Der letzte Sieg der DDR
Mein Problem mit der Sache ist zweierlei: Natürlich wäre die Abbildung eines billigen Döners aus einem Berliner Bezirk möglich, um mich den dortigen Gewohnheiten anzupassen. Es gibt auch in Berlin ganz hervorragenden Falafel, und ja, ich weiss, dass diese Form der Essensdarstellung eher akzeptiert ist, als der Anschein eines Reichtums, der allerdings nur in den Augen unwissender Betrachter einer ist, denn Reichtum, das sei hier gesagt, sieht nochmal ganz, ganz anders aus.Trotzdem: Aus mir unerfindlichen Gründen gibt es welche, die sich bemühen, Witze a la "da sitzt der an seinem Tegernsee hihi und putzt sein Silber höhö und dann hähä geht er mit einer Frau rodeln, die wie Romy Schneider ausschaut hähä und isst später auch noch Torte Bwahaha die arme Sau, und in die Schweiz muss sie auch noch gacker" - und dann beissen sie in ihren Döner und passen auf, dass die Sosse nicht aus dem Papier in die Tastatur ihres Apples läuft.
Ich kenne beide Welten aus eigener Anschauung, und das bringt uns zum zweiten, weiter gefassten Punkt, dem Überleben der DDR im Zeitgeist. Man sieht das ja in den Medien: Es gilt als legitim, Armut und schlechten Geschmack herzuzeigen, es ist vollkommen akzeptiert, sich schlecht zu kleiden, Bücher über schlechte Körpergerüche zu lesen und Blogger mit Magenbeschwerden toll zu finden, man ist sich einig, auf die herabzuschauen, die nicht grau, verhärmt und plakativer Abwesenheit von Vermögen in hässlichen Löchern hausen, in denen das Handy und der Computer die einzigen Stücke von Wert sind, wenn sie gerade mal wieder neu gekauft wurden. Diese Pflicht zur Prunkverhinderung, das Fehlen aller Zeichen von exzeptioneller Besitzfreuden - das alles ist DDR. Die DDR lebt fort in Berlin unter denen, die das Nichtauffallen verinnerlicht haben, eine antikapitalistische Lebenslüge, die den Verkauf aller Ideale selbstredend mit einschliesst, die DDR feiert Feste mit einer durchgehenden Ähnlichkeit in Stilabwesenheit und dadurch aufoktroierter Uniformität, eine Negation von Dauerhaftigkeit und Geschichte zugunsten einer vulgärtrotzkistischen permanenten Revolution des neuesten heissen Scheisses, der von den immer gleich aussehenden Protagonisten für die immer gleiche Zielgruppe entworfen, entwickelt und abgeräumt wird, ein Graubraunstufenpop mit Creative Commons Ideologie, die alles verabscheut, was sich über diese Pflichtgemeinschaft erhebt, eine geistige Einheit, der das Versorgungsstaatsgefühl vollkommen zum Hinterhofglück ausreicht und jeden, der mehr oder etwas anderes will, dem der Sinn nach ostentaiver Lebensfreude steht, als möglichen Systemfeind erkennt, als Leugner der neuen Wahrheit, dass in der Diktatur Chinas gebaute USB-Gadgets jedes halbe Jahr gut und ein feines Porzellan für das Leben bürgelich-dekadent ist.
Wir leben in einer Zeit, in der man gefahrlos schreiben kann, wie toll Döner für 1,30 ist, obwohl in der gesamten Verwertungskette eine elende, kriminelle Veranstaltung zugrunde liegt. Keiner macht einen blöd an, egal wie widerwärtig die industrielle Fleischproduktion ist - es ist arm, es ist proletarisch, also ist es sozial und gut. In dieser gleichen Zeit gilt es als unfein darauf hinzuweisen, dass Christies beim Verkauf des Inhaltes des Smith-Barry Anwesens am 20. April 2008 fast exakt das Vorlegebesteck in der Werbung abgebildet hat, das auf meinem Tisch ausliegt.
Ich will einfach nicht, dass die Partei, die Partei der Proleten, die anders als das Establishment sein will und de facto das Establishment der Mehrheit ist, immer recht hat. Diese Bilder sind das Mindeste, was man tun kann, wenn man schon auf eine Berliner antigeschmackhassenden Schutzwall für die Freunde der DDR zu verzichten bereit ist.
und döner für 1,30 abwärts ist schlichtweg unmöglich. menschen, die so etwas herstellen und verkaufen, sind mit hoher wahrscheinlichkeit kriminell (beschränkt sich nicht nur auf türkisches drehfleisch).
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Ich glaube gern, dass ein Haufen Marotten des Sozialismus gerade in der DDR auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Ich versuche mit gerade vorzustellen, wie die Einführung des real existierenden Sozialismus in Tübingen... nein, nein, das geht gar nicht.
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ein sozialismus ohne stechschritt? ja, da fehlt dann schon etwas.
tübingen? alles mehr so gemütlisch, mmh?
die sozialistische fassnacht oder ein äquivalentes weinfest würd mich auch sehr interessieren...
hinterher hätte sich hier noch das berühmte menschliche antlitz gezeigt.
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In Berlin musste ich mal lachen, als ich an einer Pizzeria das Schild sah: "Eine Pizza muss auch schmecken! 1,50"
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Sind das in der Schale eigentlich Mandarinen?
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Ich denke, da ist einfach eine gewisse DDR-Haltung in ein Millieu hineingewandert. Eine Bekannte mit Jugend in der DDR hat mir mal erzählt, es gäbe ein paar sehr typische Eigenheiten; etwa das eher unübliche Zeigen von Gefühlen in der Öffentlichkeit, ein sehr direkter Ton, der im Westen als unfreundlich gelten würde, Ablehnung oder Nichtkennen bürgerlicher Höflichkeit, über weite Strecken auch die offen zur Schau getragene Ablehnung von weiten Teilen der Verhaltensweisen, die man als Manieren bezeichnet. Ich vermute, dass hier einfach eine DDR-Einstellung so nah an der"Ich geh nach Berlin weil da alles für umsonst ist und schreibe meinen Roman und Arbeit ist scheisse"-Haltung ist, dass man am Ende eine ideologisch homogene Gruppe hat, die sich aus diversen Traditionen das herausklauben, was am Besten zur Abgrenzung ihres Lebensstils passt.
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Das Konfliktverhalten ist anders, irgendwelche Dinge direkt und offen, gar hart miteinander auszudiskutieren, scheint weniger ihr Ding zu sein. Da werden Westler häufig als unfreundlich bis unmöglich empfunden. Haufenweise Manager aus dem Westen sollen daran verzweifelt sein, dass im Osten eher einer Konsenskultur nachgehangen wird.
Wo ich immer wieder noch Unterschiede bei Gleichaltrigen feststelle, ist zum einen, wie man reagiert, wenn der andere einem einen Gefallen getan hat (ich merke, dass ich auf ein "Danke" warte, dass dann nicht kommt), zum anderen scheint es andere verbale Codes für Verbindlichkeit und Unverbindlichkeit zu geben. Manchmal nervt mich auch diese Kommste-heut-nicht-kommste-morgen-Haltung. Die Kehrseite ist, dass man auch spontan zu Besuch vorbei kommen kann und herzlich empfangen wird (früher kündigte sich mangels Telefon auch keiner an, man war einfach irgendwann da).
Und bei den Jüngeren, die zur Wendezeit noch Kinder waren oder gerade ins Teenageralter kamen, stelle ich häufig einen unglaublichen Ehrgeiz fest.
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Und dem Konzept der gepflegten Feindschaften habe ich auch von Anfang an, spätestens seit Dotcomtod-Zeiten, immer mißtraut. Was bringt diese Fixierung? Leistet sie einen Beitrag zu irgendeiner (guten) Sache oder dient sie mehr oder weniger nur der Ego-Profilierung der Beteiligten? Bringt dieses Sich-Reiben irgendjemanden oder irgendetwas wirklich voran?
Und um wieder einmal die "Früher-war-alles-besser"-Leier anzustimmen: vor drei Jahren haben sich in der "Blogosphäre" die bekannten Protagonisten häufig knallhart in der Sache angegangen, aber es gab dieses mittlerweile übliche Ad-hominem-Gedisse nicht, zumindest stand es nicht so offensichtlich im Vordergrund.
Villon/Punk/"drei Akkorde" ist an sich und als solches o.k. - das sage ich natürlich gerade als prolliger, dreckiger Berliner - aber der wahre Gentleman trägt Degen und nicht Kärcher zur Abendgarderobe. ;)
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Abgesehen davon ist Niedertracht nicht wirklich neu, das gab es schon immer; relativ neu sind dagegen Versuche, Leute bei Nichtwohlverhalten aus dem Job zu mobben oder, wie man gerade bei Thomas Knüwer sieht, all die elenden Trittbrettfahrer, die das ausnutzen, um mal ihren heimlichen Neid auf einen gern gelesenen Blogger plattzutreten, die blöden Gaffer und Vorbeter, die kein Problem mit sexistischen Kommentaren haben, wenn sie mal grade nicht die eigenen Interessen berühren. Man könnte das alles natürlich auch höflicher formulieren, aber ich will gerade nicht.
Unabhängig davon ist das da oben nicht "ad hominem", dazu ist diese Haltung viel zu verbreitet.
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Und man pflegt das, was man besitzt, z.B. Essgeschirr, mit einer Sorgfalt, die sich von Deiner kaum unterscheiden dürfte, und lästert über die "verwöhnten Mittelschichtsbälger", die es sich leisten können, sorglos und nachlässig mit ihren Sachen umzugehen. Ich kannte da mal jemanden, das war sogar ein sehr guter Freund, der es als "eklig" bezeichnete, dass da ein Student von seinem Vater einen Mercedes geschenkt bekam und meinte, ein Auto dürfte nur jemand besitzen, der schon so viel eigene Arbeit geleistet habe, wie dem Wert des Autos entspreche. So etwas würde ich als typisch "proletarisch" bezeichnen, und die von Dir gedisste Mitte-umsonst-Abhänger-Mentalität als ein Verhalten gelangweilter Middleclass-Abkömmlinge, die in Berlin ihr geeignetes Biotop gefunden haben.
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boolsdog, ich linke nicht besonders gern. Ich linke nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt. In diesem Fall habe ich keine Lust, auf Gaffer und Mitläufer zu verlinken. Die Betreffenden wissen, was gemeint ist, und ich bin auch der Ansicht, dass das beschriebene Phänomen nicht allein die Spezialität Berliner Subterrains mit Bloggerfüllung ist.
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Und ich bin absolut kein Spiesser, nur wenn ich es nicht gern habe, wenn irgendwelche Rowdies, weil´s so auch in MTV gezeigt wird, Mülltönnen anzünden oder Scheinwerfer eintreten. Und das dann noch als antikapitalistische Aktion verkaufen. Das Thema ist vielschichtig und schillernd, aber worum es mir geht, ist die Ansicht, dass alles schlecht ist, was teuer und extravagant zu sein scheint, und alles akzeptabel ist, was sich irgendwie als proletarisch und unluxuriös verkaufen lässt, selbst wenn es asozial ist. Ich kenne jemanden, der ein Blog und einen Sportwagen hat. Der schreibt darüber nicht, weil er denkt, dass ihm die anderen dann virtuell den Wagen zerkratzen. Man hat Angst vor Ecken und Kanten, man passt sich einem Klüngel an, der jeden Tag einen Tritt verdiente.
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Mit der studentischen Linken hat das wenig bis nichts zu tun.
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Und auch Rudi Dutschke wusste mit den studentischen Linken in den 80ern nichts mehr anzufangen.
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Zu meiner Zeit waren "die Linken" nur noch eine (Chaos)Truppe, die weder überzeugende Programme hatte, noch in der Lage waren, sinnvolle Oppositionsarbeit zu leisten. Und das angefangen bei der GHG und weiter nach links.
Derartig sinnlose Diskussionen hatten wir mit denen auch genug. Und das in Zeiten der Einführung der Studiengebühren...
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Aber der Satireteil war gut. Fast wie die Titanic.
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http://de.wiktionary.org/wiki/oktroyieren
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Außerdem lese ich gerne hier und möchte, dass es gut ist. :-)
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die verschlechterung von allem, essen, möbel, geschmack usw. trat so richtig erst mit der wende ein, als man den kuchen schickerweise abgepackt im supermarkt kaufen konnte.
natürlich gab es auch plaste und elaste, bitterfeld, den gestank der trabis, resopaltische und kamphergeschwängerte scheiß- und treppenhäuser. klar. aber so, wie die graubraunstufenpopos der nachwendefilm- und medienbranche die DDR darzustellen und zu "zitieren" belieben, ist der ehemalige deutsche staat in wahrheit nie gewesen. sondern diese DDR-schablonen, nach denen die 70er besonders im sozialismus supertoll waren, sind nach der wende aus einer vermarktbaren nostalgie heraus neu geschaffen wurden, wobei diese art der nostalgie eher von ignoranten wessis empfunden und geteilt wurde als von ossis. wie hätten letztere das auch nostalgisch finden können, es war ja alles erfunden und erlogen!
es gibt sogar inzwischen, wie sollte es anders sein, einen "medienkritischen" begriff dafür: "histotainment".
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Itha, ich glaube, das lässt sich nicht verallgemeinern. Zum einen hatten dort nicht alle Leute eigene Gärten, wo sie ungespritztes Obst und Gemüse (auf das dann saurer Regen fiel) anbauen konnten. Zum anderen hat man sich nicht lumpen lassen, wenn die Westverwandtschaft kam, und das Beste aufgetischt.
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@"die Pflege und Wertschätzung der Dinge, die man hatte, war - schon allein zwangsweise - im Osten allgemein höher als hier im Westen" ---- Jau, definitiv!
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im westen ist eben alles auf schnelle
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Der zweitigste Mensch, den Du kennst, stammt aus Bayern und hat da viele Artgenossen, denn das Schneizdiachal ist IMMER aus Stoff.
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Ich denke, die Pflege und Wertschätzung der Dinge, die man hatte, war - schon allein zwangsweise - im Osten allgemein höher als hier im WestenHmm - nun: Amelia, so könnte man also sagen, dass der reale Sozialismus dabei half, Werte zu schaffen.
(wobei das vermeintlich hedonistische, tatsächlich eigensüchtige und keineswegs individuelle Verprassen und Verschwenden im real existierenden Kapitalismus - meiner Meinung nach - nicht unbedingt ein Beleg für Reichtum ist, sondern vielleicht eher eine Form geistiger Armut sein könnte)
P.S.
Ich sammle seit vielen Jahren Stofftaschentücher, aber zum Einsatz kommen diese nur gelegentlich und in stärkeren Umfang bei schweren Erkältungsepisoden, wo ich den Papiertaschentuch-Verbrauch als unökologisch und verschwenderisch empfinde - und damit insgesamt eher selten. Mein Eindruck ist dabei, dass ich - seitdem ich mit Stofftaschentücher angefangen habe - deutlich seltener (!) Schnupfen bekomme.
(vielleicht ist das eine Folge des Immuntrainings, das Stoff-Taschentücher mit ihren Spuren von Alt-Viren-Beständen stets und ständig darstellen - keine Ahnung habe ich allerdings, ob an diesem Gedanken etwas dran ist)
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Don, den Hang, das "alte Gelumpe" für vermeintlich gutes Geld wegzugeben, gab es in westdeutschen Dörfern auch mal. Ist halt nur schon länger her. Brauchst Dir nur die Eternitplatten vor dem Fachwerk oder die Haustüren anzuschauen.
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Und kaufen gummigelagerte Buchenschlitten aus Osteuropa, bei denen das Holz nicht mehr gebogen, sondern zusammengestückelt und bunt lackiert wird.
Ich weiss. Das Alte hat es immer und überall schwer, aber so einen Schub wie 1989/90 hat man nie mehr erlebt. Für Händler ist das die legendäre, goldene Zeit.
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es gab einen staatlich bedingten oder sogar verordneten sorglosen oder lieblosen umgang mit einem bestimmten kulturellem erbe (gerade in der architektur natürlich, da mangelte es auch schlicht an mitteln), aber das war nicht privat! kulturlose prolls hat es hüben wie drüben gegeben. die leute, die ich kannte (und heute immer noch kenne), hätten jedenfalls ihre antiquitäten niemals verkauft. was einem regelmäßig das wasser in die augen trieb, war z.b. der umstand, dass es sehr gute literaturübersetzungen gab (welche, die im westen fehlten! ich erinnere nur an die zahlreichen übersetzungen aus dem skandinavischen und osteuropäischen raum), teilweise wunderschön illustriert, dann aber auf minderwertigem holzhaltigem papier gedruckt, so dass diese bücher in einer weddinger ofenbeheizten wohnung im nullkommanix vergilbten und die seiten brüchig wurden... es gab auch musik mit wohldurchdachten texten, die quasi im privaten rahmen vorgetragen wurde und niemals auf einer platte erschienen ist, leider. und es gab, vor allem in der provinz, private sammlungen an kunst von leuten, deren letzter gedanke gewesen wäre, damit geld zu verdienen, weil das ohnehin nicht gegangen wäre, und es gab eine lust an gutem zusammensein mit gutem essen, sehr viel persönlicher nähe und auch mit einer verbindlichkeit, die heute besonders unter jungen menschen vollkommen unbekannt geworden ist. klar war das sicher nicht repräsentativ für die große allgemeinheit, die nach dem mauerfall bloß shoppen gehen wollte. aber was haben wir denn heute? heute kann sich jeder analphabet mit einem profilkomplex im internet prostituieren und sich dafür die unverbindliche anerkennung und das lob von ebenso doofen leuten abholen, die in in der mittagspause mal eben online sind, um dinge zu lesen, die irgendein schwachkopf mal eben in der mittagspause gebloggt oder gepostet hat. mich regt sowas einfach regelmäßig auf. argh, nee.
es gab in der DDR vor allem einen anderen umgang mit zeit. es gab vieles nicht, natürlich gab es nicht die auswahl an restaurants, die wir heute haben (und ohne die küche zu kennen und die zutaten - hauptsache, es schmeckt - aber warum? oft doch bloß, weil es "krass" genug für die geschmacksverstärkergelähmten riechorgane schmeckt, um ein erlebnis zu sein), aber man ging eben auch weniger aus, man suchte sein glück nicht im geldausgeben, denn da gab es eh nix. als studentin aus dem westen damals hatte ich auch nicht viel mehr in meiner wohnung oder auch sonst als besitz als die freunde aus dem osten. wir alle hatten schlechte stereoanlagen, billige lampen oder alte kronleuchter, regale mit büchern und selbstgenähte klamotten. kein unterschied. nur die hatten mehr zeit. bis zur wende. danach kam dann der große ausverkauf, nicht alle haben mitgemacht, aber wer mitmachte, passte sich einer wertvorstellung an, die doch aus dem westen kam - die kam doch von uns, und nicht aus der DDR! (wozu braucht man eigentlich zum beispiel aus brasilien eingeflogene gewachste und gespritzte und lang gelagerte mandarinen? wenn die auf dem teller landen, sind da so gut wie keine vitamine mehr drin. sehen trotzdem schön aus natürlich. so schön wie die pestizidverseuchten rosen aus fernost, die wir zur unzeit beim blumenhändler kaufen. statt dessen haben wir die vielfalt unserer einheimischen apfelsorten auf ein minimum reduziert. ein wahnsinn ist das.)
ich füge hinzu: die DDR war scheiße, natürlich - aber aus anderen gründen. ich möchte hier nicht dahingehend missverstanden werden, dass ich das regime rechtfertige oder ähnliches - aber kulturwaisen waren die ossis nicht! der wunderschöne park von sanssouci z.b. war damals für alle offen - etwas verwildert vielleicht, aber offen - eigentlich sogar viel schöner als heute, weil "verwildert" - man konnte damals dort im sommer im hohen gras sitzen und picknicken, ohne touristen, ohne eintritt, es war wirklich _volkseigentum_ - demnächst müssen wir dort eintritt zahlen, um überhaupt in den park zu kommen! nur damit sich die stadt potsdam leisten kann, den park für touristen so aussehen zu lassen, wie er nie, auch zu fritzens zeiten nicht, ausgesehen hat... aber die wahrheit ist: es ist weder so noch _so_ richtig! es gibt aktuell viele gute initiativen von leuten, denen schlösser rückübertragen wurden und die sich kümmern, alles richtig und gut. teilweise jedenfalls. aber das fehlen solcher initiativen kann man doch nicht dem inzwischen historischen DDR-bürger anlasten und erst recht nicht dabei auf dessen "kulturlosigkeit" schließen.
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Man sollte vielleicht nicht Berlin mit der DDR gleichsetzen. die KoKo hatte unter anderem so ein leichtes Spiel, weil wirklich viel Altes leicht zu bekommen war. Die DDR hatte ein paar unbestreitbare Spitzenprodukte und unendlich viel Ramsch - der Buchdruck ist das beste Beispiel. In Sachen Geschichte kann ich nur nach meinen Erfahrungen gehen, und das war eine Haltung a la "wir heben alles auf, was zum Werdegang des Sozialismus passt". In Sanssouci ging Voltaire herum, das war herausgeputzt, und der Rest wurde kassiert und als Kinderheim, Militärverwaltung etc. pp. runtergewirtschaftet. Nicht, weil man einen Mangel hatte, sondern weil es egal war, ein Relikt, das man nutzte, bis es auseinandergefallen ist. Staatsdoktrin. Und nicht alle waren Vollwiderständler.
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ein nachtrag zu kronleuchtern fällt mir auch gerade bei. ich hatte einen massiven lüster, ca. 15 kg schwer und erstanden auf dem ätzenden neureichenmarkt am 17. juni, den ich in der weddinger wohnung genau über meinem bett aufgehangen hatte - bis mir irgendwann auffiel, dass ich dort genau deswegen schlecht schlief. die unbewusste angst, dass das ding während der nacht runterknallen könnte, machte ständig schlechte träume. nicht immer und überall sind antiquitäten gut. seitdem nur noch leichte papiergebilde über der schlafstätte, denn gerade da möchte man sich doch gern frei und unbelastet fühlen.
unbelastet wie ein kranich auf 'nem schneeschlitten.
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