: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 25. September 2006

Relativ

Einer der Vorteile der Historikerausbildung ist der grosszügige Umgang mit dem, was manche für eine absolute Grösse halten: Zeit. Im Sog von langen und kurzen Chronologien vor den immer gleichen Befunden begreift man irgendwann die forschungsfeindliche, alles in Frage stellende Tatsache, dass Datierung, das Einschlagen von absoluten Fixpunkten, nicht wirklich bedeutend ist. Ob eine Fibel noch Hallstatt 4C ist oder schon La Tene 1A, ob Giselbertus seine Plastiken als junges Genie oder erfahrener Baumeister schuf, das alles ist angesichts der Schönheit und des Ausdrucks völlig irrelevant. Manche ergehen sich in dem Kleingeisttum und sehen nicht das Grosse. Das sind die Spezialisten, die später einmal lange Listen von nie gelesenen Publikationen, chronologisch geordnet ins Netz stellen. Und denen es dann so geht wie dem Franziskanerbruder Albert Langner, dessen Traktat wider die Aufklärung, gedruckt inPrag 1768, mir heute völlig ungelesen für lächerliche 5 Euro in die Hände gefallen ist, und auch diesmal, angesichts besserer Möglichkeiten nicht gelesen wurde.



Was also ist Zeit - in der Erinnerung können Sekunden über Jahre fortdauern, Niedergeschriebenes hat bessere Aussichten, aber keine Sicherheit, und so viel wird verschwendet, vertan, vergessen, Zeit kann man wirklich tot schlagen. Wenn es das ist, woran man sich später erinnert, ein langer Kampf gegen diese unentrinnbare Aabfolge, betäubt mit Medienkonsum und sofortigem Vergessen hin auf ein paar Woche Abwechslung an einem anderen Ort, wo man wieder selbst dabei ist, dann hat man die Zeit erfolgreich abgemurkst. Es ist nicht leicht, aber es geht. Prinzipiell. Die lernen das schnell.



Bedauerlich. Alle jammern über Rauchen, Zucker und Alkohol, es würde das Leben verkürzen. Aber es ist nichts gegen die Zeitverschwendung der Glotze, der antimodernen Unterhaltungsabfütterung und der scheinbaren Auswege aus der inneren Leere, die man heute lukrativ ausbeuten kann. Es ist vielleicht ein wenig exzentrisch, Zeit als etwas relatives zu begreifen, aber immerhin, es generiert Relationen, es ist nicht gleich Null, und am Ende bleibt etwas. Wenn man Glück hat.

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