: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 13. Juni 2005

Sehr zu empfehlen: Die Wohnungsauflöser.

Um es gleich vorauszuschicken: Das Credo, die dauernd zu wiederholende kabbalistische Beschwörung für die jetzt folgende Tätigkeit ist ein Spruch, den ich von meiner allzeit raffgierigen Grosstante gelernt habe - dofia find si scho no a Platzl - für dieses Objekt findet sich sicher noch ein passender Ort. Und meine Frau Mama, die es nicht mochte, dass meine Grosstante ihren Grossneffen schon als Kind zu solchen Plünderungstouren mitschleifte, antwortete bei jedem angeschleppten Trumm mit pikiertem Schriftdeutsch: Also, für so etwas (hier leichter Schauder in der Stimme) ist wirklich kein Platz mehr. Angesichts des riesigen, rappelvollen Lieferwagens aus Berlin sagte sie gar nichts mehr, da verschlug es ihr die Sprache. Nichtsdestotrotz sind in den letzten zwei Wochen seit meiner Rückkehr aus Berlin vier Stehlampen und zwei Spiegel von ihr konfisziert worden, und ich fragte mich heute morgen, wo die Kiste mit dem Bernadotteporzellan vom Zarenlieferanten Concordia wohl sein mag, bis ich es heute Nachmittag fand - meine Mutter hat es mitsamt Kuchen ihren neidig-blassen Freundinnen vorgesetzt, die garantiert kein Porzellan aus Karlsbad haben. Also immer daran denken: Dofia find si scho a Platzl.

Ob ich Berlin nicht doch schon vermisse, etwas zumindest, werde ich gefragt. Nein. Absolut nicht. Ich bin froh, dass ich weg bin. Ich habe Berlin schon immer nicht leiden können, und ich habe 15 Monate am Stück die Kälte, den Gestank, den Dreck, die unfreundlichen Berliner und ihre versifften Nachäffer aus der Provinz gehasst. Einmal die schmatzschaufelnden Tischsitten der Kastanienallee sehen heisst begreifen, dass das Oktoberfest eigentlich doch eine recht zivilierte Angelegenheit ist. Ich hatte eine Bauhaus-Wohnung, in der es sich aushalten liess, ich hatte das Blog hier zum Abreagieren, ich habe ein paar nette Leute kennengelernt, die sich nicht so haben gehen lassen, aber als vor einer Woche mein kleiner, blauer Punto spät Nachts die Landesgrenze nach Bayern passiert hat, dachte ich gar nicht mehr an das, was da hinter mir lag. Vorbei, aus, kein Thema, ich bin ein sonniges Gemüt, selbst mein Hass verfliegt nach ein paar Stunden. Hauptsache, ich muss da nie wieder hin.

Dennoch werde ich ab und zu hinauf fahren. Zum Plündern. Denn so sehr mir Berlin mittlerweile egal ist, so sehr fehlt hier in Bayern der Luxus, den einem der Berliner bereitwillig nachwirft. Berlin war schon immer die Blutzecke an der deutschen Lebenader, aber was heute als Privilegien- und Unterstützungsempfänger die Wirtschaft ruiniert, war etwa ein Jahrhundert lang, von 1840 bis 1940, der wirtschaftliche Motor dieses Landes. In Berlin wurde die Eisenbahn, die Dampf- und Elektroindustrie, und später dann die Industrie des Massenmords konzentriert; alles hochprofitabel und durch Exporte in andere Landesteile vorzüglich geeignet, um sie auszuplündern. Der Berliner verdiente gut anderthalb mal soviel wie der normale Deutsche, und das Verhältnis zum unterentwickelten Bayern lag bei 2:1. Setzt man voraus, dass die Lebenshaltungskosten annähernd identisch waren, konnte die bessere Gesellschaft von Berlin für Luxusartikel das drei- oder vierfache von dem ausgeben, was eine im Status entsprechende bayerische Familie (wie die meinige) zur Verfügung hatte.



Die Folgen sieht man, wenn in Berlin Haushalte aufgelöst werden. Die besseren Familien spucken Silber in Mengen aus, die alles, was man in Bayern an versilbertem Besteck findet, in den Schatten stellen. Der bayerische Antikhändler deutet auf die 90er oder 100er Stempel seiner auf schwarzem Samt ausgebreiteten Bestecke und sagt voller Stolz: WMF versilbert! Stück 10 Euro! Der Berliner Wohnungsauflöser stellt einem eine Kiste hin und sagt: Jedes Teil 2 Euro. Von einem 800er-Silberstempel hat er so viel Ahnung wie von dem Umstand, dass die Gebrüder Friedländer, die die Griffe der obigen Messer gefertigt haben, preussische Hofjuweliere waren. In Berlin habe ich nach kurzer Begeisterung über 36 versilberte Teile BSF für ein paar Euro ganz schnell aufgehört, etwas anderes als Silber zu kaufen. Alles andere lohnt sich nicht. Berlin hat solche Unmengen davon; offensichtlich waren weder die Russen noch die Metallkollekten der Weltkriege besonders effektiv.

Aber jetzt sterben die Leute, die das noch zu schätzen wussten, ihre Erben geben das Kilo für ein paar Euro an die Auflöser, und die finden noch nicht mal Kunden - denn Berlin ist heute arm. All die Illegalen dort berücksichtigt und die Steuerhinterzieher und Vermögensverstecker hier in Bayern mit einbezogen, hat sich das Verhältnis trotz Transferleistungen umgekehrt. Bayerischer Antiquitätenhandel ist fünf bis zehn mal so teuer wie Wohnungsauflöser in Berlin. In zwei Wochen Berlin kann man, wenn man die richtigen Adressen kennt, mehr zusammentragen, als in Bayern in einem Jahr - und das zu einem Bruchteil des Preises.



Das hier ist einer dieser Wohnungsauflöser. Er ist im Wedding, also einem Stadtteil, der seine Existenz dem grossen Industrieboom in der Zeit um 1900 verdankt. Es ist sinnvoll, sich bei der Suche nach derartigen Läden an die Gegenden zu halten, die früher von besseren Leuten bewohnt wurden, und das gab es im Wedding entgegen aller Gerüchte auch - in dieser Strasse, zum Beispiel. Heute ist sie heruntergekommen, die Stuckfassaden bröckeln, aber bei Nacht sieht man hinter dem ein oder anderem Fenster noch einen grossen Kristallleuchter erstrahlen.

Wohnungsauflösung in Berlin ist meist eine Kiezangelegenheit. Der Berliner geht zu den Auflösern um die Ecke, lässt sie die Einrichtung schätzen, nimmt ein paar hundert Euro für alles und glaubt, ein gutes Geschäft gemacht zu haben, für den alten Plunder. Der Wohnungsauflöser stopft das alles irgendwie in seinen kleinen Laden, der meist nur 2, 3 Zimmer hat, stapelt hoch bis unter den oft grandiosen Stuck, und so steht alles zusammen: Billige Stahllöffel neben silbernem Fischbesteck, Pressglas neben Kristallkelchen, Lausitzer Emailtopf neben japanischer Cloisonné-Vase, China-Nippes neben Murano, geschmackloser Webteppich neben Täbris, oder da oben:



Schreckliche Geschmacksverirrungen neben einem Paar Alabasterlampen aus den dreissiger Jahren, zeitlos klassisch mit speziell gefertigten Seidenschirmen. Die gleichen könnten ohne Probleme auch in einem englischen Landhaus stehen, oder bei einem Münchner Antiquitätenhändler. Tun sie auch, letzte Woche gesehen im Gärtnerplatzviertel für 550 Euro das Paar. Die auf dem Bild stehen jetzt allerdings bei mir, und gekostet haben sie 32 Euro.

Es gibt so viel davon... wie gesagt, mein Ford Transit war voll bis unter die Decke, als ich zurück kam. Manches habe ich stehen lassen. Für manches war ich einfach zu dumm. 72 Teile Hutschenreuther Porzellan für 12 Personen mit allem Drum und Dran, profiliert aus den 60er Jahren - das habe ich erst mal photographiert, meiner Mutter das Bild geschickt, festgestellt, dass ihre Gegenwehr nicht allzu gross war, und dann, als ich es kaufen wollte, war es weg. Eine Schwäbin verliess den Laden mit zwei Kisten, als ich ihn betrat. Hutschenreuther, K(rister)PM, Thomas, Seltmann, und all die alten, in den letzten Jahrzehnten untergegangenen Porzellanfirmen mit ihren exquisiten Produkten - das gilt dem Berliner wenig oder nichts, das kennt er nicht mehr. Wohnungsauflöser kennen Berliner KPM, Meissen, manchmal noch Rosenthal, das war´s dann aber auch schon. 1 Euro pro Stück ist meist schon die Obergrenze, oder bei diesem Service, 41 Teile Essgeschirr für 12 Personen:



35 Euro Ausgangspreis. Elfenbeinfarben, praktisch neu, wahrscheinlich ein mie benutztes Hochzeitsgeschenk. Mit einem damals, in den späten 50er Jahren, gewagten Motiv mit vielen kleinen, umlaufenden Sternchen auf den Spiegeln. Ein wenig verspielt, ein wenig glamurös. Es steht seit einem halben Jahr in diesem Laden, ich habe einfach keinen Platz dafür, und es passt stilistisch nicht in meine Wohnungen. Vielleicht kommt mal ein Leser in die Amsterdamer Strasse, direkt gegenüber vom Cafe Schraders, Berlin Wedding, da ist ein Laden namens Meyers Kaufhaus, im zweiten Schaufenster von links. Es ist sicher keine Rarität, keine Kostbarkeit, und so viel wird man nie brauchen - wer lädt heute noch 12 Personen ein? - aber wenn mal ein, zwei, drei, vier Teller herunterfallen, hat man immer noch genug. Oder, wenn man eine Freundin hat und sich trennt, kann man es in zwei 6er-Service teilen. Man kann sicher auch noch etwas handeln.

Man muss nur zwei Dinge können; man muss ich vorstellen können, wie es wirkt, wenn es auf einem ordentlichen Tisch steht. Und immer daran denken: Dafür findet man schon noch einen Platz. Garantiert. Und wenn nicht: Das junge Mädchen, das es bei einem sieht, sofort von den Sternchen begeistert ist und es soooo gern haben würde, das läuft schon zu Hunderten durch die angesagten Strassen von Berlin. Aber da zieht es mich nicht hin. Mich wird es in die schäbigen Gassen ziehen, in denen früher der Reichtum zu Hause war, der bei mir ein neues Zuhause bekommen wird.

Die Berliner, die geschmacklosen Vollproleten, wollen es ja nicht anders, solange sie dafür ihre zwei Euro bekommen.

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