Eine bessere Violine für einen schlechteren Sohn

Die von mir präferierte Umschreibung meiner Person als schlechterem Sohne aus besserem Hause ist durchaus begründbar, denn obwohl ich weder Alkohol trinke, noch Fleisch esse und auch Glücksspiele, Bordelle und Drogen meide, im Kern also extrem tugendsam lebe, gibt es doch ein paar Abweichungen zu den Idealen, die diese meine Gesellschaft vorzugeben beliebt: Ich habe nie geheiretet, ich habe im Gegenteil Abtreibungen und Kirchenaustritte finanziert, ich führe in Gesellschaft lästerliche Reden über Eheglück und Staatspartei, ich habe lange woanders gelebt, habe Bücher geschrieben und, vielleicht die grösstmögliche Abweichung vom Ideal:

Ich spiele kein Instrument.

Das nun gehört hier absolut dazu. Oh, nicht, dass man es nicht versucht hätte. Flöte ab dem sechsten Lebensjahr, ab 9 Klavier, und als meine Eltern dann endlich die angemessene Villa im angemessenen Viertel besassen, gab es sogar ein eigenes Klavierzimmer. Und ich habe es gehasst. Ganz im Gegensatz zu meinem ansonsten sehr musikalischen Clan, in dem der Umgang mit Gitarre, Flöte, Mandoline, Gesang und Klavier sehr üblich war. Die einzige Ausnahme vor mir war mein Grossvater mütterlicherseits, dessen Geräuschinstrumente allein das Jagdhorn und eine grössere Kollektion Schusswaffen zum Niederstrecken von Hirsch und Wildsau waren. Ich jedenfalls war eine komplette Vollpleite, alles vergebens, ich habe zwar Pianistenhände, aber ansonsten keinerlei musische Begabung. Ich mag Musik, ich liebe historische Aufführungspraxis, und wenn ich im Konzert über Monteverdi spreche, ist das nicht unfundiert. Aber spielen? Niemals!

Wie man nun aber auf manchen Bildern sieht, habe ich durchaus Instrumente. Eine Laute etwa. Ich vergöttere die Corpi der Lauten, dieses harmonisch gefüllte, wie eine perfekte Frauenbrust, dazu all die Geschichten um Liebeslieder und durchlöcherte Verwandte im Anschluss, und als ich weiland eine auf dem Flohmarkt fand, konnte ich nicht wiederstehen. Und jetzt -



war ich letztes Wochenende in Holland, genauer gesagt, in Enschede. Zusammen mit einer prallen Börse für den Marktbesuch und eine phänomenalen Grippe. Um es kurz zu machen: Der Markt hatte mit Antiquitäten nichts zu tun, und die Erkrankung machte jeden Gedanken an eine Weiterreise nach Tongeren, zum nächsten Antikmarkt, zunichte. Ich war schon wieder auf dem Weg zurück in die scheusslichste Abraumhalde der We ins Ruhrgebiet, als an der Ausfallstrasse eine "Antieck"-Schild lockte. Sagen wir mal so: Ich habe in Tschechien, Berlin und Wien noch schlechter sortierte Läden gesehen. Ich bin nicht leicht zu enttäuschen, es gibt einfach ab und an Fehlschläge. Ich war fast schon wieder am gehen, als ich einen Waschkorb mit Emailzeug sah, und oben, zwischen blauen Töpfen und weissen Sieben mit Beulen und Rost, ragte das heraus:



Nun hat es mit Geigen so seine Bewandtnis: Viele Freunde von mir vergeudeten ihre Jugend mit diesem Kratzinstrument, das bei mehr Übung und Talent immer noch schlimmer als mein Klavier klang, und das will wirklich etwas heissen. Unvergessen der Tag, als V. hassentbrannt seinen Schuh durch die Decke des immens teuren Geräts trat, das sein Vater von einer Reise nach Japan mitgebracht hatte; danach war bei seiner Familie das Weihnachtsfest gelaufen, und das alles nur wegen einem gescheiterten "Oh Tannenbaum". Und weil die Menschheit immer noch dazu tendiert, für jeden Spitzengeiger die Qual zehntausender unschuldiger Kinder in Kauf zu nehmen, wird auch hier gegenüber nach Schulschluss immer noch Darm und Holz gequält. Aber -



und das muss ich eingestehen: Die Violine an sich ist höchste Kunst. Ich kann Tischlern stundenlang zuschauen und zuhören, wenn sie erklären, was sie warum aus welchem Stück Holz machen. Instrumentenbau ist die Vollendung der Kunst, so einen Geige wiegt knapp über 300 Gramm, ist nur ein paar Späne Ahorn und Fichte, aber so viel Wissen und Erkenntnis, Jahrhunderte der Tradition und über allem eine stabile, dauerhafte Konstruktion, die theoretisch jeden süssen Klang in sich trägt, so dass ich dem Objekt meine Verehrung nicht entsagen kann. Und schon gar nicht dieser Violine aus Holland, die keinen "Stradivari"-Zettel enthält, sondern trotz ihres traurigen Zustandes voll Schmutz, Staub und Kratzern immer noch all die Meisterschaft ihres Erbauers zeigte: In der Decke hat ihm an einer Stelle das Holz nicht gefallen, und so sind rechts und links vom Griffbrett zwei Fichteneinsätze mit etwas breiteren Jahresringe eingesetzt, drei Millimeter breit und 35 Millimeter lang. Und zwar so, dass man es fast nicht sieht. Das Einsetzen eines simplen Holzes, mit solcher Könnerschaft, mit perfekten Anschlussen zur Decke, zeigt eine Kunst, die -

wieviel? 20? OK.

Und so kommt auch ein schlechterer Sohn aus besserem Hause zu einer Violine. Natürlich hat es etwas Arbeit gekostet, sie wieder in diesen Zustand zu versetzen, ein Stimmstock müsste noch eingesetzt werden, und Saiten fehlen auch noch. Macht nichts, ich spiele ja nicht. Es ist ein Tribut für einen Menschen, der vor 120 Jahren wusste, was Leidenschaft ist. Man setzt kein Holz mit solcher Perfektion ein, wenn man keine Leidenschaft hat. Und ich kann es nicht liegenlassen, wenn es von Ramsch zerdrückt wird. Aber spielen? Moi? Niemals! Da geht nichts. Nie. Wobei.

Doch. Es gäbe ein Ausnahme, aber das sind nicht diese wunderschönen Formen von Violine, Bratsche oder Gamba d´Amore (allein schon der Name), sondern das hier:



Eine barocke Theorbe. Da würde ich schwach werden. Ich mein, diese Pracht, die Form, und dann - die Haltung! Das, ihr blöden Pornospielzeugkäufer, das ist ein Gerät. Glücklicherweise jedoch findet man keine barocken Theorben kurz vor der deutschen Grenze zwischen Emailgeschirr.

Freitag, 14. Dezember 2007, 16:19, von donalphons | |comment

 
Ich musste auch
dieses Instrument lernen, bei einem Großvater, der Geigenlehrer war, nicht anders zu erwarten. Ich habe es damals gehasst - obwohl meine Lehrerin gut war und ich sicher nicht der untalentierteste Schüler...

Heute bereue ich, dass ich nicht durchgehalten habe. Egal.

Was ist das für ein Untergrund, der so ton-in-ton daherkommt? Ein Sekretär (Schaniere ganz oben?)

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Ich bereue nichts. Absolut nichts. Ich habe andere Qualitäten. Und wie das dann ist, habe ich vor sieben Jahren bei einer Konferenz erlebt, als in der Halle des Schlosses ein Flügel stand und Graf v. G., genannt der "Spargelkopf", darauf unbedingt spielen musste - nein. Kein Bedauern.

Es ist ein Hepplewhite-Sideboard.

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gut, gut ... da nuetzt nun alles herumsalbadern und auch das herumstochern in allen Muellkippen der Welt nichts, bei dem was Dir bei Deiner Unfaehigkeit zu musizieren entgeht ... insofern - mein Beileid ... je nu, zugucken ist ja auch ganz schoen .... aber nix anfassen!

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Doch. Eben schon anfassen. Ich bedaure, kein Bild vom Originalzustand gemacht zu haben.

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... aber nicht an den Saiten zupfen ... ganz wichtig.

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Zupfen ist erlaubt - streichen würde ich nicht wagen.

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gut druecken wir ein Auge zu ... Dir ist aber schon klar das es von der Triangel abgesehen eigentlich allen Instrumenten auf Dauer schadet wenn sie nicht gespielt werden ...

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Dafür habe ich schliesslich geschiedene Hausfreundinnen mit entsprechender Ausbildung zum Foltern.

Aber schön sieht es aus. Frauen mit Brille, Diamantschmuck, hochgesteckten Haaren und federnden Locken, die Violine spielen. Solo. Der Geist wäre willig, aber das Fleisch zieht es zusammen.

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... ach Quark, das ist zu viel ChiChi mich begeistern "junge Geigerinnen" aus - sagen wir mal Osteuropa - die erst alles und jeden in Grund und Boden spielen .... und anschliessend auch noch den Dirigenten unter den Tisch saufen - das hat Niveau ....

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Da wäre ich mit Tee aber ein schlechter Gegner. Wobei, wir haben einige junge Geigerinnen aus Osteuropa hier, und die sind alle sehr gesittet.

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... gesittet? Dann sind die defekt oder verstellen sich - ich kenne nur aetherische Geschoepfe mit unfassbarer guter musikalischer Ausbildung und einer Trinkfestigkeit die die og. Ausbildung noch um Groessenordnungen uebertrifft ....

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Die unfassbar gute musikalische Ausbildung war vermutlich nur in Verbindung mit extremer Trinkfestigkeit zu ertragen. Was bitteschön alle ehrgeizigen Eltern berücksichtigen mögen.

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Nein, die Trinkfestigkeit hat andere Gründe. Meine nicht-musizierende russische Freundin hat hier auch alle Männer unter den Tisch gesoffen.

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Mich hat man zum Glück nicht mit Geigen malträtiert, aber dafür fünf Jahre lang mit Klavierspielen. Das ist kein Spaß, wenn man dieses für "höhere Töchter" absolut unabdingbare Talent einfach nicht in sich entdecken kann. Das einzige, was ich heute bereue, ist, dass ich nicht früher damit aufgehört habe (aber das hätte meine Familie nicht zugelassen).

Angeblich kommt die Begeisterung ja nach jahrelanger hinreichender Qual automatisch, aber bei mir hat sie sich nicht eingestellt. Ich wundere mich, dass trotzdem viele meiner Altersgenossen heute noch die Meinung vertreten, dass ihre Kinder sowas "unbedingt" lernen müssen - und dass es auf gar keinen Fall in Frage kommt, die Kinder selbst entscheiden zu lassen, ob sie das wollen...

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@phd dean : Diesen Zusammenhang habe ich so noch gar nicht gesehen - aber da koennte was dran sein ... Sauferei und Musik - ein starkes Team ... jetzt wird mir einiges klar.

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Jetzt erst? Das Geheimnis von Rock' n Roll.Tourstress, Wahnsinn und die Drogen. Wenn so ein Geigenfräullein bereits als kleinstes Kind gequält wird, so ist schwerster Alkoholabusus unvermeidlich. Begabte Violinlehrer arbeiteten schon immer mit viel Rum und Kolophonium.

Schalten Sie auch nächste Woche ein, wenn es heißt: Paris Hilton - wie sie so wurde, wie sie ist. Frühkindlicher Musikunterricht und seine Folgen.

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... na ja - also komm der Bezug zur musikalischen Frueherziehung ist Dir doch auch erst jetzt klar geworden mit Geschlechtsverkehr, Drogerieartikeln und lauter Stromgitarrenmusik hat das jetzt erstmal nuescht zu tun.

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Wie, willst Du etwa bestreiten, dass nahezu alles Üble seinen Ausgang hat in frühkindlicher Musikerziehung? Praktisch jeder Diktator der Weltgeschichte ist als Kind Opfer von Musikpädagogen gewesen! Der Zusammenhang zum Gebrauch unförmiger elektrifizierter 5-Saiten-Klaviere? Nun, das ist der verweifelte, jedenfalls vergebliche Versuch ehemaliger Geigenfräulleins und Klavierjungs, Abstand zu den ursprünglichen Folterwerkzeugen zu erlangen.

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Vielleicht bereiten sich diese jungen Damen vor wie Adenauer dunnemals (die Szene kann ich mir gut vorstellen: "Meine Herren! Für Deutschland!" Und - gluck gluck - das Olivenöl weg gezwitschert) und müssen, weil sie inzwischen so einen Ruf haben, das immer wieder unter Beweis stellen. Ein Teufelskreis.

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... nein, die Maedels sind in Gesellschaft der Vodkapulle ganz in Ihrer kanonischen Umgebung ... und das ist echtes Koennen - auch nach dem Verzehr des edlen Getreideproduktes auch Nachts um halb drei immer noch in der Lage blitzesauber und in erstaunlichem Tempo auf dem Kopf stehend die Chaconne herunterzugeigen ...

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Der Franz hat da wohl recht; ich hatte mit dieser Art von - nun ja - Kolleginnen auch schon das Vergnügen. Die sprachliche Artikulation litt schon etwas, in die zwischenmenschliche Kommunikation schlichen sich einige etwas schrille Töne ein - aber musikalisch saß das alles immer noch bestens.

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ich hatte klavierunterricht bei meiner eigenen mutter, und das hat es mir versaut. ich bedaure das im nachhinein sehr. der rektor meiner grundschule spielte nicht geige, sondern fidel. das heißt, er hatte eine geige (auch eine sehr schöne), aber auf der fidelte er, was furchtbar war. somit fiel auch das aus. die liebe zur klassischen musik hat es mir trotzdem nicht verleidet, komisch. vielleicht gibt es doch so etwas wie einen zauber, der von den dingen selbst ausgeht, ohne dass man dafür frühkindlich vorgeprägt sein muss. die wirklich guten musiker spielen ohnehin nicht wirklich "bestens" im sinne von technisch einwandfrei, sondern eher etwas (sehr winzig nur, aber das mit system) "daneben". das kann man aber nur hören, wenn man nicht besoffen ist.

das ist ein sehr schönes instrument, das du da gekauft hast. für einen musiker wäre relevant, wie es klingt. für uns schauende hier ist das aber egal. mich würde interessieren, wie die liebe zum objekt mit der liebe zum barock zusammenhängt. das objekt, so wie es hier abgebildet ist, hat etwas haptisches. somit also nicht nur schönes objekt, sondern auch gute fotos davon. will sagen, sie stoßen noch andere sinne an als die visuelle wahrnehmung. möglicherweise wurde das hier schon oft geäußert, aber das gefällt mir an den bildern hier sehr, auch an denen vom essen übrigens.

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Glaub's mir, es war die Flöte! Die hat Dir die Neigung zum aktiven Musizieren gewissermaßen ab ovo versaut. Ich predige das seit Jahren, ach was, Jahrzehnten: die Flöte ist einfach kein Anfängerinstrument (Koordination von Atem und Fingern... motorische Entwicklung... etc. pp.)

Mein früher musikalischer Werdegang enthielt leider auch einige Unfreiwilligkeiten, was mich aber weder davon abgehalten hat, Musik zu studieren, noch davon, mir jetzt als Musikerin meine Kartoffeln zu verdienen (die Brötchen kommen noch...). Allerdings hab ich mich im Studium mit einem Instrument befaßt, das auf der anderen Seite der Erdkugel beheimatet ist. Und was ich jetzt spiele, haben mir keine "offiziellen" Lehrer beigebracht, sondern Freunde, Kollegen, Beobachtungen und in erster Linie die eigene Leidenschaften.

Pianistenhände....haben übrigens im Normalfall Wurstfinger, wie ich in jahrelangen Feldstudien verifizieren konnte. Eine der wenigen Ausnahmen war Horowitz, der hatte zwar auch recht breite Finger,doch insgesamt wahnsinnig lange Hände, weich, aber mit kräftigem Händedruck.
Die Finger von Pianistinnen hingegen sind durchaus auch mal grazil.

Deine Geige ist, wie schon gesagt, eine kleine Schönheit, die sich ihren Stimmstock redlich verdient hat (die Decke! die Decke!)

Hat die Laute eigentlich Saiten drauf? Und ist es eine Gitarrenlaute (6 Saiten) oder eine "große"?

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Nein, die Flöte fand ich noch ok. Schlimm war wirklich das Klavier und der ungesunde Ehrgeiz meiner Mutter. Und der Klavierlehrer. Und mein klar fehlendes Talent. Sowas gibt es einfach. Schwarzes Schaf, und so. Das mit dem Stimmstock nehme ich im Januar in Angriff.

Es ist eine Gitarrenlaute. Ab und zu spielt sie mein Vater, aber der mag den Lautenklang nicht so besonders

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Oh, super, das mit dem Stimmstock freut mich sehr!

Gitarrenlauten klingen fein, mit denen kann man so schön zart im Duett singen: "Come again, sweet love doth now invite..."

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Das nötigen Rapier, falls Papa dann angerannt kommt, um die Ehre der Tochter mit dem Blut des Sängers reinzuwaschen, habe ich auch schon.

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