: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Dienstag, 12. September 2006

Real Life 9.9.06 - Heritage II

Jenseits der dichten Häuserzeilen, der weiten Strassen mit ihrem Lärm, der Büroblocks mit ihren immer gleichen Menschen mit jährlich wechselnden Aufdrucken auf der Visitenkarte, ragt eine grüne Kanüle unter die Haut der Stadt. In ihrer Mitte fliesst braunes Wasser, in dem sich träge, fette Karpfen tummeln, und am Rand, in teuren Villen, hat sich die bessere Gesellschaft, Anwälte, Steuerberater und auch ein VC festgesetzt. Entlang der grünen Nadel stehen schwere Wägen, bevor sich dann der Blick weitet in den Korpus dieser Spritze, von deren Saft diese Stadt aber nicht abhängig ist. Koks ist der Stoff, auf dem sie laufen, nicht das Wasser des Grabens zwischen den Auffahrtsalleen, die nach Nymphenburg führen.

Dann kommt das Rondell mit den kleinen Schlössern, der Platz für die Hochzeitsgesellschaften, die sich vor dem prunkvoll eingerichteten Zentralbau photographieren lassen, bevor das Brautpaar in die Hölle der Mitnahmemöbel weiterzieht, und dahinter öffnet sich wieder ein weites Grün mit Bäumen, Wiesen, Schlössern und Wegen, und auf einem dieser Wege wandelt ein Herr in Braun mit einer Dame in Schwarz. Vor ihnen das genaue Gegenteil, der Herr in Schwarz und die Dame in Braun.



Und die Töchter in Rosa.

Das sind sie also, die Neocons in freier Wildbahn, raunt der Herr in Braun der Dame in Schwarz zu. Manager, Key Account leading Irgendwas, Vorstandsassi mit grossen Plänen und einer Frau, die ihn dabei unterstützt. Im Dieckmann-Look, schleimig stromliniengeformte Haartracht. Das flutscht. Er muss gar nichts sagen, es reicht, wie er ist.

Das ist einer, der Managerbücher mit simplen Wahrheiten liest und glaubt, dass Arbeiter und Leistung in China billiger sind. Bei dem es für teure Schuhe reicht, aber nicht zur Erkenntnis, dass man die Hose mindestens drei Zentimeter hätte kürzen müssen. Seine Töchter haben jedes Mal um die Digitalkamera zu bitten. Höflich. 68 war gestern, heute steht wieder Disziplin im Marschbefehl. Spazieren geht man im Schlosspark, im Odium alter, angenommener Grösse, die in Wahrheit eine erbärmliche Verwaltung war, mit einem Dekret, das Schnörkel verbot, und dem radikalliberalen Angebotsstreit zwischen Künstlern, die letztlich alle vergebens auf die versprochenen Zahlungen des Hofes warten mussten. Weiss er natürlich nicht, Kunstgeschichte ist auf so einem Lebensweg jenseits von ungelesenen Taschen-Bücher zur Regalwandfüllung nicht vorgesehen, aber es würde ihm wahrscheinlich gefallen. Dieses Top-Down-Modell. Seine Arbeiter für die Effektwandbemalung in Pastell beschafft er sich vermutlcih bei einer Dumpingplattform im Netz und schaut, dass ein Teil schwarz geht.

Von hinten fallen die schwarzen Schatten von dir und deiner Begleiterin auf den Abklatsch eines Gesellschaftsstücks minderer Güte, der Park und die Welt ist gross genug für beide Haltungen, aber du ringst mit dem Wunsch, dich vor den über Career Opportunities schwadronierenden Kerl hinzustellen und zu sagen - wenn er mal mit 55 am Herzinfarkt stirbt, werden seine blondrosa Töchter oder ihre Gatten für deine Rente aufkomnmen - und ausserdem kommt er mit der zu langen, im Staub der Schlosswege runtergetretenen Hosen nicht wirklich weit bei seinen Zielpersonen.

Aber das Wetter ist zu traumhaft, weiter vorne gabelt sich der Weg, und du wendest dich nach links, wo ein junges Paar in Nichtachtung eines Boosschen Meisterwerks hemmungslos und wenig schicklich bekleidet am Fuss eines halbnackten Marmorweibes den abendlichen Geschlechtsakt küssend vorbereitet.

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Heritage I

Nein, der ist nicht zu verkaufen! Da war ein Bild drin, aber das haben wir vorhin schon verkauft, Sie sehen ja, der ist beschädigt, den schmeisse ich nachher dann weg, den will ja keiner, so wie der ausschaut.



Sie wollen den? Ein Euro? Ja, gut, wenn Sie wirklich meinen, nehm ich. Naja, vielleicht können Sie ja noch was draus machen. Wo der her ist? Den hat schon meine Urgrossmutter zusammen mit dem Bild gehabt, der ist also schon über 100 Jahre alt. Aber sowas hat man heute ja nicht mehr. Also, viel Glück beim herrichten, danke, servus.

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