: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Dienstag, 20. Juni 2006

Umsonst ist alles Streben

Die Elitesse, die unter dem Bildrand so ziemlich den ganzen Nachmittag und Abend brav gelernt hat, ist jetzt verschwunden und macht wahrscheinlich in ihrer kleinen Wohnung weiter. Ich weiss nicht, ob ich vor so viel Zielstrebigkeit nicht ein wenig Achtung haben sollte, aber irgendwie sind mir solche Leute suspekt. Denen bleibt natürlich nichts anderes übrig, die nächsten Prüfungen kommen bald, und ausserdem sitzt sie zu weit unten und in die falsche Richtung, um einen Moment innezuhalten vor der Schönheit des Abends.



Einer ihrer Kollegen geht die Treppe hoch und vergewaltigt dabei mit seinem Pfeifen eine unschuldige, gar nicht so üble Melodie von Haydn, der - wie der bekannte Onkel Joschi - nix dafier konnte. Vielleicht, wenn alles vorbei ist, pfeift er ja weiter - aus dem letzten Prüfungsloch. Und ich sitze hier und warte auf den Anruf von B., die immer noch da ist, weil ihr Auto erst morgen den seit neun Monaten überfälligen TÜV bekommt.

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Wir haben den Grössten und werden Welt

Es gibt, wenn man in einem nicht ganz unprominenten Haus wohnt, so ein paar Belästigungen, die man sonst nicht kennt. Die klassische Form kommt mit Reiseunternehmen und Führungen. Die kleine Stadt kann man schlecht mit dem Bus durchfahren, also kommen sie zu Fuss, bleiben vor dem Stadtpalast stehen, und dann wird erzählt und geknipst. Und das, obwohl die Geschichte des Palastes, nüchtern betrachtet, eine aussergewöhnlich miese Angelegenheit ist; im traditionell reaktionär versifften Altbayern gibt es kaum ein Gebäude, das so viel Abartiges, Verkommenes und Krankes in sich beherbergte. Irgendwann vielleicht wird man zur Kenntnis nehmen, dass die Gesellschaft Jesu und besonders die hier intellektuell den religiösen Wahn und alle seine Folgen planende Seitenlinie nichts ist, was sich idyllisch in einen netten Rundgang einbauen liesse. Ungerechtigkeit bewegte seinen Bauherrn, die Allmacht der Totalitären richtete ihn auf.

Der berühmteste Bewohner jedenfalls findet heute noch glühende Bewunderer, und manchmal, wenn ich vom Einkaufen komme und die schwere, alte Tür aufschliesse, durch die man sein Kadaver hinausgetragen hat, kommen die Mutigsten dieser Gruppen herüber und wollen, ähem, mal reinschauen, und, äh, kann man vielleicht auch das Zimmer, wo... NEIN. Manchmal wünsche ich mir so ein Schild.



Ich habe einmal eine Gruppe reingelassen - nie wieder. Touristen, zumal mit christofaschistischem Hintergrund, sind die Pest. In diesen Tagen des Sommers 2006 hätte ich gern aber auch noch ein anderes Schild, auf dem stehen sollte: Flaggendeppen verpisst Euch. Gestern nämlich kam mal wieder einer auf mich zugedackelt, fett, gelbes T-Shirt und Bermudahose, und ich dachte schon, da kommt der nächste Societasfreak - aber nein, er hatte einen anderen Wunsch. Nämlich, wo das Haus doch so eine schöne Stange hat, warum da jetzt eigentlich keine Deutschlandfahnde dranhängt.

Wer historisch etwas bewandert ist weiss, dass Fahnenstangen an Häusern erst im 19. Jahrhundert aufkamen; davor hat man die Fahnen aus dem Fenster gehängt. Fahnenstangen stammen meist aus der Zeit des deutschen Reiches und wurden gern bei Paraden benutzt, oder wenn einmal der Kronprinz kam. Den hat mein Clan sogar einmal in das besagte Zimmer gelassen. Paraden gingen bei uns oft vorbei, schliesslich lag die Kaserne gleich daneben. Und darüberhinaus hatte mein Clan einen erhöhten Anpassungsdrang, was dazu führte, dass man am entsprechend grossen Haus eine Fahnenstange anbringen liess, die damals zu den grössten der Stadt gehörte.



Es folgte Gold gab ich für Eisen und Blut für das süss zu besterbende Vaterland, dann war eine Weile Ruhe, dann, 1944, als der Clan zwischen London, Bergen-Belsen, Franken, Tel Aviv und Kanada zerstreut und kein einziger mehr hier war, die Hakenkreuzfahne der sich als solche dünkenden neuen Eigentümer, die 1945 dann auf weisse Fahnen umstiegen und ein beschleunigtes Restitutionsverfahren einleiteten - was man halt so tut, wenn der frühere Besitzer im amerikanischen Jeep kommt und eine Maschinenpistole dabei hat. Und ein gefürchteter Jäger ist.

Die letzten Soldaten, die an dieser Fahnenstange und dem daran hängenden weissen Leintuch vorbei kamen, waren in einem Fuhrwerk, von dem meine Grossmutter ab und an erzählte. In der Kaserne hatten sich ungarische Pfeilkreuzler einquartiert, die vor der Roten Armee nach der Befreiung von Budapest geflohen waren. Sie lagen in dem Fuhrwerk, und ihre Köpfe wackelten bei der Fahrt über das Kopfsteinpflaster synchron hin und her, als würden sie am Firmament ein Tennisspiel betrachten. Über die Gründe, warum man gleich ein Fuhrwerk zum Abtransport der Kadaver brauchte, gibt es verschiedene Versionen: Die einen sagen, die Pfeilkreuzler wären an einer Seuche und Entkräftung gestorben, andere reden von einem Massenselbstmord aus Angst, nach Ungarn ausgeliefert zu werden. Nun waren Pfeilkreuzler nicht der Typ Unmensch, der freiwillig gehungert hat, wenn er mit vorgehaltener Waffe stehlen konnte, und Selbstmord passt auch nicht zu ihrem Charakter. Wahrscheinlicher ist also eher die dritte Version: In der Stadt waren zwei KZ-Aussenlager, und die Pfeilkreuzler hatten das Pech, von deren befreiten Insassen mit der ähnlich gekleideten SS verwechselt zu werden.

Wie auch immer: Bei diesem letzten Soldatentransport an der Fahnenstange vorbei waren sicher nicht die Falschen beteiligt, und wenn meine Grossmutter davon erzählte, dann klang immer ein Stück Stolz mit. Es war der letzte Aufmarsch, es war die richtige Fahne, und ich werde ganz sicher nicht anfangen, da noch ein Kapitel hinzuzufügen. Es ist gut, wie es ist. Wer etwas anderes denkt - bitte, es ist noch viel Platz auf dem Fuhrwerken dieser Erde für Arschlöcher, die sich für was Besseres halten, nur weil sie dem künstlichen Konstrukt einer Nation angehören.

Übrigens: Die 3%, die hier bei uns mit aus China importierten Billigfahnen ihr Nationalgefühl durch die Gegend fahren, entsprechen zahlenmässig den 3% unverbesserlichen Nazis in Deutschland. Und ich glaube nicht an Zufälle.

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