Real Life 10.4.2008 - Eine kompakte, schwarze Masse

Nachmittags, ungefähr zu der Zeit, da jenseits der Berliner Prekariatisten so ziemlich jeder Mensch, der Arbeit hat, dieser auch nachgeht, treffen sich die anderen in einer Konditorei in Gmund, und geben einen Vorgeschmack auf weitere Möglichkeiten, die soziale Schere zu öffnen.

Am Eingang sind ein paar sehr wohlerzogene Hunde angebunden und warten auf die leckerlibestückten Besitzer. An der Theke steht eine Frau, für die jede Elle-Diät umsonst Kiwis und Mangos mordet, und spielt beim Auswählen mit ihrer giftgrünen Pornobrille. Für ihren indischen Shawl hat vermutlich den Förderpreis für bengalische Kinderarbeit bekommen, und die in ihrer Sportlichkeit nicht ganz passenden Walkingschuhe verdanken ihre Entstehung vermutlich auch chinesischen Leuteschindern. Ein Wunder, dass sie die Damen hinter der Theke so liebenswürdig von einer Torte zur nächsten scheucht. Präventiv hat sie schon eine ebenfalls giftgrüne Brieftasche aus Lackleder in der Hand, und einen Schlüsselbund, an dem etwas unpassend ein kleines, gelbes Quietscheentchen hängt.

Während du noch überlegst, was du willst - leider ist mal wieder vieles, allzu vieles alkoholbedingt geeignet, Erbtanten reif für ein Treffen mit den hiesigen, fussballergatinnengeprüften Entziehungspfuscher zu machen - geht die Tür auf, und ein ziemlich altes Paar kommt herein. Sie hat das leidige Problem recht gut im Griff, Schaftstiefel wie aus "Gerti, die blonde SS-Bestie", und irgendwie hat es ein sicher nicht billiger Figaro geschafft, das Blond mit Strähnchen halbwegs echt aussehen zu lassen. Solang man das Gesicht nicht zu genau anschaut. Dann könnte man auch fast den Eindruck haben, dass sie erheblich jünger als ihr Mann ist.

Bei dem stimmt, statisch betrachtet, auch so einiges. Der Anzug, die Manschettenknöpfe, die Schuhe, ein Mann von Welt. Einer Welt, die vermutlich sehr klein geworden ist, so wie er seiner Frau hinterhertippelt. Eine gefühlte Ewigkeit nach ihr kommt er an der Theke an, von der Anstrenung fast so grau wie sein Anzug, bis auf die vielen Altersflecke, die er nicht wie seine Frau unter Kontrolle hat bringen lassen, weist mit zitternder Hand auf etwas und nuschelt "Frngfudr". "Ist das ein Frankfurter Kranz?", bescheidet seine Frau die Bedienung, und du wunderst dich fast, dass hier keine Peitsche im Spiel ist, oder jemand die Hacken zusammenschlägt. Sie nimmt, zahlt und knallt mit den Schuhen über die Fliessen, und der Mann kreucht ihr hinterher. Sie ist schon am Auto, einem 7er BMW, als du ihm die schwere Tür aufhältst. "Dnge", nuschelt er nach etwas Nachdenken, diese Sekunde, bis das Gehirn wieder die Koordination aus Bewegung, Erkenntnis und Reaktion zusammen hat , und schleppt sich weiter, die Blicke auf den Boden gerichtet und mit erkennbarer Anstrengung, diese kleine Welt, die ihm verblieben ist, zu überstehen, das ist die Hauptsache, von der traumhaft schöne Gegend hat er nichts mehr.



Du kaufst ein, und als du auf den Platz vor der Konditorei trittst, kommt eine kompakte, schwarze Masse die Strasse hoch, laut fauchend, ein 456er Ferrari. Nicht irgendein 456, sondern der, der früher auf deinem Parkplatz stand und der, zusammen mit zwei anderen, auch zu verkaufen gewesen wäre, aber du warst so vernünftig und hast dich für die Wohnung entschieden, und dem Verkäufer, der am Steuer sitzt, war es auch lieber so. Er sieht dich nicht, er fährt weiter, und vielleicht hat er gar nicht so unrecht, sich einen schönen Tag zu machen, und noch einen, das andere kommt vielleicht schneller, als man glauben mag, und dann profitiert nur noch derjenige, der die Frau für den kommenden Zweitmann renoviert, wenn man selbst längst in einem Premium Ressort alles vergessen hat.

Freitag, 11. April 2008, 00:55, von donalphons | |comment

 
Solche Leute gibt es auf St. Pauli definitiv nicht; wir ergänzen uns also perfekt.

Und bei beiden Klientel habe ich das Gefühl, im Zoo zu sein, wo alle Tiere traurig sind.

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"dann profitiert nur noch derjenige, der die Frau für den kommenden Zweitmann renoviert, wenn man selbst längst in einem Premium Ressort alles vergessen hat."

das bitte in goldenen Lettern auf einer zusätzlichen Umschlagsseite für alle Hi!society-Blätter.

Danke.

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An so ein Weib kann ich mich im erweiterten Bekanntenkreis (in meinem Dorf) auch erinnern. Sie gab ihren Mann am zwei Tage vor Weihnachten ins Heim. Am zweiten Weihnachtstag ist er dann gestorben - ganz allein.

Aber auch für solche Tage kommt irgendwann der jüngste Tag. Da braucht man gar nicht religiös zu sein, irgendwann muss jeder Rechenschaft ablegen.

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Umgekehrt gibt es am Tegernsee auch kein Sozialproblem, letzthin las ich von einem Todesfall, bei dem die wildlederbeschuhte Wasserleiche goldbehängt und sehr gepflegt war. Tragisch ist das immer, de jure sind wir vor dem Tofd alle gleich, aber selbst am Ende gibt es noch Ungleichheit.

Hier wie dort kommt man wohl aus dem Staunen nicht heraus; das problem ist aber, dass man sich an Reichtum, Überfluss und das Nichtvorhandensein von Bedrängnissen recht schnell gewöhnt. Da, wo ich herkomme, findet man Spuren davon in weniger guten Vierteln, am Tegernsee jedoch existiert das einfach nicht.

Für diese Erkenntnis sorgt dann schon die Bild. ich kann es sehr gut verstehen, wenn sich solche Leute abschotten gegen die Zumutungen des Medienbetriebs. Die besagten leute waren ganz sicher keine, die Wert auf Berichterstattung legten.

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Man muss, so hart es ist, irgendwann eingestehen, dass einer allein die Folgen von Altersdemenz nicht mehr bewältigen kann. Man kann dagegen kämpfen, man kann viel und alles tun, aber oft ist dann der Moment erreicht, in dem man professionelle Hilfe braucht. Wie das dann aussieht, und was man weiterhin tut, ist dann nochmal eine andere Frage.

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Goldbehängte Wasserleichen? Ein wesentlicher Grund für den Erfolg des Christentums im Frühmittelalter war ja der Umstand, dass man auf die Grabbeigaben verzichten durfte und somit erkämpfter, geraubter oder erarbeiteter Besitz nicht mehr unnütz verbuddelt wurde, sondern den Nachkommen ein erkleckliches im günstigsten Fall arbeitsfreies Leben ermöglichte. Insofern liefert auch das Alter durchaus Gründe der Freude, wenn auch nicht unbedingt für den Betroffenen. An den bayrischen Seen geht es aber wohl den Einwohnern derartig gut, dass sie meinen, zu den heidnischen Traditionen zurückkehren zu können.

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Nun, ich habe ein Gräberfeld ausgegraben, und da hatten viele offensichtlich die Idee, dass man es zwar begraben, dann aber auch wieder holen kann. Wenn der Kopf und Teile des Oberkörpers in der Verfüllung des Grabschachtes war, wusste man, dass die noch vor der völligen Verfäulnis rausgezogen wurden.

Tjaja. Hardcore Erbschleiching.

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Das ist zweifelsohne richtig, dass mit Altersdemenz und insbesondere mit Alzheimer eine Person alleine irgendwann überfordert ist. Es ging mir auch eher um das wie. Ich habe das auch im eigenen Verwandtenkreis erlebt und man spürt das schon, ob Menschen Liebe geben können oder nicht. Oder ob sie im Gegenteil sogar vollkommen gefühlskalt sind
und sich nur fürs Geld interessieren.

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Klassischer Sager: "Der hat ja eh nichts mehr davon".

Manchen Leuten wünscht man fast, dass sie auch mal so weit sein sollten. Für ein paar Tage nur.

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Alt und hilflos zu werden ist nicht leicht, wenn man keine Unterstützung durch die Verwandten erfährt. (Vor allem dann, wenn man zeitlebens gewohnt war, den Ton anzugeben, und dann im Alter auf Hilfe angewiesen ist.) Da ist es dann auch egal, wie arm oder reich man ist, allein zu sein ist einfach schrechlich.

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