16 Stunden Osten, 16 Minuten Westen

Es wird eng, sehr eng, allein schon wegen der Hochzeitsgesellschaft, die rausgeputzt mit nicht wirklich gewohnter Kleidung den schmalen Weg an der Kirche verstopft, der der Vermeidung der Fussgängerzone mit ihren Marketingständen und Zettelverteilern dient.



Dann unter den Klängen der Turmbläser hinunter zum Markt, vorbei an den Bekannten, die schnell grüssen und weitereilen, also auch zu spät, so ist das halt mal, wenn man zu lange gefeiert hat, vorbei an den Blumenständen zum Eingemachten.



Alles ist leer, die Vorräte sind weg, und deshalb gibt es zu den verschiedenen Marmeladesorten auch noch eine Kostprobe Apfel-Zwetschge dazu, mal schaun, wie das so ist, oder vielleicht doch aufbewahren, es hält sehr lang, ein Jahr vielleicht, sicher aber bis in den Winter.



Pasta - gerade noch geschafft; Olivenbrot - das letzte ergattert, die Baumpilze abgeräumt und den Mangold erstanden, dann endlich Zeit an der Eiertheke zum Autausch über das Versäumte der letzten Tage, drall muss es gewesen sein, Gesellschaft in Auflösung und Partnertausch hinter verschlossenen Türen, das übliche fast schon, wie die Minister, so die Stadträte, feiern muss man, feiern, feiern.



Beim Käse dann den Gesprächen zuhören, 50 Euro für 60% Fett und gleichzeitig Fitnesstipps und die Frage, was man nächste Woche tragen soll, beim wichtigsten aller Herbstkonzerte, man hat nichts mehr, aber diese neuen Brauntöne, die sind so langweilig, und am Ende kommen sie doch wieder alle in Schwarz und sind für einen Abend ganz Holly Golightly.



Schnell noch die Zwetschgen, und dort der Hinweis, dass es am Mittwoch nichts gibt, 3. Oktober, Tag der sog. Einheit, der Solidarität mit denen da drüben, wo man noch nicht war, warum auch, Italien liegt vor der Haustür und das da drüben in Trümmern, ah, da kommen sie grad her, schlimm, oder? Noch ein paar Zwetschgen extra, überall werden schon die Stände abgebaut, es ist vorbei, aus, Schluss, Kasse weg.



Langsam zurück in der Sonne, unfassbar blauer Himmel, Menschen in Biergärten, sie haben Zeit, der Regen ist vorbei, irgendwo in den Osten, aber das hier ist Westen und es wird sicher auch so bleiben, nichts wird das je ändern, das wissen sie, und sind zufrieden.

Samstag, 29. September 2007, 23:58, von donalphons | |comment

 
das ist jenes was wir kennen, unsere heimat nennen. im alltäglichen wohlfühlrhytmus bleiben wir geborgen. glück für die, die eine heimat haben. die anderen umsegeln die welt. heimatlosigkeit führt zu rastlosigkeit.

edit: also gehe ich segeln.

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Und ich überlege mit den Kauf eines langsameren Automobils, damit das Reisen nicht so schnell vorbei geht. Nicht das Sein abseits der Heimat ist das Problem, die Geschwindigkeit ist es.

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Das sitzt.

Stimmungstechnisch ist diese Kombination Text/Bilder einer der für mich schönsten Beiträge hier.

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Freut mich, auch wenn es leider nur runtergeschmiert und zusammengeknipst ist.

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Nicht schlecht beiläufig photographiert - den wilden Osten -
s/w läßt die Kälte gut kriechen.

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Mir scheint als mag der Don den Osten nicht :( Ich für meinen Teil verspüre wenig Kälte hier und erlebe gerade eher menschliche Kälte aus westlichen Gebieten, die im Niederrhein einigen mir sehr nahestehenden Menschen entgegen gebracht wird. Nunja ich für meinen Teil fühle mich wohl hier in Dresden, der Stadt die sogar München den Rang ablaufen könnte, wenn man sich hier nicht so mit albernen Provinspossen aufhalten würde.

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DRÄÄÄSDEN ?

Dresden ist zu barock und es ist ja wohl keine Zufall, das ausgerechnet "Neustadt" - ein ansonsten ziemlich ärmlicher Stadtteil - zur Amüsiermeile wurde. Dresden wir niemals München den Rang ablaufen, noch nicht einmal Stuttgart, Frankfurt oder Düsseldorf - dafür ist die tatsächliche Wirtschaftskraft der Stadt und des Freistaates viel zu schwach.

Wer es hart und heftig mag, geht nach Chemnitz mit den von @Don beschriebenen Ausfallstraßen - vorsicht, auf der Reichstraße lungern die Radarfallen; wer es intellektuell mag, nach Leizpig. "Nunu"-Dräääsden ist schön für´ne sightseeing-tour. Noch nicht einmal Gerhard Richter will zurück nach Dresden. :)

Der Niederrhein ist eher wie Freiberg, Zwickau oder Meißen - nur etwas wohlhabender und etwas sauberer. :)

P.S. @Don ist schon ein bißchen älter.. . den zieht es nach hause - zur Kehrwoche und Katzenfellen. ;)

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danke, chouette des neiges, ich hoffe, der Text wärmt auf seine leicht ironich gezuckerte Art dagegen an.

Was nun den Westen angeht, Togaras, da gibt es eben solche und solche, wie auch im Osten. Ich hatte heute eine mordsmässig unerfreuliche Verhandlung mit einem Sachsen, und der nächste Sachse war freundlich, offen und nicht im Mindesten raffgierig. Aber natürlich macht die Situation im Osten keinen zum besseren Menschen. Dass es dort nicht prickelnd ist, dürften wohl die meisten auch so sehen. Ich ertrage durchaus ein gewisses Mass unerfreulicher Dinge, aber der Ostcocktail mit den Skinkirschen ist in der Hinsicht einfach nicht schmackhaft.

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Ich schätze, Schneeeulen halten es im wilden Osten auch bei Kälte ganz gut aus. ;-)

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Huhu.
Ganz erstaunlich, diese Anpassungsfähigkeit, aus der Sicht gewöhnlicher bayerischer Stadtpalastkauze.

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das sächsiche dreieck, revisited:

chemnitz hart und heftig *), leipzig intellektuell **), dresden barock***).

chemnitz - hart und heftig! sollte sich der herold schützen lassen, der claim hat was.

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*) der chemnitzer ist gerade eben noch erzgebirgler, das ist ein eher freundlicher und gutmütiger menschenschlag. richtig ist, dass sogar die chemnitzer vordem ihre heimatstadt "russ-kemptz" nannten, in feuilletons war eher "das sächsiche manchester" gängig; beides sollte darauf hindeuten, dass die architektonische schönheit dieser stadt gesucht und gefunden werden wollte. wer sich für industriearchitektur und -archäologie interessiert, möchte bald kommen. ach so, dann gibt es um den inneren stadtbezirk herum eine reihe vororte, die eine noch durchaus eigene, auch ländliche anmutung haben.

**) bis zu jener nacht 1943 war leipzig zentrum der deutschen buchproduktion und des deutschen buchhandels. bücher gibts dort noch immer, auch besuchenswerte antiquariate (das alte zentralantiquariat der ddr heisst heute zentralantiqariat leipzig, hier: http://www. zentralantiquariat(.de/filialen.html)

***) na ja, august-der-starke hin und her, dresden hat manches erhalten, manches wirder aufgebaut, auch die umgebung hat einiges zu bieten, eigentlich müsste der tourismus dort noch viel mehr bringen. der dresdner selber, ist der von barocker lebensart? eher nicht. aber dass könig kurti I. ausgerechnet damit zu fall gebracht wurde, dass seine gattin, eine geborenen henkel, glaube ich, anlässlich eines einkaufs beim dortigen ikea daselbst wohl doch überrzeugend vorgetragen hat, ihr stünden auch bei ikea 15% rabatt zu , schließlich sei sie die frau ministerpräsident, das hat was barockes.

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Kein Netz, keine Zeit, aber trotzdem noch eine Antwort hinterhergeschoben.

@torgaras - Kälte bekommt man überall. Soziale Kälte, menschliche Kälte gibt es im Osten wie im Westen. Man muss nur genau hinsehen.

@arboretum/don - Kälte gibt es nicht nur im wilden Osten. Auch in den französischen Voralpen benötigt man einen elektrischen Heizapparat, wenn das Haus marode ist ;-)

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Fra... Franz... Französische Voralpen? Marodes Haus? Meine Email ist donalphonso ät gmail dot com, und ich habe gerade festgestellt, dass ich diesen Winter noch nichts vorhabe!

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