: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Samstag, 14. November 2009

Vorwintersport

Ich bemerke die Änderung der Jahreszeit schon beim Packen für meine kleinen Wochenendreisen. Meine grosse, alte Reisetasche reicht im Sommer spielend für ein Paar Schuhe, ein paar Hemden, Wäsche, eine Hose und zwei Jacken. Im Winter werden die Jacken und Schuhe schwerer, der ein oder andere Pulli muss mit, und ein paar Bücher dürfen für die langen Abende auch nicht fehlen. Prompt ist die Tasche voll bis unter den Rand.



Das allerdings ist nicht mehr als weise Vorsorge, denn mit dem versprochenen Föhn in den Bergen ist es wie mit Godot: Man kann auf ihn warten, aber wenn er nicht gleich kommt, kann es länger dauern. Dann steht man draussen und fragt sich, warum man nicht gleich noch ein paar Schals mitgenommen hat, ein paar Bücher mehr und warme Winterdecken - die sind noch daheim, wo sie gut liegen. Derweilen liegt schiefergrau der See im Tal, und die Brise steift föhnlos von den eisigen Höhen herab.



Ja, es wird Winter, und im Keller träumen schon die Rodel von einer Handvoll Schnee unter den Kufen, um darauf erst gen Berg gezogen und danach ins Tal gerast zu werden. In zwei Wochen ist hier das, was sie "Winter Opening" nennen, aber da ist auch ein kleines Problem: Mag Rodeln auch eine dieser wunderbaren alten Sportarten sein, für die man keinen Lift und keine Karte, keinen Strom und vor allem keine Menschenansammlungen zu erdulden braucht, wie etwa beim Skifahren - so ist es doch nicht aller Gäste Sache, durch verwinkelte Kurven immer entlang des Abflugs in die wunderbare Botanik am See die Kufen in das Eis zu graben. Und ich gebe zu: Rodeln ist, wenn es richtig gemacht wird, ein Sport für harte Männer, mit allem, was Männern Spass macht, und nicht zuletzt auch der Möglichkeit, nette Tegernseerinnen ganz in Weiss in Arztpraxen kennenzulernen, wenn man aus dem Koma erwacht. Besucherinnen sind für solche Reize nicht immer empfänglich. Aber:



Trotz globaler Erwärmung ist der Sylvensteinspeicher hoch genug gelegen, um dortselbst in grosser Bergeinsamkeit vor grandioser Kulisse einen anderen Retrosport zu betreiben. Vor dem See geht es links ab zu den Skigebieten am Achensee, wo sich der Münchner mit Strohrum betrinkt und nicht auf die Idee kommt, hier zu stören. Und so kann man hier oben Schlittschuh laufen, über endlose Kilometer immer an den Ufern entlang. So man Schlittschuhe hat. Und das ist nicht so einfach, denn kaum eine Besucherin hat dergleichen noch in Zeiten der globalen Erwärmung, und auch, wenn ich genug Rodelkapazitäten für sieben Leute hätte - Schlittschuhe in allen Grössen kann ich kaum anschaffen. Wäre da nicht heute Flohmarkt am Tegernsee gewesen:



Früher war Eislaufen noch ganz anders, da hatte man ja nichts, und hätte sich wegen ein paar Tagen Sport keinesfalls neue Schuhe mit Kufen dran beschafft. Dafür hatte man weitaus bessere Schuhe als das, was heute so verklebt wird, und konnte bedenkenlos Kufen dranschrauben, wie man das eigentlich schon seit der letzten grossen Eiszeit getan hat. Dann aber kam das Wirtschaftswunder und die Konsumgesellschaft und so konnte jeder seine eigenen Schlittschuhe haben, und sich auf dem Weg vom Auto zum Eis stolpernd das Genick brechen, oder aber die Zehen abfrieren, wenn er die normalen Schuhe am Eis deponierte, was wiederum die Leute dazu brachte, zu lauter Popmusik in kleinen Eissporthallen Runden zu drehen und dabei Werbung anzuschauen. Alte Schittschuhe zum Schrauben an die Schuhe dagegen sind in der Grösse individuell anpassbar, und sehr schnell auf dem Eis mit einem kleinen Schlüssel zu befestigen. Und wie es der Zufall haben wollte, war da diese Frau, deren Grossvater alte Schlittschuhe gesammelt hatte. Und zwar nie benutzte Exemplare in der Originalverpackung. Leicht angerostet, aber immer noch scharf geschliffen.



An anderer Stelle hatte sich dann auch noch ein Schal gut 40 Jahre in der Originalverpackung erhalten. Man kennt das: Zu Weihnachten verschenkt, in den Schrank getan und seitdem nicht mehr angeschaut, der gute Wollschal mit Seide, die Erben tragen dann das Werk eines bekannten Münchner Traditionshauses so verpackt, wie es verschenkt wurde, auf den Flohmarkt und nehmen zwei Euro dafür. Oben um den Hals also der Schal, unten an den Füssen das Rennmodell "Flitzer" von Hudora - denn ich habe noch gute, genähte Stiefel aus schwarzem Leder, an die jene torpedobootförmigen Renneisen passen - und an den Händen feinste Handschuhe aus meiner Sammlung historischer Peccaryschweine, hier vermählt mit dunklem Ziegenleder an der Innenseite.



Warum eigentlich gibt es heute solche Handschuhe nicht mehr? Und für die Damen gibt es lange, feine Eisprinzessinnenhandschuhe. Eigentlich viel zu schade für den Sport und gedacht für den Auftritt im Ballsaal, aber wer ko, der ko, wie man in Bayern so schön sagt, und ausserdem stelle ich mir die Tage dort oben gar nicht kalt vor, sondern warm im gleissenden Höhenlicht. Und im grossen, erstarrten Eissaal der Berggeister sollte man ohnehin nicht schlecht angezogen erscheinen. Allein, in karierter Merinowolle, und ohne die neueste Popmusik in ständiger Gefahr, von einem überaktiven Balg umgenietet zu werden.

Rodeln macht natürlich mehr Spass. Aber man ist als Gastgeber dazu verpflichtet, die Gäste zu bespassen, und sie nicht gegen ihren Willen im Wald zu versenken.

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