Spolien des Untergangs von Byzanz

Diese kahle Wüste, über die der Schnee von pfeifenden Winden getrieben wird; diese Senke zwischen schlechten Häusern einer schlechten Stadt, diese Nichtlandschaft mit vereinzelten, im Abbau begriffenen Ständen, dieses Nichts an Ort und Raum ist normalerweise am 4. Sonntag im Monat der grosse Pfaffenhofener Antikmarkt. Heute dagegen war er eine Katastrophe.



Der Spieltisch, an dem ich das hier schreibe, wurde dort erstanden. Stendhals Reise in Italien in rotem Leder, die vor mir auf dem Regal steht, habe ich hier aus einer Kiste gezogen. Den Biedermeiersessel neben mir habe ich dort für ein paar Mark erstanden, als er nur ein Haufen Trümmer in einer Schachtel war. Ich habe diesem Ort zu danken, aber diesmal war es ein Fehlschlag. Als wäre mit dem Niedergang der Wirtschaft auch der Kunde, der bessere Bürger aus den umliegenden Städten, mit lockerem Geld und einem Platz für was auch immer ausgestorben. Ich rannte einmal über die Ödnis, hörte mir einen lächerlichen Preis an - 180 Euro für eine Schreibtischlampe des Art Deco - und kehrte um. Ganz hinten, an der Brücke, wühlte eine dick vermummte Frau in einem Schneehaufen, der vor ein paar Stunden ihr Stand gewesen sein musste. Dann kam die Sonne heraus, und etwas in Schnee begann zu gleissen. Ein Kronleuchter. Und was für einer. Sechs Flammen, Barockform, wirklich alt und mit viel Patina.



Manche werden jetzt sagen, dass ich schon mehr als einen Kronleuchter habe, und diese Stücke bei mir auch in Schlafzimmer, Bad, Küche, Balkon und Abstellraum hängen. Das ist richtig und gleichzeitig nicht die ganze Wahrheit. Denn die Wohnung am Tegernsee hat gleich sechs Leuchter verschlungen, einer muss in ein Büro, ein anderer ist ein Geschenk, und damit ist mein Bestand auf zwei mickrige Leuchter zusammengeschmolzen - zu allem Unglück sind es 12-flammige Exemplare, die man nur begrenzt verwenden kann. Dieses Exemplar mit fünf Kerzen aussenrum und eine hängende Kerze in der Mitte. Er ist auch für kleinere Räume - Empfangszimmer, Ankleiden, Wartezimmer für die Dienerschaft, was man halt so braucht - geeignet.



Es gibt - nach 70 Jahren kein Wunder - natürlich ein paar Schäden. Dafür war er billig - gekauft habe ich ihn quasi zum Schrottpreis. Daheim ist noch ein Schubladen voller Kristalle, mit denen ich an diesen langen Winterabenden einiges basteln kann, bis der Leuchter wieder in alter Pracht erstrahlt. Dass er das tun wird, ist alles andere als selbstverständlich, denn die Zeit der Kronleuchter, der Perserteppiche und all des byzantinischen Prunks der letzten Jahre ist abgelaufen. Man macht das nicht mehr. Kronleuchter sind zu sehr auffällig, sie versprechen Luxus und Anspruch; alles Eigenschaften, die man in den kommenden Jahren zurückschrauben wird, um nicht aufzufallen. Wer gleisst und funkelt, macht sich in diesen Zeiten verdächtig, man passt sich an, und nicht umsonst sind es gerade die grossmäuligsten Werber, die in den verhautesten Klamotten auftreten. Die Ratten verlassen nicht das sinkenden Schiff, sie mischen sich unter die Plünderer. Man will wieder keiner mehr sein. Jede Rolex, ererbt oder erworben, macht verdächtig. Die Idioten gehen nach dem Offensichtlichen; Neid und Rachegelüste entzünden sich an Symbolen, und deshalb werden wir bald wieder die Rückkehr zu geraden Linien, indirekter Beleuchtung und reduziertem Mobiliar sehen. Man trägt, man ist wieder Müll. Bloss nicht auffallen, nur nicht aus der Deckung kommen, und wenn, dann als Anführer des Pöbels. Bald werden PRler wieder Maojacken unter Neonlicht tragen.



Es ist übrigens immer ein gutes Zeichen, wenn Vorbesitzer gewundene Glühbirnen eingeschraubt haben. Diese Leuchtmittel sind um den Faktor 5 teurer als Billigbirnen; wer so etwas tut, führt keinen schlechten Haushalt, sondern hat einen gewissen Anspruch und Mittel über dem Nötigsten. Es sind diese Haushalte, die sich mehr leisten konnten, und es ist nur legitim, sich deren Reste zusammenzukaufen und im Speicher zu bewahren für die Tage, da unser neues Byzanz entgültig abgebrannt ist, und man zum Schluss kommt, dass es jetzt genug ist mit Frohn und Ausgezehr, dass man genug mit allen Tieren gestorben ist, und dass man, bevor nichts nachher kommt, davor wenigstens das Gleissen und Funkeln haben möchte, das kleine Eckchen Pracht im Leben, das Sünde sein mag, aber wenigstens nicht dumm und scheusslich wie der Halogenspot, unter dem sich AnjaTanjas neue Trends für schlimme Zeiten einfallen lassen.

Sonntag, 23. November 2008, 23:23, von donalphons | |comment

 
Ach, die Ratten, die sind doch jetzt wieder in Hameln, hab ich gelesen. (Übrigens bei der BBC, verlinkt von einer amerikanischen Freundin. Irgendwie erfreut es mich, dass deutsche Provinzposse auch hin und wieder ihren Weg um die Welt findet.)

Kronleuchter sind großartig, und was anderes werde ich mir nie erzählen lassen. Und wenn sie durch die gegebenen Umstände jetzt günstig zu haben sind: noch großartiger.

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Wie eine Leserin berichtet, sind Elle und Vogue UK schon in Defcon 3, das heisst, sie empfehlen den Gang zu Second hand Läden und Billigketten, um auch ohne Kreditkarte noch was zum Anziehen zu haben. Ich weiss von einer Auktion, bei der die Preise aller Perserteppiche erheblich unter dem Limit geblieben sind. In einer Zeit, da Medien Schmuck und Uhren wegretuschieren, sind Kronleuchter mehr als ein Einrichtungsgegenstand - sie sind ein archaisches Statement gegen den Niedergang.

Es wird spannend sein zu sehen, ob wir demnächst mehr Notverkäufe und Zwnagsversteigerungen sehen werden. Ebay.ik ist damit schon hübsch voll, zusammen mit einem Käuferstreik bei allem, was weitere Kosten verursacht. In den letzten Jahren gingen Abermilliarden in Einrichtung; es kann sein, dass da was kommt. Das Problem ist dann allerdings der Transport von England zu uns. In Deutschland ist es ja noch nicht so schlimm, ich würde darauf nicht wetten. Allerdings - die Mode wird einen anderen Weg gehen, das ist sicher.

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Ich befürchte ja ein bisschen, dass die PR Anzeigenblättchen Modezeitschriften-Leserinnen die Preise bei Oxfam & Co. ruinieren werden. Bislang konnte man sich wenigstens darauf verlassen, dass nur hochpreisige Waren in ebenso hochpreisigen Geschäften angeboten werden...

Nichtsdestotrotz, ich sehe das als Chance, ein paar nützliche und schöne Dinge günstig zu erwerben. eBay.co.uk ist meine liebste Spielwiese, und da ich mir ohnehin nur Kleinigkeiten leiste, geht das auch mit der Post ziemlich gut. Und den Rest besorge ich dann in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft vor Ort. :-)

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In der Elle soll geschrieben gewesen sein, dass man besser Kleider kauft und behält, die man länger anziehen kann. In England muss das Kreditkartenproblem wohl sehr drängend sein, was schlichtweg einen Käuferinnenstreik zur Folge hat. Man wird wohl einfach weniger kaufen und von den Resten leben. Alles, was teuer im Unterhalt ist, wird bald sehr billig sein.

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Ich bin ja mal gespannt, wie lang die Röcke in der nächsten Saison sind. Angeblich gibt es da ja seit Jahrzehnten einen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Rocksaum. Demnach dürfte knöchellang ja noch ein Stück zu kurz sein.

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[Edit: Hier wurde eine mittellange und eher nicht geistreiche Überlegung über den Zusammenhang von arbeitslosen BankerInnen und aufreizender Mode gerade in der Nähe des Frankfurter Bankenviertels gerade noch mental ausgebremst. Don]

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Eine alte Binsenweisheit von Elle wieder neu und schick verpackt. Mein Großvater sagte schon. ,,Wenn Du arm bist, dann kauf nicht billig. Denn wer billig kauft, kauft zweimal.,,
Übrigens Don, die eine Lampenfassung am Leuchter sieht arg hinüber aus. Wie willst den das wieder hin kriegen?

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Wie schon erwähnt, ist im Zentrum der Lampe eine nach unten gerichtete Kerze, die dort eigentlich nicht hingehört - möglicherweise hat man sie dort sogar nachträglich falsch eingebaut. Die mache ich raus, baue sie unten ein und setze oben eine richtige Fassung hinein.

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Na ja, da bin ich dann doch etwas neidisch. Gerade für kleine Räume mit niedrigen Zimmerdecken ist da selten was Gutes zu bekommen, also was nicht zu überladen wirkt und vom Alter auch zur Einrichtung passt. Ich hätte das Ding auch gekauft. Mach doch irgendwann mal ein Photo, wenn er hängt.
Deine Prognose zum kommenden neuen Trend für den Geldschmock, wieder hin zur Einfachheit, dem Zweckstil bzw. zur Sachlichkeit, also nichts was sich zu plündern lohnt, teile ich nicht.
Dieses Zeug würde, wenn es stark nachgefragt werden sollte, dann auch wieder ein Heidengeld kosten. Und es wäre dann sicher auch nicht mehr im Kaufhaus STILBRUCH zu haben.

Schönen Abend noch, Don

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Der letzte Absatz - wegen so etwas mag ich Sie manchmal ein bisschen.

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Dummerweise ist der noch nicht mal von mir, sondern in den besten Passagen ein Zitat aus Brechts Mahagonny.

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jenny würde man ja kennen, aber wer ist eigentlich anja tanja? man liest des öfteren hier von ihr.

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Grob gesagt ist das eine gewisse Sorte von PR-Mädels. Ursprünglich ist der Begriff in der Dotcom-Szene entstanden, weil da wohl Pressesprecherinnen mit diesem Namen besonders unangenehm aufgefallen sind. Heute überwiegend als Synonym für PR-Agentur-Mitarbeiterinnen verwendet.

Aber das alles können andere, die besser mit dieser Historie vertraut sind, hier sicherlich viel lustiger und bissiger erklären als ich.

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Das ist eine lange Geschichte...

Es gab mal in München eine Communityfirma mit schlechter Software und viel Venturecapital unter einem gewissen Patrick G.. Die Firma sollte zwar noch 2001 an die Börse, aber es stellte sich heraus, dass die Mittel durch die über 100 Mitarbeiter durchgejuxt waren, und die Firma dringend neues Geld, in diesem Falle eine "Brigde Loan" brauchte, um der Pleite zu entgehen. Das wurde bei Dotcomtod publiziert, woraufhin Patrick G. seine blonde PR-Walküre Anja F. losschickte, um der Presse allerorten zu erzählen, was für böse Lügner wir seien. Irgendwann kam dann noch eine Rettungsfinanzierung, aber der Laden wurde auf 30 Leute zurückgefahren, und so mussten auch Patrick und Anja gehen, sehr zu unserem Vergnügen. Anja F. erwähnt diese Firma in iher Vita im Netz nicht mehr.

Tanja K. war auch eine Heldin der Munich Area; Pressesprecherin einer bekannten Internetagentur und als solche immer schnell bereit, Dotcomtod unterzupflügen, auch wenn es an unseren Informationen nichts zu rütteln gab. Das war eine Agentur im Englischen Garten, die Meetings mit Cocktails im Firmenpool machte. Von dort habe ich übrigens auch die Geschichte mit "Wodka Prozac" her. Tanja führte so lange schlechte Reden über uns, bis wir die Kürzung öffentlich machten, die auch sie freisetzte.

Um diese besondere Mentalität zu würdigen, wurde bei Dotcomtod der Begriff der Anjatanja geprägt, der immer zu schnellen, aber nicht immer weisen Aussagen neigenden PR-Frau, die man so auch in Düsseldorf am Medienhafen, in der Hamburger Alsterstadt oder am Berliner Spreeufer antrifft. Wobei ich sagen muss, dass ich im nachhinein Tanja K. sehr nett fand. Ach ja, die guten, alten Zeiten des Untergangs.

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danke, jetzt weiß ich beischeid. bei uns hießen die ulla.

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Scheinen aber beide n0ch fest im PR-Geschäft zu sein (nein, ich sage jetzt nicht, woher ich das weiß - ich bin's aber jedenfalls nicht...).

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Flat out
Die Zukunft sah 2001 ganz sicher nicht so aus. Es ist immer die Frage, woher man kommt, und beide Firmen galten als Multimillionärsmacher für leitende Mitarbeiter.

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Schon erstaunlich - heute scheint es wesentlich schwieriger zu sein, mit PR Millionär(in) zu werden (die Konditionen für die "unteren Etagen" in den PR-Agenturen scheinen mir eher halsabschneiderisch zu sein), aber an den Methoden hat das anscheinend wenig geändert.

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@itha: Vermutlich sind die PR-Ullas aber eher im Verschwinden begriffen, weil mittlerweile in einem Alter, in dem sie ihren Job niederlegen, um "sich ganz der Familie zu widmen". Die PR-Zukunft gehört wahrscheinlich bald der JasminJessica.

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meine ullas haben sich schon vor etwa zehn jahren zumindest teilweise der familiengründung gewidmet. ich weiß nicht, was mittlerweile aus ihnen geworden ist. das letzte, was ich hörte, war eine geschäftsidee im s&m-bereich im internet.

so wie's aussieht, gehört die aktuelle hurenzu(ku)nft wohl eher saschastefan.

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@"die man so auch in Düsseldorf am Medienhafen, in der Hamburger Alsterstadt oder am Berliner Spreeufer antrifft." ---- Und auch in Wolfsburg im Innovationscluster an der Major-Hirst-Straße und der Autostadt, auf dem EXPO-Gelände in Hannover und der Agenturszene von Mannheim und Wiesausbaden.

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