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Mittwoch, 28. Juni 2006
Wie der Dieb in der Nacht
werde ich kommen, leise, vorsichtig, keiner wird mich sehen oder hören, in den Schatten gedrückt werde ich durch die stillen Gassen schleichen, sobald die Sonne versunken ist
Denn nicht weit von hier ist das alte Stadthaus der Familie P., die nie zu schätzen wusste, was sie da haben. Das Haus wird jetzt verkauft, und deshalb haben sie es schon mal leergeräumt. Die wertvollen Stücke der alten Frau P. gingen schon vor Jahren an die Händler, der Rest ist solide, aber hässlich, sicher ein Fest für die anderen, die kommen werden. Aber unter all den Möbeln war noch ein Teppich, zu mühsam, den von der Last zu befreien, und als die Kirschmöbel wegkamen, waren Perser unverkäuflich, zumal in der enormen Grösse von 3,50 mal 2,70 Meter. Morgen früh kommen die Verwerter, aber heute bin ich - zufällig, vom Instinkt geleitet - daran vorbeigegangen, als der Enkel der alten Frau P. den Teppich gerade über den Asphalt zog. Schwer ist so ein grosser Teppich, fast wie eine Leiche, und er hätte diese Woche auch nicht überlebt, hätte ich das eingedrillte Gefühl, dass man so etwas nicht tut, überwunden und nachgefragt. Jetzt wartet er im Hausgang auf mich, ein erstklassiger Sarouk, und der junge Mann konnte gar nicht verstehen, wieso ich dieses alte, abgetretene Ding will, der ist von der Hochzeit seines Urgrossvater, hat die alte Frau P. immer erzählt, so 1900, 1910 muss es gewesen sein, aber bitte, wenn er mir gefällt, besser er findet einen Liebhaber, als wegschmeissen.
Man kann über diese Stadt manchmal heulen, über ihre Bewohner und ihre Blindheit, man kann aber auch einfach danke sagen und dann in der Nacht losziehen, und den Teppich, der so schwer und unförmig ist wie eine Leiche, durch die mondlose Finsternis in den Stadtpalast zerren.
Denn nicht weit von hier ist das alte Stadthaus der Familie P., die nie zu schätzen wusste, was sie da haben. Das Haus wird jetzt verkauft, und deshalb haben sie es schon mal leergeräumt. Die wertvollen Stücke der alten Frau P. gingen schon vor Jahren an die Händler, der Rest ist solide, aber hässlich, sicher ein Fest für die anderen, die kommen werden. Aber unter all den Möbeln war noch ein Teppich, zu mühsam, den von der Last zu befreien, und als die Kirschmöbel wegkamen, waren Perser unverkäuflich, zumal in der enormen Grösse von 3,50 mal 2,70 Meter. Morgen früh kommen die Verwerter, aber heute bin ich - zufällig, vom Instinkt geleitet - daran vorbeigegangen, als der Enkel der alten Frau P. den Teppich gerade über den Asphalt zog. Schwer ist so ein grosser Teppich, fast wie eine Leiche, und er hätte diese Woche auch nicht überlebt, hätte ich das eingedrillte Gefühl, dass man so etwas nicht tut, überwunden und nachgefragt. Jetzt wartet er im Hausgang auf mich, ein erstklassiger Sarouk, und der junge Mann konnte gar nicht verstehen, wieso ich dieses alte, abgetretene Ding will, der ist von der Hochzeit seines Urgrossvater, hat die alte Frau P. immer erzählt, so 1900, 1910 muss es gewesen sein, aber bitte, wenn er mir gefällt, besser er findet einen Liebhaber, als wegschmeissen.
Man kann über diese Stadt manchmal heulen, über ihre Bewohner und ihre Blindheit, man kann aber auch einfach danke sagen und dann in der Nacht losziehen, und den Teppich, der so schwer und unförmig ist wie eine Leiche, durch die mondlose Finsternis in den Stadtpalast zerren.
donalphons, 01:30h
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Deutsch als Deppenbegriff
Kommse, kommse, Augen auf und Digitalkamera ein, die Strasse runter, hier wurde deutsche Geschchte geschrieben. Im ersten Haus wohnte der echte Faustus von unserem Goethe, dann kamen die Stadtpaläste der Kapuziner und Jesuiten voller wichtiger deutscher Forscher, hier haben sie alle während der Aufklärung gewirkt, da hinten schaute der deutsche Galileo durch das Fernrohr, der deutsche Feldherr starb hier, die Asams haben das deutsche Rokoko zur Blüte getrieben, dann kommt der berühmte deutsche Klenze, und hinten ist das Münster, Süddeutschlands grösste Hallenkirche mit folgenden altdeutschen Meisterwerken, gleich daneben das Zentrum der deutschen Gegenreformation - mit diesem Müll werden die Touristen vollgeschüttet, die zu früher Stunde, kaum hat sich die Sonne erhoben, hier durch das Viertel gekarrt werden.
Fehlt eigentlich nur noch der deutsche Himmel, und die deutsche Kotze eines deutschen Kulturhistorikers, meine Kotze, genauer gesagt.
Es gehört zu den verlogenen Ritualen jeder Obrigkeit, sich irgendwie eine Legitimation zusammen zu schustern. Griechische Städte wurden von Halbgöttern begründet, Rom entsprang geflohenen Trojanern, durchrasste Völkerwanderungswarlords des frühen Mittelalters sahen sich in der Tradition des Römischen Reiches, das sie gründlich ruiniert haben, das Papsttum und die Orthodoxie logen gewohnheitsmässig Primate zusammen, die Pickelhaube entstand aus einem groben Missverständnis mittelalterlicher Helme, und das 1000-jährige Reich stellte sich als III. auch brav hinten an, wenn es um die Legitimation ging.
Allen gemein ist der Trick für die ahistorischen Deppen, der in etwa so geht: Du dumme, mickrige Wurst, Dein Leben umfasst 70, 80 Jahre, aber ich, der Herrscher, der Staat, das Konstrukt, ich bin schon Zilliarden Jahre da, das war schon immer so, also halt das Maul und zu, was ich Dir sage, Du bist nur ein Fliegenschiss und ich bin ewig. Ich erlaube Dir, mir zu huldigen und mich toll zu finden, Gründe kriegste genug, vom Künstler über den Ballidioten bis zum Ballermanngesöff, und jetzt schrei "Es lebe Deutschland" als zentrale politische Willensäusserung, kein Protest, dann ist es prima.
Man muss eingestehen, dass die Kulturgeschichte lange den Arsch für dergleichen Ansprüche hingehalten hat. Diese elende Pseudowissenschaft, die ursprünglich untrennbar verbunden war mit der obrigkeitsstaatlichen Legitimationssuche, war durchaus flexibel - entstammt der Urgrund noch der devoten Kriecherei für lokale Diktatoren, und wechselte das erst in der Zeit zwischen 1813 und 1871 langsam in Richtung "Deutschland". Das war dann auch die Zeit, in der der unsägliche Begriff "altdeutsch" zur Umschreibung mittelalterliche Kultur aufkam, verbunden mit unausrottbaren Fehlurteilen über das Wesen der Kultur.
Denn tatsächlich gab es zur "altdeutschen" Zeit keinen deutschen Nationenbegriff, weder bei den je nach Laune handelbaren Bauern, noch in den freien Städten, noch bei den Kirchen und Klöstern, noch beim Adel. Alle hatten nur das eigene Wohl im Auge, die formale Zentralmacht war irgendwo weit weg, der Rechtsbegriff war der einer marodierenden Horde Hooligans, und das, bitteschön, bis ins späte 18. Jahrhundert. Nicht umsonst griff das Bürgertum nach der 48er Revolution auf einen ferne, mittelalterliche Deutschlandillusion zurück, man wollte sich den schönen Wahn nicht durch die eigene Erinnerung vermiesen lassen. Und auch heute noch, bei den Stadtführungen, wird genau dieses Bild beschworen - sich mit der tatsächlichen Nation Deutschland auseinandersetzen, wäre architektonisch weitaus weniger reizvoll, von der 1870er Kanonengiesserei über einen ehemaligen Exerzierplatz und die Standorte zweier KZ-Aussenlager mitten in der Stadt bishin zur nach dem Krieg verschandelten Altstadt: Das alles ist tatsächlich Deutschland, aber eben keine Tradition, die man gerne anschaut.
Geht man statt dessen diese Strasse mit ihrer barocken Bebauung heute hinunter, müsste man es als Kulturhistoriker anders erklären: Da ist das Wohnhaus des durch die Lande vagabundierenden und allerorts vertriebenen Forschers Faustus, dann kommen, in italinischer Manier errichtet, die Stadtpaläste zweier italinischer Orden, deren Provinzen bayrisch waren, geforscht und gelehrt haben hier Italiner, Franzosen, Tschechen, Schweizer und ja, auch Deutsche, gesprochen haben sie aber Latein, gewechselt sind sie nach Pavia, Paris oder Prag, so war das damals, keine Ortsbindung der Elite, die Veröffentlichung der hiesigen astronomischen Entdeckungen wurden hier katholisch untersagt, weshalb sie im protestantischen Augsburg erschienen, der "deutsche" Feldherr kam aus Belgien, dieses "deutsche" Rokoko gibt es nur in Bayern, Klenze hat seine Architektur direkt bei Ledoux franzöischer Revolutionsarchitektur abgeschaut, auch die Hallenkirche ist in Deutschland einzigartig, weil ihr Bauherr in Frankreich gelebt hat und explizit eine französische Kirche wollte, und der Gegenreformator war ein Kläffer an kurzer römischer Leine. Wenn man nur etwas genauer hinschaut, wenn man nur ein klein wenig Ahnung hat, wird "Deutsch" zu einer Chimäre, einem Konstrukt für Idioten, die belogen werden wollen, aber es ist weder ein Kriterium noch eine Eigenschaft, und auch nicht legitimiert.
Wirklich deutsch aus kulturgeschichtlicher Sicht, wie gesagt, ist der Exerzierplatz, die Kasernen, die Kanonenfabrik, die Aussenlager, der Stahlbeton. Das können die Deutschlandgröler gern für ihre Legitimation haben, mehr ist da nicht, manche von denen finden das ja auch gar nicht so schlecht, wenn sie mit ihren langen Fahnen und kurzen Hirnen marschieren.
Fehlt eigentlich nur noch der deutsche Himmel, und die deutsche Kotze eines deutschen Kulturhistorikers, meine Kotze, genauer gesagt.
Es gehört zu den verlogenen Ritualen jeder Obrigkeit, sich irgendwie eine Legitimation zusammen zu schustern. Griechische Städte wurden von Halbgöttern begründet, Rom entsprang geflohenen Trojanern, durchrasste Völkerwanderungswarlords des frühen Mittelalters sahen sich in der Tradition des Römischen Reiches, das sie gründlich ruiniert haben, das Papsttum und die Orthodoxie logen gewohnheitsmässig Primate zusammen, die Pickelhaube entstand aus einem groben Missverständnis mittelalterlicher Helme, und das 1000-jährige Reich stellte sich als III. auch brav hinten an, wenn es um die Legitimation ging.
Allen gemein ist der Trick für die ahistorischen Deppen, der in etwa so geht: Du dumme, mickrige Wurst, Dein Leben umfasst 70, 80 Jahre, aber ich, der Herrscher, der Staat, das Konstrukt, ich bin schon Zilliarden Jahre da, das war schon immer so, also halt das Maul und zu, was ich Dir sage, Du bist nur ein Fliegenschiss und ich bin ewig. Ich erlaube Dir, mir zu huldigen und mich toll zu finden, Gründe kriegste genug, vom Künstler über den Ballidioten bis zum Ballermanngesöff, und jetzt schrei "Es lebe Deutschland" als zentrale politische Willensäusserung, kein Protest, dann ist es prima.
Man muss eingestehen, dass die Kulturgeschichte lange den Arsch für dergleichen Ansprüche hingehalten hat. Diese elende Pseudowissenschaft, die ursprünglich untrennbar verbunden war mit der obrigkeitsstaatlichen Legitimationssuche, war durchaus flexibel - entstammt der Urgrund noch der devoten Kriecherei für lokale Diktatoren, und wechselte das erst in der Zeit zwischen 1813 und 1871 langsam in Richtung "Deutschland". Das war dann auch die Zeit, in der der unsägliche Begriff "altdeutsch" zur Umschreibung mittelalterliche Kultur aufkam, verbunden mit unausrottbaren Fehlurteilen über das Wesen der Kultur.
Denn tatsächlich gab es zur "altdeutschen" Zeit keinen deutschen Nationenbegriff, weder bei den je nach Laune handelbaren Bauern, noch in den freien Städten, noch bei den Kirchen und Klöstern, noch beim Adel. Alle hatten nur das eigene Wohl im Auge, die formale Zentralmacht war irgendwo weit weg, der Rechtsbegriff war der einer marodierenden Horde Hooligans, und das, bitteschön, bis ins späte 18. Jahrhundert. Nicht umsonst griff das Bürgertum nach der 48er Revolution auf einen ferne, mittelalterliche Deutschlandillusion zurück, man wollte sich den schönen Wahn nicht durch die eigene Erinnerung vermiesen lassen. Und auch heute noch, bei den Stadtführungen, wird genau dieses Bild beschworen - sich mit der tatsächlichen Nation Deutschland auseinandersetzen, wäre architektonisch weitaus weniger reizvoll, von der 1870er Kanonengiesserei über einen ehemaligen Exerzierplatz und die Standorte zweier KZ-Aussenlager mitten in der Stadt bishin zur nach dem Krieg verschandelten Altstadt: Das alles ist tatsächlich Deutschland, aber eben keine Tradition, die man gerne anschaut.
Geht man statt dessen diese Strasse mit ihrer barocken Bebauung heute hinunter, müsste man es als Kulturhistoriker anders erklären: Da ist das Wohnhaus des durch die Lande vagabundierenden und allerorts vertriebenen Forschers Faustus, dann kommen, in italinischer Manier errichtet, die Stadtpaläste zweier italinischer Orden, deren Provinzen bayrisch waren, geforscht und gelehrt haben hier Italiner, Franzosen, Tschechen, Schweizer und ja, auch Deutsche, gesprochen haben sie aber Latein, gewechselt sind sie nach Pavia, Paris oder Prag, so war das damals, keine Ortsbindung der Elite, die Veröffentlichung der hiesigen astronomischen Entdeckungen wurden hier katholisch untersagt, weshalb sie im protestantischen Augsburg erschienen, der "deutsche" Feldherr kam aus Belgien, dieses "deutsche" Rokoko gibt es nur in Bayern, Klenze hat seine Architektur direkt bei Ledoux franzöischer Revolutionsarchitektur abgeschaut, auch die Hallenkirche ist in Deutschland einzigartig, weil ihr Bauherr in Frankreich gelebt hat und explizit eine französische Kirche wollte, und der Gegenreformator war ein Kläffer an kurzer römischer Leine. Wenn man nur etwas genauer hinschaut, wenn man nur ein klein wenig Ahnung hat, wird "Deutsch" zu einer Chimäre, einem Konstrukt für Idioten, die belogen werden wollen, aber es ist weder ein Kriterium noch eine Eigenschaft, und auch nicht legitimiert.
Wirklich deutsch aus kulturgeschichtlicher Sicht, wie gesagt, ist der Exerzierplatz, die Kasernen, die Kanonenfabrik, die Aussenlager, der Stahlbeton. Das können die Deutschlandgröler gern für ihre Legitimation haben, mehr ist da nicht, manche von denen finden das ja auch gar nicht so schlecht, wenn sie mit ihren langen Fahnen und kurzen Hirnen marschieren.
donalphons, 10:05h
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