Angst und Trauma

Ich würde es vielleicht so sagen: Zum Trauma ist noch viel Platz. Ich sehe hier jeden Tag haufenweise traumatisierte Menschen, Mantua klingt anders als San Benedetto, Quistello, wo sie die Sandgeysire in den Häusern hatten, klingt dann schon fertig und Finale Emilia oder Mirandello, wo die ganzen Stadtzenren zu sind, sind so still und leise, wie ich mit Buxtehude vorstelle. Ich gehe da rein, gehe so nah ran wie möglich, und gehe wieder raus, und fahre heim nach Mantua, dieses rot geschleifte, lebenspralle Geschenk von einer Stadt, das so viel hervorbringt an Freude und Vergnügen.



Ich achte darauf, dass es mir nicht zu viel wird. Manche, und man kann es ihnen nicht verdenken, sind hysterisch und nicht mehr rational, aber das wäre ich auch nicht, wenn ich mich für 30 Jahre verschuldet hätt, um ein Haus zu kaufen, für das ich mir eine Weile die Versicherung wegen la Crisi gespart habe. Da würde ich vielleicht auch Ideen haben wie "Ich bleibe hier und wenn was passiert, kann ich ja was machen". Wer sich hier umschaut weiss, dass man gar nichts machen kann: Da, wo ich heute war, stehen drei identische Villen nebeneinander, alle drei bestens saniert, zwei stehen und bei einer hat es die Fiundamente zerrissen. Totalschaden. Oben ist sie intakt, aber aus dem Souterrain kotzt der Keller die Steine. Da ist man machtlos. Aber eben auch traumatisiert. Ich steige ins Auto und fahre in die sichere Zone. Nicht mein Haus, nicht meine Nachbarn, wenn es hochkommt, Drittwohnsitz, drei Monate im Jahr. Hier wackelt vielleicht mal die Lampe, das ist aber auch schon alles.



Aber es ist kein Thema, das man einfach mal so nebenbei macht. Ich bin heute wo reingekommen, wo man nicht rein darf, nicht wegen der Gefahr, sondern weil es Bereiche gibt, bei denen kein Text mehr etwas ändern kann, und ich war froh, nicht allein zu sein; danach ist es gut, wenn man mit jemandem reden kann. Es ist Sommer. Es ist Italien. Es ist das schönste Land der Welt, aber Tag für Tag fahre ich in die Zona Rossa, weil ich weiss: Jetzt irgendwohin fahren, wo es einfach nur schön ist, wäre emotional höchst belastend. Man kann den Dämonen nicht davonlaufen, so, wie die Leute von Quistello dem Schwanz des Teufels, das ist der Betoncamapanile, der zu fallen droht, nicht entgehen können.



Die anderen Türme brechen ein wie das World Trade Center, sie zerbersten beim Umfallen und gehen senkrecht in den Boden. Der Turm von Quistello ist massiv, aus Stahlbeton, und hat das Beben gut überstanden. Aber dort, wo er über seine zu schwache Fundamentierung hinfallen wird, ist die Schule und vieles andere, was die Gemeinde sehr viel Geld kosten wird. Und sie müssen damit leben, jeden Tag, jede Stunde, vielleicht kommt ein Beben, vielleicht sacken auch die Fundamente durch, einfach so, weil hier Sand im Boden ist, und den hat das Beben herausgedrückt. Der Turm ist ein bleibendes Trauma. Ich fahre weg. Mit der Angst werde ich schon fertig.



Und deshalb kann ich am nächsten Tag auch wieder rein.

Donnerstag, 7. Juni 2012, 02:14, von donalphons | |comment

 
Habe keine Ahnung von Bauen und Statik.
Aber kann man da wirklich gar nichts machen? Mit Stützgerüsten aus Stahl, um dann Fundamente zu reparieren?
Den schiefen Turm von Pisa hat man ja auch irgendwie stabilisiert.

... link  

 
kann man, müsste man aber auch machen und bezahlen und solange noch erdebeben und wirtschaftskrisen toben steht das wohl noch in den Sternen

... link  

 
Das ist alles eine Frage der Kosten. Bei einer Kirche: Sicher. Aber bei 100?

Und man darf nicht übersehen: Das ist ein Wettlauf mit der Zeit. Die Schäden vergrössern sich, wenn man nichts tut. Wie rettet man über 100 Kirchen vor Einbruch des Herbstes?

Über 80% der Italiener leben in Wohneigentum, und meistens ist das der grösste Teil ihres Vermögens. Wie soll man da auf die Schnelle solche Arbeiten finanzieren?

... link  

 
Rettungspaket? Mit willkommenem Effekt, die Konjunktur im Baugewerbe zu stimulieren?

... link  

 
Nein, das Baugewerbe ist nun eines, das in Italien nicht leidet. Und Statiker und Restauratoren wachsen auch hier nicht auf den Bäumen.

... link  

 
Vielleicht den nächsten G8 - Gipfel in Verona veranstalten und die große Zahlen inzwischen gewöhnten "Herrschaften" um eine milde Spende, ein klitzekleines Millardchen mehr bitten...?

Spaz beiseite. Neben einer "Bankenunion", eine Kulturgut-Union, in die alle einzahlen, eine Art Culture-Bond. Statt hochsubventionierter Opernkarten für Eliten, Kulturgüter für Alle. Nur mal so gedacht.

.

... link  

 
Das hier ist Pampa, da ist aus italienischer Sicht kaum etwas von Bedeutung. Dieser Turm von 1902 wird nicht mal abgestützt. Lohnt sich nicht, sagen einem die Leute hier. Je weiter man in die Dörfer kommt, desto schlimmer ist es. Die Leute haben andere Sorgen. Wirklich betroffen sind nur die Kulturfreunde der Region.

... link  


... comment