: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 23. Juli 2004

Mal was ganz anderes

Ich versuche hier eine Art Bestandsaufnahme der Post-new-economy-Depression, die mein früheres Leben und das meines Umfeldes atomisiert hat. Es geht um die Frage, wie "WIR" leben, wie es zu diesem Versagen kommen konnte, und wie die Story weitergeht, nachdem die Medien die Lust daran verloren haben.

Es sind keine guten Zeiten, keine Frage. Viele gut ausgebildete Leute sind arbeitslos, Autoren kriegen bei den Verlagen nichts mehr unter, und manche sind Sozialfälle geworden. Ich will mich darüber nicht lustig machen, und ich will auch kein Mitleid erwecken. Es gab 1999 die einzigartige Chance, den Hauch einer Chance, die Welt und das Leben anders zu gestalten. Neu zu erfinden. Es gab diese Chance nicht wirklich, in Wahrheit war das Rennen 1999 längst gelaufen, und die Protagonisten standen als Verlierer fest, aber in den Köpfen war diese Chance real.

Wie wir alle wissen, hat es nicht funktioniert mit der Rebellion gegen die grünen Ökopaxe, die altkonservativen Säcke der Old Economy, und die lahmarschigen Berufsbedenkenträger. Die Marginalisierung ist ein teil des Preises, den die Rebellen von damals dafür zahlen. Es gibt keinen Markt mehr für sie.

Ich bin eine Ausnahmeerscheinung, nicht nur, weil ich weiterhin auf diversen Märkten agieren kann. Ich war Teil des Systems und Teil seiner Vernichtung. Ich war einer von ihnen und kann es immer noch sein, ein paar Minuten, und ich habe auf ihre Values geswitched. Ich weiss, wie sie ticken, und ich weiss, warum sie Dotcomtod und das hier lesen. Es ist nicht nett, aber es ist zumindest noch etwas. Man existiert, wenn darüber berichtet wird. Das "Wie" ist dann gar nicht mehr entscheidend.

Darüber verliert man schnell den Blick für das Wesentliche. Es gibt noch andere Realitäten. Eine Rubrik hier heisst "Katastrophentourismus" und bringt Bilder aus restlos überteuerten Lokalen, scheusslichen Büros und geschmacklosen Läden, sie zeigt Bilder einer Konsumkultur, die manche für ihren Daseinszweck erachten. Bitte das Wort Konsumkultur nicht negativ verstehen, es ist nicht gut oder schlecht, es ist wertneutral.

Katastrophentourismus kann auch ganz anders aussehen.



Dieses Bild stammt aus Vockerode; rund 100 Kilometer die A9 von Berlin aus Richtung München. Vockerode war ab 1937 ein Energiezentrum in Mitteldeutschland und generierte den Strom für die Chemieregion Bitterfeld.

Heute ist Vockerode weitgehend eine Geisterstadt. Am Rande des Ortes liegen Ruinen von grösseren Gebäuden. Ich denke, im Vergleich zu dem, worüber ich hier sonst schreibe, sind das die wahren Probleme. Ich mochte - trotz des Borderline-Journalismus - immer gern diese Tschernobyl-Motorrad-Geschichte. Ohne das wirklich vergleichen zu wollen: Wahrscheinlich ist es nicht nötig, für solche Bilder nach Weissrussland zu fahren. Wir haben unsere eigenen Katastrophenregionen. Und die Bilder ähneln sich.

Zu den weiteren Bildern bitte auf das Bild klicken.

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Ruine in Vockerode

Wahrscheinlich handelt es sich dabei um die Reste einer aufgelassenen Vergnügungsstätte für Arbeiter eines Volkseigenen Betriebes, der mitsamt Siedlung auf der anderen Strassenseite vor sich hin rottet.



Das Betreten ist verboten. Allerdings lebt im Umkreis von 500 Meter niemand mehr, der das Verbot überwachen könnte. Der Zaun um das Gebäude herum ist eingedrückt. Der Zutritt ist ohne Probleme möglich



Im Erdgeschoss, links neben dem Eingang ist eine grosse, niedrige Halle. Die Betonträger waren mit Holzbögen verkleidet.



Die grossen Fensterfronten existrieren nicht mehr. Wahrscheinlich sind sie Vandalismus zum Opfer gefallen. Im Inneren liegen grosse Mengen von Glasscherben.



Im hinteren Teil des Raumes ist noch die tapete an den Wänden. Sie ist rosa. Das Muster wäre heute wieder modern. Irgendwann nach dem Ende der regulären Nutzung hat man die Dielen durchschlagen und den Boden aufgerissen.



Lampen, Kabel, Schalter und Rohre haben offensichtlich Liebhaber gefunden.



Dabei ist man planmäsig vorgegangen. Alles, was verwertbar war, wurde entfernt. Wo es keine Lampen mehr gibt, braucht man auch keine Lichtschalter.



Auch von der Kegelbahn ist wenig übrig. Der Metallschrott auf dem Boden war Teil der Entlüftungsanlage. Auch hier sind die fenster eingeschlagen; die Trennung zwischen Drinnen und Draussen ist aufgelöst.



Eine Aussentreppe hat in den ersten Stock geführt, aber die Stufen fehlen.



Innen jedoch sind die Treppen erhalten. Mehr im zweiten Teil, morgen.

Update: Der zweite Teil.

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