Leserversuch

Am Anfang stand das Wort "Grossraumdisco" von Mark793. Er meinte damit dieses Blog hier, und es hat eigentlich nur etwas bestätigt, was mir schon länger im Kopf herumging: Dass in diesem kleinen Punkrockclub viel anders geworden ist. Zumindest war es mal als kleiner Punkrockclub gedacht, und es hat auch eine Weile ganz prächtig so funktioniert. Das war in der Zeit vor dem Winter, bevor hier die grossen Sprünge bei den Nutzerzahlen kamen. Ich hatte beim Lesen mancher Kommentare und vom Hörensagen her den Eindruck, dass eine gewisse verzcihtbare Klientel hier täglich reinschaute. Leute, mit denen ich noch nicht mal auf dem gleichen Friedhof begraben sein möchte. Sickos, die das hier als Feindbeobachtung lesen - hey, wenn ich Euch für ein Arschloch halte, lese ich Eure Blogs nicht, so einfach ist das, Ihr Pfeifen.

Die Begründung für den hohen Traffic muss nicht monokausal sein, gab auch andere Erklärungen - etwa der aggressive Tonfall, das ständige Herumhacken auf Berlin, jede Woche ein Eklat, all das könnte Leser anziehen, meinten verschiedene Leute. Als ich Berlin dann verlassen habe, war es Zeit für ein Experiment, Codewort "Leservergraulung". Im Kern steht die Frage: Was passiert in so einer Grossraumdisco, in die Leute über Monate wegen der immer gleichen Musik kommen, wenn der DJ ein anderes Programm fährt? Was geschieht, wenn statt dem Dreck auf den Strassen Empiremöbel ins Zentrum rücken, wenn der Hass einer gewissen Zufriedenheit weicht, wenn der Autor seine Lebenswirklichkeit radikal umstellt, vom Beobachter des riesigen Slums Berlin, das jeder kennt, hin zum Rückkehrer in eine kleine Stadt und zu ihren oberen 10.000, einer Klasse, die keine Ahnung von Blogs hat? Und was passiert, wenn die Leser nicht dreimal täglich gross und dazwischen mit Kommentaren gefüttert werden, sondern nur einmal am Abend mit einem längeren Text, wenn der klassische Cyberslacker längst vor der Glotze hängt?

Was also machen Leser, wenn sie statt einer fiesen TAZ plötzlich eine mitunter gemeine Version der World of Interior erhalten? Wie reagieren Zuhörer, wenn die massenkompatible Morningshow ausfällt und statt dessen am Abend die wüstesten Szenen der italienischen Opera Buffa gesendet werden? Nach der klassischen Medientheorie müssten die allermeisten wohl abspringen, und die Cyberslacker mit den RSS-Feeds, die jeden Morgen hier ihr Bröckchen holen, müssten verschwinden.

Nach fünf Wochen habe ich tatsächlich etwa ein Viertel des Traffics unter der Woche verloren; am Wochenende ist weniger als 20%. Was definitiv eingebrochen ist, ist der morgendliche und frühnachmittägliche Besuch, den man relativ leicht mit Postings steuern kann. Das dürften vor allem die RSS-Cyberslacker gewesen sein, die nur kommen , wenn etwas los ist. Um die tut es mir, offen gesagt, nicht wirklich leid, genausowenig wie um die 50 oder mehr Leute, die dann weniger über die Blogger.de Startseite kommen. Ein Teil des Rückgangs ist sicher auch dem Wetter geschuldet - es wäre ein bedenkliches Zeichen des Geisteszustands der Leserschaft, wenn ihnen bei diesem Bombenwetter nicht manchmal was Besseres als Blogs lesen einfallen würde. Es gibt etwas weniger Kommentare, aber im Schnitt etwas gehaltvollere Debatten. Die Verlinkung hat nachgelassen - wohl eine Folge davon, dass vielen Bloggern zu den neuen Themen nichts einfällt. Kein Problem, im Gegensatz zu manch anderen schätze ich die Bedeutung der Verlinkung in der Blogosphäre ohnehin nicht als besonders wichtig ein. Echte Relevanz entsteht meines Erachtens durch die schwer analysierbare qualifizierte Leserschaft. Die Leute, die so oder so kommen, und nicht, weil es gerade modern oder Hype oder Skandal oder die durch Kleinbloggersdorf getriebene Sau oder verlinkt ist - btw, einen Link beim Neuköllner Schrottquellenverbreiter zu bekommen ist ähnlich relevant wie ein gekritzelter Name an der Wand eines Autobahnklos.

Qualifizierte Leserschaft: Etwa drei Viertel der Leser lassen sich aber weder durch längere Texte noch durch geänderte Zeiten oder neue Themen oder meine Abwesenheit oder das Fehlen von Krawall davon abhalten, das hier zu lesen. Sie kommen einfach so, egal wann und wie ich schreibe, auch, wenn es mal komplex ist oder einfach nur arroganter Scheiss - und das entspricht schon wieder eher meiner Vorstellung von einem Punkrock-Schuppen. Und wenn das so ist, kann ich auch mit dem immer noch recht hohen Traffic leben.

Samstag, 2. Juli 2005, 19:33, von donalphons | |comment

 
ich wusste es! punk is not dead! und der punk-rock schuppen also auch nicht!

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Jetzt macht sicher wieder jemand ein Iro-JPEG von mir :-)

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"Er war ein Punker und er lebte in der großen kleinen Stadt..."

Habe mir heute morgen gleich Potocki bestellt (mit ein bißchen Bataille). Soviel zum Thema Leserwirkung...

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Mal schaun, was ich Euch das nächste mal aufschwatze - Vielleicht Stirners Einziger und Sein Eigentum ;-)

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Das habe ich schon vor zwei Jahrzehnten gelesen - außerdem folgen wir Dir nicht mit allem! ;-)
Immerhin lasse ich das Nichts, auf das ich meine Sach gestellt habe, im Norden. Und da ist es gut aufgehoben.

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Im Gegenzug kann ich Dir vielleicht Band 3 der Autobiographie von Ilja Ehrenburg aufschwatzen, die ich gestern aus dem Ramsch gefischt habe. Sehr schöne Passagen über das Berlin und Paris der Zwanziger!

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Oh - ein Kenner.

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Nicht doch. Eher ein Zufallsfinder.

Ein Exemplar davon lag noch herum - aber ohne die drei stilvollen 60er-Jahre-Privatfotos von "gleicheren" DDR-Bürgern, die ich gestern in meinem fand.

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Nun, da kam wohl das eine zum anderen :-)

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... ja klar Punkrock, keine Frage - drei Akkorde: D6/9, E7-9+5 und Amaj7/9 ...

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Don, im Ernst,selbst wenn Du selber nicht mehr bloggen solltest, machen wir auf der Kommentarebene einfach weiter. Das ist längst eine community.

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Es geht nicht um Themen, es geht um eine besondere Sicht auf das Leben. Wenn der Prozess der Zivilisation (Elias) von Anfang an so abgelaufen wäre, wie es der heutige Schnäppchenjäger-Mainstream vormacht, sässen wir längst wieder in Höhlen. Don hat dieses Viertel der Leser, die jetzt fehlen zurück in ihre IKEA-Hölle geschickt.

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Und das ist gut so!

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strappato:

"Es geht nicht um Themen, es geht um eine besondere Sicht auf das Leben."

Besser kann man die Daseinsberechtigung von Blogs, finde ich, nicht zusammenfassen.

Don Alphonso:

Nicht ablenken lassen. Ruhig bleiben. Weiter machen. Und immer atmen. Ein...aus...ein...aus...

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Bei Don spricht, themenübergreifend, immer auch die Sprache selbst. Das ist es, was mich als Leser anzieht.

Kompetent in der Sache, eloquent in der Form - wenn ich mich hier reinklicke, ist immer Verlaß darauf, daß Qualität geboten wird. Da holpert kein Gedanke, da stolpert nicht die Grammatik. Die innere Dramaturgie seiner Texte ist immer stimmig und durchkomponiert. Ich muß mir nicht die Haare raufen über gequält hinausgekeuchte Sätze, aneinandergehächselte Nicht-Gedanken und schiefe Metaphern.

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Großraumdisco
Auch der Besuch einer Großraumdisko kann doch sehr unterhaltsam sein. Besonders wenn man weder unter Beschaffungsstreß noch Dazugehörenwollen-Ambitionen leidet.

Die Möbelgeschichten (+Umfeld) sind nett zu lesen; aber die Berlinjammerei vermisse ich schon so fern der Heimat :-)

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"kompetent in der sache, eloquent in der form" - danke, noergler, besser kann ich es nicht sagen.

wenn mir dons texte nicht gefallen würden, würde ich sie nicht lesen. von da her ist eines meiner wesentlichen argumente für blogs, dass ohne diese kein don alphonso.

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@ Lapidarium: Hier wisrt Du nächste Woche geholfen, garantiert. Bei mir stehen Haifischtransport und Antikenfahren auf dem Programm.

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Antikenfahren
@donalphons
prima, übernächste Woche bin ich wieder in der schlimmen Stadt und kann dann hoffentlich ein paar Tourvorschläge nachlaufen

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Ich auch - vielleicht sollte ich dann ein paar andere, unabgegraste Touren vorschlagen ;-)

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Futterneid
@donalphons keine Sorge, ich kaufe kaum. Das Unvermögen mich von Büchern zu trennen bewahrt mich (meistens) vor platzfressenden Neuanschaffungen. Und Möbel; meinen Billys bleibe ich treu. Hatte gerade heimatliche Gefühle vor einer Bücherwand in Quebec; pur Billy aber mit französischen Indianerbüchern.
Also keine Sorge :-)

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Gerade zu Beginn meines Studiums habe ich auch alle Zeitungen gelesen, die man so lesen mußte. Bis meine Freundin mich gefragt hat, ob ich wirklich nur noch die Leserbriefe lesen würde? Die Antwort war ja, und da habe ich es dann ganz sein lassen.
Mit den Netz verhält es sich ähnlich, nur dass die Blogs inzwischen die Rolle der Leserbriefe einnehmen. Wahrscheinlich ist damit aber auch irgendwann Schluß.

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gut möglich. Obwohl es immer neue Blogs geben wird, die aufs neue überraschen.

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Ich habe gestern Nacht den paten gesehen - das hier erinnert ein wenig an manche Szene ;-) - vielen Dank für das Verständnis.

Was das Weiterschreiben angeht, das stand nie ausser Frage; im Gegenteil, ich erlebe mehr, als ich schreiben kann und irgendwo muss das hin.

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ich habe das erst jetzt gelesen und wahrscheinlich ist das thema schon wieder ad acta. macht nichts. ich weiß nicht genau, was du für eine vorstellung von einem punkrockclub hast, also meine beinhaltet zumindest keine sätze des inhabers wie: "ich habe die rechtsabteilung von xy hinter mir." und das immer mal wieder mehr oder wenige subtile einflechten von "hier lesen soundso viele (journalisten) mit" ... uijuijui (entschuldige, dass ich nicht exakt die stelle/n zitieren kann, ich habe mir bereits erfolglos den wolf geblättert, aber das hast du so geschrieben - jawoll.)
vielleicht würden limp bizkit in der deutschlandhalle bei einem konzert mehr oder weniger subtil auf die plattenfirma behind hinweisen und "we luv you all", nitrominds oder ea80 im tommy weisbecker haus sicherlich nicht.
du hast irgendwann (sinngemäß) geschrieben, dass die grenzen in bezug auf was/wer ist ein kapitalist fließend sind. genauso ist es ja auch mit wer/was ist kommerz, denn wer ist heutzutage noch imker und macht seinen honig selber. eben. so ähnlich ist es auch mit blogs. dieses leserzählerding, dieses (hinterher)geschnüffel, dieses ganze eitle gelinke, oh man. und selbst da wird unterteilt was/welche verlinkung mehr/weniger *wert*hat. stichwort "schrottquellenverbreiter". und man darf noch nicht mal etwas dagegen sagen, da es einen eh als neid oder billiggroßmauliges fishing for aufmerksamkeit ausgelegt wird. oh man II. just style, no substance, geschweige denn punkrock.

"hey, wenn ich Euch für ein Arschloch halte, lese ich Eure Blogs nicht"
aha?! klar, ich meine, ich habs auch dick, wenn die leute auf meine meinung ne andere haben und die dann auch noch kundtun. sauerei so etwas.
ich erinnere mich an einen beitrag vor nicht allzu langer zeit über rss mit über –ich glaube- 100 kommentaren und ich wusste/weiß noch nicht mal was rss ist. auch meine dummheit, jedenfalls dachte ich da: och nee, hier muss ich auch nicht mehr regelmäßig lesen. der ton, der da herrschte, jesses, man hätte meinen können es geht um die rettung der kinder in afrika. klick-klick, der blogger an sich ist wohl sensationsgeil und der schreiber sich dessen bewusst. die wendung (codewort: leservergraulung) habe ich noch nicht ausführlich verfolgt. mach ich nachm urlaub, aber vielleicht wird dann ja bereits wieder experimentiert. (codewort: lesermagnetismus)
ich persönlich mag am liebsten bands, die ihrer linie in gewisser hinsicht troi! bleiben und auch das kann ich auf die blogger übertragen. aber gut, dass man immer die wahl hat, so hat jeder seine perlen und so werden auch gewisse konzerte blogs nie –nunja- überfüllt sein.

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Meine Punkrockvorstellung ist, dass mir meine Leser ziemlich oft scheissegal sind, ich sie mitunter raushaue allein dafür, dass sie dumme Quatschköpfe halte, und dass es trotzdem ziemlich viele sind und bleiben, inclusive dem Jouhurnaillengeschmeiss, ist ein Fakt, mehr nicht. Und wem´s nicht gefällt, wer den Ton nicht mag, bitte, verpisst euch, viel Spass auf eurem Weg, ich kann prima ohne euch, was anderes gibt´s hier nicht. Allgemein gesprochen.

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