Real Life 26.9.06 - Tracht global

Du trägst keine Tracht. Es gibt keinen Grund dazu, obwohl dein Clan länger in dieser Region ist, als die meisten anderen Bewohner der Stadt, und auch länger, als die "Tracht" im Historismus erfunden wurde. Genau genommen hast du keine Tracht, eben weil ihr schon länger da seid. Denn Stadterer tragen keine Tracht, das ist ein Standeskennzeichen der Dorfbewohner. Als Stadtbewohner Tracht anzuziehen, wäre in etwa so, als würde ein Bewohner Moskaus den Kaftan anziehen. Tracht hat das wenige an Tradition, das es besitzt, nur draussen, aber nicht hier drinnen. Der dreiteilige Anzug, das ist es, was dich und deine Vorfahren als Angehörige der städtischen sog. besseren Gesellschaft ausweist und hier und allen anderen Städten erkennbar macht. Tracht geht gar nicht.

Tracht aber trägt der Typ auf der anderen Strassenseite: Blond, gross, schlacksig, vom Körperbau her, das erkennt man als Eingeborener sofort, kein Bayer. Der ausschreitende Gang, die schlenkernden Arme, das alles passt nicht zur Krachledernen. Obwohl, er hat keine Krachlederne an, sondern eine Hose aus hellbraunem Wildleder, aufwendig von oben bis unten bestickt, und mit geflochtenen Kordeln an den Trägern. Hinten hat er eine gerade Arschnaht - billig und nicht bayerisch. Und als wäre das alles noch nicht gebrochen genug, isst er Eis aus der Waffel. Natürlich ist es der hiesigen Bauern Sitte, ohne Manieren auf der Strasse zu fressen, aber kein Eis. Und noch etwas passt nicht. Du hörst keine Schritte. Die Schuhe haben keinen Klang. Du schaust genau hin - es sind keine Haferlschuhe, sondern seitlich gebundene Moccasins mit flacher Plastiksohle und Haferloptik.

He, da jehts lang, tönt es von hinten. Der Typ dreht sich um, du auch, und hinter ihm kommen noch drei andere, ähnlich verkleidete Typen her. Nö, ruft er zurück. Doch, da runter, sagt einer, der zum Holzfällerhemd allerdings eine Jeans trägt. Die anderen beiden reden was von den Prüfungen im Kurs Marketing II. Wir können doch auch vorne rumgehen, insistiert der Eislutscher, fügt sich dann aber der abbiegenden Mehrheit und kehrt um, in die Richtung, wo das Volksfest das Gschwerl des Umlandes und der Elite-Uni anzieht.

Du gehst weiter Richtung Stadtmitte, wunderst dich noch, wo die eigentlich ihre abartig falschen Wildlederhosen herhaben, und dann kommst du an einem Geschäft vorbei und weisst es:



Der einzige Trost ist das Wissen, dass sich die in China gefertigten Nähte bald auflösen werden, das auf den Weltmärkten zusammengekaufte Leder mit unschönen Substanzen verseucht ist, sie sich einem schnellen Tod entgegensaufen und den Alterungsprozess mit Aldifood noch beschleunigen. Und wenn sie vergangen sind, werden andere Deppen hierher kommen und wieder billige chinesische Trachten kaufen und bayerisches Bier drüberschütten, das ist die Globalisierung, Baby, oans zwoa, drei, gsuffa, denn der Sonderpreis macht immer das Rennen, 199, dea kriegt man sonst doch nur ein paar Schuhe, hey das ist cool, und so billig, dieses Bayern, und den anderen bleibt nur das granteln -

oder ihnen aufm Blog oane einzubetonian, dene varegtn Brunzkacheln, dene elendiglichn.

Mittwoch, 27. September 2006, 17:11, von donalphons | |comment

 
Es ist kein Zufall, dass Prügel in der Mengeneinheit Tracht bemessen wird.

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Ma mecht a boa Kriag neischmeissn ins Zoit.

man würde das bierzelt gerne einem flächenbombardement mit steingutkrügen unterziehen

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das hemd im spültuchdesign
ist das im preis mit drin?

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Erzählte ich schon mal, dass ich auf einem Dorfmarkt auf dem Sinai eine Kufaya kaufte (das arabische Männerkopftuch mit dem schwarzen Stirnreif) "Original Beduin handcraft, Sir!" und zu Hause dann feststelle, dass da "Japan Silk" eingeprägt war?

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Die Socken sind hier auch noch dabei.

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Aber Vorsicht: Der Hut mit aufgeflanschter Gletscherbrille kostet extra.

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Der FC Bayern Fan muss schon mehr als 199 Euro allein für die Hose ausgeben. Und die sind ja eine Multi-Kulti-Truppe.

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Lederhosenabbildungen...
...scheint es aber auch grad zu regnen. Alle Welt meint, diese Bildchen seien so unheimlich witzig. Erst heute erreichten mich zwei Einsendungen. Ist das ein Hinweis oder eine Warnung?

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Eine Warnung. Keine Frage. Dieses Seppltum ist so echt wie die hässlichen Plastikbären in Berlin und kulturell auf einer Stufe mit Ballermann. Jeder Noagaltrinker auf dem Jurafest Lenting steht meilenweit über den Sauftouristen in München. Wenn ich das als Eingeborener, der diese Last mit einer dreiwöchigen Münchenabsenz vermieden habe, mal so sagewn darf.

Mein Zwetschgendatschi, das ist Bayern. Aber nicht Australiern zuprosten mit DJ Ötzi in Kleidern aus chinesischer Zwangsarbeit.

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Des unterschreib I sofort glei.

(nur: hoasst's net »oans zwoa drei gsuffa«?)

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Wo ist eigentlich die nördliche Verbreitungsgrenze (ich sags mal geobotanisch) der Lederhose? Zwischen München und Augschburg gab es die früher nicht.

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Als I a Bub war, ach watten, as lütten Bengel in Nordduitschland trugen wir alle bayerische Lederbuxn. Also, früher endete das nördliche Verbreitungsgebiet kurz vor Bremen, aber nur für Kinder bis 8 und für Wanderer.

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Ich hab als Kind gern Lederhosn getragen. Da gab's nie Ärger zu Hause, man konnte unbesorgt auf jeden Baum klettern usw.

Aber das Zeug, was da in den Pseudotrachtenläden hängt, würde ich nicht mit der Beißzange anlangen.

Das Dirndlelend ist auch nicht besser. Wilde pink-mint-violette Kombinationen. Authentisch ist da nix.

Aber als Mann ist man da vielleicht großzügiger, wegen der oft recht appetitlichen Oberweitn. Obwohl die auch oft nicht echt sind.

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Ich meinte keine Kinderkleidung, sondern die regionstypische Tracht der Alten.

Auch für männliche Rundungen gibt es Hilfsmittel: www.wadlwadl.de

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Die Photos meiner Viecherabknallenden Vorfahren sowie der Treiber aus der Zeit vor 1900 zeigenlange Lederhosen ohne Hosentürl oder Knickerbocker aus Stoff, gleiches gilt auch für die Holledau.

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fragt doch mal dieses niedersächsische bayern-dhimmidepperl wie sichs letztes jahr die schenkel in hodennähe wundgescheuert hat in seinen nachgemachten krachledernen... *pffrrtt*

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