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Dienstag, 19. Juli 2005
Sehr zu empfehlen - Hängt ihn höher!
Es war an einem verregneten Freitag Nachmittag in Berlin - so verregnet, wie Freitag Nachmittage in Berlin nun mal meistens sind. Meine kleine Schwester war gerade dem verspäteten Flugzeug aus München entstiegen und ärgerte sich, dass ihr die terroristische Gefahrenlage zwei Stunden wertvolle Shopping Time gekostet hatte. Wir fuhren zu einem grossen Nachlassgeschäft in Schöneberg, die Stimmung war nicht die Beste, und ich nahm mir vor, sie zu enterben, wenn es das ganze Wochenende so bleiben sollte. Ich bin hart im Nehmen, was Katastrophen angeht, aber Berlin und eine schlecht gelaunte kleine Schwester und Regen und jeden Tag 8 Stunden Shopping und dabei noch Chauffeur und Möbelschlepper und Spedition sein, das kann dem abgebrühtesten Theatinerstrassen Shoppingtoursurvivor die Laune verderben. Und wehe, sie kauft etwas, das ihr dann nachher nicht gefällt - dann versucht sie, es mir anzudrehen und sich im Gegenzug meines Strahlenspiegels zu bemächtigen... (hat sie dann einen Trip später tatsächlich getan)
In Schöneberg angekommen, rauschte sie in den Laden, während ich einen Parkplatz suchte. Das Ganze erwies sich letztlich als Glück, denn sie donnerte an den draussen abgestellten Lockvogelangeboten vorbei - der Trödel mit den 5-Euro-Preisen, der die Schnäppchenjäger anlockt, um ihnen dann drinnen mit mässigen Mingvasen das bayerische Fell über die Münchner Ohren zu ziehen. Mit so etwas hält sich meine kleine Schwester erst gar nicht auf. Ich schon - ich schaue mir aus Prinzip alles an. Kulturhistoriker gehen an einen Befund nun mal anders ran als Architectural Digest Leser.
Und da stand dieser Prunkspiegel, riesig, ein Monster, für sich betrachtet in jeder Hinsicht zu viel: Zu viel Ornament, zu viel Gold, zu viel übermalt, zu viele Schäden im unteren Bereich. Und, beim ersten Anheben, höllisch schwer. 30 Kilo, Vollholz, hinten mit 1 cm dicken Bohlen abgenagelt, und die Nägel erst... quadratische Köpfe, handgeschmiedet. Auch wenn der Spiegel im ersten Moment aussah wie frisch aus einem Bordell für russische Mafiosi, war er doch mindestens 100 Jahre alt. Nicht Rokoko, aber Wiener Barock, sprich 1860 bis 1880. Kein Fabrikspiegel, sondern eine massive Schreinerarbeit. Und eine Spiegelplatte so dick wie Panzerglas.
Rechts oben über meinem Trommelfell hörte ich dann ein Knirschen - die Rädchen des Gierzentrums in meinem Gehirn drehten sich in den roten Bereich. So verdammt gross, so schwer, wo soll der nur hin und wo passt das, er ist ja fast schon geschmacklos und zumindest an der Kippe, und was wird meine kleine Schwester sagen, wenn der Wagen schon nach der ersten Station voll ist und wir nochmal zurück in den Wedding müssen - wie gesagt, der Spiegel ist verdammt gross.
Ich schlos mit mir eine kleine Wette ab - wenn meine kleine Schwester eine bestimmte, gnadenlos überteuerte Vase Modell "Bayernfellabzieher" kaufen würde, dann würde ich den Spiegel nehmen, weil ein Platzerl findet sich ja immer, und für 10 Euro... da ist wirklich nichts verloren. Die Wette mit mir habe ich prompt verloren, aber weil ich nun mal auch mich selbst gern betrüge, kaufte ich ihn im letzten Moment doch noch, und handelte mir zusätzlich 10 Minuten Vorwürfe meiner kleinen Schwester ein - scheusslich, abartig, grässlich, ich hätte keinen Sinn für Qualität und wo soll sie jetzt ihre Käufe hintun - angehört. Draussen gingen Schauer nieder, ich verschloss meinen Geist und ging die Wände meines zu restaurierenden Zimmers durch, wo man dieses Monster von einem Spiegel wohl hängen könnte. So phätt, und der Raum ist so klein...
Heute morgen habe ich ausprobiert, wie er an einer Stelle symmetrisch zur Tür passt. Und was soll ich sagen:
Er hätte fast noch etwas grösser sein dürfen. Ich würde mich heute schwarz wie Merkel ärgern, wenn ich ihn damals nicht gekauft hätte. Im Licht da oben kommt das Gold ganz ordentlich, und die Schäden lasse ich so. Ich mag diese Dinge mit kleinen Macken. Und ich hasse es, wenn Antiquitäten wie neu aussehen.
Ich habe mir früher überlegt, ob ich den Raum überhaupt restaurieren soll. Die erste Idee war, die sieben verschiedenen Tapeten da abzureissen, wo sie lose sind, nur den Fussboden zu schleifen, und dann in den Verfall exquisite Möbel zu stellen. Der Frust begann beim ersten Handgriff in dem Mauerrücksprung zwischen Tür und Spiegel, wo früher ein Ölofen stand. Aus dem Kamin kam braunes Wasser, hinter der Abdeckung war alles verrostet. Das wäre trotzdem kein Problem gewesen, denn der Rücksprung wird später ein natürliches Bücherregal. Die Katastrophe kam im Anschluss: Leider hat man in den 50er Jahren die Wände mit ekelhaftem Heraklit - Platten aus gepresstem und geteerten Stroh - verkleidet und miserabel verputzt. Es kam sowieso Tapete drüber, dafür hat es gereicht. Wo heute die Tapete fehlt, bröckelt der Putz unaufhörlich, und dahinter kommen die schwarzen Fasern zum Vorschein, und entlang der Heraktitplatten enstehen gerade, horizontale Risse - Verfall in seiner hässlichsten Variante. Es gab andererseits keine Möglichkeit, das Heraklit zu entfernen. So sieht das aus der Nähe aus.
Das ist der Fluch und der Segen von alten Häusern: Man hat viele Möglichkeiten, es gibt so gut wie nichts, was man unter Bewahrung der Bausubstanz nicht damit tun könnte. Es ist unendlich viel mehr als das banale Möbelrücken, das Einrichten von modernen Häusern ist. Man kann seine Vorlagen aus Jahrhunderten der Stilgeschichte auswählen und mischen, nichts wirkt darin peinlich oder falsch, sogar so ein riesiger Prunkspiegel geht in einem kleinen Raum. Anything goes, ausser vielleicht gerade Wände, Feng Shui, Ikea, Schlichtheit und Laminatfussböden. Solche Räume brauchen etwas Prunk, um zu leben, wie die fidele Tante in ihrem alten SL-Mercedes ein Glas Sekt braucht, um auf Touren zu kommen. Aber, und das ist das Verhängnis: Man muss sich entscheiden. Eine Variante zu nehmen bedeutet, andere Varianten auszuschliessen.
Mit dem aktuellen Konzept mit Wandbespannung bin ich auf der sicheren Seite. Stoff drauf, festnageln, Stuck an die Decke, Möbel, Perser auf den Boden, Kronleuchter aufmachen und den Spiegel noch mal 7 Zentimeter höher, fertig. Kein Experiment, kein Wagemut, kein bisschen exzentrisch nach den Kriterien, die an derartige Projekte angelegt werden. Just another Hochglanzraum. Der Verfall, die wahre Geschichte dahinter wird ausgeblendet, und erst in 150 oder 200 Jahren, wenn der Stoff zu verschlissen ist, wird irgendjemand dahinterschauen und die Möglichkeit haben, auf die ich diesmal verzichte. Die Tapeten lasse ich für diese Person so. Viel Spass damit, wer immer er auch sein mag.
In Schöneberg angekommen, rauschte sie in den Laden, während ich einen Parkplatz suchte. Das Ganze erwies sich letztlich als Glück, denn sie donnerte an den draussen abgestellten Lockvogelangeboten vorbei - der Trödel mit den 5-Euro-Preisen, der die Schnäppchenjäger anlockt, um ihnen dann drinnen mit mässigen Mingvasen das bayerische Fell über die Münchner Ohren zu ziehen. Mit so etwas hält sich meine kleine Schwester erst gar nicht auf. Ich schon - ich schaue mir aus Prinzip alles an. Kulturhistoriker gehen an einen Befund nun mal anders ran als Architectural Digest Leser.
Und da stand dieser Prunkspiegel, riesig, ein Monster, für sich betrachtet in jeder Hinsicht zu viel: Zu viel Ornament, zu viel Gold, zu viel übermalt, zu viele Schäden im unteren Bereich. Und, beim ersten Anheben, höllisch schwer. 30 Kilo, Vollholz, hinten mit 1 cm dicken Bohlen abgenagelt, und die Nägel erst... quadratische Köpfe, handgeschmiedet. Auch wenn der Spiegel im ersten Moment aussah wie frisch aus einem Bordell für russische Mafiosi, war er doch mindestens 100 Jahre alt. Nicht Rokoko, aber Wiener Barock, sprich 1860 bis 1880. Kein Fabrikspiegel, sondern eine massive Schreinerarbeit. Und eine Spiegelplatte so dick wie Panzerglas.
Rechts oben über meinem Trommelfell hörte ich dann ein Knirschen - die Rädchen des Gierzentrums in meinem Gehirn drehten sich in den roten Bereich. So verdammt gross, so schwer, wo soll der nur hin und wo passt das, er ist ja fast schon geschmacklos und zumindest an der Kippe, und was wird meine kleine Schwester sagen, wenn der Wagen schon nach der ersten Station voll ist und wir nochmal zurück in den Wedding müssen - wie gesagt, der Spiegel ist verdammt gross.
Ich schlos mit mir eine kleine Wette ab - wenn meine kleine Schwester eine bestimmte, gnadenlos überteuerte Vase Modell "Bayernfellabzieher" kaufen würde, dann würde ich den Spiegel nehmen, weil ein Platzerl findet sich ja immer, und für 10 Euro... da ist wirklich nichts verloren. Die Wette mit mir habe ich prompt verloren, aber weil ich nun mal auch mich selbst gern betrüge, kaufte ich ihn im letzten Moment doch noch, und handelte mir zusätzlich 10 Minuten Vorwürfe meiner kleinen Schwester ein - scheusslich, abartig, grässlich, ich hätte keinen Sinn für Qualität und wo soll sie jetzt ihre Käufe hintun - angehört. Draussen gingen Schauer nieder, ich verschloss meinen Geist und ging die Wände meines zu restaurierenden Zimmers durch, wo man dieses Monster von einem Spiegel wohl hängen könnte. So phätt, und der Raum ist so klein...
Heute morgen habe ich ausprobiert, wie er an einer Stelle symmetrisch zur Tür passt. Und was soll ich sagen:
Er hätte fast noch etwas grösser sein dürfen. Ich würde mich heute schwarz wie Merkel ärgern, wenn ich ihn damals nicht gekauft hätte. Im Licht da oben kommt das Gold ganz ordentlich, und die Schäden lasse ich so. Ich mag diese Dinge mit kleinen Macken. Und ich hasse es, wenn Antiquitäten wie neu aussehen.
Ich habe mir früher überlegt, ob ich den Raum überhaupt restaurieren soll. Die erste Idee war, die sieben verschiedenen Tapeten da abzureissen, wo sie lose sind, nur den Fussboden zu schleifen, und dann in den Verfall exquisite Möbel zu stellen. Der Frust begann beim ersten Handgriff in dem Mauerrücksprung zwischen Tür und Spiegel, wo früher ein Ölofen stand. Aus dem Kamin kam braunes Wasser, hinter der Abdeckung war alles verrostet. Das wäre trotzdem kein Problem gewesen, denn der Rücksprung wird später ein natürliches Bücherregal. Die Katastrophe kam im Anschluss: Leider hat man in den 50er Jahren die Wände mit ekelhaftem Heraklit - Platten aus gepresstem und geteerten Stroh - verkleidet und miserabel verputzt. Es kam sowieso Tapete drüber, dafür hat es gereicht. Wo heute die Tapete fehlt, bröckelt der Putz unaufhörlich, und dahinter kommen die schwarzen Fasern zum Vorschein, und entlang der Heraktitplatten enstehen gerade, horizontale Risse - Verfall in seiner hässlichsten Variante. Es gab andererseits keine Möglichkeit, das Heraklit zu entfernen. So sieht das aus der Nähe aus.
Das ist der Fluch und der Segen von alten Häusern: Man hat viele Möglichkeiten, es gibt so gut wie nichts, was man unter Bewahrung der Bausubstanz nicht damit tun könnte. Es ist unendlich viel mehr als das banale Möbelrücken, das Einrichten von modernen Häusern ist. Man kann seine Vorlagen aus Jahrhunderten der Stilgeschichte auswählen und mischen, nichts wirkt darin peinlich oder falsch, sogar so ein riesiger Prunkspiegel geht in einem kleinen Raum. Anything goes, ausser vielleicht gerade Wände, Feng Shui, Ikea, Schlichtheit und Laminatfussböden. Solche Räume brauchen etwas Prunk, um zu leben, wie die fidele Tante in ihrem alten SL-Mercedes ein Glas Sekt braucht, um auf Touren zu kommen. Aber, und das ist das Verhängnis: Man muss sich entscheiden. Eine Variante zu nehmen bedeutet, andere Varianten auszuschliessen.
Mit dem aktuellen Konzept mit Wandbespannung bin ich auf der sicheren Seite. Stoff drauf, festnageln, Stuck an die Decke, Möbel, Perser auf den Boden, Kronleuchter aufmachen und den Spiegel noch mal 7 Zentimeter höher, fertig. Kein Experiment, kein Wagemut, kein bisschen exzentrisch nach den Kriterien, die an derartige Projekte angelegt werden. Just another Hochglanzraum. Der Verfall, die wahre Geschichte dahinter wird ausgeblendet, und erst in 150 oder 200 Jahren, wenn der Stoff zu verschlissen ist, wird irgendjemand dahinterschauen und die Möglichkeit haben, auf die ich diesmal verzichte. Die Tapeten lasse ich für diese Person so. Viel Spass damit, wer immer er auch sein mag.
donalphons, 00:04h
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Egoquote des Tages
"Journalistenblogger sind publizistische Rollstuhltänzer."
Nicht pc, na und. Getätigt von mir nach Ansicht der Tagesspiegel-Blogs.
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donalphons, 02:35h
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