Relativ

Einer der Vorteile der Historikerausbildung ist der grosszügige Umgang mit dem, was manche für eine absolute Grösse halten: Zeit. Im Sog von langen und kurzen Chronologien vor den immer gleichen Befunden begreift man irgendwann die forschungsfeindliche, alles in Frage stellende Tatsache, dass Datierung, das Einschlagen von absoluten Fixpunkten, nicht wirklich bedeutend ist. Ob eine Fibel noch Hallstatt 4C ist oder schon La Tene 1A, ob Giselbertus seine Plastiken als junges Genie oder erfahrener Baumeister schuf, das alles ist angesichts der Schönheit und des Ausdrucks völlig irrelevant. Manche ergehen sich in dem Kleingeisttum und sehen nicht das Grosse. Das sind die Spezialisten, die später einmal lange Listen von nie gelesenen Publikationen, chronologisch geordnet ins Netz stellen. Und denen es dann so geht wie dem Franziskanerbruder Albert Langner, dessen Traktat wider die Aufklärung, gedruckt inPrag 1768, mir heute völlig ungelesen für lächerliche 5 Euro in die Hände gefallen ist, und auch diesmal, angesichts besserer Möglichkeiten nicht gelesen wurde.



Was also ist Zeit - in der Erinnerung können Sekunden über Jahre fortdauern, Niedergeschriebenes hat bessere Aussichten, aber keine Sicherheit, und so viel wird verschwendet, vertan, vergessen, Zeit kann man wirklich tot schlagen. Wenn es das ist, woran man sich später erinnert, ein langer Kampf gegen diese unentrinnbare Aabfolge, betäubt mit Medienkonsum und sofortigem Vergessen hin auf ein paar Woche Abwechslung an einem anderen Ort, wo man wieder selbst dabei ist, dann hat man die Zeit erfolgreich abgemurkst. Es ist nicht leicht, aber es geht. Prinzipiell. Die lernen das schnell.



Bedauerlich. Alle jammern über Rauchen, Zucker und Alkohol, es würde das Leben verkürzen. Aber es ist nichts gegen die Zeitverschwendung der Glotze, der antimodernen Unterhaltungsabfütterung und der scheinbaren Auswege aus der inneren Leere, die man heute lukrativ ausbeuten kann. Es ist vielleicht ein wenig exzentrisch, Zeit als etwas relatives zu begreifen, aber immerhin, es generiert Relationen, es ist nicht gleich Null, und am Ende bleibt etwas. Wenn man Glück hat.

Montag, 25. September 2006, 00:42, von donalphons | |comment

 
der korken da vom wein
sollte der besser nich ab, wegen die luft? is nur 1 frage, von mir aus könn Sie ja in Ihr penthouse da machen, was Sie wollen

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Das ist nicht mein Bier, ich trinke keinen Alk. Ich vermute, die Dame hatte was gegen Wespen.

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"Aber es ist nichts gegen die Zeitverschwendung der Glotze, der antimodernen Unterhaltungsabfütterung..."

sehr richtig. deshalb kurz halten und möglichst verdrängen, dass bloggen die zweitschönste zeitverschwendung ist. wenigstens macht sie (die zeitverschwendung) in diesem fall... glücklich. und es bleibt etwas. manchmal. hoffentlich. ;o)

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ach .com Sie!
der tatort vorhin mit der furtwängler war gar nich ma so schlecht. aus privaten gründen habe ich den täter nich mehr erfahren, aber dafür das daheimgebliebene kind, das jetzt eine sms mit der täterbeschreibung auf 1 handy in einem bus nach polen, muß man sich mal vorstellen

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moooment für den tatort hätte ich / haben (?) Sie g(ebühren) e(einzugs) z(entralemäßig) ahlt. und dem wirt wird nix geschenkt. auch wenn er nichts geworden ist. das ist verzeihbar. aber wenn der supatyp beispielsweise nun anschliessend beim "call-in sender" seines vertrauens sein televisionäres gewinnspiel-telefonglück versuchen möchte, kommen wir ganz schnell wieder zur oben genannten unterhaltungsabfütterung mit garantierter zeitverschwendungschance ;o)

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Der Tatort war ja sowas wie ein Heimspiel für uns Niedersachsen. War aber keine Werbung für Land und Leute.

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Ach echt nicht?

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Aber man sieht, dass die Vorurteile nicht stimmen. In Bayern hätte der Ministerpräsident schon längst die Absetzung des Tatorts und die Köpfe einiger Intendanten gefordert.

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In Bayern lässt man sowas immer vorher abnicken, wenn man schon nicht die Schnittstelle für das Kabel aus der Staatskanzlei im Rückenmark hat.

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Auch wissenschaftliche Datierungsmethoden können bestens geeignet sein, den menschlichen Zeitbegriff zu relativieren.

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.... sooooo relativ ist das alles nicht unbedingt, zum Beispiel was den auf dem krummen Tisch balancierenden Wein angeht - ist er - sagen wir mal aus dem Medoc und dort aus dem unheilvollen Jahr 1984 so hat man eine miese Plörre auf dem Tisch, nur wenige Jahre vor oder zurueck und schwupp lecken sich die Gourmets die sproeden Lippen.

Natuerlich ist es dem im unteren Domerium gefundenen Pleuroceras spinatum ziemlich wurscht ob er jetzt 185000000 Jahre oder 185000007 Mio Jahre alt ist - aber nicht jeder taugt wie dieses treue Ammonshorn zum Leitfossil ... und ein Blog nun schon mal gar nicht, ein kleiner Stromausfall, ein vergessenes Backup, ein Schraeublein das im 19' Schrank aus unerfindlichen Gruenden an eine unguenstige Stelle faellt und pffff wie mit einem Windhauch verschwindet alles Geschwurbel und Gelaberere, alle Beitraege, alles Tief- und Flachsinnige im digitalen Himmel so wie man es erwartet hat, von Anbeginn.

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Das alles hier wird regelmässig gezogen und separat gespeichert, es gibt also eine Kopie.

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Na hoffentlich, den wirklichen Wert eines Backup erkennt man meist beim restore ;-) Aber insgesamt wird das digitale Erinnern späterer Generationen ziemlich finster sein. Aus der Sicht des "Lebenswerkes" liegt in 20 Jahren bestimmt noch in Exemplar von Liquide in der Deutschen Bibliothek, wogegen von rebellmarkt nichts erhalten sein wird (Aluminiumscheiben?). Jede babylonische Keilschrift hat das Problem des data lifecycle management besser gelöst.
Meine Arbeiten der letzten 12 Jahre für Kunden sind schon per relaunch im Nichts verschwunden. Die älteren Arbeiten als Tischler existieren alle noch.
Keine große Zeitverschwendung für mich, subjektiv betrachtet war das meiste erfüllend, auch wenn es keine dauerhaften Spuren hinterlassen wird. Aber das ständige versickern von Wissen und Inhalten im Netz wird eines Tages ein großer Verlust sein.

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Keine Frage, das Internet ist schlimmer als der Papierfrass des 19. Jahrhunderts. Papier kann man noch irgendwie retten oder abtippen, aber Dateien verschwinden irgendwann mit dem Löschvorgang einer Festplatte oder beim Vergammeln einer CD. Deshalb halte ich nicht so viel vom Begriff "Netzkultur". Kultur braucht Vergangenheit und Kontinuität, und die gibt es im Netz nur selten. Blogs kommen da allerdings noch am ehesten hin, im Sinne einer fortgeschriebenen und rubrizierten Geschichte. Aber beim Nachrichtenhackgammelfleisch der SPONler ist es noch nicht mal schade, wenndas aus dem Netz verschwindet.

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Na ja, ordentlich auf CD archiviert und per Streamertape gebackuped müsste das genauso lange halten wie Papier. Nur ändert sich die Software - mit C64-Basicfiles könnte heute niemand mehr etwas anfangen, und schon Wordstar- That´s write- oder ältere Pagemaker-Dokumente machen Schwierigkeiten. Was ist, wenn PHP durch eine völlig andere Programmsprache ersetzt wird?

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Backup und Kontrollverlust
Also ich bekomme da gar keine bzw. selten sentimentale Gefühle, wenn irgendwelche Daten verschwinden. Aber ich bin ja auch keine Bank oder sowas. Unsere Gläubigkeit an das objektive Wort (auch in Sprachen wie perl), führt uns zu der Ansicht, dass Sicherheit nur durch die Möglichkeit alles nachvollziehen zu können entsteht (wobei auch das nicht vor Interpretationen und ihren Folgen - etwa Glaubenskriegen und Rechtsanwälten - schützt).

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@che ... der Kram hier hat ja erstmal nix mit php zu tun, C64-Basicfiles bekommt man mit minimaler Muehe wohl auch noch gelesen, trotzdem, da koent Ihr backuppen so viel Ihr wollt, all das hier wird verschwinden, zwischen Disteln und Gras und Fantazilliarden von Blogposts von Fantazilliarden von blogs, das internet ist in the long run einfach ein Mengenproblem ... und irgendwann sind auch laessige Unterhaltungen von 200X auch nicht mehr so im Fokus des Interesses ...

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Für mich sind Blogs interaktive Literatur, ergo empfinde ich Bedauern, wenn etwas verschwindet.

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Zeit für das nächste Blogbuch ;-)

Ich habe schon mala ein gelöschtes Blog aud dem Google-Cache gekratzt, weil es drum zu schade war: Nicht jede Information muss bewahrt werden, aber etwas, da bin ich mir sicher, wird bleiben. Und sei es als spätere wissenschaftliche Edition aller Texte von Autorin XY.

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Franz, Du hast natürlich recht, aber sich die eigenen Best ofs als Erinnerungen aufzuheben (so wie ein Tagebuch oder ein altes Fotoalbum) dürfte ja nicht weiter schwierig sein, oder?

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Nicht jede attische Vase mit Dionysos-, Satyr- und Mänadendarstellung hat es bis in unsere Zeit geschafft. Wahrscheinlich sind sogar 80% der Meisterwerke zu Staub und Scherben geworden. Was Kriege, Zerfall und Dummheit übriglassen, ist immer nur eine Zufallsauswahl.

So wird es mit digitalen Kunstwerken auch gehen.
Ist der Gedanke daran, dass ALLES erhalten bliebe, nicht schrecklich?

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Völlig richtig!

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@ logog: Eine Frage, die sich nicht stellt. Ich lese gerade de la Bretonnes "Leben meines Vaters". Das erste Selbstzeugnis in einer Zeit, da die Oberschicht noch in Briefen schrieb, wie nett die Kitzlein sprängen, das Gras grünte, ein paar Bauern massakriert wurden und die Fischlein springen. So viel anderes ist rettungslos verloren. Es kann nie zu viele Quellen geben. Auswertung ist dann nochmal eine andere Frage, aber die Quellen sind nun mal die unverrückbaren Grenzen der Wissensmeere, auf denen der Historiker sein Freibeuterdasein führt.

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Einspruch. Meist erkennt man erst Jahre später, welchen Wert wirklich eine Datei hatte und sei es nur einer Sentimentalität wegen. (wenn ich z.B. am meine Kiss-LPs denke , welche Mitte der 80er irgendwann beim Umzug zurückblieben.) ;-)
Im Ernst: ein Medium, welches Gleichzeitigkeit, Omnipräsenz und Partizipation für alle bietet, wird irgendwann ein Problem mit der schieren Menge haben. Im Gegensatz zu manch antiker Vase wird kein Fitzelchen Information "aus Versehen" die Reise durch die Zeit überstehen. Alle künftig verfügbaren Daten müssen -jetzt- gesichert werden und kopiert und kopiert und kopiert. Eine riesige Hypothek für kommende Generation, wenn zur Jahrtausendwende die gealterten Cobol-Programmierer reanimiert wurden, die NASA ebay nach alten 65er CPUs für die Startrampen des Space shuttles absuchen läßt und kein Know-How mehr hat um, die Saturn von 1969 zu bauen.

Eine schöne Idee für einen SciFi Buch. Die Weltregierung selektiert die nach Ihrer Auffassung wichtigen Daten und kontrolliert so vollständig die historische Quellenlage.. Hmm, doch nicht so doll, oder woher kenne ich das schon. Animal Farm? Die besten Ideen sind alle schon abgegriffen. :)

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apropos kiss lps
ich hab meine noch alle, wenn Sie das getz intrissiert

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"Die Weltregierung selektiert die nach Ihrer Auffassung wichtigen Daten und kontrolliert so vollständig die historische Quellenlage."

Da gibt es einige historische Vorbilder im westlichen Raum, gerade bei Aufständen durch die Rebellen oder in der Diktatur durch die Herrscher auf der Suche nach Legitimation. Die Rebellion in England 1381 unter Wat Tyler zum Beispiel versuchte in London alle Unterlagen zu vernichten, man tötete in London, wenn möglich, die sie verfassenden Rechtspersonen. Päpste versuchten ihre Konkurrenten einer Damnatio Memoriae zu unterziehen. Karolingische Urkunden sind meist Fälschungen, und wer sich mal mit der Frühzeit des Christentums auseinandersetzt, wird eine enorme Diskrepanz zwischen Grabungsbefunden und historischer Überlieferung feststellen. Und die Art, mit der der drittklassige Gladiatorenschnibbler Galenus alle anderen Ärzte der Antike ausser Hippokrates runtergeputzt hat, sicherte dieser Pfeife und seiner Lehre Anerkennung bis ins 19. Jahrhundert.

Übrigens winseln heute viele ihren alten Tempo-Ausgaben hinterher.

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Hach, Restif de la Bretonne, der ist klasse! Tempo eher weniger, das war für mich von anfang an Müll. Aber Logogs Idee ist genial, das wäre auch ein Sci Fi, den ich gerne lesen würde!

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Stimmt, die Idee an sich, das Andenken des Gegners anschließend auszuradieren, hat genug historische Vorbilder. Diesmal müsste man aber niemand erschlagen ,es reicht ihm die Platte zu löschen. ;-)

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Hatschepsut wurde auch einfach weggemeißelt, ebenso Echnaton, aber es langte nicht.

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Che, das Buch das du gerne lesen würdest, schriebe el_loco, meines hingegen würde sich befassen mit einem mittelmäßigen, jedoch mit dem notwendigen Größenwahn des nach ewigem Ruhme strebenden Kleinbürgers ausgestatteten Schreiber, der eine Strategie entwickelt, seine Ideen möglichst breit in jedes Archiv in unterschiedlichsten Dateiformaten einzuschmuggeln. Typischerweise würde er Viren und Trojaner schreiben und danach trachten jeden Datenträger zu infizieren. Parallel dazu ist er natürlich vielschreibender Journalist mit Blog und betreibt ein zielgerichtetes Networking. Überlebte ein Datenträger, so überlebte er und wäre damit das, was Don eine Quelle nennt. Ups, das Buch gibts wahrscheinlich auch schon. Den Typus aber mit Sicherheit.

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Ich würde keinen Virus schreiben und auch keinen Troyaner, sondern einfach ein Betriebsystem oder ein Spiel. Troyaner und Viren werden gefunden und vernichtet, geklaute Betriebsysteme und Spiele haben alle gerne auf der Platte.

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logog. el_loco, tschuldigt die Namensverwechslung, aber vielleicht ist logisch und verrückt ja auch auf irgendeiner Bewusstseinsebene gar das Gleiche.

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Wie lange hält eigentlich so ein Pflaumenkuchen bei Ihnen?

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12 bis allerhöchstens 36 Stunden, je nach Gast. Ein Drittel geht sofort nach dem Backen weg.

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