Das Bild der Arbeitslosen

hat sich gewandelt. Schlange stehen beim Stempeln, Anzeigen durchwühlen und sich verkriechen ist nicht mehr.

*

Statt dessen rauchen. Mit anderen Arbeitslosen telefonieren, auf einem ziemlich neuen Handy, für das das Geld gerade noch reicht. Gespart wird am Essen. Der typische Stil dieser Leute hat sich hier schon seit zwei Jahren nicht mehr geändert, Hauptsache bauch/rückenfrei. Man kann noch das Zeug tragen, das man sich beim letzten Teilzeitjob in dieser Bar gekauft hat, die es dann nicht mehr gab, und deren besitzer einem noch 200 Euro schuldet. Balance halten auf dem schmalen Grat, reden, inhalieren, in der Tasche kramen, ob noch eine Packung Zigaretten da ist, und alles gleichzeitig tun, ohne wirklich etwas zu machen.

In einer Zwischenwelt leben, an die man sich gewöhnen kann. Aus der man kaum raus kommt, weil es für all die multitask-fähigen, umfassend ausgebildeten und MS-Works-erfahrenen Wohlstandskinder nichts zu tun gibt, ausser vielleicht an dem Gefühl zu ersticken, dass man nie nie nie die Sicherheit im Leben erreichen wird, die die Eltern scheinbar spielend geschafft haben. Zur Beruhigung noch eine rauchen, und dabei langsam das Ziehen im Rücken fühlen, nach einer viertel Stunde in dieser Haltung.

So sieht Arbeitslosigkeit heute aus. Leicht verschwommen, unscharf, auf eine schöne Art krank. Und die, die noch nicht so weit sind, fiebern dem einzigen Test, dem einzigen Gespräch, dem einzigen Assesment Center auf ihrer Taskliste entgegen. Wenn es nicht klappt bei diesem Spiel mit den Chancen 1:5, dann werden sie eben auch irgendwo zusammengekauert rumsitzen.

Und hoffen, dass der Dispo noch was ausspuckt, wenn die Telefonrechnung abgebucht wird.


*Symbolphoto. Die Arbeitslose vor Ihrer Haustür kann in Form und Farbe abweichen.

Mittwoch, 26. Mai 2004, 00:24, von donalphons | |comment

 
... und alle Hoffnung auf das nächste casting setzen.

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Nein. So sind meine Arbeitslosen nicht drauf. Ich habe übernächste Woche wieder ein paar Gespräche, und alle werden kompetent, intelligent und neugierig sein. Und ich werde allen absagen müssen, mit einer einzigen Ausnahme.

Ich werde mal was über Bewerbungsmappen schreiben. Wie die gemacht sind, mit wie viel Zeit und Einfallsreichtum. Jede für sich klasse. Und ich, der ich meinen "Entscheiderposten" im Kern nur ein paar frechen Telefonaten verdanke, muss mir dann eine Meinung drüber bilden. Ich hatte schon so viele Jobs. Alle waren klasse. Und ich habe mich noch nie in meinem Leben irgendwo beworben. Die dagegen...

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Wie machst Du das?
Ich gehöre weder zur einen noch zur anderen Sorte. Ich habe einen Job, hatte schon so Manchen (auch mal vier parallel nebeneinander), aber ohne Bewerbung-das kann ich mir gar nicht vorstellen. Und ich schreibe so viele Bewerbungen, dass Bekannte mich schon als Beschäftigungsprogramm für die Deutsche Post bezeichnen, um zu meinem nächsten Job zu kommen.

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mir sträuben sich die nackenhaare, sie haben das sehr klar und deutlich ausgedrückt, was ein jeder von uns täglich erlebt, wenn er denn mit offenen augen die welt ansieht.

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Fast alle schauen weg. Und die Betroffenen geben es auch nicht zu. Mies drauf sein ist immer noch ein guter Grund, jemanden nicht einzustellen.

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Chance 1:5 ...
Ganz so gut stehen die Chancen für Arbeitslose derzeit ja nicht. Die ganzen armen NE-Schweine, die das goldene Zeitalter nie erleben durften sondern nach dem Absturz erst angefangen haben MultiMediaProduktion zu studieren. Dem Zeitgeist gemäß mit Studienziel Bachelor. Bei diesen armen Mädels und Jungs kommt es (wenns gut kommt) auf 100 zu 1.

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Ich habe die zahl von einem aktuellen Fall: 1 Runde überlebt, jetzt die zweite. Dere Hauptpreis: 60 Stunden die Woche bei halbem Lohn einer normalen Kraft. In einem Beruf, der dann allerdings kaum Chancen bietet - Übernahme letztes Jahr 0 von 10, und auch dieses Jahr dürfte die Quote so bleiben.

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Woher weißt Du, daß die auf dem Foto arbeitslos ist?

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Sag ich doch: Symbolphoto ;-)

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Ja, das hatte ich verstanden. Ich versteh auch, warum Du das Foto gewählt hast. Aber als jemand, der selbst nicht gerne zufällig fotografiert wird, habe ich meine Schwierigkeiten mit solchen Fotos - den Umgang damit, der zu schnell "Etiketten" aufprägt. (Ich denke an die Anekdote auf plasticthinking.org, als Moe von einer fremden Oma an der Haltestelle einen Euro geschenkt bekam, vielleicht, weil sie ihn als "netten Junkie" etikettierte. )

Auch denke ich, daß die von Dir (gut) beschriebenen Arbeitslosen nur einen Typ unter vielen darstellen. Bei uns (ich steh an der Rezeption eines Seniorenstifts) kommen immer wieder Leute vorbei, die Arbeit suchen. Das Arbeitsamt hat ihnen gesagt, sie sollten persönlich bei uns vorbeikommen, und ich muß ihnen dann jedesmal erklären, daß sie eine schriftliche Bewerbung einreichen sollen. Zum Beispiel als Spülküchenhilfe. Unsere Vorgesetzten haben nämlich nie Lust auf Spontanbewerbungen, obwohl das Arbeitsamt und "So bewerbe ich mich richtig"-Bücher das empfehlen.

Wenn sie das verstanden haben, schieben sie ein Kärtchen über die Theke und bitten mich um den Stempel, den das Arbeitsamt oder das Sozialamt von ihnen haben will, als Beweis, daß sie sich vorgestellt haben. Das Ganze ist eigentlich eine Farce. Ich gebe ihnen den Stempel trotzdem.

Einen von ihnen erkannte ich als den jungen Inder, der sonst in einem Kiosk verkauft hatte. Er spricht kaum deutsch.

Ich bin hier kein "Entscheider". Ich kenne deren Situation sogar selbst. Ich habe fast ein schlechtes Gewissen ihnen gegenüber, was vielleicht albern ist.

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Es macht auch keinen Spass, Entscheider zu sein, glaub mir. Das ist eines der Dinge, die Dir niemand beibringt, und wenn Du selbst Leute ausbildest, deren Altersgenossen Du dann nicht nehmen kannst, ist das echt hart.

Bei uns heisst sowas Initiativbewerbung. Das macht in meinem Sektor auch Sinn, denn manchmal braucht man jemanden einfach auf die Schnelle, und dann ist es gut, wenn man jemand ohne grossen Aufwand zur Hand hat. Und desto grösser die Firma, desto eher kann das klappen - in normalen Zeiten, nicht jetzt, natürlich. Und ich muss auch sagen, dass mir diese Leute schon mal sympathisch sind, weil sie sich nicht an Regeln halten. Das würde ich als Core Asset bezeichnen wollen. Ich weiss natürlich auch, dass die von mir beschriebenen Fälle immer noch somewhat luxuriös sind, im Vergleich zu vielen anderen.

Ich will das mit diesem Bild nicht vertiefen, aber die bewusst nicht erkennbare Location und der Zeitpunkt legen die Annahme des Textes extrem nahe.

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sehr präzise beschreibung eines diffusen zustandes.

dank ich-AG und anstehender verschmelzung von arbeitslosengeld und sozialhilfe sind die aggregatszustände "dienstleister" - "arbeitssuchender" - "sozialempfänger" nicht mehr trennscharf, sondern gehen ineinanderüber. damit zu monatsanfang die bilanzen der arbeitsagentur porentief rein sind.

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wenn man erst mal soweit ist, daß man bewerbungen schreiben muß, ists schlecht. ich hab noch nie was über bewerbungen bekommen, ich kannte irgendwie immer die richtige person zur richtigen zeit an der richtigen stelle.

und so werde ich das auch in zukunft machen, nehme ich an. nach dem studium. diese zeit, vor der alle meine kommilitonen viel angst haben. ich habe vor, dann zur richtigen zeit auf der richtigen party herumgestanden zu haben.

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Good Luck
Ich wünsch Dir viel Glück.

Meinen ersten Job nach dem Studium habe ich auch auf diese Weise bekommem-alle anderen nur auf dem Wege der Bewerbung. Und da war es im Allgemeinen so: Diese Arbeitgeber gehen nicht auf Parties.

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..sehr schön getroffen..
..war selbst nach dem 9/11 und dem folgenden Mediendown knapp 1 Jahr a-los...... und Miete/Tel/Alk/Kippen waren die Prios.
...am Essen gespart!

Und das mit der Dreistheit ist echt das einzige
mit dem man die fiese Situation und Konkurrenz
ausstechen kann.

....Selbstbewusstsein ist mein einziges Kapital.

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Lieber eine lebendige Ratte als ein totes Schaf, so meine Devise.

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Seht Ihr,
das mein ich, sagte er traurig.

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Gut getroffen
Don,

Du hast es, was Herkunft und Vernetztheit angeht, aber auch gut getroffen. Ich wüsste nicht, mit wem ich frech telefonieren sollte, um in eine entsprechende Position zu kommen. Mir bleibt nichts, als die Welt mit bunten Bewerbungsmappen zu bombardieren.

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@dogfood
"dank ich-AG und anstehender verschmelzung von arbeitslosengeld und sozialhilfe sind die aggregatszustände "dienstleister" - "arbeitssuchender" - "sozialempfänger" nicht mehr trennscharf, sondern gehen ineinanderüber. damit zu monatsanfang die bilanzen der arbeitsagentur porentief rein sind. "

http://www.heise.de/ct/schlagseite/04/11/gross.jpg

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@ andrea: So was kann auch ganz schön schief gehen, Stichwort Netzwerk-Sackgasse. Irgendwann ist man in der falschen Clique, man kriegt den Ruf, dass der und der einen protegiert haben, und damit ist für viele andere der Ofen aus.

Manche jüngere Bekannte verschweigen bei ihren Bewerbungen heute lieber ein halbes Jahr als leitender Angestellter in einer peinlichen Klitsche und erfinden was von wegen Leerlauf, als das sie diese schlimmen Geschichten hochkonmmen lassen. Und davon sind ganze Branchen betroffen: Content Syndication ist so ein Bereich, der sich bei Journalisten schlecht macht. Oder manche Teilbereiche von Kirch, Kinowelt, EM.TV, in die man nur mit entsprechenden bekannten reinkam - das sollte man heute alles besser nur ganz leise erwähnen, wenn überhaupt.

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die Sache mit den Bewerbungsmappen
da freu ich mich schon auf Ihre Ausführungen.

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neue Arbeitslose
Beruhigend, dass es auch andere Leute gibt, denen es wie mir geht. Da macht man das beste Abi seiner Jahrgangsstufe, schuftet sich 6 Jahre im Studium ab und schließt als eine der besten ab, ist am Ende aber trotzdem arbeitslos. Und wird von den Behörden behandelt, als wäre man auch noch selbst schuld daran...

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Neuregelung
Um die umständliche Bewerbungsprozedur künftig abzuschaffen, werden Arbeitsplätze demnächst verlost. Pro zu besetzende Stelle werden etwa 100 sog. Arbeitslose unters Volk geschmissen und am Stichtag dan das große Arbeitslos gezogen. Platz 2 und 3 kriegen als Trostpreis statt des Arbeitsplatzes je ein Arbeitsplätzchen zum Kaffee.

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Und nicht vergessen: draußen nur Kännchen!

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Das grundlegende Problem ist wohl die tatsache, dass da zwei Alterskohorten im gleichen sozialen und beruflichen Umfeld aufeinandertreffen: Aufsteigende Jungakademiker und fortgeschrittene Studenten gegen fallende New-Economy-Dropouts und "Human Overhang" aus dem Dienstleistungs-Hype.

So unterschiedlich die Erfahrungen und damit die Leistungsfähigkeit auch sind: Angesichts des niedrigeren Preises sind Neulinge fast so effizient wie Alte, und den letzten Rest gleichen sie mit Formbarkeit aus. Und das trifft sich dann in diesem schmalen bereich der Crea-, Medien- und digitale Dienstleistungsberufe.

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Mal eine ganz naive Frage: Was hält den "human overhang" davon ab, sich aus der Medien und digitalen Dienstleistungsberufen zu verabschieden und sich aussichtsreicheren Branchen zu zuwenden?

Beispielsweise sind im Bereich "Health Care", wo ich einen Einblick habe, gute Leute immer gesucht - und nicht als Praktikanten.

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Die paar success stories, die man zu hören bekommt. Der eine hat es doch auch geschafft, und sich mit 35 zur Ruhe gesetzt. Die andere hat tatsächlich das Volontariat bekommen. Und der nächste kennt einen, der doch ganz locker plötzlich zum Leiter aufgestiegen ist. Alle denken sich, wenn der das kann...

Und Betten ausräumen ist einfach nicht deren Sache. Dann sich lieber in Mitte bei Kumpels ein Zimmer leihen, sich den einen Milchcafe mit Waffel im Ein-Euro-Café (Veteranen Ecke Fehrbelliner Strasse) ersparen und danach noch rumhängen und schaun, ob noch was geht, vielleicht. Vielleicht trifft man ja auch einen Literaten, der einem einen Verlag für die Berlin-Mitte-Erzählungen vermittelt, oder so.

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Ja, richtig: Das Prinzip Hoffnung.

Ich habe 12 Jahre Berlin hinter mir und wohne nun seit ein paar Jahren auf dem Dorf. Was mich immer, wenn ich wieder mal in Berlin bin, erstaunt, ist die Café- und Kneipenkultur, die es vor 10 Jahren noch nicht so ausgeprägt gab.

Mir gehen dann folgende Gedanken durch den Kopf. Da sitzen 1000e von gut ausgebildeten mehr oder weniger jungen Leuten und stecken das Geld, das sie eigentlich für die Rente sparen sollten in Kaffee, Alkohol und Drogen. Hier wo ich wohne arbeiten ihre Altersgenossen jeden Tag, haben Familie und finanzieren nicht nur die heutigen Transferleistungen der grossstädtischen Boheme, sondern auch über die Kinder noch die zukünftigen Sozialrenten.

Vielleicht bin ich auch nur ein wenig zu konservativ und zynisch geworden.

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Nein, ich denke, das hat einfach was mit Übersättigung zu tun. Ich habe von meinem Abitur an die Provinz nicht mehr ertragen. Ich hatte das Glück - auch wenn das etwas seltsam klingt - eine nachgerade klassische Faserland-Existenz in den späten 80ern und 90ern zu führen. Keine finanziellen Sorgen, ein Studium, das nur dann eine Rolle spielte, wenn ich wirklich mal vor vier Uhr zu Hause war. Nicht bafög-, sondern clanfinanziert, um das klar zu stellen. Dann, in direkter Fortsetzung, ein Leben im Kern der New Economy.

Und erst, als ich damit aufgehört habe, bin ich wirklich lang zurück in die Provinz, 4 Monate, und habe das alles aufgeschrieben. Jeden Tag um 8 Uhr raus, arbeiten, normales Essen, 12 Uhr ins Bett. Nur von diesen Lebensumständen aus konnte ich die Munich Area beschreiben, ich habe keine Zeile über diese zeit in München schreiben können.

Münhen und die oberbayerische Provinz - das sind Welten. Und ich bin mir sicher, dass der Tod der New Economy diese Provinz war, die eigentlich überall gleich borniert, unmodern und familienfreundlich ist. Solche Leute brauchen kein Internet, keine geschleckten Berater und keinen digital shopping assistant Avatar.

Berlin ist was anderes - ich habe diese Stadt schon immer gehasst für ihren Schmutz, ihre banale Hässlichkeit, die versifften Spiesser und diejenigen, die es für eine Tugend halten, das Arbeitsamt zu bescheissen, weil das irgendwo cool ist.

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So so
Nun, in die ganzen vom Don skizzierten Millieus gehöre ich nicht, insofern sehe ich das eher von außen.
Bin eh ein Grenzgänger zwischen unterschiedlichsten Lebenswelten.
Mich wundern nur die immer noch hochgehängten Zukunftshoffnungen junger Menschen im IT-Umfeld. Meinereiner sagte auch schon 1986 in der Studuenberatung den Erstsemestern: Besser, Du hast nen Führerschein für nen Gabelstapler.

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Lieber Don,
also ich find die Kleine hat Klasse.

Ein Schelm ist,....

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oh, ich finde sie auch besser als manch andere Form der Arbeitslosen - ntl, eine traurige Geschichte mit diesen Leuten, und eine, die kaum auffällt, im Vorbeigehen.

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Klasse
Fast wären wir uns begegnet (in Nürnberg). Wollte damals zum Treffen im Marientorzwinger gehen und als ich schon in der Tür (bei mir daheim) war, kam ein Kumpel mit schlimmen Liebeskummer.

Schade eigentlich, wollte schon immer den kultigen Don Alphonso di Porcamadonna kennenlernen :´-/

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