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Mittwoch, 8. Juni 2005
Goatln.
Liebe Berliner, Hamburger, Kölner, Frankfurter und andere preussische Wohlstandslumbewohner, es gibt hier nicht viel zu sagen und zu berichten. Die Strassen sind sauber, die Leute sind freundlich, das Leben ist angenehm und die Eierfrau auf dem Wochenmarkt hat sich jetzt nach langem Überlegen doch für den hochgelegten Chevy-Pickup entschieden, der zwar a bisserl teurer war, aber wer ko, der ko, wie man hier in der Provinz die Sache trefflich auf den Punkt oder auf den Chevy bringt.
Und weil es hier so ruhig ist, vom lauten, freudigen Neuwahl-Gekreische der ortstypischen Atomanlagenbauer bei Siemens, der Rüstungsexporteure, der durchgeknallten Hassprediger und der Lobbyhuren mal abgesehen, weil es hier also nichts zu tun gibt ausser vielleicht über die Frage nachzudenken, ab wann man sich auf das Widerstandsrecht berufen kann und man als politischer Gefangener gilt, begebe ich mich wie jeden Mittwoch morgen auf den Wochenmarkt, mit einem Lied von Georg Kreisler auf den Lippen, mit dem schönen Titel "Blumen giessen". Denn mein Dachgarten ist etwas nackt, der Winter hat so einiges hinweggerafft, und nun ist die Zeit, ihn wieder zu begrünen, oder wie man das in Bayern mit einem Terminus technicus umschreibt: Es ist Zeit zum goatln (garteln).
Der bürgerliche Bayer als ein solcher ist in der Regel mit einer Frau gesegnet, die immer so viel Pflanzen anschleppt, dass er im Sommer keinen Tag nicht ein oder zwei Stunden damit zubringt, in dem subalpinen Regenwald zumindest die 15 Quadratmeter Wiese freizuhalten, wo sie dann am Nachmittag Kaffee trinken, in den sich von den überhängenden Blättern so manches Insekt zu Tode stürzt. Genauso, wie ich an keinem Antiquariat vorbeikomme, kommt meine Frau Mama nie an einem Dehner oder ähnlichen Grünzeugdealern vorbei, und ein Plätzchen findet sich immer noch - wenn nicht, muss der Bayer als ein solcher eben noch ein Kasten an die Hauswand dübeln.
Normalerweise wird die nachfolgende Generation mit dem Überflüssigen eingedeckt, nur in meinem Fall will das nichts werden - ich habe Heuschnupfen und vertrage kaum Blumen. Weshalb ich die Kräuter anbaue, die meine Mutter mir nicht geben kann, weil sie vom Erzfeind, der gemeinen, ungeniessbaren Schnecke gefressen werden. Kräuter widerum gibt es auf dem Wochenmarkt in grosser Fülle - das hier ist mal ein Teil des Angebots an Basilikum, und während ich das knipse, drängelt sich davor das weibliche Bürgertum und will wissen, was das jeweils ist. Rechts unten zum Beispiel ist Basilikum aus Thailand - do deafas ma zwoa mitgem, mei is dea sche mit dene vahuzltn Bletta - links oben ist eine Sorte aus dem vorderen Orient, mit zarten Lila Blüten, der Renner unter den älteren Bürgerinnen, denn Lila zieht die Männer an, wer nicht mehr zieht - dea schiasst ind He, des basst, do hed i gean stuckara dreie. Einen banalen italienischen nehme ich auch, dazu die oben beschriebenen, und den mit den kleinen Blättern - nun, das nächste Mal.
Der Basilikum wird in Blätter eines rechtschauvinistischen Drecksblatts meiner Heimat eingewickelt, denn irgendeine Existenzberechtigung braucht diese altbraune Gleischschaltungs-Kamarilla ja, neben der Verkündigung der Geschwindigkeitsrekorde, mit denen sich die Dorfjugend um die hier zahlreichen Bäume am Strassenrand wickelt. Das ist eben noch echte bayerische Natur, hier wird ökolögisch gestorben, nicht an so einem laschen Betonpfeiler, an dem man auch kein Marterl anbringen kann. Die Todesanzeigen sind sowieso ein vollwertiger Blogersatz für die meisten hier... mit diesen leichten Gedanken schlendere ich durch die Altstadt, kaufe mein Brot bei einer rasend schönen Bäckereiverkäuferin von vollendeter Höflichkeit (über die ich auch mal was schreiben muss), gehe hinauf in den Stadtpalast, und goatle. Pflanze meine drei Basilikumsorten an, und probiere sie natürlich sofort aus. In einer sehr weltoffenen Mischung. Der Frischkäse vom Wochenmarkt heisst Saint Ceols und ist echter Frischkäse. Er ist zwar dreimal so teuer wie geschmacksverstärkte A&P-Chemomolkerestverwertung mit naturidentischen Aromastoffen und feuchtem Glibber (aka "Frischkäse"), schmeckt aber extrem intensiv und frisch und sollte nur in kleinen Mengen verwendet werden. Wer den noch nicht probiert hat, weiss nicht, was Frischkäse war, bevor ein paar verkommene Marketingstrategen den Begriff für minderwertigen weissen Schleim vergewaltigt haben.
Dazu dann den Schnittlauch und dreierlei Basilikum aus dem Dachgarten, das Porzellan aus der Oberpfalz, der Brotkorb und das Frühstückssilber gerafft in Berlin, der Teebecher aus dem zaristischen Russland, die Kanne aus dem England vor dem Krieg, die Tischdecke aus der Kommode, nebenbei Heines Buch der Lieder, Carl Krabbe 1887 - wertkonservativ könnte man das nennen, wäre ich nicht ziemlich links. Zumindest verweigere ich mich weitgehend der kapitalistischen Konsumwelt.
Und während ich hier sitze und geniesse, ist irgendwo ein älterer Bayer als ein solcher und dübelt in einem subalpinen Urwaldareal für den Thai-Basilikum in die Wand, an deren Innenseite ein Rosina-Wachtmeister-Bild hängt, eine gekantete Glasschrankwand mit Kirschfurnier steht und ein paar teure, pseudostylische Geschenke von Interlübke, überreicht von den anderen Frauen aus dem Kirchenvorstand, der Frauenunion oder ein paar Bierkrüge von einem Schützenverein, dessen junge Mitglieder vielleicht schon für einen Sido-mässigen Amoklauf trainieren, nachdem sie zum Frühstück eine Semmel mit Kunsthonig und eine mit Leberwurst aus dem Supermarkt gegessen haben. Irgendwo im Norden bekommt jemand wortlos ein paar Schrippen auf den Tresen geknallt, und dazu ein paar in Staniolpapier eingewickelte, fetttriefende Würste oder Buletten, und die neueste Bild-Zeitung mit Wichsbeilage, und nach dem Essen wirft er den Müll auf die Strasse. Unten, vor meinem Fenster, rennt eine Elitesse, dürr und klapprig, mit leerem Magen in die Uni, aber dafür hat sie ihren Körper auf Topform gebracht, und nachher wird sie vielleicht einen Apfel essen, auf dem Weg ins nächste Seminar, wenn es dann um Value Chains geht. Und alle werden sie mit ihrem Leben zufrieden sein, nur nicht mit der Regierung, aber die werden sie schon wegputzen, auf die eine oder andere Art.
Es ist 11 Uhr Morgen in Deutschland.
Und weil es hier so ruhig ist, vom lauten, freudigen Neuwahl-Gekreische der ortstypischen Atomanlagenbauer bei Siemens, der Rüstungsexporteure, der durchgeknallten Hassprediger und der Lobbyhuren mal abgesehen, weil es hier also nichts zu tun gibt ausser vielleicht über die Frage nachzudenken, ab wann man sich auf das Widerstandsrecht berufen kann und man als politischer Gefangener gilt, begebe ich mich wie jeden Mittwoch morgen auf den Wochenmarkt, mit einem Lied von Georg Kreisler auf den Lippen, mit dem schönen Titel "Blumen giessen". Denn mein Dachgarten ist etwas nackt, der Winter hat so einiges hinweggerafft, und nun ist die Zeit, ihn wieder zu begrünen, oder wie man das in Bayern mit einem Terminus technicus umschreibt: Es ist Zeit zum goatln (garteln).
Der bürgerliche Bayer als ein solcher ist in der Regel mit einer Frau gesegnet, die immer so viel Pflanzen anschleppt, dass er im Sommer keinen Tag nicht ein oder zwei Stunden damit zubringt, in dem subalpinen Regenwald zumindest die 15 Quadratmeter Wiese freizuhalten, wo sie dann am Nachmittag Kaffee trinken, in den sich von den überhängenden Blättern so manches Insekt zu Tode stürzt. Genauso, wie ich an keinem Antiquariat vorbeikomme, kommt meine Frau Mama nie an einem Dehner oder ähnlichen Grünzeugdealern vorbei, und ein Plätzchen findet sich immer noch - wenn nicht, muss der Bayer als ein solcher eben noch ein Kasten an die Hauswand dübeln.
Normalerweise wird die nachfolgende Generation mit dem Überflüssigen eingedeckt, nur in meinem Fall will das nichts werden - ich habe Heuschnupfen und vertrage kaum Blumen. Weshalb ich die Kräuter anbaue, die meine Mutter mir nicht geben kann, weil sie vom Erzfeind, der gemeinen, ungeniessbaren Schnecke gefressen werden. Kräuter widerum gibt es auf dem Wochenmarkt in grosser Fülle - das hier ist mal ein Teil des Angebots an Basilikum, und während ich das knipse, drängelt sich davor das weibliche Bürgertum und will wissen, was das jeweils ist. Rechts unten zum Beispiel ist Basilikum aus Thailand - do deafas ma zwoa mitgem, mei is dea sche mit dene vahuzltn Bletta - links oben ist eine Sorte aus dem vorderen Orient, mit zarten Lila Blüten, der Renner unter den älteren Bürgerinnen, denn Lila zieht die Männer an, wer nicht mehr zieht - dea schiasst ind He, des basst, do hed i gean stuckara dreie. Einen banalen italienischen nehme ich auch, dazu die oben beschriebenen, und den mit den kleinen Blättern - nun, das nächste Mal.
Der Basilikum wird in Blätter eines rechtschauvinistischen Drecksblatts meiner Heimat eingewickelt, denn irgendeine Existenzberechtigung braucht diese altbraune Gleischschaltungs-Kamarilla ja, neben der Verkündigung der Geschwindigkeitsrekorde, mit denen sich die Dorfjugend um die hier zahlreichen Bäume am Strassenrand wickelt. Das ist eben noch echte bayerische Natur, hier wird ökolögisch gestorben, nicht an so einem laschen Betonpfeiler, an dem man auch kein Marterl anbringen kann. Die Todesanzeigen sind sowieso ein vollwertiger Blogersatz für die meisten hier... mit diesen leichten Gedanken schlendere ich durch die Altstadt, kaufe mein Brot bei einer rasend schönen Bäckereiverkäuferin von vollendeter Höflichkeit (über die ich auch mal was schreiben muss), gehe hinauf in den Stadtpalast, und goatle. Pflanze meine drei Basilikumsorten an, und probiere sie natürlich sofort aus. In einer sehr weltoffenen Mischung. Der Frischkäse vom Wochenmarkt heisst Saint Ceols und ist echter Frischkäse. Er ist zwar dreimal so teuer wie geschmacksverstärkte A&P-Chemomolkerestverwertung mit naturidentischen Aromastoffen und feuchtem Glibber (aka "Frischkäse"), schmeckt aber extrem intensiv und frisch und sollte nur in kleinen Mengen verwendet werden. Wer den noch nicht probiert hat, weiss nicht, was Frischkäse war, bevor ein paar verkommene Marketingstrategen den Begriff für minderwertigen weissen Schleim vergewaltigt haben.
Dazu dann den Schnittlauch und dreierlei Basilikum aus dem Dachgarten, das Porzellan aus der Oberpfalz, der Brotkorb und das Frühstückssilber gerafft in Berlin, der Teebecher aus dem zaristischen Russland, die Kanne aus dem England vor dem Krieg, die Tischdecke aus der Kommode, nebenbei Heines Buch der Lieder, Carl Krabbe 1887 - wertkonservativ könnte man das nennen, wäre ich nicht ziemlich links. Zumindest verweigere ich mich weitgehend der kapitalistischen Konsumwelt.
Und während ich hier sitze und geniesse, ist irgendwo ein älterer Bayer als ein solcher und dübelt in einem subalpinen Urwaldareal für den Thai-Basilikum in die Wand, an deren Innenseite ein Rosina-Wachtmeister-Bild hängt, eine gekantete Glasschrankwand mit Kirschfurnier steht und ein paar teure, pseudostylische Geschenke von Interlübke, überreicht von den anderen Frauen aus dem Kirchenvorstand, der Frauenunion oder ein paar Bierkrüge von einem Schützenverein, dessen junge Mitglieder vielleicht schon für einen Sido-mässigen Amoklauf trainieren, nachdem sie zum Frühstück eine Semmel mit Kunsthonig und eine mit Leberwurst aus dem Supermarkt gegessen haben. Irgendwo im Norden bekommt jemand wortlos ein paar Schrippen auf den Tresen geknallt, und dazu ein paar in Staniolpapier eingewickelte, fetttriefende Würste oder Buletten, und die neueste Bild-Zeitung mit Wichsbeilage, und nach dem Essen wirft er den Müll auf die Strasse. Unten, vor meinem Fenster, rennt eine Elitesse, dürr und klapprig, mit leerem Magen in die Uni, aber dafür hat sie ihren Körper auf Topform gebracht, und nachher wird sie vielleicht einen Apfel essen, auf dem Weg ins nächste Seminar, wenn es dann um Value Chains geht. Und alle werden sie mit ihrem Leben zufrieden sein, nur nicht mit der Regierung, aber die werden sie schon wegputzen, auf die eine oder andere Art.
Es ist 11 Uhr Morgen in Deutschland.
donalphons, 17:40h
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