Zuviel

Am Wochenende war ich im Buchladen des Staedel in Frankfurt. Wann immer ich durch diese Stadt komme, halte ich nach Möglichkeit dort an, es ist die mittlere Station der Reisen in den Nordwesten, nach dem Cafe Burkhard in Pommersfelden für Torte und Klosten Eberbach für Traubensaft. Ich bin mittlerweile etwas ruhiger beim Buchkonsum, denn die Events, Austellungen und der Betrieb an sich fabrizieren solche Mengen an Gedrucktem, dass es in der Regel keine zwei Jahre dauert, bis sich ehemals gerühmte Kataloge und Romane im Ramsch finden. Über die Hintergründe mag ich mir keine Gedanken machen, sollen die Verlage doch Johurnaille schmieren, wie sie wollen, DBC Pierre und Frau WiehiessdieTratsche Mitdem68erbuchnoch müssen sich am Ende bei den Käufern durchsetzen, und das tun sie eher nicht. Die Guten fallen mit den Unsäglichen, und irgendwann kaufe ich dann. Wieso sollte ich für einen schmalen, brandneuen Band 50 Euro über Vasari zahlen, wenn ich dafür vier reduzierte Bücher nicht minder spannender Thematiken finde, und der Vasari mangels Kenntnis des deutschen Publikums in einem Jahr ohnehin für 10 Euro verkauft wird.

Man besitzt Bücher schliesslich ein Leben lang. Das währt locker noch ein halbes Jahrhundert, der Platz ist auf alle Fälle da, umziehen muss ich nicht mehr, also spielt es keine Rolle, ob so ein Buch jetzt sofort oder etwas später erworben wird. Gespräche über moderne Romane sind meist wie Reden über Talkshows, und generell habe ich Schwierigkeiten, Leute zu finden, mit denen ich über meine Spezialgebiete der Sachkultur und ihrer Darstellung einen wissenschaftlichen Diskurs führen könnte. Und für das Erklären reicht der Forschungsstand voin vor zwei Jahren problemlos aus; die Cutting Edge der Kulturgeschichte ist ohnehin so weit entfernt vom Alltagsgespräch, wie meine Urgrossmutter vom Bloggen.

Aber wenn ich dann die Neuerscheinungen sehe, diese schiere, unlesbare Menge an Papier, diese Herausforderung des Wissens, die zu bestehen heute vollkommen unmöglich ist, wünschte ich mir fast, es gäbe eine Begrenzung der Bildung, die eine stete Demütigung verhindern könnte. Etwas, das dem Gebildeten verspricht, ein allgemein akzeptiertes Niveau zu erreichen, und nicht Jahre und Jahrzehnte hinter den Spezialisten zu sein. Es ist ein sinnloses Rattenrennen, es geht immer noch mehr, und gerade, wenn man denkt, dass 200 Bücher zu Paläographie und Illumination eine ordentliche Handbibliothek für einen Randbereich des eigenen Interesses sind, steht man wieder in so einer Buchhandlung und merkt vor ein paar Metern Faksimile, dass man völlig den Kontakt zu Neuem und Unerwarteten verloren hat.

Das mag ein Extrembeispiel sein, ist dieses Thema doch mit das Kostspieligste und Verschrobenste, was die heute Buchdruckerei hervorgebracht hat, und wenn andere mit der DVD-Werksausgabe von Bud Spencer zufrieden sind, sollte ich mir keine allzu schweren Gedanken machen. Ich komme dennoch nicht herum um diese Zweifel, denn es ging anders, der Bibliomane hatte früher durchaus Gipfel, die er erreichen konnte. Ich bin heute weit, weit über dem Niveau einer mittelalterlichen Klosterbibliothek, oder dem, was ein Forscher meines Faches noch vor 50 Jahren privat besitzen konnte. Dieser Segen ist zugleich aber auch der Fluch, denn früher war ein "Mehr" einfach nicht möglich. Bücherklau war ein normales Verhalten unter Mönchen, fast so verbreitet und lukrativ wie Reliquiendiebstahl, nicht umsonst musste man die Bücher anketten und wegsperren, um ihre Entwendung zu verhindern. Nicht nur das Wissen, auch der Erwerb von Büchern war limitiert, sei es durch staatliche Unterdrückung, logistische Unzulänglichkeiten der Zeit, oder schlicht Unwissen von der Existenz anderer Werke. Buchkauf war Suche und Jagd nach Erkenntnis, bevor nur die erste Seite gelesen wurde, es bedurfte Mühen und Anstrengungen, Beziehungen und manchmal auch krimineller Energie, um dem Ziel der Wünsche habhaft zu werden.

Wenn wir heute essentielle Werke des Marsilius von Padua nicht mehr kaufen können, liegt es allein am Desineteresse von Verlag und Publikum, und nicht am Feuer der Inquisition. Jeder Depp kann online sein eigenes Buch drucken lassen, personalisierten Schund gibt es beim Kafferöster, alles ist global, sofort und immer lieferbar, solange es einen Markt dafür gibt. Mir wird schlecht, körperlich schlecht bei der Vorstellung, dass der Pissdreck von Amazon, Google News und Technorati den Quell der Erkenntnis mitplätschern lässt, dass es einen nur durch den Buchpreis und das Interesse regulierten, ansonsten aber unbegrenzten Zugang zum Wissen gibt, 24/7, simpel, einfach, ohne Mühe, Anstrengung und all die Magie, die dem Suchen innewohnt.

Ich bin nicht antimodern, ich schätze die Verheissung von Gleichheit der Bildungschancen, und würde die Museen gern kostenlos sehen. Aber Bücher sind nicht modern, das Buch ist per se die Unfreiheit, die die Freiheit der Gedanken umschliesst, und die Auflösung dieses sadistischen Gegensatzes raubt dem Medium jede Spannung und viel von seinem Reiz. Ich kaufe Bücher des XVII. und XVIII. Jahrhunderts in der Hoffnung, sie bei Abebooks nicht zu finden, zumindest nicht in meiner Ausgabe, manche Bücher, wie einen speziell gewidmeten Alexanderplatz eines Förderers des Autors, schätze ich weniger als Buch, das ich auch anderweitig besitze, denn vielmehr durch die folgende Geschichte als Vereinzelung, Absonderung vom Strom der Veröffentlichungen, der alles bietet. Und mir nicht mehr viel gibt.

Dienstag, 20. November 2007, 17:04, von donalphons | |comment

 
Scholastiker
Ich weiß nicht: - wenn ich die Wahl hätte, würde ich nicht unbedingt trauern, daß irgendwelche Scholastiker vergriffen sind. Sie lesen sich schrecklich; ihr Latein ist so grausam durchstilisiert und systematisiert in der Argumentation, daß ich damals (als ich notgedrungenermaßen die Bekanntschaft dieses Stils machte) das Gefühl hatte, daraus könnte man ohne viel Änderungen eine Programmiersprache bauen.

Nein, mich ergötzte doch die Paläographie immer eher zweckfrei.-

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Nun, gerade Marsilius ist anders, nachgerde revolutionär und absolut nicht ohne Witz und Charme. Ich denke, wenn einen das halbe chritliche Abendland zivilisiert verbrennen will, dann eignet man sich solche Eigenschaften an, einfach um geistig zu überleben.

Man muss ihn halt aus der Zeit heraus verstehen. Jeder Satz ein Tritt in die Fresse des Papstes.

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Ein Zuviel an Büchern, an Information allgemein?

Ganz klar ein Anzeichen beginnenden Alters. :-)

Im Ernst: als Angehöriger der Math/Nat-Fakultät ist man gewohnt, spätestens zwei Jahre nach Buchkauf den erworbenen Schatz in die zweite Reihe zu verschieben, da bereits veraltet. Wenig später wird er durch ein aktualisiertes / besseres Exemplar ersetzt. Auf Dauer sehr kostspielig. Irgendwann weicht man auf die Klassiker aus (in meiner Disziplin z.B.: Donald E. Knuth, Art of Computer Programming), da man nicht gewillt ist, Verlage durch wiederholten Kauf ihrer überteuerten Ware zu subventionieren.

Das alte Buch, das eine Geschichte hat und bei dem nicht wichtig ist, ob es aktuelle Kenntnisse liefert, findet dagegen immer seinen Platz ins Regal und bleibt dort auch.

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Ich merke nur, dass ich nur noch gelangweilt in die Neuerscheinungen schaue, mit der Ausnahme von Wagenbach, weil dort die Bücher schon lange in Italienisch erschienen sind. Zeitgenossen? Überhaupt nicht mehr. Ich kaufe inzwischen mehr lateinische und französische Originalausgaben des 18. Jahrhunderts als Belletristik dieses Jahrhunderts. Schon komisch, oder?

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Nicht verwunderlich, schließlich ist dieses Jahrhundert ja noch nicht so alt. :-)

Etwas Patina hat Belletristik selten geschadet. (Es gibt aber Ausnahmen.)

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Also ich weiß nicht...
Natürlich ist der Überfluss heute überwältigend.
Aber das hat die Jagd doch eher schwieriger als leichter gemacht.

DAS Buch, dass ich gerade suche, gibts eben nicht bei Amazon oder Hugendubel.

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Passend zum Thema ein weiterer Höhepunkt der deutschen Bibliotheksgeschichte: In vielen Institutsbibliotheken werden stets zum Jahresende hin Bücher ausgemustert um Platz zu schaffen; das Kriterium dabei scheint zu sein, daß solche, die besonders lang nicht ausgeliehen wurden, zuerst aussortiert wurden.

Man könnte diese Bücher natürlich wenigstens antiquarisch verkaufen, um ein wenig Geld für zusätzliche Neuanschaffungen einzunehmen. Dies wäre aber wohl in unserem Land mit einem zu hohen bürokratischen Aufwand verbunden. Also werden sie zum symbolischen Preis von einem Euro pro Buch, ohne Ansehen des Werks im Einzelfall, verkauft und es gilt: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.

Da gibt es dann etwa die 1947er-Ausgabe des von Neumann-Morgenstern-Klassikers für einen Euro, Antiquariatspreis wären um die 400 Dollar. Sraffas Production of Commodities by Means of Commodities, Erstauflage, für einen Euro. Und das sind zwei Beispiele von vielen. Soviel zur aktuellen Buchkultur in Deutschland.

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Man muss nicht mehr suchen, man muss sich entscheiden, bescheiden und begrenzen. Und wenn man eifert, wird man begrenzt. Nichtbibliomane können das mutmasslich nicht verstehen. Das erklärt auch den Umgang in Bibliotheken mit derlei Material - einfach keine Verrückten mehr hinter den Schaltern, sondern banale Verwalter. Das war früher noch ganz anders, da wurden die Bibliotheken von der Irren gemacht. Casanova, um nur mal einen Namen zu nennen.

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Akt 4, Szene 3:

Katzbuckler: " Don, ich finde Euren vorgestellten Snobismus einfach herrlich. Habt Ihr Bedarf an Hauspersonal?"

Don: "Schleich' Di'! I' vergift' mi' selba!"

Vorhang.

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Ich kann leider nur so mies wie die WAZ zahlen - bei besserer Verpflegung allerdings :-)

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DVD-Werksausgabe von Bud Spencer
wo, wo - her damit!

haha - danke für das Satzfragment des Tages.

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Konditionierte Wahrnehmung
Witzig, ich hatte doch glatt "DTV-Werkausgabe von Manes Sperber" gelesen;-)

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