Tu, der Du eintrittst

Es gibt Orte, die sich einfach anbieten. Die eine lange Geschichte haben, in der die Jahre 98-02 nur eine kurze, wenngleich rasante Phase waren. Man ging da nicht hin, weil man sich darauf geeinigt hatte. Es lag einfach günstig auf dem Weg in die Hölle, in den warmen Gelbtönen und beim guten Frühstück kam selten sowas wie Verzweiflung auf. Einen richtigen Zusammenbruch habe ich da drin nur ein halbes Dutzend mal erlebt, einmal bei mir selbst. Das alles ist lange her, die Dramatis Personae sind irgendwo, aber sicher kaum mehr hier, und nichts ist geblieben von dieser Zeit und vom verlorenen Volk, als hier die Businesspläne auf der Servietten geschrieben wurden.

Es ist wieder ein ruhiges, grosses Cafe, für die Tageszeit vielleicht ein wenig leer, es sind immer noch die gleichen Tische, das alte Leder auf den Bänken, und der so typische Hall der Stimmen im Raum, der Offenheit vorgaukelt und dennoch eine schützende Mauer um intime Gespräche aufbaut, wenn man sich nur weit genug nach vorne lehnt.



Auch diesmal geht es um das Netz, um die Nutzer und das, was sie ausmacht, um diese Parallelwelt ohne Regeln und Geschichte, und die Frage, ob sich das irgendwie fassen lässt. Nicht zum Ausbeuten, sondern für das Wissen, das erheblich besser sein könnte, wie auch die, die es bislang zu erhalten hofften. Ein neuer Anfang, ein anderer Ansatz, eine kleine Hütte an der Stadtmauer der Siedlung, die auf dem Trümmermeer all der Hoffnungen entstanden sind, die hier, genau zwei Tische weiter, ihren Ursprung haben.

Ich könnte vielleicht nachher ein paar von denen mal wieder anrufen, vielleicht haben sie noch ihre alten Nummern, aber auf dem Weg zum Auto kommt dann eine entgegen, die ich entfernt von früher kannte, den Medientage-Ausweis um den Hals, hoch aufgerichtet und die Auslagen des Antiquariats keines Blickes würdigend. Ich gehe rein, kaufe ein Buch über den Spätmanierismus in Rom, und schiebe die Frage beiseite, was wohl aus einer von denen damals wurde, für die es gerade verdammt knapp wird. Denn Garantien wie früher gibt es nirgends mehr, bei ihr, die genau auf dem Scheitelpunkt des Hypes, im Winter 1999 einstieg und jetzt erst fertig ist, schon überhaupt nicht, und wahrscheinlich sind die unendlich langen Vormittage voller zerbröselter Croissants in diesem Cafe für jeden von uns schal, vergeblich, ein Schatten in den Carcieri unseres vergangenen, unwiederbringlichen Lebens in den sieben falschen Kreisen.

Freitag, 28. Oktober 2005, 12:51, von donalphons | |comment

 
Du implizierst, dass sich diese Leute in schwachen Stunden überhaupt Gedanken machen über ihr Leben, die Zukunft und die Gesellschaft im Allgemeinen. Ich habe das Gefühl, das ist nicht der Fall. Und so werden Deine Gedanken als unverständliche Onomatomanie aufgefasst.

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Doch doch, die denken schon darüber nach, die meisten, wie sie es kurzfristig verbessern können. Wir leben nun mal in einer Zeit, in der langfristige Perspektiven und 3%-Sparbuchwachstum nichts mehr zählen. Deshalb immer die Suche nach dem grossen Sprung, dem Karriereturbo, die Angst vor dem Rausfallen in den oben beschriebenen, aber zum Glück nicht allen Kreisen.

Aber wenn Du ein Volontariat machst, und alles hängt davon ab, ob Gelder eingeklagt werden können oder nicht, und das Verfahren droht ein Jahr zu dauern - dann machst Du Dir zwangsweise Gedanken.

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@Strappato:
Ich weiß nicht, der wievielte Kreis der Hölle des Arbeitslebens es ist, wenn man sich nicht mal in vermeintlich schwachen Stunden Gedanken macht über das eigene Leben, die Zukunft, die Gesellschaft und das Allgemeine. Sicher ist es noch nicht der engste Kreis, die Hitze und Leere ist gewiss noch steigerbar, so nichtig das eigene Leben auch geworden sein mag, das unumkehrbare NICHTS ist noch etwas entfernt. Deine innere Leblosigkeit ist jedoch kaum zu bestreiten - für eine solche aus prekärem Arbeitsleben genährte Lebenstaubheit benötigt es nicht mal die NE.

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@first_dr.dean
Schön, dass sich jemand über meine prekäre Berufskarriere Gedanken macht ohne sie zu kennen. Glaub einfach, ich habe 2 Studiengänge geschmissen, als Hiwi bei einem MdB gearbeitet - keine Verlängerung des Vertrages, dann endlich eine reiche Frau gefunden, Vater geworden, mich aufs Land verzogen (Frau ist Alleinerbin eines grossen Hofes) und poste hier zwischen Rasenmähen, Kochen, Kind versorgen. Und der Gedanke, dass andere an einer Karriere basteln, die ich nicht hinbekommen habe, macht mich ziemlich verhärmt. Nun ist dein Weltbild wieder im Lot.

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Hey Strappato: Das "Dein" im Vorkommentar war nicht an dich gerichtet, sondern sollte ein generalisierendes, amerikanisches "dein" sein - ganz im Einklang mit dem zuvor verwendeten "man".

Und um unangemessen ehrlich zu sein (hier ist blog hier darf ichs sein): Es bezieht sich (wie so oft, wenn die Formulierung "man" verwendet wird) auf eigene Lebenserfahrungen, in diesem Fall als Handbücher verfassender Schreibsklave in einer Softwarefirma. Die "innere Leblosigkeit" von der ich gesprochen habe, meint meine eigenen Erfahrungen und nicht Dich.

Okay? Alles wieder gut?

Ich hatte nur gemeint und zum Ausdruck bringen wollen, dass dieses Gefühl des Ausbrennens und Ausgebranntwerdens eine allgemeine Erfahrung für viele Menschen in prekären Beschäftigungssituationen sein kann - auch unabhängig vom Irrwahn der NE, nämlich inmitten unserer tollen Jetztzeit, zu deren guten Ton es bei JvM u.a. gehört, dass man Akademiker (Juristen, BWLer, Grafiker, ..., ...) als "Praktikanten" auslutscht, und gewisslich mit der nächste Generation von Praktikanten austauscht, der man die gleichen verlogenen Versprechungen macht und gezielt Erwartungen weckt, von denen eine überaus verlogene Unternehmer-Bagage von vornherein weiß, dass es ein Schwindel ist, ein Schwindel mit Lebens- und Arbeitsperspektiven.

Sozusagen eine Eintrittspforte in den ersten Höllenkreis des modernen, da un- oder minderbezahlten, Arbeitslebens.

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Wieder gut. Handshakes. Auf den Gegner konzentrieren.

Dass man sich keine Gedanken macht - oder nur kurzfristige - ist ja kein Persönlichkeitsmerkmal per se, sondern ist auch der Situation geschuldet. Aber so merkwürdig dies angesichts der Praktikanten-Ausbeutung klingt: Es liegt auch an der mangelnden Fähigkeit zu warten, ruhig zu planen - und sich auch zu bescheiden. Alles jetzt und sofort. Wie Don schrieb: "Immer auf der Suche nach dem grossen Sprung". Wer solche hohen Erwartungen hat, wird schnell ein Opfer der verlogenen Versprechungen. Sozusagen der moderne faustische Pakt. Ich gebe meine Seele für Karriere-Versprechungen.

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*Handschüttel*

Möcht nur noch anmerken, dass viele Seelen heutzutage nicht mehr für den großen Sprung, sondern bereits um die Hoffnung auf einen Arbeitsplatz entäußert werden.

Die Hoffnung, ein nützliches Mitglied der Gesellschaft sein zu können, verleitet die Betroffenen mitunter zu den größten Dummheiten.

In Berlin gibt es bereits eine regelrechte Szene von Firmen, die sich als Seelen- und Geldfänger betätigen, indem sie in betrügerischer Weise einen "Arbeitsplatz" anbieten, der z.B. darin bestehen kann, verlorenen Existenzen das Geld für angeblich notwendige "Kurse" betrügerisch aus der Tasche zu trennen.

Nicht immer ist es Notlage, Dummheit oder eine schädiche Dispostion, welche in die Arme dieser Verbrecher treibt. Sprach ich eigentlich schon über Werbeagenturen?

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OT: Modeste
Was issn bei Modeste passiert? Kann mir das einer sagen?

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sie könnte wohl. aber alles wird gut. kein grund zu panik, hört man so bei den gewöhnlich gut informierten kreisen.

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