Grotesk

Die meisten kennen das vielleicht. Das Telefon klingelt, man sieht die Nummer, und ahnt, dass die anrufende Person, die an sich durchaus gute Seiten und Qualitäten hat, nun mal ihre miese Laune rauslassen möchte. Ganz grosses Theater.



Natürlich geht man trotzdem ran, immer diese dummen Vorahnungen, eigentlich ist sie ja gar nicht so - und dann ist es prompt schlimmer. Irgendwas passt nicht, irgendwo ist der Wurm drin, und das ist die Gelegenheit, jetzt mal richtig aufzudrehen. Hier weiss sie, dass sie es kann, am anderen Ende ist ja ein netter, höflicher Mensch.



Und man denkt dann so bei sich: Ein Ausweg muss her. Ich packe dieses Gekreiche nicht mehr. Manchmal ist es noch übler, da gibt es keinen Auswegm die schlechte Laune ist nicht nur am Telefon, sondern auch in Persona m Anmarsch. Das ist dann doppelt schlecht. Man weiss, was kommen wird, aber so ist es halt. Und mit so einem Gefühl bin ich nach Quingentole gefahren. Ich wusste, was ich sehen würde.



Ein Jahr harte Arbeit, ehrenamtlich, freiwillig, mit dem Ziel, Kultur in die Provinz zu bekommen, zerstört. Da hilft keine Kirchenkollekte und kein Sponsor, das ist nun mal so, wie es ist, und schlimmer. Sicher, das Theater ist faschistisch im Stil, aber gut erhalten, mal von der Bühne abgesehen, und sie wollten nette Dinge tun.



Die Betroffenen sind erfreulicherweise aber gar nicht so wie das, das ab und zu angerufen hat, um Tage zu ruinieren mit schlechter Laune. Sie sind optimistisch und kämpferisch und machen weiter, und fast schäme ich mich, weil ich, nun, ich könnte auch anders, mich zwingt ja keiner, ich könnte genauso an den Gardasee, alle anderen werden vom Erdbeben unterjocht, ich bin freiwillig hier, ein Tourist der Katastrophe, den sie irgendwann wieder abziehen werden, und der nicht helfen kann, das alles aus dem Dreck zu ziehen. Aber ich kann schreiben.



Und dann sagt der Sindaco, ich sei ja interessiert an solchen Sachen. Ob ich vielleicht die Fresken von Giulio Romano sehen möchte? Die zeigen sie nicht dauernd her, das geht gar nicht, da müsste man noch viel machen, aber das hier ist nicht nur das Rathaus, sondern auch die Villa, die sie zum Palazzo del Te dazu hatten, auch von Giulo Romano ausgemalt, weiss nur keiner, oder nur wenige, und wenn ich will - natürlich will ich. Ich habe mit dem Schlimmsten gerechnet, es war vielleicht noch etwas schlimmer als gedacht, und dann diese Überraschung.



















Es mag seltsam klingen, dieser Tag war, Kilometer für Kilometer, als würde mir jemand einen schweren Gegenstand auf den Kopf schlagen. Ich habe 1500 Bilder, davon herzeigen würde ich vielleicht die Hälfte, die andere, bedaure, ich will nicht, dass man dieses Land so sieht. Es ist schon schlimm genug. Aber dort oben, allein, bei den tanzenden Nymphen und Faunen, das war vielleicht auch der schönste Tag des Jahres. Trotz allem. Weil der Tag schlimmer war, als ich es mir vorstellen konnte, und doch so viel schöner, als ich je geahnt hätte.

Freitag, 8. Juni 2012, 21:44, von donalphons | |comment

 
Grandios.
Danke.

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Bitte, gern geschehen. Wenn ich daran denke, wie ich schon bei venezianischen Villen bitten musste und dann doch keine Zeit war...

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Vielleicht die ruhigste und friedlichste Nacht
meines Lebens habe ich im Sommer 2002 erlebt, in Stendal, im Katastropheneinsatz beim Elbhochwasser. Wir waren als Fernmeldezug im Hinterland im Einsatz, nicht direkt am Deich. Alles war aufgebaut, jeder wußte, daß die Welle auf uns zurollt, und keiner, ob die Deiche halten.

So eine Ruhe und einen solchen Frieden habe ich seitdem nie wieder gespürt, wie in dieser Sommernacht, als ich mir in der Nachtschicht einen Kaffee aus der Küche holen gegangen bin.

Ganz ohne italienische Fresken, in einer ehemaligen russischen Kaserne (zum Berufsschulzentrum umgebaut) in einer Gegend, die viele als "verloren" ansehen. Oberflächlich also gar nichts, was mit Ihren eindrucksvollen Schilderungen gemein wäre.

Trotzdem glaube ich Sie zu verstehen.

Machen Sie weiter, und halten Sie die Ohren steif (wie man im Norden sagt, wo ich herkomme)!

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"Nationale Katastrophe", bald vergessen.
Es war sehr grimmig, in Grimma, 2002.
Jahre später noch viele Schäden sichtbar.

http://www.abendblatt.de/wirtschaft/article848154/Eine-Stadt-wartet-auf-Kredit.html

Trotz Geldspenden: mancher starb von eigner Hand, wie man hörte.
Die Verzweiflung war groß.

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Fantastisch!

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@toje:

So eine Ruhe, so ein Frieden...

http://rebellmarkt.blogger.de/stories/317085/#317154

(sehr fein, dieses Archiv)

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