: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 30. Dezember 2011

Mit einem Rodel kann man keinen Berg antreiben

Diese letzte Rodeltour des Jahres hat mitunter nicht ganz wenig Ähnlichkeit zu manchen beruflichen Ereignissen von 2011.



2011 war in Kommentaren und Leserbeteiligung gerechnet das erfolgreichste Jahr bislang. In absoluten Zahlen, aber auch in relativen Zahlen.



Nie wurden mehr Kommentare pro Besuche abgegeben. Das ist das, was man so gemeinhion als "Awareness" und "Stickyness" bezeichnet. Ich sehe darin eher so etwas wie ein gewisses Wohlbefinden. Für den Text werde ich bezahlt, die Kommentare sind Privatvergnügen.



Klingt gut, ist es aber nicht. Deshalb: Die Gesamtleistung relativ zum wachsenden Markt war eher nicht so toll, um es vorsichtig zu sagen. Und das, obwohl das Wachstum im Internet auch durch die Erschliessung neuer, zumeist älterer Leserschichten entsteht.



Das müsste sich eigentlich positiv bei jenen Angeboten niederschlagen, die gute Angebote für diese Zielgruppe haben - oder was man gemeinhin davon hält. Wie man sieht, hat das aber nicht wirklich funktioniert. Die Rolle im Gedruckten kommt im Internet nicht zur Geltung. Ausnahmen gibt es, ich betreibe eine dieser Ausnahmen. Aber die haben insgesamt keine Bedeutung. Man kann natürlich auch die Methodik dieser Untersuchung angreifen, und es gibt Parameter, die darin nicht auftauchen, wie etwa die Verweildauer, oder die sinnlosen, nicht lesenden Besucher über Google - das Ergebnis ist trotzdem eindeutig.



Was ich sehr oft höre ist: Dich lese ich da gern. Medientheoretiker würden sagen, dass meine Leser selektiv vorgehen. Ich merke das vor allen an den Zahlen, die ich erreiche, wenn der Beitrag längst von der Hauptseite verschwunden ist. Es gibt eine relativ grosse Zahl an Lesern, die das Blog suchen. Das Blog. Und nicht das, was dort auch angeboten wird.



Eine gewisse Selektion ist normal, aber in gesättigten Märkten wäre es dann eigentlich die Kunst, darüber hinaus den gewollten Angeboten weitere Objekte zur Seite zu stellen, die diese Selektion aufweichen, damit die Sympathie auf den Rest überspringt, hin zu einer Informations- und Erfahrungswelt. Die Süddeutsche ist in dieser Strategie inzwischen Marktführer, klüger macht es meines Erachtens die Zeit, weil es dort dezenter abläuft.



Die spannende Geschichte wäre, marktwirtschaftlich gesagt, wie man aus den Kunden, die freiwillig kommen, Kunden macht, die noch mehr mitnehmen. Das verlangt natürlich ein ganz anderes Denken als das Schachterlfüllen von Ressorts einer Zeitung, bei der das egal ist, denn gekauft ist gekauft, egal ob die Zeitung gelesen oder weggeworfen wird, ob jemand, der den Politikkommentar gelesen hat, auch noch die Opernrezension liest.



Im Internet dagegen entscheidet alleine der Leser, wie lange er bleibt, was er liest und wann er glaubt, dass sich eine Wiederkehr lohnt. Am Kiosk entscheidet die erste Seite. Im Internet entscheidet die langfristige Qualität, das Interesse und die Verständlichkeit. Es ist dann nicht mehr egal, ob der Leser vergrätzt ist. Der Leser muss das nicht nur kaufen, er muss es auch mögen.



Das Medium muss, grob gesagt, von einer respektierten Instanz zu einem geschätzten Begleiter gewandelt werden. Die Instanz besucht man mit etwas Pech, wie man den Opa zum 80. Geburtstag besucht, oder das Gericht auf Ladung oder den Supermarkt, weil man einkaufen muss, oder das Amt, weil man einen Pass braucht. Vielleicht so, wie man eine gewisse Zeitung kauft, um etwas ausdrücken zu wollen. Im Internet ist die Entscheidung dagegen sehr viel freier. Es gibt kein Gericht mehr, keine Urteile und kein Definitionsmonopol. Man muss anders überzeugen.



Und zwar dort, wo sich die Leser rumtreiben. Das verlinkte Debakel nach Zahlen weiter oben kann man eigentlich auch recht schön damit erklären, dass keine Ansätze erkennbar sind, dem Leser irgendwie nachzukriechen, wie das die meisten inzwischen durchaus machen. Oder anders gesagt: Dem Leser nicht mehr wie einem Hund den Textknochen hinwerfen. Statt dessen gibt es mehr Unübersichtlichkeit, kleinere Bilder und ein paar Klickschindereien, die bei den Kommentaren bei normalen Beiträgen deutlich zeigen, dass sie wirklich enorm unwichtig sind.



Wenn man dort die Kommentare aufruft, sieht man, dass sie komplett geladen werden. Man kann sie frei im Quelltext lesen. Einen Moment sind sie auch in HTML sichtbar, und dann schnappt das Layout die Texte wieder weg, und es bleiben nur die Überschriften. Wer lesen will, muss klicken.



Und das im Jahr 2011. Sicher, es bringt "Klicks" von denen, die man noch hat. Es ist eine Art Mausdrück-Optimierung der Bestandskunden. Aber es sind keine neuen Leser und kein Einfluss und vor allem: Keine Zukunft. Ein PI-Deckmantel vor einer Entwicklung, die sich eben nicht in steigenden Marktanteilen niederschlägt. Das wäre vielleicht anders, wenn der Bestandskunde statt des verbarrikadierten Threads weitere gute Themen fände, die dort sind, weil er dort ist.



Ich halte meinen Kommetarschnitt von 2011 mit über 200 pro Beitrag nicht für aussergewöhnlich. Ich denke, das ist eher so etwas wie ein guter Durchschnitt, den man auch realisieren könnte, wenn woanders die Leserbetreuung nicht daraus bestehen würde, Kommentare zu verstecken. Ich lese auch an anderen Stellen die Blogs - ich kenne kein angenehmeres Publikum als bei der FAZ, und es ist eine Freude, mit ihnen zu reden.



Aber ich sehe auch, ich weiss es, ich höre es, dass sie abwandern. Nicht weg von mir, aber in anderen Bereichen zu anderen Angeboten, die mit den Lesern nicht umgehen, als hätten sie in einem Lager noch ein paar Millionen andere, die später klicken, wenn die aktuellen Leser weg sind. Mitunter höre ich ein leises Grummeln, wenn sich meine Kommentatoren bei mir über andere Texte beschweren, bei denen ihre Kommentare nicht durchkommen würden: Das mag für die einen eine Beleidigung sein, für mich ist es Ausdruck einer scheiternden Kundenbeziehung.Und da hat der Kunde nun mal recht, denn er muss kaufen.



Es werden nicht mehr kommen. Die Epoche der Marktentwicklung ist vorbei, was jetzt kommt, ist die Epoche des Kampfes um Marktanteile. SPON? Stellt ein wie blöd. Welt Online? Stellt ein. Süddeutsche.de? Sucht. Zeit? Her mit den neuen Leuten. Bis 2011 konnte man wenigstens noch sagen: OK, wir haben verloren, schauen wir, dass wir 2012 wieder durchstarten. Heute muss man eher sagen: 2012 sind da draussen genug andere, die ihre ganze Kraft darauf ausrichten, die Schwächeren weiter absacken zu lassen.



Das alles sind keine Geschäftsgeheimnisse, es ist offensichtlich, und mir - nun, mir könnte es egal sein. Ich bin wie ein Rodler, ich finde meinen Weg, ich kämpfe mich hoch und weiss, wie ich schnell durch die Kurven der Diskurse eile. Aber es treibt den Berg nicht an. Dem Berg kann und soll das natürlich egal sein. So gesehen sind der Berg und ich in Einklang.



In der realen Welt... nun, die Medienkrise ist ein wenig so wie die Klimakatastrophe, es gibt Winter wie 2010, wo man nicht daran glauben mag, und Winter wie diesen, wo Ende Dezember noch nicht mal die ersten Berge richtig voller Schnee sind. Nie mehr aber wird es so sein wie vor 100 Jahren, als der See regelmässig zugefroren ist. Man muss sich dazu etwas einfallen lassen, sonst kann man den Winter als touristische Saison vergessen. Wer meint, dass er den Dauergästen drei grüne Winter präsentieren kann, ohne dass es Ersatzangebote gibt, während zwei Täler weiter die Bergwege vom Schnee funkeln, wird schnell am Ende sein, denn die Gäste ziehen weiter, wo die Schneeversprechen schöner sind. Für Print ist das Internet, und im Internet wiederum die interessantesten Onlineangebote, die inzwischen durchaus der Dauerbespassung in Skiarenen ähneln. Auch dort gibt es solche und solche, es gibt grandiose Destinationen für Ballermänner und andere für Ehrenmänner.



Aber die Berge sind auch voll von verfallenen und umgebauten Grandhotels, die nicht mal mehr als Dorfdico herhalten. Das alles dauerte auch Jahre und Jahrzehnte, aber wer im einst mondänen Brennerbad schwimmen möchte, findet an der Stelle nur ein Umspannwerk, und das erste legendäre Haus in Meran ist heute eine Schule.

Und vor jedem Verfall war früher auch die Überzeugung, man könnte bestehen, wenn man immer so weiter macht. Jedesmal, wenn ich so etwas sehe, sage ich mir: So schade. Das ist auch das, was ich sage, wenn ich an 2011 zurückdenken werde. Es war ein gutes, erfolgreiches Jahr, und es hat nichts geholfen.

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