: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 14. Juli 2005

Extreme Kreuznageling bei Cross IT.Media AG

Das waren noch Zeiten - 2002 ahnte niemand, wer ich bin, es gab noch eine Anja "Das Original" Fahs bei Cassiopeia und Liquide existierte nur als Dokument auf einer Festplatte. Überall verreckten tolle Firmen, und trotzdem glaubte jeder auf den Aufschwung nach einer Phase der Konsolidierung, die Thema des obigen Artikels des damals noch jungen, nur Insidern und seinen Todfeinden bekannten Don Alphonso war.

Das ist, wie auch der letzte FIWM-Vorständler und andere heute wissen dürften, lange her, und manche Hoffnung hat sich inzwischen zerschlagen, aus dem CEO des Weltmarktführers wurde ein freier Berater mit Blogschwerpunkt, aus dem Agenturbesitzer ein Einzelkämpfer am Küchentisch, aus dem Medienunternehmer der digitalen Wirtschaft ein kleiner Websitebetreiber auf der Suche nach neuen Märkten, irgendwo unter einem Stein bloggen die wohl auch ihr Leid, man muss das nicht lesen, denn hier geht es einfach darum die Geschichte schmerzlos zu Ende zu erzählen: Die Cross IT.Media AG, früher hoffnungsfroh an der bayerischen Börse, hat jetzt die Strassenseite am Karlsplatz gewechselt und taucht unter der Nummer 1507 IN 1931/05 beim Amtsgericht auf. Ende der Ad hoc.

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Autowelt AG - New Economy, wie sie sein soll.

Zuerst: Revolution des Autohandels im Zeitalter der Globalisierung und des geilen Geizes - mit einem Franchisekonzept und EU-Fahrzeugen an die Spitze.

Dann: Geplante Übernahme der schon 2003 verendeten German Brokers AG, einem Kadaver aus Zeiten des Internet-Aktienrausches. Ziel der Autowelt ist es, dadurch an der Börse gehandelt zu werden.

Dann: Doch lieber nicht.

Und schon einen Tag später hat man Besuch von der Kripo - da war wohl schon die eine oder andere Garantie wegen Auslandszulassung abgelaufen.

Und nur 5 Tage nach diesem Bericht, nach dem noch nicht klar war, ob es einen Insolvenzantrag gäbe, lesen wir heute: Es hat die Autowelt AG bei Kilometer 1 IN 168/05 aus der Kurve getragen, einRechtsanwalt leistet erste Hilfe, aber ob die noch Sinn macht?

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Sehr zu empfehlen - kein venezianischer Spiegel für die Ä.

Die Ä. sitzt mit dem E. bei ihrem Lieblingsitaliener. Sie geht gern hierher, vor allem, weil sie die Spaghetti Bolognese und die Cola inzwischen ohne Sächseln aussprechen kann, E. auch sein Schweinefleisch bekommt und die Gesamtrechnung mit einem Bier hinten auf 90 Cent ausgeht - das heisst, die geizistgeilige Ä. kommt mit 10 Cent Trinkgeld aus. Weil, zu nett soll man mit den Fremdländern auch nicht sein, solange man von ihnen keine jüdischen Vermächtnisse, saudische Exportbeihilfen oder französische Nummernkonten in Lugano bekommt. Das Leben ist ok für Ä., denn gerade hat ein grosser Elektrokonzern seinen Umzug von München nach Zug in die Schweiz verkündet - und das bringt kurzfristig 10.000 neue Stellen für die Umsiedlung, zur Hälfte finanziert durch die Arbeitsagenturen, zur anderen Hälfte dank grosser Steuerreform steuerlich absetzbar bei reduziertem Arbeitgeberanteil. Das sind Erfolge für Ä. und E., während der fidele G. am anderen Ufer der Spree Party mit den hübschen Jungunternehmern der New Economy 2.0 macht.

Alles prima, oder besser gesagt, fast alles, im Jahr 2 nach der bildvolksdemokratischen Machtergreifung. Nicht ganz. Denn gegenüber von Ä. hängt einer dieser Prunkspiegel, und Ä. renkt sich beim Versuch, den Kopf herrisch mit Ausblick auf die Naseninnenbehaarung zu recken, so, wie sie sich immer auf den Titelseiten der Spiegel-Hofberichterstatter findet, die Nackenwirbel aus. Der Prunkspiegel zeigt jedes Detail, er ist obszön brandneu, wurde im Sommer 2005 angeschafft, als das Restaurant in Erwartung neuer goldener Spesenzeiten umsattelte vom Toskana-Landhausstil hin zum spanisch-norditalienischen Barock, mit Anleihen zwischen heiligem Offizium und Metternich. Alles atmet Schwere und Strenge, auch wenn der Spiegel nur Kopie ist, denn die eigentlich nötigen Originale haben sie damals nur teilweise gefunden. Und so hängt gegenüber von der Ä. ein hässlicher Glasklops, der besser zu den Fleischklöpsen gegenüber passt, als denen lieb sein kann.

Die ultrakonservative Rechristianisierung und Umverteilung verdankt ihr Spiegelbild einem moslemischen Antikenhändler der zweiten Generation und einem dezidiert nichtchristlichen Kunden sowie der grauenvollen Überfüllung eines kleinen Kellerladens in Berlins Bergmannstrasse. Im heissen Sommer 2005 zog das Einrichtungsteam des Nobelitalieners durch diese Strasse, nur um festzustellen, dass die kleine Schwester des Kunden bereits grossflächig alles zusammengerafft hatte, was an älteren venezianischen Spiegeln zu holen war. In diesem Keller hatte es viele davon gegeben, aber nun sind sie alle weg, und so zog das Team weiter und bestellte letztlich sündteure, billig und protzig aussehende Kopien der Originale. Der Kunde jedoch hatte ein untrügliches Gespür für Verborgenes, und schliesslich, in einem kleinen Zwischenraum, hinter einem Barockschrank, einem Packen schlechter Öldrucke und einer durchnässten Kiste voller mottenzerfressener Stoffe, entdeckte er ein zartes Glasblümlein, grau von Staub und Schmutz, daran eine Glasleiste, ein Glasblatt, noch eine Leiste, eine matte Spiegelfläche, und so zog er am Ende einen halbwegs gut erhaltenen, venezianischen Spiegel der Zeit um 1850 oder älter hervor. Er tat so, als würde ihn der allenfalls als Ersatzteillager interessieren, wies auf abertausend Mängel hin, verhandelte eine Stunde mit dem Händler der 2. Generation, wie nur levantinische Nichtchristen mit Libanesen verhandeln - und einigte sich am Ende auf einen Preis, der vielleicht fünf mal so hoch war wie das, was der ein Verlustgeschäft beteuernde Händler gezahlt hatte, und ein Viertel dessen, was so ein Spiegel in einem normalen Antiquitätengeschäft heute kostet.

Venezianische Spiegel vor 1900 sind extrem selten, und purer Luxus und Verschwendung. Niemand braucht solche Spiegel mit den vielen Glasstücken, die Spiegelfläche ist klein und durch aufwendigen Schliff weitgehend unbrauchbar, und die Teile sind auch nicht geschaffen, alt zu werden. Ein Sturz, und sie sind Geschichte - ausserhalb von Venedig fand sich kaum jemand, der die vielfältigen Glasformen nachmachen konnte. Heute ist das unmöglich, weil sich die alten Verfärbungen und Weichheit des Glases aus echter Pottasche nicht mehr reproduzieren lässt. Weil klar war, dass diese Spiegel trotz ihres immensen Preises nur Verschleissgüter waren, wurde auch der Holzrahmen aus eher schlechtem Holz, wie Pinie oder Pappel gefertigt. Kurz, kaum einer hat Wischmobs, Umzüge, Bombenkrieg und spielende Drecksblagen überlebt, und selbst die, die durchgekommen sind, haben immer Schäden. Im Einzelnen sieht das nach dem Abschrauben einzelner Leisten so aus:



1. An dieser Stelle ist eine einzige Blume im Rahmen verschraubt, hier war früher weitaus mehr, also fehlt was.
2. Nochmal eine kleine Blume, daneben vier glasbesetzte Zierschrauben, brutal in das Holz gedreht. Gegenüber waren dagegen jeweils ein grosses Glasblatt. Da stimmt was nicht.
3. Der Rahmen ist unten wie auch die dortige Glasleiste gebrochen.
4. Eines der Blätter ist zertrümmert und wurde mit grünem Glaskitt wieder geklebt. Nicht besonders sauber, übrigens, wie überhaupt das Ding schon mal restauriert wurde, vermutlich in den 20er Jahren.
5. An dieser Stelle sind mitten in der Leiste zwei Blümchen, weil
6. die originale Leiste fehlt und durch zwei jüngere Bruchstücke ersetzt, deren Produktionsweise mit maschineller Bohrung sie auf die Zeit nach 1950 datiert.
7. Oben ist nochmal die Leiste und der Rahmen gebrochen.

Den Beschädigungen und Reparaturen zufolge hat der Spiegel zweimal Stürze überlebt und wurde mit geringen Mitteln nicht sehr sauber erneuert.



Hier zum Beispiel eine nicht originale, verrostete Fabrikschraube, die die Blume 1. fixiert. Damit sie nicht wackelt, wurde dahinter auf den Holzsockel harziger Klebstoff aufgebracht, der heute schwarzbraun wie die Sozialpolitik der Äs und Es ist - klebrig, scheusslich, ekelhaft, verstaubt, eine Beleidigung für jeden Betrachter, der kein Drecksfetischist ist. Runtergekommen wie die Moral eines schwarzen Parteispendeneintreibers ist der - im übrigen extrem seltene - geschnitzte Zwischenrahmen mit Blattgoldauflage.



Das verrät uns einiges über die Kosten beim ursprünglichen Kauf; die Ausnahmeform deutet darauf hin, dass dieser Spiegel damals eine Spezialanfertigung für ein mitteleuropäisches Interieur war. Bevor venezianische Spiegel nach 1945 zum Touristenkitsch herabsanken, konnten sie nach Bedarf bestellt werden. Gerade gehobene Einrichtungen nördlich der Alpen verlangten im vorletzten Jahrhundert nach goldenen Leisten; klassische venezianische Prunkspiegel bestehen komplett aus Glas und sind optisch zu massiv, wenn sie in kleinen Räumen hängen - sie erdrücken die Einrichtung. Auf der Rückeite finden sich dann auch einige Anpassungen bei der Aufhängung, die die These wahrscheinlich machen.

Zum anderen zeigt der gleichmässig verteilte Dreck, dass der Spiegel die letzten Dekaden irgendwo auf dem Schrank gelegen haben muss. Aufhängen war wegen der Brüche im Rahmen - sichtbar im obigen Bild links unten - riskant.



Da hilft nur eines - komplett auseinandernehmen wie Joschka die Merkel, und die Gläser in warmen Wasser sauberer waschen, als der Koch seine Dreckspfoten in Unschuld. Das dauert etwa eine Stunde, aber das Ergebnis lohnt sich. Solange wird der Rahmen vorsichtig geputzt, alte Klebereste werden entfernt, der silberne Grund wird an den nötigen Stellen nachgestrichen - sehr zu empfehlen ist dafür die matte silberne Künstlerfarbe auf Wasserbasis der bayerischen Firma Kreul. Keinesfalls überstreichen sollte man das Blattgold - so gut wie das Original wird das niemals, und wenn man die Fehlstellen nur ordentlich säubert, passt der Farbton des Holzes sehr gut zum matten Schimmer der alten Vergoldung.



Das Zusammenschrauben ist ein Puzzlespiel. Alle Teile ausser den Leisten des Problems 6 haben die gleiche grünlich-graue Tönung und viele längliche Lufteinschlüsse - it´s a feature, not a bug, die Blasen lassen das Glas schimmern. Soweit erkennbar, sind die Teile also original, wenngleich mitunter etwas bestossen. Die Bruchstelle der Leiste von 7 wird geklebt, der grüne Glaskleber von 4 wird silbern überstrichen. Die Blümchen von 1, 2 und 5 werden dort angebracht, wo sie nach Aussage alter Löcher hingehören: in die kleinen Zwickel oberhalb der unteren Leiste. Und siehe da, plötzlich stimmt es wieder mit der Symmetrie und den Objekten - zumindest im unteren Bereich. Die Nahtstelle der Ersatzleisten von 5 bleibt dann aber sichtbar, was zu verschmerzen ist - das Glas hat eine hellere Farbe und wäre so oder so bei genauem Hinschauen als spätere Ergänzung erkennbar. Jetzt wird die Stelle wenigstens nicht mehr durch eine Asymmetrie betont. Hinten werden dann noch zwei horizontale Latten aufgenagelt, um den gebrochenen Rahmen zu fixieren; Kleben würde da kaum helfen, zu hoch ist das Gewicht des 10 Kilo schweren Spiegels.

Letztendlich sind alle Zierschrauben noch da, spätere Schrauben der Reparaturen können entfernt werden, und die Glasteile sind ebenfalls komplett. Aufgehängt in der Wohnung sieht der Spiegel dann so aus:



Nachbemerkung: Äs würden es hassen, wenn sie wüssten, dass die Spiegelfläche einen typischen Makel hat, der dem Betrachter zum Vorteil gereicht. Die Fläche ist leicht gewellt und verzerrt das Bild; in der Mitte zieht sie zusammen und verbreitert an den Rändern. Will sagen: Das Gesicht wird schlanker, die Schultern werden breiter. Sofern man nicht aussieht wie geplatzter falscher Hase, macht der Spiegel den Betrachter also schöner - und niemand muss die Nasenhaare zeigen, um das Gesicht covererträglich zu machen.

Und noch der Ikea-Check: Natürlich gibt es bei Ikea keinen derartig teuren Spiegel; selbst, wenn dieses Stück Muranokunst sehr günstig erworben wurde. Das ist Gift für das Bestreben, am Ende dieser Serie alles billiger als Ikea bekommen zu haben. Aber: Nur eine Stunde später war auf dem Flohmarkt am Fehrbelliner Platz eine Frau, die im Auftrag der Tochter einer Freundin Omas altes Hutschenreuther Tee- und Kaffe-Service verkaufte - ein Bilderbuchfall für den Niedergang des Bürgertums. Für 12 Personen mit Dessert- und Kuchentellern, 76 Teile perfekt erhalten, die klassische "Margarethe"-Form. Mit vielen Extrateilen wie Kuchenplatten und so weiter. Für 60 Euro, damit hat sich der Spiegel mehr als amortisiert.

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