: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 29. November 2009

Das Rentnerrad

Als ich jung war, bin ich im Sommer meistens von München in die heimatstadt mit Gepäck geradelt. Das dauerte keine drei Stunden und führte zum Angebot meiner Eltern, mir ein Auto zu überlassen - die B13 ist jetzt nicht die ungefährlichste aller Strassen dieses Landes. Ich radelte zum Kochelsee und Walchensee, um den Starnberger See, am Isarufer mit dem Mountainbike nach Wolfratshausen, war viel an der frischen Luft und auch reichlich gesund. Dann kam die Arbeit, dazu noch Berlin, aber ich dachte, es würde sicher noch gehen. Ausserdem hatte ich ja immer ein Fahrrad dabei, auch in Berlin, und obwohl diese Stadt der spätberufenen Fahrunfähigen noch gefährlicher als die B13 ist.

Dann ging ich Mitte 2005 zurück nach Bayern, genauer: Ich hatte Verpflichtungen in der bayerischen Provinz. Ich ging gern radeln, und dachte eigentlich nach dem Winter 2006, dass ich nun meine Räder auspacken und wieder viel durch die Donauen oder ins Altmühltal, dem Revier meiner Schulzeit - es war ein harter, langer Winter, und das Frühjahr setzte schlagartig mit voller Wucht ein. Die Bäume waren voller Pollen, ich lag in der Badewanne und wusste nicht, wie ich hier mit meiner zugeschwollenen Lunge rauskommen sollte. Als Kleinkind bin ich deshalb einmal fast gestorben, und an einem schönen Maientag 2006 hatte ich den Eindruck, dass es nun wirklich so weit ist. Dann bin ich in morbider Stimmung nach Italien gefahren, statt, wie eigentlich empfohlen, ins Krankenhaus zu gehen. Und alles war weg. Ich habe keine Allergie in Italien. Das passiert nur im deutschen Flachland, wenn ich nicht in grossen Städten bin.

Das Pfeifen hörte auf, die Nebenhöhlenentzünung verschwand, ich fuhr offen und nahm mir vor, mein Leben noch mehr zu geniessen. Allerdings gab und gibt es da ein kleines Problem mit dem Lüngerl: Das setzt seitdem relativ schnell unter Belastung zu. Nicht schon beim Bergsteigen, aber oft, wenn ich auf dem Rad sitze. Meine Beine sagen: Treten! Mein Hirn denkt: Treten! Meine Lunge schweigt schockiert und fängt nach 10 Minuten das Pfeifen an. Sprich, die Muskeln sind in der Lage erheblich mehr zu leisten, als die Lunge dafür Luft zur Verfügung stellen kann. Gerade, wenn ich tief gebeugt über dem Lenker hänge. Früher war die Lenkerposition so tief wie möglich. Heute ist das anders. Meine extremen Zeitfahrmaschinen kann ich nur noch auf kurze Strecken fahren. Dem Jagdtrieb und dem Wunsch, den Autos davonzufahren, tut die Einsicht übrigens keinen Abbruch. Das schafft dann aber das Pfeifen der Lunge.

Mein Arzt meint, dass wir alle nicht jünger werden, und solange ich noch auf den Hirschberg komme, bräuchte ich mir keine Gedanken zu machen. Am Umstand des Zerfalls lässt sich aber ebenso wenig rütteln wie an seiner Unumkehrbarkeit; ich kann das Problem minimieren, ich kann bis an die Grenzen gehen, aber das ändert nichts daran, dass die Grenzen näher sind als zu meinen Jugendtagen, als ich von 6 bis 11 auf dem Surfboard war und dann um Nachmittag um den Gardasee radelte. Kurz, ich bin alt und krank und komme nicht mehr mit meinen Zeitfahrmaschinen zurecht. Wie gut, dass ich auf der Suche nach einem Ersatzteil ein ganzes Rentnerrad gefunden habe.



(Grossbild)

Es handelt sich dabei, wie man sieht, um ein recht altes Rad, gebaut vor 8 Jahren im Rentnerland Schwaben. Es hat dicke Reifen, und bremst mich durch sein Gewicht. Es hat sich auch gezeigt, dass es für mich lahmen und kranken Mann schon im Haus eine Hilfe ist, denn damit kann ich auch Treppen runterfahren, statt mich am Rad abzuschleppen. Wie alle Oparäder ist es auch gefedert, damit ich auf den kindskopfgrossen Steinen am Aufstieg zum Leonhardstein nicht so durchgeprügelt werde. Aufrecht, sehr aufrecht sitze ich darauf, und dann hat es auch noch zur Sicherheit - die Reaktionen beim Slalom im dichten Wald sind auch nicht mehr das, was sie mal waren - Hope-Downhill-Scheibenbremsen. Überhaupt eignet es sich vor allem zum rentnerkompatiblen Bergabfahren. Man kann den Lenker extra schön weit nach oben stellen. Fehlt eigentlich nur eine Pfeife.

Nun wird mancher sagen, dass es für einen alten Sack wie mich so knapp vor der Bahre rausgeschmissenes Geld ist, einen damals knapp 6000 Mark teuren Rollatorersatz zu kaufen. Ich aber hatte das Glück, es - sparsamer, alter und bescheidener Mann, der ich bin - gebraucht zu erwerben. Es hat den ganzen Weg nach Unten mitgemacht: Erst brutale Renneinsätze, dann als Trainingsrad misshandelt, später als Stadtrad nicht gepflegt und im Winter draussen der Witterung ausgesetzt, Stürze, mangelnde Pflege, defekte Lager... wir werden alle nicht jünger. Aber als alter Opa sitzt man gern auf der Terrasse, repariert altes Zeug und freut sich, wenn es dann wieder funktioniert und mit gemässigten 80 Sachen den Berg runter geht - nur den Helm, den habe ich vergessen. Altersdemenz, nehme ich an.



Aber ansonsten ist es ein wirklich feines, äusserst dezentes Oparad in oliv und schwarz, es war in diesem Zustand sehr günstig, und es wird mir noch viel Spass beim Seniorenluftkurradeln machen: Man kann wirklich einen halben Meter hohe Steinblöcke runterfahren, und man merkt bei der Landung mit 15 Zentimeter Federweg so gut wie nichts. Bei besagtem Italienurlaub besuchte ich mit einem Bekannten auch ein Mountainbikertreffen in Riva, und fand all die überteuerten, vollgefederten Pseudomotorräder blöd - allerdings muss ich sagen, dass sie im fortgeschritteten Alter auf den hiesigen Wurzelteppichen mit 20% Gefälle doch den ein oder anderen Vorteil haben, gerade wenn die Knochen morsch werden. Und mit 16 Kilo an den Pedalen lässt man es auch beim Hochfahren endlich etwas gemütlicher und lungenkompatibler angehen.

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