: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 4. Januar 2009

Landleben & Lügen

Es kann passieren, dass ich zu krank für den Wochenmarkt bin, und zu schlapp, um mehr als einen Platzhalter für einen Tagesbeitrag ins Blog zu setzen. Aber an einem Sonntag, da ich es gesundheitsbedingt nicht zum Flohmarkt schaffe, bin ich tot oder in einer Krankenstation ans Bett gefesselt. Ich habe es mit einem frisch gebrochenen Zeh bis nach Pfaffenhofen, über den gesamten Antikmarkt und wieder heim geschafft, da hält mich so ein läppischer - und angesichts des genetisch bedingten Allesfressermagens ohnehin lächerlicher - Totalzusammenbruch des Verdauungstraktes auch nicht auf, wenn die Tapetentische in der Nachbarschaft aufgestellt werden. Gut, mir war so schlecht, dass mir die PIN-Nummer meiner Karte entfallen ist, aber wenn ich vor einer Trouvaille stehe -



So etwas, zum Beispiel. Ich bin ja mit Villeroy und Boch grossgeworden; für meine Frau Mama ist V&B in etwa das, was Hutschenruther für mich ist: Der Inbegriff von einer hochwertigen Porzellanmarke. Das erste Service, das sich meine Eltern zusammen kauften, war folgerichtig das Dekor "Burgenland" in blau, und wenn ich als Kind die zentimeterdicke Zuckerschicht unter dem Tee ausgelöffelt hatte, starrte ich begeistert auf das von Felsen und Ruinen überragte Flusstal, das sich auf dem Boden der Tasse fand. Dieses Dekor geht zurück auf das 18. Jahrhundert, als man überall auf dem Kontinent Kupferdruckplatten als geeignetes Mittel entdeckte, Bilder auf Porzellan zu übertragen, und damit die Kosten für das teure "weisse Gold" soweit zu senken, dass es sich auch Bürgerliche leisten konnten. Nicolas Villeroy hat das Verfahren neben anderen hierzulande populär gemacht - erfunden haben es aber 1756 zwei Briten, namens John Sadler and Guy Green. Reich geworden sind damit jedoch zwei andere Herren, die nicht nur die Technik, sondern auch Gespür für den Markt und Industrialisierung hatten; Genies an der Grenze zwischen perfektem Handwerk und kühlem Rechnen: Josiah Wedgwood und Enoch Wood.



Dieses Geschirr nun nimmt ein populäres Dekor des zweiten, heute unbekannteren Meisters wieder auf: "English Scenery" nennen sich die Abbildungen, die das englische Landleben mit seinen Bauern, Cottages, Dörfern, Feldern und Tieren in etwa so harmonisch darstellen, wie man seit dem 18. Jahrhundert und seiner pastoralen Idyllen diese Umgebung eben so darzustellen pflegt, wenn man sie geniessen und nicht wie die dargestellten Leibeigenen Bauern erdulden muss. Enoch Wood war seinerzeit noch weit entfernt von den Brüchen dieses Lebens, die in "Priscilla auf Reisen" von Elizabeth von Arnim so idealtypisch zwischen ruraler Blödheit, Standesdünkeln und Bigotterie aufgezeigt werden. Oder gar den Verwicklungen zwischen Spiessertum und Fortschritt, die man aus dem Landhaus "Windy Corner" kennt, in dem E. M. Foster seine Helden weitaus weniger angenehme Dinge erleben lässt, als sie noch aus Florenz in einem Zimmer mit Aussicht kannten.



Nein, es ist eher das Idyll, das hierzulande all unsere Grosstanten aus "Der Doktor und das liebe Vieh" kannten, und die beiden dicken, alten und mit viel Gold behängten Damen, die das Geschirr mit seinen 24 Teilen feilboten und mit nicht ungewählten Ausdrücken anpriesen, dürften die Serie auch gekannt haben - vielleicht so gut, dass sie immer noch in britischen Vorkriegspreisen rechneten, anders ist der geringe Betrag, den sie forderten, nicht zu verstehen. Ein kleiner Blick in die üblichen Webseiten der Porzellanersatzteile - man mag es nicht glauben, aber tatsächlich ist der globale Vertrieb von Ersatzteilen für alte Tanten ein wirklich lukratives Onlinegeschäftsmodell - zeigt, dass die beiden das erkennbar nie genutzte Geschirr nicht ganz einzuschätzen wussten. Auch, wenn es nicht zwingend nobel aussieht, auch, wenn es bunt erscheint und etwas zu üppig dekoriert, so müsste man heute für die harmonischen Landschaften eine Schneise der Verwüstung in das eigene Budget schlagen. 500 - 600 Euro, das dürfte in etwa der Preis für alles gewesen sein, und so viel würden nicht viele nebenbei ausgeben, um zu drei anderen Servicen mit Goldrand etwas rustikal Hübsches für das kommende Frühjahr zu haben, wenn gegenüber der Terrasse wieder die Kühe mit den Glocken bimmeln.



Gezahlt habe ich, ach, irrelevant, es geht schliesslich nicht um das, was es kostet, sondern um das, was man daran findet. Ich mag dieses verklärte England, diese ruhigen Bilder, nicht, weil sie nicht verlogen wären, sondern weil ihre Verlogenheit immer noch charmanter ist, als der Betrug der Citybanker, die Gier der Hedge Fonds, die widerlichen Folgen der schlimmsten europäischen Politikerin des 20. Jahrhunderts, und dem, was dieser armen Insel in den kommenden Jahren an unschönen Folgen für die hemmungslose Hingabe an den besoffenen Zuhälter des freien Marktes droht. Eine Insel, von der aus die Industrialisierung begann, und von der nur das hier blieb:



Ein Stempel. Denn Enoch Woods Imperium brach bereits 1845 zusammen, als seine Kinder, 5 Jahre nach seinem Tod, an ihr Kapital für das Leben in Saus und Braus wollten, und es aus der Firma abzogen. Damals standen ein paar tausend Töpfer vor dem Nichts. Ein grosses, aber nicht gerade glückliches Vorbild für die späten Nachfahren von Wood & Sons, die sich nicht mit den allerbesten Gründen auf den bestenfalls entfernt verwandten, alten Enoch beriefen, aber doch von 1865 an weiter alle Welt kuntinuierlich un hochwertig mit dem klassischen Bild Englands belieferten. 140 Jahre lang, bis 2005. Dann gingen sie pleite, während die englische Landschaft zugepflastert wurde mit teuren, kreditfinanzierten Neubauten mit Krediten, die nie wieder eine Idylle hervorbringen werden.

Wie auch immer: Der bessere Teil der englischen Lügen hat einen guten Platz gefunden.

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