: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Dienstag, 6. Januar 2009

Der unfeine Tod des feinen Porzellans

Gestern war ein scheusslicher Tag. Manche werden sagen, dass die Pleite des Porzellanherstellers Wedgwood nach über 250 Jahren unvermeidlich war, war die Firma doch massiv überschuldet und litt am Konsumeinbruch auf dem amerikanischen Hauptmarkt. Und nach etwas Recherche muss ich konzidieren, dass Wedgwood, die mir seit meiner Kindheit als Inbegriff vollendeter britischer Tischkunst bekannt waren, in den letzten Jahren sicher nicht besonders gut beraten war, die meisten Linien in Indonesien von Arbeitern fertigen zu lassen, die 150 Pfund im Monat kosteten, aber daheim weiter Preise verlangten, als wären die Mitarbeiter noch immer im Hauptsitz Etruria mit Löhnen um die 2000 Pfund beschäftigt. Ich glaube, wer Wedgwood will, möchte nicht irgendetwas, das in Fernost von Billigstarbeitern gepresst und bedruckt wird, das nichts mehr zu tun hat mit der Tradition des Industriellen, Aufklärers und Künstlers Josiah Wedgwood, der seinerzeit gegen die Ausbeutung von Skalven agitierte.



Leider erwischt es neben Wedgwood - die Serie "english royal homes" in der Mitte - und Waterford, dem früher exquisiten irischen, jetzt leider osteuropäischen Hersteller der Glasschalen links, auch Hutschenreuther, die heute über die Rosenthal AG zum Konzern gehören. Auch Hutschenreuther hat eine besondere Geschichte; 1857 brannte die Weberstadt Selb nieder, und der Firmengründer setzte alles daran, die Bewohner mit seiner Porzellanfabrik wieder in Lohn und Brot zu setzen. 1917 übernahm Hutschenreuther dann die Firma Paul Müller, führte sich als Luxusabteilung weiter, und wenn ich wirklich etwas zu feiern habe, dann nehme ich das sog. Direktorengeschirr von Paul Müller, von dem die Sauciere abgebildet ist. Dieses Geschirr, weiss die Familientradition zu berichten, gehörte einem im Voralpenland tätigen Direktor, und war der grosse Stolz dieser gewiss nicht armen Seitenlinie, von der aus es mir nach drei Erbgängen - der letzte war geprägt von einem "wer will heute noch Goldrand" - zugefallen ist.

Ich will Goldrand. Und nicht nur, weil ich gerne auftrage, und ich ohnehin nur mit der Hand spüle. Ich mag edles Porzellan nicht nur, weil wir eine dicke Familientradition des Porzellanfetischismus haben, sondern auch, weil es für diesen Fetischismus einen Grund gibt, einen gutbürgerlichen Grund, der aus Porzellan mehr als nur Tischzierde macht. Denn anhand von Porzellan lässt sich die Aufklärung erzählen, anhand ihrer Verbreitung entstand das Bürgertum, die Demokratie, ein guter Teil der Industrialisierung, nur um jetzt möglicherweise, nachdem die Zwecke erfüllt sind und sich jeder alles überall kaufen kann, wieder zurückzufallen in die Hände der wenigen, die es sich leisten können und wollen, wie schon zu Beginn.

Als im 16. Jahrhundert zum ersten Mal asiatische Keramiken in grösserem Stil nach Europa importiert wurden, zögerte man nicht, sie mit Gold zu fassen: Seladonschalen zum Beispiel waren eine Weile die teuersten Handeslgüter der Erde, und selbst reiche Fürsten hatten selten mehr als ein paar Stücke asiatischen Porzellans in ihren Wunderkammern. Es dauerte bis ins 17. Jahrhundert, bis man überhaupt wagen konnte, davon zu essen, und abgesehen von den allerreichsten Schichten gab es keinen Markt. Das blieb auch noch im 18. Jahrhundert so, als Augarten, Meissen, Nymphenburg und KPM ein Monopol hatten und darüber wachten, dass die Preise hoch und die Kundschaft exklusiv blieb. Josiah Wedgwood war einer der frühen Rebellen, der das aufstrebende Bürgertum mit Serienfertigung und günstigeren Preisen im Auge hatte, andere folgten später in anderen Ländern und auf anderen Gebieten nach: Christofle wurde als Lieferant günstigen Silbers berühmt, Baccarat wurde erst nach der französischen Revolution vom fensterglashersteller zur Luxusmarke, und erst mit der Versilberung wurde Silber zum Gegenstand des täglichen Gebrauchs.

Gemeinhin denkt man ja, das Bürgertum wollte den Adel nur nachäffen; tatsächlich aber waren die Machthaber gar nicht so arg begeistert, wenn die Untertanen nach derartigen Dingen strebten. Für die Bürger bedeutete der Luxus vor allem, dass sie auch Zeit hatten, ihn zu nutzen, Tee zu trinken, nicht dauernd schuften mussten und sich über den Kuchen hinweg unterhalten zu können, über Politik etwa und Repression, oder Bücher von Heine lesen - Bürger, die Zeit haben, kommen auf die für Machthaber unerfreulichsten Ideen. Metternich wusste schon, warum er seine Spitzel in die Cafehäuser schickte, und warum er den Bürger mit Zeit fürchtete. Wer Porzellan besass, dokumentierte nicht nur seinen gesellschaftlichen, sondern auch indirekt seinen intellektuellen Aufstieg. Was für die Bürger seit dem 19. Jahrhundert von zentraler Wichtigkeit war, blieb für Arbeiter und andere aufsteigende Schichten auch im 20. Jahrhundert erst mal entscheidend: Etwas Gutes zu besitzen und die Zeit zu haben, es zu nutzen

Man mag das heute vielleicht als kindisch erachten, aber genau das war der Unterschied: Man schaue sich nur mal das Schokoladenmädchen von Jean-Étienne Liotard an: Der aussergewöhnliche Reichtum ihrer gnädigen Frau wird nicht nur durch das chinesische Lacktablett und die Silberarmierung des Porzellans verdeutlicht, sondern auch durch die Knicke in der Schürze: Sie kommt frisch aus der Truhe, sie wird also nicht immer getragen. Es ist ein Haushalt, der sogar seinen Dienstboten mehr als ein Kleid bezahlen kann. Für das 18. Jahrhundert: Ausserordentlich. Der Wunsch, sich selbst und der Familie, den Kindern mehr als nur den Alltag, das Normale, das Übliche bieten zu können, brachte die Arbeiter auf die Strasse, das Soziale in die Parlamente und die Gesellschaft voran, man wollte es schaffen und es auch zeigen, und so komisch es heute scheinen mag, wenn der Treiber dieser Entwicklung Goldrand und Spitzendecken waren:



Darf ich fragen, wohin eine Spielekonsole und ein neues Handy jedes Jahr uns gesellschaftlich so treiben werden?

Ich halte diese Frage, so komisch sie für manche scheinen mag, für hochgradig wichtig. Was lernt man davon? Benehmen? Kaum. Ausdrucksfähigkeit? Sicher nicht. Soziales Engagement? Wenn der andere mit einer anderen marke kein akzeptabler Mensch mehr ist? Das Leben als Ladevorgang, als Folge kurzfristiger Lebenszyklen vielleicht. Wenn ein feines Teeservice das Zeichen für die Zeit ist, die man sich erarbeitet hat, was sind dann die Mugs und Coffee2Gos? Die Negation, das Fehlen der Zeit, in der man eben arbeiten muss, um flexibel und einsatzbereit zu sein. Ich will nicht wissen, wieviele meiner Trouvaillen ich Leuten verdanke, die alles los werden wollen, um möglichst mit einer Kiste umziehen zu können, und für die der Starbucks überall das gleiche Internet hat.

Porzellan, gutes Porzellan zumal ist auch heute teuer, wenn man nicht gerade auf Antikmärkten jagen geht, aber mein nicht seltenes Entsetzen über 100 Euro teure Imaritellerchen ist lächerlich, wenn am Stand daneben demnächst wertlose Handys für 300 Euro verkauft werden. Es gibt einen Paradigmenwechsel, der einen iPOD mit 1000 bei iTunes runtergeladenen, kostenpflichtigen Modemusiken mehr Sozialprestige zuweist, als einem Schlosgartenservice; ich lese öfters, dass Leute in der Bahn etwas auf dem iPOD hören, als am Teetisch besprechen, und das ist es letztlich, was Wedgwood umgebracht hat: Ein partieller Wertewandel unter Thatchers Kindern und Ausgeburten von London über Berlin und Moskau bis Jakarta. Und wenn das ganze System wackelt, macht eine Firma eben ein 20 Pfund Bürobilligkleid aus Polyester und Viscose in China und zieht damit ein Modell mit Pappbecher am Bahnhof an.

Daraus resultieren zwei Fragen, eine für uns alle: Ist das Fortschritt? Und eine für uns Elite: Wie weit ist es noch bis zum Tag, da sich das Pack wieder soweit selbst verblödet, dass wir, mit Porzellan von Augarten und Nymphenburg im Grase sitzend, die Schlossgärten für uns alleine haben?

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1929

Oh. Adolf Merckle ist angeblich tot. Zum Zug überrollt. Da kommt auf die Banken sicher noch etwas zu.

Manchmal frage ich mich schon, ob es nicht an der Zeit ist, das Thema "Geld" zu demystifizieren und von "Lebensfreude" zu trennen.

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