: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Mittwoch, 23. Dezember 2009

Das Ende der Rottacher Hundedecken.

Ich war jung und brauchte das Geld nicht besonders. Das muss 1992 gewesen sein, im Frühling. Damals war ich in der - inzwischen längst verschwundenen - Designerabteilung von Beck am Rathauseck und sah mir die neuen Kollektionen von Gaultier und Gaultier pour Gibo an. In einer Welt, in der Schwarz das mass aller Dinge war, hatte Gaultier offensichtlich seine Vorliebe für ältere Mathematiklehrer entdeckt. Anders konnten wir - Söhne von Eltern - uns nicht vorstellen, wieso er jetzt nach all den tollen, exzentrischen schwarzen Dingen mit Schalkrägen und Schlitzen Männer unseres Alters in braunbeigem Glenn Check sehen wollte. Wir begriffen, dass wir mit der Mode nicht mehr mitkamen, und fühlten uns plötzlich sehr alt. Zwei Jahre später gab es die Muster auch bei Boss und anderen Häusern, aber da kümmerten wir uns schon nicht mehr drum und hatten, auch wegen Techno und den andrängenden Turnschuhmassen, andere Interessen.

Dieser Tag vor der neuen Linie von Gaultier markierte das Ende meiner nicht gerade bescheidenen Kleidersammelwut. Von da an trug ich auf, kaufte ab und an etwas dazu, aber es war mir nicht mehr so wichtig. Hätte man mir aber an jenem fernen Tag gesagt, dass ich dereinst innerhalb von ein paar Wochen wieder 25 Jacketts erwerben würde, mehr als je zuvor, auch in meinen schlimmsten Zeiten zwischen Annas und Holy's, und davon ein Dutzend, die wir damals verächtlich als "Hundedecken" bezeichneten - ich hätte das nicht geglaubt. Aber ich hätte mir ja auch nicht vorstellen können, dass Umfragen für die CSU auf 40-x lauten könnten. Oder dass meine Freunde von damals als Familienväter Angst habem, ihre Kinder könnten mal so werden, wie wir damals. Wie auch immer:



Über die 30 Hemden reden wir erst besser gar nicht. Aber nun ist es eben endgültig, nach 80 Jahren schliesst die Firma, bei der schon mein Grossvater und mein Vater Masskonfektion einkauften, die einfach zur Stadt gehörte und über die man sie nie besondere Gedanken gemacht hat. "Es ist egal, welche Marke drin steht, solange es von uns gemacht ist", hiess der halb bescheidene, halb grosse Anspruch, und das Elend ist: Wenn man erst mal eine gewisse Qualität gewohnt ist, kann man unendlich schlecht wieder hinabsteigen. Dann lieber ein guter Vorrat an Rottacher Hundedecken von Loro Piano, lieber ein Karo mehr als eines zu wenig, denn mit dem heutigen Tag wird hier nichts mehr nachkommen. Es ist vorbei. Und es ist kein Platz mehr im Schrank. Am Tegernsee, da ist noch Platz.

Als wäre das ferne Hohnlachen von Jean Paul Gaultier über all meine Hundedecken nicht genug, war es dann ausgerechnet auch noch das Shooting Jacket, das mir - wie alles, was mit jagd zu tun hat - bestens gestanden hat. An dieser Stelle bitte das sonore Lachen meines tiereabknallenden Grossvaters vorstellen. Man kann so etwas nicht mal in Rottach tragen, höchsten auf Bergwanderungen und beim Rodeln, aber egal - entweder man greift zu, oder man steht nie mehr, zumindest in diesem Rahmen vor der Wahl, bei so einem Stück zuzugreifen.

Früher war es ein Rausch, solche Stücke zu kaufen und auszuführen. Heute dagegen endet die Geschichte. Ich werde noch 10 Jahre haben, die Stücke aufzutragen, das Leinen zu knittern und das Kaschmir frierenden Frauen um die Schultern zu legen, so exzentrisch wie mein Sunbeam zu wirken und immer noch eine Jacke extra haben - aber lieber wäre es mir gewesen, wenn ich einfach jede Saison zwei, drei Stücke hätte nachkaufen können. So biegt sich der Schrank unter der Last, es ist die beste und einzige Lösung - eine immer noch reichlich teure Lösung, aber das ist es nicht. Es ist das Ende der Tradition, das die beste aller möglichen Welten so schal und elend erscheinen lässt. Wie der Tag, als sie das letzte Hutgeschäft der Stadt geschlossen haben, weil die Sparkasse das Haus an einen Investor verkaufte, der den Inhabern nach drei Generationen sofort kündigte. Früher war Einkaufen Verschwendung. Die letzten Wochen war es Notwehr.

Ich brauche endlich einen Schneider. Immerhin habe ich ein paar Jahre Zeit, einen zu suchen - Rottacher Hundedecken waren nach Gaultier nicht mehr modern und werden auch nicht mehr veraltet sein.

... link (10 Kommentare)   ... comment