine Strasse mit ziemlich hoher Unfallquote. Da stehen alle paar Meter die Marterl, an manchen Kurven auch zwei oder drei. Das ist hart. Am Ende kommt dann ein geschlossenes frühneuzeitliches Ensemble, das von der Donau aus so aussieht:



Neuburg war ab 1505 Residenz der damals neugeschaffenen Pfalz, hat ein entsprechend üppiges manieristisches Schloss und eine fast völlig intakte Altstadt. Und Bewohner, die bereitwillig die alten Fassungen und Farben wieder so auftragen, wie es zur Hochzeit des Ortes Mode war. Will sagen, früher war Neuburg nie so authentisch, wie es heute aussieht; kein Dreck, kein Kot auf den Strassen, kein Zerfall und kein Niedergang, obwohl es das hier immer wieder nachweislich gab.

Dafür findet man hier wie in einer riesigen Datenbank die Farben, die in dieser Region tatsächlich vorhanden waren. Die Hausbauer waren keine Kinder von Traurigkeit und dezenter Kolorierung, gleich nebenan in der Kirche war ein Farbrausch von Rubens, da brauchte sich keiner was wegen ein bisschen orange oder rosa denken. Da wurde vieles aufgetragen und gemischt, was heutigen Innenarchitekten die Eier abfallen lassen würde:



Rosa, Grün und Goldgelb kommen zusammen an ein und dem selben Gebäude vor, es wird Stein vorgetäuscht und kräftig gepinselt, bis das letzte Kalkweiss verschwunden ist. Alles geht. Nach einer Stunde kann einen keine Bonbon- oder Tortenfarbe mehr schockieren, das alles ist kein Problem, es harmoniert, nur feige sollte man nicht sein. Dagegen sind meine Teppiche und die Wandbespannung dezent.

Im Schloss selbst gibt es dann noch Beispiele für originale Wandbespannung aus dem 18. Jahrhundert, die nicht im Mindesten so sauber gemacht war, wie man das vielleicht erwarten würde. Und eine Ausstellung über den hiesigen Ottheinrich und den Landshuter Erbfolgekrieg, die zeigt, dass Bayern das System der Landesausstellungen noch immer nicht begriffen hat. Ohne fundiertes Fachwissen, intensives Studium des Katalogs oder Don Alphonso als Begleiter ist man da drinnen ziemlich verloren unter schlecht erklärten Zusammenhängen und Exponaten. Aber das war ja nicht das Ziel der Exkursion. Sondern Selbstbestätigung.

Donnerstag, 9. Juni 2005, 06:40, von donalphons | |comment

 
Sehr schöner Beitrag! Wobei, es bedarf nicht des Manierismus und der Renaissance, um bunt zu sein. Hast Du Dir mal den Teppich von Bayeux angesehen? Bei den Normannenschiffen war jede Planke in einer anderen Farbe gestrichen, der reinste Hippie-Look, nur Drachen statt Blumen und Raid and War statt Love and Peace!

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Was hat es überhaupt imemr mit diesen aufgemalten Ecksteinen auf sich? War das damals so?
Die Farben an den alten "Burgen" find ich immer wieder spitze, aber draufgerenderte Steine, daß find ich irgendwie wie wollen und nicht können.
Aber vielleicht wissen Sie ja da was drüber?

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Es ist ja nicht so, dass wir keine Provinz der Provinz hätten: http://www.hornburg.de/

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Hallo...
...und hier
http://lanu.blogger.de/stories/268535/#286606
gibt es eine Provinzposse!

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Geil!

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@ Rollinger: Die Eckquader haben ihren Ursprung in der Frühzeit des städtischen Bauens, so gegen 1000. Damals konnte sich nur eine kleine Minderheit echte Steinquader in den Ecken der damaligen Wohntürme leisten, der Rest hat sie aufgemalt, oder in Lehm nachgeritzt. Im 15. und 1. Jahrhundert war dann die Hochueit der Illusionsmalerei, und gerade beim gotischen Masswerk wurde in Malerei "betrogen", was geht. Ich kann ja mal ein paar krasse Beispiele posten. Sobald die Licht und Schatten drauf hatten, musste und muss man schon ganz genau hinschauen.

Im Kern ist das aber auch nichts anderes als die Fassaden des Historismus, hinter denen alles Ziegel ist

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augentäuscherei...
... interessant daran ist für mich, danke, don, für diesen hinweis, dass dies eine erfindung des bürgertums ist. welche dann von der kirche (es gibt da in rom eine barockkirche mit einer feinen kuppel, aber eben perspektivisch an die decke gemalt) und den höfen (karlsruhe, eine fürstliche gründung, interessanter, fächerförmiger grundriss mit dam schloss als zentrum, war ursprünglich aus holz gebaut, geiz ist geil und schneller gings auch) nachgeahmt wurde. gute ideen setzen sich eben durch.

bisher habe ich angenommen, dass nach der theorie vom gesunkenen kulturgut, die kulturell bestimmende schicht, und das war bis zur frz. revolution der hof, etwas einführt, das daraufhin von anderen schichten übernommen wird. die reichen bürgerinnen orientierten sich an den höfischen frauengewändern, die handwerkersfrauen an den patrizierinnen, bis schließlich die bäuerinnen, genau, die verkauften denen weibern in der stadt so lange eier und butter und hähndln bis es dann auch zu so einem ähnlichen gewand langte. und noch heute wird im alpenland das dirndl gern getragen, aber das echte. das was da als landhausmode läuft, ist was für die doofen stadtbewohner mehr nördlich.

die illusionsmalerei hatte auch noch später ihren anwendungskreis, nicht nur im theater, wo sie sich bis heute gehalten hat. wer gelegenheit hat, wohnbauten aus der 2. hälfte des 19. Jhdts. zu besichtigen - gerade die bauten der grundstücksspekulation nach 1870 aus den sog. musebrotvierteln - da wohntern die vermeintlich besseren kleine beamten und angestellten, die nach außen staat treiben mussten, daß zum essen nur noch marmeladenbrot, musebrot, übrig blieb - sind da ergiebig, wird sich über den feinen marmor in den treppenhäusern wundern, und bei genauerem betrachten feststellen, dass der von eines malers kunstgeübter hand mittels ölfarbe erzeugt wurde. es soll aber wieder maler geben, die die technik des marmorierens wieder für sich entdecken.

wohingegen in bayern ein selbstbewusstes und vermögendes bürgertum solche alfanzereien nicht nötig hatte, weil es die für gut und nützlich erkannten überlieferungen sorgsam bewahrte. und so is des heit no.

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Zum Historismus: Seit dem 18. Jahrhundert gab es zwei Parallelarchitekturen, das Barock/Rokoko (höfische und kirchliche Architektur) und den Klassizismus (bürgerlich). Schon vor der französischen Revolution zeigte sich das Selbstbewusstsein des Bürgertums, indem sich dieses seine eigene, spezifisch bürgerliche Ästhetik schuf. An die Macht gekommen, hatte das Bürgertum, konfrontiert mit den Forderungen des Proletariats, dann nur noch eine rückwärtsgewandte Architektur zu bieten. Der Historismus kopierte den Klassizismus, wurde dann durch Imitation griechischer Tempel klassischer als der Klassizismus und, im Zeitalter der Romantik, des Eskaspismus vor den politischen Sorgen der Zeit, romanischer als die Romanik, gotischer als die Gotik etc. Unter Ludwig II. wurde das Ganze auch noch gemixt und zum Exzess getrieben. In Katalonien higegen mixte später Gaudí Neogotik und Jugendstil zu einer Monstralarchitektur, die jedem Science-Fiction-Film Ehre machen würde.

@Natursteinfassaden über Ziegeln: Seit Ramses II. ist die Architektur vom Material her immer nur schlechter geworden.

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@Natursteinfassaden über Ziegeln: Seit Ramses II. ist die Architektur vom Material her immer nur schlechter geworden.
Wundert dich das, bei den heutigen Grundstückspreisen? Da muss man doch irgendwo sparen...

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Das erklärt natürlich Vieles: Die Pyramiden standen auf einem Boden, der nach ägyptischen Vorstellungen bereits zum Jenseits gehörte, das sparte natürlich den Grundstückspreis.

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Die Wohn-/Nutzfläche ist im Verhältnis zur bebauten Fläche nach heutigen Maßstäben auch eher als ungünstig zu bezeichnen. Und überhaupt: den Entwurf muss man erst einmal durch den Gemeinderat bringen.

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Der Gemeinderat von Kairo wird bis heute übergangen, wenn dort jemand was baut. Schade, dass es dort keine deutschen Beamten gibt. Die würden dann vielleicht ein sogenanntes nachgelagertes Genehmigungsverfahren einleiten. Baubehörde gegen Imhotep - war der Bau der Pyramide von Sakkara illegal?

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Die seinen Erben im Falle einer Verurteilung entstehenden Kosten für das Dynamit und die Beseitigung der Schutthalde könnten sich durchaus in einem nicht unerheblichen Rahmen bewegen.

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Insbesondere, wenn man das gentechnische Screening der gesamten Kairoer Bevölkerung (16 Millionen Leute) und den Vergleich mit dem Abstrich der Mumie aufschlägt.

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Aufgrund dieser Überlegungen dürfte sich die Belastung für den einzelnen Ägypter dennoch in einem beherrschbaren Rahmen bewegen.

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@ auch einer: Ich könnte mal ein Bild aus unserem Hausgang posten, Secco-Quadermalerei um 1400, da wollte man auch schon möglichst grosse, sauber behauene Quader haben.

Nur: Dahinter sind 1,10 Meter dick Jurabruchsteine, eng vermörtelt. Das hat Keops-Qualität, wie übrigens auch die Bodenplatten aus Solnhofener Marmor, die nach 400 Jahre immer noch glänzen (und es angesichts des Minimalen Abriebs nochmal 4000 Jahre machen weder). Will sagen, man wollte zwar die Optik, aber nichtsdestotrotz ist dahinter echte Qualität, die noch stehen wird, wenn das Frankfurter Bankenviertel mit seinen vorgeblendeten Natursteinfassaden nur noch ein Haufen Trümmer ist, auf dem Schafe weiden.

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Die Provinz der Provinz der Provinz
Getoppt wird die Provinz als solche von Tauberfranken, auch Badisch-Sibirien genannt, deren Nummernschild BCH Kenner mit "Badisch christliches Hinterland" übersetzen. Bei uns in Niedersachsen heißt übrigens SHG (Schaumburg-Lippe) Säufer, Huren und Gelichter.

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Das Nummerschild BCH
existiert meines Wissens nur mehr auf paar ganz alten Traktor-Nummernschildern. Das ist jetzt alles MOS oder TBB (was für "Tausend blöde Bauern" steht).

Einer dieser vermeintlich "blöden Bauern" ist übrigens mein Cousin - und der hat sein Tierfutter schon übers Internet bestellt, da konnte ich Stadtmensch noch nicht mal B2B-Plattform buchstabieren...

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Keine Überaschung
Einer der ersten Onlineshops in Deutschland nannte sich "Expressstroh" oder so ähnlich.

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und MOS steht ja auch für Moskau, denn in "Badisch-Sibirien" gibt es immer noch recht viele Bundeswehrstandorte...

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Das war aber noch
bevor der NE-Hype los ging.

Aber wie kommt es, Herr Che, dass ein Nordlicht wie Sie die BCH-Provinz kennt?

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Ich habe viele Freunde und komme viel herum. Übrigens: Im südlichen Dithmarschen, also ganz im Norden, gibt es erstens einen Ort namens Sibirien und zweitens das Nummernschild IZ, das wir immer "Izmir" ausschrieben.

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Izmir übel;-)
Von der Sorte hat Frau Wortschnittchen mal ein paar gesammelt...

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Versaute Ortsnamen
hatten wir auf dct mal gesammelt:
Großdingharting, Hodenhagen, Busenhausen, Tittenkofen, Fucking (in Niederösterreich), Tittzing, Rammelsberg, Rammelsbach, Rüsselsheim, Geilenkirchen, Tittmoos, Sexau, Vögelsen, Blasendorf, Fickmühle, Poppenbüttel, Poppenhausen, Nürnberg-Feucht und Hünfeld-Schlitz, was beides nur wenige Autobahnabfahrten entfernt liegt, Spalt (was eigentlich in der gleichen Gegend liegen müsste, es aber nicht tut), Schwanzdorf, Schweinfurt, Sauingen, Mösenhausen (Schweiz). Ganz groß ist jener Name: Jens Arschwager aus Hodenhagen.

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Wow, nicht schlecht!
Da hätt ich auch noch was im Angebot: Wixhausen bei Darmstadt, Gross-Rohrheim ist da auch nicht weit weg. Geilenkirchen find ich auch immer wieder schön. Und in Badisch-Sibirien gibt nen Ort mit dem schönen Namen Schweinberg - ist mir auch null peinlich, dass da Verwandtschaft von mir wohnt;-)

Aber wo zum Teufel liegt denn Fickmühle?

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Frag das Herrn Arschwager oder die Bettina Mösenlechner aus Fucking, aber nicht mich! Ich weiß nur, dass es diesen Ort gibt.

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