Mal was ganz anderes

Ich versuche hier eine Art Bestandsaufnahme der Post-new-economy-Depression, die mein früheres Leben und das meines Umfeldes atomisiert hat. Es geht um die Frage, wie "WIR" leben, wie es zu diesem Versagen kommen konnte, und wie die Story weitergeht, nachdem die Medien die Lust daran verloren haben.

Es sind keine guten Zeiten, keine Frage. Viele gut ausgebildete Leute sind arbeitslos, Autoren kriegen bei den Verlagen nichts mehr unter, und manche sind Sozialfälle geworden. Ich will mich darüber nicht lustig machen, und ich will auch kein Mitleid erwecken. Es gab 1999 die einzigartige Chance, den Hauch einer Chance, die Welt und das Leben anders zu gestalten. Neu zu erfinden. Es gab diese Chance nicht wirklich, in Wahrheit war das Rennen 1999 längst gelaufen, und die Protagonisten standen als Verlierer fest, aber in den Köpfen war diese Chance real.

Wie wir alle wissen, hat es nicht funktioniert mit der Rebellion gegen die grünen Ökopaxe, die altkonservativen Säcke der Old Economy, und die lahmarschigen Berufsbedenkenträger. Die Marginalisierung ist ein teil des Preises, den die Rebellen von damals dafür zahlen. Es gibt keinen Markt mehr für sie.

Ich bin eine Ausnahmeerscheinung, nicht nur, weil ich weiterhin auf diversen Märkten agieren kann. Ich war Teil des Systems und Teil seiner Vernichtung. Ich war einer von ihnen und kann es immer noch sein, ein paar Minuten, und ich habe auf ihre Values geswitched. Ich weiss, wie sie ticken, und ich weiss, warum sie Dotcomtod und das hier lesen. Es ist nicht nett, aber es ist zumindest noch etwas. Man existiert, wenn darüber berichtet wird. Das "Wie" ist dann gar nicht mehr entscheidend.

Darüber verliert man schnell den Blick für das Wesentliche. Es gibt noch andere Realitäten. Eine Rubrik hier heisst "Katastrophentourismus" und bringt Bilder aus restlos überteuerten Lokalen, scheusslichen Büros und geschmacklosen Läden, sie zeigt Bilder einer Konsumkultur, die manche für ihren Daseinszweck erachten. Bitte das Wort Konsumkultur nicht negativ verstehen, es ist nicht gut oder schlecht, es ist wertneutral.

Katastrophentourismus kann auch ganz anders aussehen.



Dieses Bild stammt aus Vockerode; rund 100 Kilometer die A9 von Berlin aus Richtung München. Vockerode war ab 1937 ein Energiezentrum in Mitteldeutschland und generierte den Strom für die Chemieregion Bitterfeld.

Heute ist Vockerode weitgehend eine Geisterstadt. Am Rande des Ortes liegen Ruinen von grösseren Gebäuden. Ich denke, im Vergleich zu dem, worüber ich hier sonst schreibe, sind das die wahren Probleme. Ich mochte - trotz des Borderline-Journalismus - immer gern diese Tschernobyl-Motorrad-Geschichte. Ohne das wirklich vergleichen zu wollen: Wahrscheinlich ist es nicht nötig, für solche Bilder nach Weissrussland zu fahren. Wir haben unsere eigenen Katastrophenregionen. Und die Bilder ähneln sich.

Zu den weiteren Bildern bitte auf das Bild klicken.

Freitag, 23. Juli 2004, 19:41, von donalphons | |comment

 
Na ja, hier einen Vergleich zu Tschernobyl konstruieren zu wollen, finde ich schon ein wenig... stark. Genauso wie diese stilisierte "Rebellen"-Attitüde. Es stimmt, viele haben damals vieles für möglich gehalten. Aber wie an dieser Stelle ja immer wieder genüßlich und lesenswert seziert wird, es waren doch in erster Linie kollektive Ignoranz, Arroganz und Hybris, die ordentlich heiße Luft in eine Seifenblase gepumpt haben. Alle wollten was bewegen... für sich.
Eine wirkliche gesellschaftliche Vision konnte ich hinter dem Hype nicht erkennen.

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Ich sage nicht, dass es diese Vision wirklich gab - aber die entsprechende Kultur hat sich herausgebildet. Und was in den Köpfen der Leute die Realität ist, ist nochmal ganz was anderes, als die Realität.

Abgesehen davon dachte ich, dass die Ironie des Begriffs "Rebellen ohne Markt" von selbst deutlich wird. Rebellen kümmern sich nicht Märkte.

Und der Vergleich zu Tschernobyl ist deutlich eingegrenzt. Was ich damit nur sagen wollte: Es gibt auch hierzulande vieles zu entdecken.

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In Berlin-Kladow (Gutspark Neukladow) steht ein ganz ähnliches Gebäude (hat mich sofort dran erinnert als ich hier oben die Fortos sah), die komplette Vorderfront war auch hier ehemals aus Glas und offenbar war's ebenfalls irgendeine Vergnügungsstätte, Tanzlokal, Ausflugscafe... = fünzig oder hundert Meter eine Wiese runter fliesst die Havel.
Ich dachte bisher, das war ex-DDR; auch weil das Gebäude so aussah: 60er-Jahre-"Schick" und jetzt kümmert sich niemand. Doch jetzt beim Nachschauen seh ich: der Ortsteil gehört zu Spandau, war also immer schon WEST-Berlin.

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