: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Samstag, 5. Juni 2004

Stille Tage und andere Unpässlichkeiten in Leipzig

Ich weiss nicht, wo das Deutsche Literaturinstitut Leipzig in Leipzig ist. Ich weiss nur, dass es die Ecke ist, die ich an die Russen verkaufen würde, mitsamt Lehrern und Studenten. Russland kann mit Seilschaften und Aparatschiks mehr anfangen. Hier mag man sie nicht mehr so richtig. Die Vorschauen für Herbst sind ziemlich leer, was die Absolventen dieses Instituts angeht.

Es liegt, denke ich, an den Themen der meisten Autoren. An adoleszensgehackten Sätzen, hoffentlich szenig, aber was soll man in Leipzig schon von Szene erfahren. Leipzig ist spezifisch Osten, es ist Agonie, es ist dreckig, ein einziges Subventionssteuersparloch, wo auf einen topsanierten, unvermietbaren Altbau zehn vergammelte, ebenso unvermietbare Altbauten kommen.

Wer mal die paar Vorzeigestrassen verlässt, bekommt das Leipzig zu sehen, das wohl die Kulisse für die Kochs, Hülswits, Gerstenbergs und Kaleris sein muss, so kaputt, abgerissen, freudlos und fragmentarisch, wie die Sprache und Plots dahertorkeln. Selbst die paar Ironien in Stadt und Texten sind eher zufällig: Wann wenn nichts jetzt, schreit das Plakat, und die Ruinen und Bücher murmeln zurück: Dann eben nicht.



Kein Buch aus Leipzig würde "Wann wenn nicht jetzt" heissen. Zu freudig, zu lebensbejahend, und zu jüdisch - es stammt eigentlich aus einer rabbinischen Lebensmaxime - einfach nicht passend für die Pastorentöchtergeneration der neuen Deutschen Literatur, die man in 20 Jahren nach einer Bundeskanzlerin als "Generation Merkel" bezeichnen wird. "Dann eben nicht" wäre dagegen ein idealtypischer Titel, gleichschaltbar mit "Wie viel Vögel", "Es gibt diesen Mann", "Die Witwe, der Lehrer, das Meer." Oder der Leipziger Instituts-Remix: "Die Ungefickte, ihr Lehrer und das Häusermeer".

Diese urbane Wüstenei zieht sich Kilometer um Kilometer hin, aufgelockert durch Werbebotschaften voller Menschen, die hier nicht herpassen, und dazwischen immer wieder mal ein rausgeputztes Gebäude, das schon wieder zerfällt. Im Widersprüchlichen, Unfertigen und Ausweglosen ähneln diese Strassen der Verdammten den Lebenswegen der Figuren. Es gibt kein Anfang und kein Ende, es spielt keine Rolle, wo man die Bücher aufschlägt oder abbiegt. Es bleibt die immer gleiche Abfolge, die zäh ist wie Teer und jede Anstrengung, jedes Wollen und jedes Anzeichen von Können in das allgemeine Grau einplaniert.

Wer nichts anderes kennt, denkt automatisch grau. Es ist dann vielleicht noch nicht mal selbstreflexiv gemeint oder gedacht, aber es verkommt zur Nabelschau dieses Ausschnitts einer Jugend, deren bestimmende Themen Magersucht, Suizid, Kotzfresssucht, unbefriedigender Sexualitiät sind, und die das Wort "Ficken" zu ein Synonym für körperlichen Automatismus und Reizabwicklung gemacht haben.

Kein Wunder, wenn die jungen Schlappschwänze und mittelalten Keinenmehrhochkrieger der Feuilletons begeistert sind. Genauso, wie man in Leipzig behauptet, dass man hier bei allen Problemen mehr Seele als in München habe, wird den Texten mehr Tiefgang bescheinigt. Es dominieren Mangel und Abwesenheit, aber weil nichts da ist, wollen die alten und neuen Kader und ihre Schmieden in der Lücke die Anwesenheit erkennen; Literaturinstitutsliteratur stinkt nach dem Verlangen, der Leser möge sich doch bitte in dem Nichtgesagten ganz viel Inhalt, Gefühl und fantastische literarische Qualitäten mit Diplom der AutorInnen vorstellen.

Solange das FAZauf Zeitab so der graumelierten Nichtzielgruppe erzählt wird, wird es weitergehen mit dem Kriäjtif Reiding made in Sachsen. Sie werden kommen, in Scharen und in guter Hoffnung, sich an die Umgebung und den Trend anpassen, und in ihrem Heimatkaff den Literaturpreis kriegen, den vor ihnen die Realschullehrerin für ihre Gedichte und der Priester für seine Grabsteinaufarbeitung bekommen hat. Sie werden diese Stadt in sich tragen, denn wer Leipzig drei Jahre überlebt, wird gebrochen, und kann sich nicht mehr vorstellen,


dem fahlgelben Licht der sächsischen Abende zu entfliehen,
in die reichen Städte mit ihrer hedonistischen Jugend,
vielleicht sind sie ja hohl und dumm fickt gut,
aber es sind keine verhuschten Tiefgänger,
von denen man sich wirklich wünscht,
dass sie bitte unten bleiben wollen,
mit dem Stein ihrer Dummheit
und Literatenkünkeleien
an den hässlichen
Halsgurgeln.

... link (16 Kommentare)   ... comment


Hehe

Amazon leidet unter dem Diogenes-Syndrom. Weniger Käufer, eine Woche Minuswachstum, verzweifelte Aktionen, wie ein 3,50 Euro-Buch versandkostenfrei.

Startup-Feeling pur. Mehr hier.

... link (1 Kommentar)   ... comment