Wie der Dieb in der Nacht

werde ich kommen, leise, vorsichtig, keiner wird mich sehen oder hören, in den Schatten gedrückt werde ich durch die stillen Gassen schleichen, sobald die Sonne versunken ist



Denn nicht weit von hier ist das alte Stadthaus der Familie P., die nie zu schätzen wusste, was sie da haben. Das Haus wird jetzt verkauft, und deshalb haben sie es schon mal leergeräumt. Die wertvollen Stücke der alten Frau P. gingen schon vor Jahren an die Händler, der Rest ist solide, aber hässlich, sicher ein Fest für die anderen, die kommen werden. Aber unter all den Möbeln war noch ein Teppich, zu mühsam, den von der Last zu befreien, und als die Kirschmöbel wegkamen, waren Perser unverkäuflich, zumal in der enormen Grösse von 3,50 mal 2,70 Meter. Morgen früh kommen die Verwerter, aber heute bin ich - zufällig, vom Instinkt geleitet - daran vorbeigegangen, als der Enkel der alten Frau P. den Teppich gerade über den Asphalt zog. Schwer ist so ein grosser Teppich, fast wie eine Leiche, und er hätte diese Woche auch nicht überlebt, hätte ich das eingedrillte Gefühl, dass man so etwas nicht tut, überwunden und nachgefragt. Jetzt wartet er im Hausgang auf mich, ein erstklassiger Sarouk, und der junge Mann konnte gar nicht verstehen, wieso ich dieses alte, abgetretene Ding will, der ist von der Hochzeit seines Urgrossvater, hat die alte Frau P. immer erzählt, so 1900, 1910 muss es gewesen sein, aber bitte, wenn er mir gefällt, besser er findet einen Liebhaber, als wegschmeissen.

Man kann über diese Stadt manchmal heulen, über ihre Bewohner und ihre Blindheit, man kann aber auch einfach danke sagen und dann in der Nacht losziehen, und den Teppich, der so schwer und unförmig ist wie eine Leiche, durch die mondlose Finsternis in den Stadtpalast zerren.

Mittwoch, 28. Juni 2006, 01:30, von donalphons | |comment

 
Lieber Alphons,
ich lerne zusehens die Antipoden von Bild und Text zu lieben. Mögen sich noch zählige Sonnenstrahlen über den Dächern dieser kleinen Stadt in deren Keller bohren. Es ist mir ein Genuss deren Weg beschrieben zu wissen. Ich wünsche und hoffe noch viele (auch erwärmende) Stundenbilder auf der Dachterrasse.

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Der in mondloser Nacht durch die Straßen gezerrte Sarouk: War das womöglich so ein abgetretenes Ding wie man ihn in manchen Auktionen findet?

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.....die lieben Verwerter der "alten" Sachen
......sind gerade in den Nachbargemeinden der kleinen Stadt unterwegs.

vorzugweise Kleintransporter mit osteuropäischen Kennzeichen :-)

achja, die fahren auch in den Nächten herum und suchen nach wertvollen Handelsgut.

wobei die Motive sich wohl unterscheiden werden :-)

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Es ist noch gar nicht sooo lange her, da besetzte man bei uns im eher kargen Norden leerstehende Häuser, um sie vor dem Abriss und den Haien zu bewahren. Und die osteuropäischen Resteverwerter kommen bei uns schon, gut per Handy koordiniert, wenn man seinen Sperrmüll auf die Straße stellt. Sperrmüll muss man ja eigentlich nicht anmelden, der verschwindet binnen weniger Stunden. Außer in Berlin, da ist das irgendwie sowas wie Kunst im öffentlichen Raum und gehört ins Straßenbild? Perser? Menno, dazu muss man schon ins Orient-Teppichhaus und richtig viel Geld dalassen oder Iraner kennen. Ich habe allerdings meine Flüchtlingsconnections nie genutzt, um an Trouvaillen zu kommen.

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@ louislewin: heute regnet es schon wieder, heute Nacht gab es, kurz nach dem Transport, ein Gewitter, und ich habe dennoch geschlafen wie ein Stein.

@ dean: Er muss gereinigt und etwas repariert werden, er ist nicht mehr in allerbestem Zustand, und Auktionspreise sind keine realen Preise. 2, 3000, allerhöchstens.

@ superping & Che: Du musst Dich mal mit gewissen Bekannten meinerseits in Berlin zusammensetzen, die können Dir Geschichten erzählen vom Parabelflug solcher Gegenstände: Vom Schloss in die grosse Wohnung auf die Strasse in die Bergmannstrasse ins Schloss. Eines meiner hochgeschätztesten Bücher, Aufklärung mit fingiertem Druckort um 1760, 1 Exemplar in deutschland existent, fand eine Händlerin in einer Mülltüte in einem Durf, wo man das Schlösschen gesäubert hatte.

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In Tübingen soll es einen Müllwerker geben, der sich ein komplettes Antiquitätenkabinett aus dem Inhalt der Aschentonnen zusammengestellt hat.

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Wenn das dann mal, mit einem Spot beleuchtet, im einschlägigen Antikenhandel steht, wird einem die grell kostümierte Frau mit den kupferroten Haaren eine schöne, lange Geschichte über die Hekunft erzählen. Witziger aber finde ich die wahren Geschichten von Wertschätzung, Verdamnis, Müll und Wiederauferstehung.

Besonders, wenn ich am letzten Akt als Deus ex Machina beteiligt bin.

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Das ist ähnlich wie mit Dealern, die zu ihrem Shit erzählen, es wäre direkt von einem Schiff, und man würde da einen Sailor kennen, den Ibrahim, der schon dieses und jenes maritime Abenteuer und so weiter, und in Wirklichkeit ist es vom Bahnhof und deutsche Hecke.

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Wahre Werte sind für jeden etwas anderes. Zum Glück, wie ich meine, denn sonst müsste ich womöglich meine höchsten Güter allzu teuer bezahlen und sie gar mit jedermann teilen...

Und was lernen wir daraus?
Das nächste mal mindestens drei bis vier Mittäter einplanen, wenn die Leiche inklusive iranischem Teppichwickel entsorgt werden soll.

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50 Kilo. Nie waren die beiden Strassenzüge so lang. Aber keiner hat mich gesehen. Nur meine Familie, die darf es nie erfahren.

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Welche Farben hat das prächtige Beutestück denn?

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Wieso?
Lag der nicht schon immer da?

"Wie, neu? Der ist doch nicht neu, das sieht man doch! Wenn ihr einfach nicht hinschaut, wo ihr eure Füße hinstellt, da kann ich doch nichts dafür... Schaut lieber mal meine neuen Spiegel an!"

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@ arboretum: Foto folgt. Sehr viel Rot, etwas weniger Blau, auch etwas weisser Rand - fast genau in der Form des Stuckes in diesem Raum.

@ pathologe: Nächstes Wochenende findet ein fingierter Flohmarktbesuch statt. Im Ernst, als mir meine Grosstante (!) einen Biedermeierstuhl schenken wollte, intervenierte mein Vater persönlich bei ihr und sagte, wir nehmen nichts. Und als ich ihn dann doch nahm, gab es bei uns einen Riesenkrach. Sollte der junge P. das bekannt machen, würden meine Eltern das Gesicht verlieren. Umgekehrt sitzen sie oft bei Frau Dr. K., die den Grossteil ihrer Möbel von Patienten geschenkt bekommen hat und das auch offen sagt, und finden deren Haus ganz toll. Verrückte Welt.

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Pluralis Majestatis des Vaters? ;-)

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Das gibt es Bayern öfters:

- Dös homma no nia ned gmocht
- Mia san Mia
- Mia kaffa nix
- Mia nemma nix

Schaltet Widersprüche schon im Vorfel aus. Den Biedermeierstuhl habe ich übrigens dennoch bekommen.

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Wir sagen in diesem Fall: Da denken wir drüber nach.

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Mit Nachdenken war da nichts, die Gier hat in Bruchteilen einer Sekunden ein Loch in meinen Anstand gebombt, so gross, dass der voll ausgebreitete Sarouk komplett durchgepasst hätte.

Und jetzt gehe ich auf den Wochenmarkt und ratsche das rum. So samma.

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Das meine ich nicht. Wenn bei uns jemand sinngemäß sagt: Dös homma no nia ned gmocht
- Mia san Mia
- Mia kaffa nix
- Mia nemma nix,

dann heißt das bei uns: "Da denken wir drüber nach".

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Vorher-Nachher-Bilder wären schick.

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Aus der Serie:
Da reicht auch das Weitwinkelobjektiv nicht aus - die Folge: Sarouk um 1910.



Oben hat er leider viele Schäden, aber da kommt sowieso was drauf. Im Esszimmer, wo er hinkommt, bleiben an allen Rändern 40-60 Zentimeter ohne Teppich. Fast perfekt.

Heftig ist natürlich der reale Wertverlust bis zum Erreichen meiner Wohnung: Familie P. gab 1910 dafür eine Summe aus, die in etwa einem heutigen Mittelklasse-Mercedes entsprochen hätte.

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@che: Die hanseatische und die japanische Kultur gleichen sich nicht nur in diesem Punkt. So sans hoid, die Saupreißn.

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Yeah, und wahrscheinlich würden sie sich as Feitl in den Wanst rammen, wenn man sie beim Teppichholen unter diesen Umständen erwischen würde.

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Bei uns gibt´s aber noch die andere Variante, etwa, auf die Frage: "Du hältst wohl nichts von der ***** (Name einer Partei, Politgruppe, Firma, Verein)?" so zu antworten: "Weiß doch jeder, dass die ***** der letzte Kegelverein ist. Finde es aber gut, dass wir mit Euch nun auch in (Name einer Hansestadt) jetzt ein paar Schießbudenfiguren haben, über die wir lachen können!"

Zum Thema Japaner: Ein alter Bremer erzählte mal, dass er einen japanischen Kollegen habe, der sich als Hanseat fühle. Darauf meinte ich, ob man nicht bis ins dritte Glied in einer Hansestadt gelebt haben müsste, um als Hanseat von den Pfeffersäcken anerkannt zu werden, und da antwortete er: "Im Prinzip wohl. Aber ob er drei Glieder hat weiß ich nicht, so intim war ich mit ihm nicht."

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Dankeschön, Don, für den Blick auf den Sarouk und das schöne Parkett. Und wenn er sogar jetzt noch zwei- bis dreitausend wert ist, kostet er immer noch mehr als meine beiden letzten Autos zusammen.

Vielleicht reicht das Weitwinkelobjektiv ja doch, um später noch auf einem zweiten Bild die Leuchtkraft der Farben des gereinigten Sarouks zu zeigen. ;-) Die zugegebnermaßen auch jetzt schon beeindruckend ist.

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Nun, er war jetzt genauso teuer wie mein jetziges Auto, nämlich umsonst - ich wusste ja schon, dass in mir eine ganze Menge gemischten Blutes tröpfelt, aber dieser schwäbisch-schottische Einschlag, der gerade zum Vorschein kommt, ist mir auch neu. Aber wie man in Bayern so schön sagt: Vo de reichn Leid konst as Schpoan leana. (Von vermögenden Menschen kann man den sparsamen Einsatz finanzieller Mittel lernen) Und die Scham schwindet schnell, wenn man mal online die Vergleichsangebote anschaut (+20% Aufgeld, röchel)

das mit dem reinigen dauert sicher noch eine woche, familie agassi, einer der hoflieferanten und reinigungsspezialist der hiesigen besseren gesellschaft ist aber schon informiert.

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Nochmal genau nachgemessen: 3,65 mal 2,75 Meter, 12 mal 9 Fuss, 10 m², oh oh, was da wieder die Reinigung kostet. Das ist die Grösse, ab der alle 0,1 Meter schon spürbar ins Geld gehen.

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Das ist jetzt mal ein sehr ähnlicher Teppich aus der gleichen Zeit, auch beschädigt, nur die Bordüre und die Ecken sind schlichter:

Type: Mahajaran Sarouk

Size: 9'0" X 11'9"
Age: Circa 1910
Price: 9500.00 $

Was ich jetzt etwas übertrieben finde für einen Teppich, den man in etwas besserer Qualität in der bayerischen Provinz auch aus dem Müll kratzen kann.

wenn ich das im nächsten konzertverein nicht rumtratsche, platze ich, oder ersticke an meinen Worten

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Hilft das Bloggen denn nicht beim, ähm, Druckabbau?

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Was ich wirklich super finde an diesem Blog hier ist die Tatsache das ein Teil der Fragen die mir noch keiner beantworten konnte beantwortet wird - zum Beispiel frage ich mich seit Jahren wer ausser Omma und Oppa sich die in der ganzen Stadt staendig von seltsamen Orientteppichgeschaeften die alleweil und immer wieder den allerletzten Raeumungsverkauf - nur noch wenige Tage - aufgrund von Geschaeftseinstellung wegen Insolvenz ausrufenden Achtung- und Notschreien angebotenen Bodenschinken in die werten Wohnzimmer legt.

Jetzt weiss ichs - bleibt nur noch die Frage warum ein Raeumugsverkauf den naechsten jagt? Vielleicht weil man derlei Schinken immer leichter auf dem Spermuell erwerben kann? Ist es das?

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Nein, nicht wirklich. Bloggen ist wie es einem Baum erzählen, es bekommt ja keiner mit, den es betrifft. Das Schöne wäre, wenn es die Bagage bei uns aufrütteln würde, denn bei 9,500 Öre überlegt man es sich dreimal, ob man sowas wegschmeisst oder nicht doch lieber 200 Euro in die Reinigung investiert und dafür mal nicht Teppich Grunhiltsfick oder Bodenbelag Rektalstoess bei Ikea ordert. Natürlich hiesse es Leute zu strafen, die nett zu mir waren - aber halt auch, genau genommen, bitterböse mit der eigenen Familie umgehen. Heute Nacht wäre das Teil im Gewittersturm draufgegangen, morgen wäre es in der Müllverbrennung, so sieht´s aus. Und natürlich ist es blöd, sowas zu verschreien, wer weiss, ob die dann nicht vor der Tür stehen und sagen: Ach, unser Sohn hat versehentlich unserer allerliebsten Teppich, den wir da oben 10 Jahre lang der Nachwelt gerettet haben, hinuntergebracht, danke für das Retten, jetzt dürfen sie ihn uns wiedergeben.

Hm. Mal überlegen, wie wir das in die bessere Gesellschaft kommunizieren. Die Geschichte hat alles, was es braucht, um Aufmerksamkeit zu erregen. Nicht so gut wie der mamaschwängernde Tennislehrer, aber immerhin.

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@don: Deiner ist von den Farben her deutlich hübscher, mal als Laie gesprochen.

@franz.b.: Ein gewisser Unterschied zwischen einem antiken Perser und einem hochknotenzahligen Seidenteppich vom Allesmussrausaberdiesmalwirklichräumungsverkäufer mit Migrationshintergrund leuchtet sogar mir ein.

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nein, nein, nein hockeystab so leicht ist das nicht - auch die dauerinsolventen Teppichkaffeefahrer schwaermen in den hoechsten Toenen von ihrer Ware - und die eklatanten Preisreduktionen verringern den Preis ja auch oft nur von 10099 € auf 4999 € - insofern ist der Unterschied nicht so gross - wahrscheinlich ist es doch die Konkurrenz vom Strassenrand die das Leben sooo schwer macht.

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Herr Melissengeist, selbstverständlich beeinflussen auch in Berlin auf dem Gehsteig abgelegte Fernsehgeräte das Preisniveau von Angst&Bang Plasmaflatscreens. Aber eher indirekt.

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Was diese Teppichgeschäfte mit den Insolvenzen angeht - es gibt ein ganzes Buch im Insolvenzrecht, das sich nur mit betrügerischem Bankrott von Teppichgeschäften auseinandersetzt. Das liegt an den Schätzpreisen der Teppichen, die als Sicherheit für Kredite herhalten, und meist extrem überzogen sind. Damit lässt sich prima wirtschaften. Umgekehrt gibt es bei uns im Ort vier Clans, die das hier schon seit bis zu drei Generationen ohne Insolvenz oder reduzierte Preise machen. Ein Beispiel: Meine Eltern haben vor 30 Jahren einen Isfahan gekauft, der die vollen Krallen zweier Katzen und einige amuröse Verwicklungen meinerseits ohne Probleme überstanden hat. Erst letzten Monat wurde er wieder vom damaligen Händlerclan gereinigt. Er sieht aus wie neu, und der Händler hat das gemacht, was sein Vater vor dreissig Jahren schon angeboten hat: Einen Rückkauf angeboten. Isfahans vor der islamischen Revolution mit dokumentierter Geschichte sind heute Sammlerstücke, es gibt heute weder die Tradition noch die Qualität.

Abgesehen davon sind Perserteppiche die letzten zwei Jahre wieder todschick. Seitdem Dolce & Gabbana ihre Modelle auf Persern abgebildet haben und alle ihre Häuser (auch das machen die neben Klamotten) ausschliesslich mit alten Teppichen belegen, gibt es in einem gewissen Marktsegment, sagen wir mal AD- und International-Inerior-Abonnenten, kein Halten mehr. Und wer einen Pralinenstuhl artgerecht einsetzen will, sollte ohnehin einen Teppich haben.

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Vor fünf Jahren trat in Berlin ein Fußbodenbelagsfachverkäufer als OB-Kandidat an. Die Teppichdealerzunft hat damals angesichts der "Teppichverkäufer"-Witze nachdrücklich auf den Unterschied zwischen Teppich und Fußbodenbelag hingewiesen.
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