: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 29. Januar 2009

Der bezaubernde Berg

Vor fast genau einem Jahr war ich am Tegernsee, habe mir die Wohnung angeschaut und gesagt: Die ist es. Es gibt Entscheidungen, von denen weiss man einfach, dass sie richtig sind. Und obwohl "billig" nicht das richtige Wort für den Kauf war, gab es keinen Augenblick des Bedauerns.



Was mir hier aufgefallen ist: Ich kann besser nachdenken. Besonders, wenn ich den Berg vor dem Haus besteige. Inzwischen kenne ich hier oben jeden Stein und alle Sträucher, es ist immer noch schön, die Luft ist sensationell gut, und besonders in den Tagen nach frischem Schneefall fühle ich mich wie inmitten einer Grisaillemalerei der burgundischen Hofschule um 1410, man lese nach bei "Der Herbst des Mittelalters".

Es ist seltsam, was einem in dieser grandiosen und fremdartigen Welt so alles einfällt. Ich suchte nach einem Ansatz, nach etwas, woran man eine Idee aufhängen konnte, aber es ist nicht so einfach am See, wo man nicht viel wirklich Nachhaltiges erlebt. Die naheliegenden Dinge - Ausrutschen auf dem Eis unter dem Neuschnee, Knochenbruch, Erfrieren - sind nicht so angenehm, aber die Gedanken schweifen, und die Erinnerung...

Das war 2004. Im April. Da hatte ich einen Termin in München, zu dem ich aus Berlin anreiste. Mein Gegenüber war einer der bekanntesten Vertreter der Private Equity Branche. Manche halten ihn für ein Genie, und tatsächlich gehen auf sein Konto einige Husarenstücke, die man bewundern kann, wenn man BWL studiert und hofft, später mal nicht als Sachbearbeiter zu enden. Die Streiche hatten meistens ein dickes Ende für seine Geschäftspartner, aber er verliess die Trümmerfelder ohne jeden Kratzer, um neu zu beginnen und andere Bereiche in Schutt zu legen. Was ich an ihm bewundert habe, war seine Enthaltsamkeit - niemand, der ihn nicht kannte, hätte diesen zurückhaltenden Menschen auf seinem gebraucht bei Ebay gekauften Bürostühlen als das eingeschätzt, was er war - und die Kunst, in einer Welt zu überleben, in der alle anderen zum Sterben verdammt sind. Die Fähigkeit, der eine zu sein, der immer davonkommt, sich den Staub vom Anzug wischt, sich an den Rechner setzt und das nächste Projekt angeht, ohne eine Sekunde der Unsicherheit.

Wir sassen also auf den nicht allzu geschmackvollen Stühlen mit dem zerkratzten Leder und sprachen über GmbH-Gründung in Deutschland, und die Bürokratie und ihre Unzumutbarkeit für Firmen. Warten Sie, sagte er, ich muss Ihnen etwas zeigen. Er stand auf, ging zu einem Aktenschrank, und holte einen Bündel Papiere heraus. Das sei allein schon der Papierwust, den ihm der Staat zumute dafür, dass er nur einen Gärtner auf Minijob-Basis beschäftige. Damit müsse er sich auseinandersetzen. Damit. Und das. Und hiermit auch noch. Jenes müsse er nachweisen. Für einen Minijob. Das auch noch. Das dauere. Und es dauerte auch. Er redete sich in Rage über die Ineffektivität des Systems, das ihn zwinge, sich mit sowas auseinanderzusetzen.



Da war also jemand, den man getrost als Superreichen bezeichnen konnte. Jemand, zu dem man praktisch keinen Zugang bekommt, der drei Schichten Untergebene hat, um mit aufdringlichen Schwätzern und nervenden Kunden umzugehen. Eine Person, die sich perfekt abschirmen kann, aber dann... Da gehen einem so Sachen durch den Kopf. Warum machen sie es nicht einfach auf Rechnung? Warum ein Minijob? Wegen der paar lumpigen Euro? Ich kannte - was nicht schwer war, er hatte es auch gegenüber den Medien nicht verheimlicht - in etwa sein Vermögen: In der halben Stunde, die er wie ein Tier im Käfig durch das Büro lief, verdiente er durch Zinsen auf sein Vermögen mehr, als sein Gärtner im ganzen Jahr.

Am Ende wurden wir wegen eines seiner Untergebenen nicht das, was man als "handelseinig" bezeichnen könnte. In all den Stunden bei ihm habe ich trotzdem so einiges gelernt, und ausserdem fast fünf Jahre später die Idee, an der sich alles andere entwickelt. Es hat sich für mich gelohnt. Ich bin im Zauberwald. Und er vergeudet seine Lebenszeit vielleicht noch immer sinnlos über ein paar Formularen.

(Diesmal habe ich sogar ein Video von einem Teil der Abfahrt. Mal schaun, ob ich es hoch bekomme)

Edit:



Sehr langsames owirutschn, weil der Neuschnee die Strecke sehr ausgebremst hat - man sieht ja, wie die Kufen im Schnee versinken. Allerdings konnte ich wenigstens die Kamera in der linken Hand halten. Wenn ich da normalerweise über dem blanken Eis runterwildschweine, wäre die Filmerei nicht zu empfehlen. Die Strecke ist in etwa der Waldweg auf der Karte.

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