: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 5. Februar 2006

Bürgertum 2.0

Es ist immer eng, es ist überfüllt, und nein, gemütlich ist es auch nicht. Die Tische sind zu klein, man wird dauernd angerempelt, und auf eine britische Entschuldigung kann man lange warten. Weil es so voll ist, normalerweise mit pastellig- unernsten, postshopping-traumatisierten., in allen Abstufungen blonden Wirtschaftsstudentinnen auf der Wartebank zum Eheleben, vielen asiatischen Touristen, die das ironischerweise für kontinentaleuropäisch halten, und Jungfamilien, die ihren Blagen schon von klein auf das Gefühl mitgeben wollen, was Besseres zu erleben und zu sein. Früher war das ein Rahmengeschäft, dann ein Friseur, und jetzt ist es ein englisches Teehaus, und der Laden brummt und schimmert in leicht ölig neokonservativ bis ich weiss nicht was ich ausser FDP wählen soll.



Immerhin wird hier Stil gebildet. An den Manieren fehlt es noch, aber das Teehaus ist etwas anderes als alles, was man in Mühldorf am Inn oder in Dachau geboten bekommt. Glas, Alu, Art Deco und Leder gibt es da längst, aber das hier, das ist neu und fügt sich nahtlos in die eigene Lebensvorstellung zwischen Golfplatz und Jaguar ein. Und ich frage mich, ob es nun eines der letzten Reservate einer aussterbenden Gattung ist, die später einmal nichts und niemand vermissen wird, oder der Nährboden für eine neue Generation des Nichts, das nicht mal mehr die Ironie besitzt, ein Faserland zu haben.

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München glimmt

Früher, ein paar Jahre, bevor ich unter die Literaten ging, muss München eine ziemlich coole Stadt für Schriftsteller jeglicher Coleur gewesen sein. Für jede Richtung gab es irgendeine Nische, einen Fördertopf, eine korrupte Sau beim Parteifunk, die das Tun ihrer Bekannten toll fand und sich dazu 3 Minuten hirnloses Geschwalle abtrotzte, bevor es wieder in die Kantine ging, wo man sich über die Notwendigkeit des kulturellen Auftrags unterhielt. Und ausserdem würden sie später auch mal einen Band mit Erzählungen machen. So ein bischen harmlose, wo was passiert, aber nicht so richtig, oder so.

Früher ging das alles. Da gab es einen Kulturreferenten an der Stelle, wo momentan gestrichen wird, was geht, damit die gute creative-space-Freundin von der Frau des OB auch weiterhin die Spielräume hat, um ihre eigenen medientechnischen Fortschritts-Ideen zu verwirklichen. Wie eine Bibliothek mit RFID-Ausleihsystem. Coole Sache. Public Private Partnership zur Kundengewöhnung im Kulturbereich, irgendwann vielleicht auch noch mit biometrischen Daten zur Selektion der de-Sade-Ausleiher, gleich ab in die Rasterfahndung.



Und mein Bekannter will wissen, wie es so in der Provinz ist, ob es da besser aussieht. Vermutlich ist das so. Wäre mal eine Idee, in der kleinen Stadt als Chronist aufzutreten und zu fragen, ob es jemand sponsorn will. In München gibt es schon noch Möglichkeiten, aber man sollte in das Konzept von oben passen. Wenn nicht, findet sich immer ein Gremium, das anders entscheidet. So ist das hier. Vielleicht, sage ich ihm, sollte er es doch hier tun, schreiben wie das jetzt so ist in diesem städtischen Terrorregime, und dann irgendwo ausserhalb der Strukturen eine Lesung machen, wird schon gehen, für die anderen sieht es auch nicht besser aus, seitdem sie das Literaturblatt gekillt haben.

Wir fahren über die Maxstrasse, die im Schnee und im Licht tieforange glimmt, und als er sagt, stimmt, müsste man mal machen, da weiss ich, dass er es nie tun wird, denn es ist keine Stadt für das Neue, das Neue wird immer von versifften Lesebühnen aus Berlin Mitte importiert oder von den üblichen Verdächtigen gemacht, aber nicht von denen, die über die Jahre an ein System gebunden waren, das es heute nicht mehr gibt. Und Auflehnen traut sich keiner, denn alle hoffen auf die Steuerzahlung einer Bank oder eines Rüstungskonzerns, der die Töpfe wieder öffnet, und die Türen zum Literaturhaus für die junge, ehrliche, unverbrauchte Kunst.

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