Der letzte Sieg der DDR

Vor ein paar Wochen ist eine elend mitte-mittige Politikwebseite mit dem Wunsch an mich herangetreten, ich möchte für lau einen Beitrag für ihren Adventskalender schreiben, und zwar einen Versöhnungsversuch mit einem Blogger meiner Wahl. Regelmässige Leser ahnen vielleicht, dass ich mir nicht nur die hart erarbeitete Feindschaft fragwürdiger Figuren erhalten möchte, sondern obendrein die ganze Komposition als solche in wirklich jeder Hinsicht ablehne. Was nichts daran ändert, dass es zwischen mir und einigen, sagen wir mal, people familiar with the Berlin Blog matter, durchaus Kontakte und Austausch zweitrangiger Informationen gibt. Und da hört man dann auch so Ratschläge wie: Das wäre alles gar nicht so schlimm, wenn ich nicht dauernd vorführen würde, wie das hier halt nun mal so ausschaut.



Mein Problem mit der Sache ist zweierlei: Natürlich wäre die Abbildung eines billigen Döners aus einem Berliner Bezirk möglich, um mich den dortigen Gewohnheiten anzupassen. Es gibt auch in Berlin ganz hervorragenden Falafel, und ja, ich weiss, dass diese Form der Essensdarstellung eher akzeptiert ist, als der Anschein eines Reichtums, der allerdings nur in den Augen unwissender Betrachter einer ist, denn Reichtum, das sei hier gesagt, sieht nochmal ganz, ganz anders aus.Trotzdem: Aus mir unerfindlichen Gründen gibt es welche, die sich bemühen, Witze a la "da sitzt der an seinem Tegernsee hihi und putzt sein Silber höhö und dann hähä geht er mit einer Frau rodeln, die wie Romy Schneider ausschaut hähä und isst später auch noch Torte Bwahaha die arme Sau, und in die Schweiz muss sie auch noch gacker" - und dann beissen sie in ihren Döner und passen auf, dass die Sosse nicht aus dem Papier in die Tastatur ihres Apples läuft.

Ich kenne beide Welten aus eigener Anschauung, und das bringt uns zum zweiten, weiter gefassten Punkt, dem Überleben der DDR im Zeitgeist. Man sieht das ja in den Medien: Es gilt als legitim, Armut und schlechten Geschmack herzuzeigen, es ist vollkommen akzeptiert, sich schlecht zu kleiden, Bücher über schlechte Körpergerüche zu lesen und Blogger mit Magenbeschwerden toll zu finden, man ist sich einig, auf die herabzuschauen, die nicht grau, verhärmt und plakativer Abwesenheit von Vermögen in hässlichen Löchern hausen, in denen das Handy und der Computer die einzigen Stücke von Wert sind, wenn sie gerade mal wieder neu gekauft wurden. Diese Pflicht zur Prunkverhinderung, das Fehlen aller Zeichen von exzeptioneller Besitzfreuden - das alles ist DDR. Die DDR lebt fort in Berlin unter denen, die das Nichtauffallen verinnerlicht haben, eine antikapitalistische Lebenslüge, die den Verkauf aller Ideale selbstredend mit einschliesst, die DDR feiert Feste mit einer durchgehenden Ähnlichkeit in Stilabwesenheit und dadurch aufoktroierter Uniformität, eine Negation von Dauerhaftigkeit und Geschichte zugunsten einer vulgärtrotzkistischen permanenten Revolution des neuesten heissen Scheisses, der von den immer gleich aussehenden Protagonisten für die immer gleiche Zielgruppe entworfen, entwickelt und abgeräumt wird, ein Graubraunstufenpop mit Creative Commons Ideologie, die alles verabscheut, was sich über diese Pflichtgemeinschaft erhebt, eine geistige Einheit, der das Versorgungsstaatsgefühl vollkommen zum Hinterhofglück ausreicht und jeden, der mehr oder etwas anderes will, dem der Sinn nach ostentaiver Lebensfreude steht, als möglichen Systemfeind erkennt, als Leugner der neuen Wahrheit, dass in der Diktatur Chinas gebaute USB-Gadgets jedes halbe Jahr gut und ein feines Porzellan für das Leben bürgelich-dekadent ist.



Wir leben in einer Zeit, in der man gefahrlos schreiben kann, wie toll Döner für 1,30 ist, obwohl in der gesamten Verwertungskette eine elende, kriminelle Veranstaltung zugrunde liegt. Keiner macht einen blöd an, egal wie widerwärtig die industrielle Fleischproduktion ist - es ist arm, es ist proletarisch, also ist es sozial und gut. In dieser gleichen Zeit gilt es als unfein darauf hinzuweisen, dass Christies beim Verkauf des Inhaltes des Smith-Barry Anwesens am 20. April 2008 fast exakt das Vorlegebesteck in der Werbung abgebildet hat, das auf meinem Tisch ausliegt.

Ich will einfach nicht, dass die Partei, die Partei der Proleten, die anders als das Establishment sein will und de facto das Establishment der Mehrheit ist, immer recht hat. Diese Bilder sind das Mindeste, was man tun kann, wenn man schon auf eine Berliner antigeschmackhassenden Schutzwall für die Freunde der DDR zu verzichten bereit ist.

Sonntag, 7. Dezember 2008, 15:46, von donalphons | |comment

 
ich glaube, das sitzt noch tiefer - die fragwürdige festkultur der ddr ist doch auch nur erwachsen aus dem freudlosen preußischen protestantismus.

und döner für 1,30 abwärts ist schlichtweg unmöglich. menschen, die so etwas herstellen und verkaufen, sind mit hoher wahrscheinlichkeit kriminell (beschränkt sich nicht nur auf türkisches drehfleisch).

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Das härteste, das ich mal gesehen habe, waren 90 Cent... bezeichnenderweise ist Falafel meistens teurer. Das muss man sich mal vorstellen...

Ich glaube gern, dass ein Haufen Marotten des Sozialismus gerade in der DDR auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Ich versuche mit gerade vorzustellen, wie die Einführung des real existierenden Sozialismus in Tübingen... nein, nein, das geht gar nicht.

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90 cent? da war aber sicher kein fleisch mehr im spiel. (nacktschnecken vielleicht)

ein sozialismus ohne stechschritt? ja, da fehlt dann schon etwas.
tübingen? alles mehr so gemütlisch, mmh?
die sozialistische fassnacht oder ein äquivalentes weinfest würd mich auch sehr interessieren...
hinterher hätte sich hier noch das berühmte menschliche antlitz gezeigt.

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Ich sehe manchmal so einen alten Ford Transit in der Nähe halten, und wenn man hineinschaut, sieht man einen Haufen Fleisch einfach so lose auf den Holzplanken liegen. Ich habe da so meine Vermutung, wen der beliefert.
In Berlin musste ich mal lachen, als ich an einer Pizzeria das Schild sah: "Eine Pizza muss auch schmecken! 1,50"

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Die 90 Cent sind sicher nicht kostendeckend, das sind Lockangebote, um die Konkurrenz auszustechen. Ich denke aber nicht, dass auch harte Preisszeigerungen auf 1,50 etwas am Grundproblem der Zutaten ändern. Es ist einfach viel billiges Restfleisch da, es muss verwertet werden, und es gibt eine Zielgruppe, die sich "Hauptsache billig" denkt. Und die Zeiten, da diese Zielgruppe auf die Bedürftigen begrenzt war, ist lange vorbei - falls es sie je gegeben hat. Knauserei beim Essen kommt in den besten Familien vor.

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Käse und Kuchen auf demselben Teller? Jetzt bitte nicht bequem werden.

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Käsehaltige Tarte und Käse auf einem Teller. Kuchen wäre bei mir nie so flach, klein und marzipanlos.

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Kann es sein, dass die, die Du damit beschreibst, selbst nie in der DDR gelebt haben, sondern einst aufgewachsen sind in der westdeutschen Provinz? Wo es im Gegensatz zur DDR in den 70ern und 80ern zwar alles zu kaufen gab, jedoch längst nicht alle Stil und Geschmack besaßen.

Sind das in der Schale eigentlich Mandarinen?

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Das sind Mandarinen.

Ich denke, da ist einfach eine gewisse DDR-Haltung in ein Millieu hineingewandert. Eine Bekannte mit Jugend in der DDR hat mir mal erzählt, es gäbe ein paar sehr typische Eigenheiten; etwa das eher unübliche Zeigen von Gefühlen in der Öffentlichkeit, ein sehr direkter Ton, der im Westen als unfreundlich gelten würde, Ablehnung oder Nichtkennen bürgerlicher Höflichkeit, über weite Strecken auch die offen zur Schau getragene Ablehnung von weiten Teilen der Verhaltensweisen, die man als Manieren bezeichnet. Ich vermute, dass hier einfach eine DDR-Einstellung so nah an der"Ich geh nach Berlin weil da alles für umsonst ist und schreibe meinen Roman und Arbeit ist scheisse"-Haltung ist, dass man am Ende eine ideologisch homogene Gruppe hat, die sich aus diversen Traditionen das herausklauben, was am Besten zur Abgrenzung ihres Lebensstils passt.

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na gut, das hat mit protestantischem arbeitsethos dann doch wenig zu tun.
(ich kenne so wenig menschen in berlin. und niemand von ihnen macht was mit medien.)

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Ich habe da im direkten Umgang meist andere Erfahrungen gemacht, Männer sind sehr höflich und zuvorkommend (da könnte sich so mancher Westler eine Scheibe abschneiden), und selbst wenn ich mit irgendwelchen Behörden zu tun hatte, waren die Damen sehr freundlich und hilfsbereit. Ich kann mir aber vorstellen, was Deine Bekannte meint. Ich vermute, dass das womöglich Milieu abhängig ist.

Das Konfliktverhalten ist anders, irgendwelche Dinge direkt und offen, gar hart miteinander auszudiskutieren, scheint weniger ihr Ding zu sein. Da werden Westler häufig als unfreundlich bis unmöglich empfunden. Haufenweise Manager aus dem Westen sollen daran verzweifelt sein, dass im Osten eher einer Konsenskultur nachgehangen wird.

Wo ich immer wieder noch Unterschiede bei Gleichaltrigen feststelle, ist zum einen, wie man reagiert, wenn der andere einem einen Gefallen getan hat (ich merke, dass ich auf ein "Danke" warte, dass dann nicht kommt), zum anderen scheint es andere verbale Codes für Verbindlichkeit und Unverbindlichkeit zu geben. Manchmal nervt mich auch diese Kommste-heut-nicht-kommste-morgen-Haltung. Die Kehrseite ist, dass man auch spontan zu Besuch vorbei kommen kann und herzlich empfangen wird (früher kündigte sich mangels Telefon auch keiner an, man war einfach irgendwann da).

Und bei den Jüngeren, die zur Wendezeit noch Kinder waren oder gerade ins Teenageralter kamen, stelle ich häufig einen unglaublichen Ehrgeiz fest.

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suum cuique.

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Die Sau, wo quiekt?

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bzw. pfeift.

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Gens una sumus
Wahre Distinguiertheit drückt sich m.E. nicht durch ständige bemühte Abgrenzung aus, die Vergleiche mit "den Proleten da" sucht, sondern zeichnet sich vielmehr durch ein "Ruhen-in-sich" aus, durch ein kultiviertes "Leben und leben lassen", wie es z.B. der wahre Grandseigneur Gunter Sachs sich zum Motto gemacht - und auch gelebt - hat. Wer sich seiner eigenen Vornehmheit sicher ist, hat die permanente Vergleicherei eigentlich gar nicht nötig, wie der wirklich vornehme Reiche seinen Reichtum, wenn überhaupt, nur sehr dezent und diskret zur Schau stellt.

Und dem Konzept der gepflegten Feindschaften habe ich auch von Anfang an, spätestens seit Dotcomtod-Zeiten, immer mißtraut. Was bringt diese Fixierung? Leistet sie einen Beitrag zu irgendeiner (guten) Sache oder dient sie mehr oder weniger nur der Ego-Profilierung der Beteiligten? Bringt dieses Sich-Reiben irgendjemanden oder irgendetwas wirklich voran?

Und um wieder einmal die "Früher-war-alles-besser"-Leier anzustimmen: vor drei Jahren haben sich in der "Blogosphäre" die bekannten Protagonisten häufig knallhart in der Sache angegangen, aber es gab dieses mittlerweile übliche Ad-hominem-Gedisse nicht, zumindest stand es nicht so offensichtlich im Vordergrund.

Villon/Punk/"drei Akkorde" ist an sich und als solches o.k. - das sage ich natürlich gerade als prolliger, dreckiger Berliner - aber der wahre Gentleman trägt Degen und nicht Kärcher zur Abendgarderobe. ;)

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Ich trage diesen Beitrag nun schon seit Monaten mit mir rum, und jetzt musste es einfach mal sein. Wenn so ein Stück mittiger Pseudo einen Stalker verlinkt und ander auffordert, das, weils ihm grad in seinen Hass passt, zu verlinken und weiterzusagen, und sich andere in ähnlich unerfreulicher Lage dranhängen, weil man anders nicht rankommt, ist es vielleicht gar keine so schlechte Idee, dem Pack mal indezent ein paar klare Worte zu sagen. Jeder Depp kann heute bloggen, das Schreiben in diese Maske allein ist in meinen Augen kein Grund zu Solidarität für irgendwas.

Abgesehen davon ist Niedertracht nicht wirklich neu, das gab es schon immer; relativ neu sind dagegen Versuche, Leute bei Nichtwohlverhalten aus dem Job zu mobben oder, wie man gerade bei Thomas Knüwer sieht, all die elenden Trittbrettfahrer, die das ausnutzen, um mal ihren heimlichen Neid auf einen gern gelesenen Blogger plattzutreten, die blöden Gaffer und Vorbeter, die kein Problem mit sexistischen Kommentaren haben, wenn sie mal grade nicht die eigenen Interessen berühren. Man könnte das alles natürlich auch höflicher formulieren, aber ich will gerade nicht.

Unabhängig davon ist das da oben nicht "ad hominem", dazu ist diese Haltung viel zu verbreitet.

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Ich sage ja nicht, daß es keine Fälle gibt, bei denen man wirklich draufhauen muß, aber jemand, der nur Deinen Beitrag als Informationsquelle hat, kann vielleicht nur wieder das allgemeine Mitte-Bashing herauslesen und sich seine gepflegte Kollateralwatschn abholen. Verlinken, Roß und Reiter nennen wäre da vielleicht das kleinere Übel als Mißverständnisse heraufzubeschwören.

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Ich kann euch sagen...
was in dem Döner zu 1,30€ steckt - das sind Kunden meiner Wenigkeit. Nur soviel - ich esse es nicht mehr.

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working class and proud
Was soll eigentlich dieses Proll-Gedisse? Ich kenne einige Leute, die sich selber als klassenbewusste Arbeiterkinder sehen (die meisten Leute, die bestreiten, dass es so etwas noch gäbe, sind selber extremly middleclassed). Von denen würde niemand Billigst-Döner essen (Fertig zubereitetes Essen ist außerhalb besonderer Gelegenheiten wie Verabredungen, Familienfeiern usw. grundsätzlich zu teuer, Schnellimbiss auf die Hand leistet man sich nicht, wenn Essen gegangen wird, dann richtig), IT-Gadgets gelten als völlig far out und als Yuppie-Attribute. Als ich in solchen Kreisen mal ein Notebook dabeihatte, sagte man mir: "Das lass hier aber nicht rumliegen, sonst verhökern wir das auf dem Flohmarkt oder machen es kaputt."


Und man pflegt das, was man besitzt, z.B. Essgeschirr, mit einer Sorgfalt, die sich von Deiner kaum unterscheiden dürfte, und lästert über die "verwöhnten Mittelschichtsbälger", die es sich leisten können, sorglos und nachlässig mit ihren Sachen umzugehen. Ich kannte da mal jemanden, das war sogar ein sehr guter Freund, der es als "eklig" bezeichnete, dass da ein Student von seinem Vater einen Mercedes geschenkt bekam und meinte, ein Auto dürfte nur jemand besitzen, der schon so viel eigene Arbeit geleistet habe, wie dem Wert des Autos entspreche. So etwas würde ich als typisch "proletarisch" bezeichnen, und die von Dir gedisste Mitte-umsonst-Abhänger-Mentalität als ein Verhalten gelangweilter Middleclass-Abkömmlinge, die in Berlin ihr geeignetes Biotop gefunden haben.

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?
Wo geht es an dieser Stelle um Arbeiter?

boolsdog, ich linke nicht besonders gern. Ich linke nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt. In diesem Fall habe ich keine Lust, auf Gaffer und Mitläufer zu verlinken. Die Betreffenden wissen, was gemeint ist, und ich bin auch der Ansicht, dass das beschriebene Phänomen nicht allein die Spezialität Berliner Subterrains mit Bloggerfüllung ist.

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Wie ich gerade lesen durfte, gibt es einen Skanadal um dioxinverseuchtes Schweinefleisch aus Irland. Urgs. Als wäre nicht schon Leberkäs schlimm genug. Urgs.

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!
Du schriebst oben "Proleten", und damit fühlen sich Leute gemeint, die Arbeiter oder durch ein Arbeitermilieu sozialisiert sind. Und im Zweifelsfall stolz darauf, Proleten zu sein. Und für die sind die von Dir geschilderten Freunde des schlechten Geschmacks verwöhnte Mittelstandskids.

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Sowas ist in der hiesigen Terminologie ein Proletarier oder auch Arbeiter im Sinne von produzierendes Gewerbe. Proll ist was ganz was anderes. Ich will da auch nicht alle über einen Kamm scheren, aber mein Verständnis für Leute, die von Hartz IV und Schwarzarbeit leben und zwar genau so, dass sie sich jeden zweiten Abend einen Vollrausch leisten können, ist nicht so arg ausgeprägt. Man wird nicht um die Einsicht herumkommen, dass manche Entwicklung weder allein gesellschaftlich bedingt noch durch die desolate Lage Berlins und anderer Regionen erzwungen ist.

Und ich bin absolut kein Spiesser, nur wenn ich es nicht gern habe, wenn irgendwelche Rowdies, weil´s so auch in MTV gezeigt wird, Mülltönnen anzünden oder Scheinwerfer eintreten. Und das dann noch als antikapitalistische Aktion verkaufen. Das Thema ist vielschichtig und schillernd, aber worum es mir geht, ist die Ansicht, dass alles schlecht ist, was teuer und extravagant zu sein scheint, und alles akzeptabel ist, was sich irgendwie als proletarisch und unluxuriös verkaufen lässt, selbst wenn es asozial ist. Ich kenne jemanden, der ein Blog und einen Sportwagen hat. Der schreibt darüber nicht, weil er denkt, dass ihm die anderen dann virtuell den Wagen zerkratzen. Man hat Angst vor Ecken und Kanten, man passt sich einem Klüngel an, der jeden Tag einen Tritt verdiente.

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Solche Leute sind mir zumindest geballt meinen Lebtag nicht über den Weg gelaufen. Ich kenne Leute, die von HartzIV und Schwarzarbeit leben, ja. Die sind dann meist in linken Gruppen politisch aktiv, spielen in Punk- und Metal-Bands, praktizieren Kampfsport und/oder sind in irgendeiner Weise künstlerisch tätig, machen z.B. auch ehrenamtliche Sozialarbeit im Asyl- oder Odachlosenbereich. Und meist, aber nicht immer sind es tatsächlich Leute mit einer proletarischen Sozialisation in dem oben beschriebenen Sinn. Die gibt es aber in Hannover, Bremen, Hamburg und Göttingen und nicht in Berlin-Mitte. Ich glaube nicht, dass sich der Mitte-Sumpf woanders so wiederfindet.

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Mittelschichtskinder, die unbedingt total "links" sein wollen, dass aber eigentlich nur als Vorwand zum Dauerstudieren, Saufen und Kiffen nehmen, und mutmaßlich nie wirklich ein "linkes" Buch gelesen haben, ja, die kenne ich auch... Die haben dann zeitweise mal halb kahlrasierte Köpfe oder Rastazöpfe, geben das oft aber schnell wieder auf, weil sie die Toleranz ihrer Geld gebenden Eltern im zarten Alter von Mitte 20 nicht mehr überstrapazieren wollen... Auch Elektronik-Gadgets etc. sind da sehr beliebt. Ich glaube, an Ches Beobachtung ist sehr viel Wahres dran. Die "echte" Arbeiterschicht ist das nicht.

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Und es gibt eben auch Kreise in der linken Szene, die dieser Arbeiterschicht entstammen. Die Autonomen der 80er Jahre waren mal eine linke Szene, die zu einem großen Teil aus Leuten aus dem Sozi- und Ahi-Bereich und auch Jobberszene und Alternativökonomie (Messebauer, Montagenomaden, Ökoladenleute) bestand, und so etwas Ähnliches gibt es, wenn auch zahlenmäßig arg abgeschmolzen immer noch. Die Leute, die die Zeitschrift Wildcat machen sind diesem Milieu eng verbunden.


Mit der studentischen Linken hat das wenig bis nichts zu tun.

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Ich kenne
da so einige aus der alten SDS-Szene Berlins. Mein Schwiegervater zum Beispiel (der war an der Besetzung der Berliner Japanologie beteiligt). Oder der Pate meiner Frau. Die würden heute eher RCDS wählen als eine der Basisgruppenlisten.
Und auch Rudi Dutschke wusste mit den studentischen Linken in den 80ern nichts mehr anzufangen.

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Dito
Obwohl ich da nun dicke mittenmang dazugehörte, konnte die studentische Linke der 80er mit mir nichts anfangen. Eine Kampagne gegen das Wartime Host Nation Support Abkommen zu führen, nachdem die Stationierung der Atomraketen gelaufen war oder gegen das Schengener Abkommen zu mobilisieren und sich Gedanken über einen Zusammenbruch der DDR und eine deutsche Wiedervereinigung zu machen, um dieses Thema nicht der CDU zu überlassen, sondern es von links her mit emanzipastorischen Inhalten zu füllen, diese inhaltlichen Vorschläge, die ich mit wenigen Genossen so um 1984/85 vorbrachte stießen auf völliges Unverständnis. Dafür diskutierte der Göttinger ASTA am Tag von Halabja über den Verbalsexismus eines Kommilitonen.

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Also gut. Dann verstehe ich halt einige Beiträge nicht. (Oder miß.)

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Deja-vu
Ich war erst nach 2000 in der Göttinger HoPo aktiv, und dann auch noch auf der Seite des Klassenfeinds ;-), sprich der ADF. Und mich persönlich haben die Linken an der Mathematischen Fakultät unter anderem überzeugt, dass es keine Alternative zur ADF gibt - auch wenn bei der nicht alles Gold war/ist was glänzt.
Zu meiner Zeit waren "die Linken" nur noch eine (Chaos)Truppe, die weder überzeugende Programme hatte, noch in der Lage waren, sinnvolle Oppositionsarbeit zu leisten. Und das angefangen bei der GHG und weiter nach links.
Derartig sinnlose Diskussionen hatten wir mit denen auch genug. Und das in Zeiten der Einführung der Studiengebühren...

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Und für mich waren die linken Hochschulgruppen der 90er wie LiFaBa und Ollafa ja nur noch ein trauriger Abklatsch. Anfang der 80er, bevor die erste GAL gegründet wurde (die weniger grün als vielmehr ein Bündnis aus KB-Umfeld und Autonomen war) hatte es noch so schöne Sachen gegeben wie die WAHL-Liste (Wahrhaft Alternative Hochschulliste) und die LOLA (Liste ohne Lästige Ansprüche).

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Dann empfehle ich mal SRK (Schwarz - Rot - Kollabs). Gestartet als APO haben die der Basisgruppenliste tatsächlich dauerhaft zwei Sitze im Göttinger StuPa abringen können. Die hatten wenigstens eine gute Publikation - zumindest was den satirischen Bereich angeht. (Ich persönlich habe mal überlegt gegen sie vorzugehen, da sie doch auf eine Art verleumderisch wurden, die hässlich ist. Aber was stört's die Eiche...)
Aber der Satireteil war gut. Fast wie die Titanic.

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Wenn wir schon snobby sind...
aufoktroyieren (umgangssprachlicher Neologismus; eigentlich stellt das Wort "aufoktroyieren" einen Pleonasmus dar)

http://de.wiktionary.org/wiki/oktroyieren

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Asche auf meine Rübe. Du hast recht.

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Kein Grund dafür. Ich bin in der Beziehung nur ein kleiner Krümelkacker.

Außerdem lese ich gerne hier und möchte, dass es gut ist. :-)

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Nur keine Zurückhaltung. Ich kann Kritik ertragen, und bin bekanntlich der höflichste Mensch von der Welt.

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aber die wahre DDR ist doch hier!
das "fehlen aller zeichen von exzeptionellen besitzfreuden" würde ich eher dem protestantismus zuordnen als der DDR. in der DDR gab es sogar haufenweise und auch gern vorgezeigte zeichen exeptionellen besitzes. sie bezogen sich allerdings weniger auf das, was im westen ohne weiteres kaufbar gewesen wäre, sondern auf dinge wie eine schöne sommerbepflanzung im garten, eine sammlung der expressionistischen gemälde des bruders / radierungen des vaters / aquarelle der ehefrau, alte und / oder besondere bücher, theaterkostüme oder was es sonst noch aus dem fundus gab, alte möbel, die man liebevoll selbst restauriert hatte und ähnliches mehr. auch wurde im osten stets leckerer und vor allem qualitativ hochwertiger gegessen: wenn wir wessis zu besuch kamen, gab es ein ökohuhn aus dem eigenen garten, frisches gemüse und kartoffeln von dort, sehr gutes bier und köstlichen selbstgebackenen kuchen (meist mit obst, das ebenfalls öko und aus dem eigenen garten kam). alles um längen besser als im westen. und alles auch erstaunlicherweise sehr ähnlich wie in don alphonsos blog.

die verschlechterung von allem, essen, möbel, geschmack usw. trat so richtig erst mit der wende ein, als man den kuchen schickerweise abgepackt im supermarkt kaufen konnte.

natürlich gab es auch plaste und elaste, bitterfeld, den gestank der trabis, resopaltische und kamphergeschwängerte scheiß- und treppenhäuser. klar. aber so, wie die graubraunstufenpopos der nachwendefilm- und medienbranche die DDR darzustellen und zu "zitieren" belieben, ist der ehemalige deutsche staat in wahrheit nie gewesen. sondern diese DDR-schablonen, nach denen die 70er besonders im sozialismus supertoll waren, sind nach der wende aus einer vermarktbaren nostalgie heraus neu geschaffen wurden, wobei diese art der nostalgie eher von ignoranten wessis empfunden und geteilt wurde als von ossis. wie hätten letztere das auch nostalgisch finden können, es war ja alles erfunden und erlogen!

es gibt sogar inzwischen, wie sollte es anders sein, einen "medienkritischen" begriff dafür: "histotainment".

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auch wurde im osten stets leckerer und vor allem qualitativ hochwertiger gegessen: wenn wir wessis zu besuch kamen, gab es ein ökohuhn aus dem eigenen garten, frisches gemüse und kartoffeln von dort, sehr gutes bier und köstlichen selbstgebackenen kuchen (meist mit obst, das ebenfalls öko und aus dem eigenen garten kam). alles um längen besser als im westen.

Itha, ich glaube, das lässt sich nicht verallgemeinern. Zum einen hatten dort nicht alle Leute eigene Gärten, wo sie ungespritztes Obst und Gemüse (auf das dann saurer Regen fiel) anbauen konnten. Zum anderen hat man sich nicht lumpen lassen, wenn die Westverwandtschaft kam, und das Beste aufgetischt.

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Der einzige Mann unter meinen Bekannten, der mit unter 40 "aus Prinzip" Stofftaschentücher an Stelle von Papiertüchern benutzt, stammt aus Ostdeutschland. Weiß nicht, ob das Zufall ist.

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was ich damit sagen wollte, war: man könnte schlechtes essen ebenso gut mit dem westen assoziieren.

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Ich denke, die Pflege und Wertschätzung der Dinge, die man hatte, war - schon allein zwangsweise - im Osten allgemein höher als hier im Westen (soweit ich das als Wessi beurteilen kann).

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Vermutlich nur bei den Dingen, die man wirklich persönlich "hatte" - könnte mir vorstellen, dass es beim sogenannten "Volkseigentum" wieder anders aussah.

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was das volkseigentum angeht, so habe ich weder im westen noch im osten je einen beschämenderen umgang damit gesehen als aktuell in friedrichshain und prenzlauer berg.

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@ amelia: "Auslegware" ist da das richtige Stichwort. War schwer zu beschaffen und mit ein Grund für diese ganze Hausschuhnummer. Die mir persönlich ein Graus ist, egal ob in Ost oder West. Nur tappe ich da im Osten sehr gern in den Fettnapf, weil ich von mir aus gar nicht auf die Idee komme, meine Schuhe auszuziehen. Ostler, so wurde mir einst gesagt, sagen dann zwar nicht unbedingt etwas, ärgern sich aber insgeheim. Ich wiederum bin reichlich irritiert, wenn Leute sofort ihre Schuhe ausziehen, kaum dasss sie meine Türschwelle überschritten haben.

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@Itha, Arboretum: Die Ostküche war teilweise schon echte Mangelküche, zumindest, was die Gastronomie anging. Zum Beispiel war ein "Jägerschnitzel" in der DDR eine geschmorte Jagdwurst. In großen Städten gab es Schnellrestaurants, die eher an Werkskantinen erinnerten mit Billigstessen, und viele Leute aßen da täglich.

@"die Pflege und Wertschätzung der Dinge, die man hatte, war - schon allein zwangsweise - im Osten allgemein höher als hier im Westen" ---- Jau, definitiv!

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"mangelküche" gab und gibt es hier auch. man braucht dafür nur in einen ganz normalen supermarkt gehen und sich anschauen, was herr und frau spar sich in den wagen knallen. und das hat nicht mal wirklich mit kosten zu tun.

im westen ist eben alles auf schnelle verwesung verwertung angelegt.

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"Der einzige Mann unter meinen Bekannten, der mit unter 40 "aus Prinzip" Stofftaschentücher an Stelle von Papiertüchern benutzt, stammt aus Ostdeutschland."

Der zweitigste Mensch, den Du kennst, stammt aus Bayern und hat da viele Artgenossen, denn das Schneizdiachal ist IMMER aus Stoff.

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Knappheit erzeugt Werte...
Ich denke, die Pflege und Wertschätzung der Dinge, die man hatte, war - schon allein zwangsweise - im Osten allgemein höher als hier im Westen
Hmm - nun: Amelia, so könnte man also sagen, dass der reale Sozialismus dabei half, Werte zu schaffen.

(wobei das vermeintlich hedonistische, tatsächlich eigensüchtige und keineswegs individuelle Verprassen und Verschwenden im real existierenden Kapitalismus - meiner Meinung nach - nicht unbedingt ein Beleg für Reichtum ist, sondern vielleicht eher eine Form geistiger Armut sein könnte)

P.S.
Ich sammle seit vielen Jahren Stofftaschentücher, aber zum Einsatz kommen diese nur gelegentlich und in stärkeren Umfang bei schweren Erkältungsepisoden, wo ich den Papiertaschentuch-Verbrauch als unökologisch und verschwenderisch empfinde - und damit insgesamt eher selten. Mein Eindruck ist dabei, dass ich - seitdem ich mit Stofftaschentücher angefangen habe - deutlich seltener (!) Schnupfen bekomme.

(vielleicht ist das eine Folge des Immuntrainings, das Stoff-Taschentücher mit ihren Spuren von Alt-Viren-Beständen stets und ständig darstellen - keine Ahnung habe ich allerdings, ob an diesem Gedanken etwas dran ist)

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Ich war im Sommer 1990 zwei Wochen unterwegs in der Altmark. Das mit dem Kuchen würde ich unterschreiben, aber so wie damals gibt es ihn heute nicht mehr: Alles andere war vielleicht doch eher der Mangel der Ostblockprodukte; ich war in einem Villenviertel, das es von der Jahrhundertwende bis 90 unbeschadet durchgehalten hat, und dann haben Händler den Leuten 10 Mark pro Bleiglasfenster bezahlt, ganze schmiedeeiserne Zäune abgeräumt und Westdeutschland mit einem riesigen Schub Antiquitäten überschwemmt, so dass heute der Osten praktisch tot ist. Wer in zwei, drei Jahren alles aufgibt, der kann es nicht sonderlich gemocht haben.

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Itha, das ist aber eine andere Mangelküche als dort damals. Ein Freund aus Thüringen hat mir mal beiläufig erzählt, wie seine Mutter schon ein gutes Jahr vor seiner Jugendweihe anfing, nach Dosenmandarinen Ausschau zu halten, damit sie bis zum Fest genug für den Kuchen beisammen hatte.

Don, den Hang, das "alte Gelumpe" für vermeintlich gutes Geld wegzugeben, gab es in westdeutschen Dörfern auch mal. Ist halt nur schon länger her. Brauchst Dir nur die Eternitplatten vor dem Fachwerk oder die Haustüren anzuschauen.

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Wem sagst Du das
In Tiroler Bergdörfern verschleudern sie heute noch die alten Rennrodel aus Eschenholz



Und kaufen gummigelagerte Buchenschlitten aus Osteuropa, bei denen das Holz nicht mehr gebogen, sondern zusammengestückelt und bunt lackiert wird.

Ich weiss. Das Alte hat es immer und überall schwer, aber so einen Schub wie 1989/90 hat man nie mehr erlebt. Für Händler ist das die legendäre, goldene Zeit.

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@don: stimmt auch wieder nur teilweise. ohne dir jetzt böses zu wollen, aber mich ärgert es immer wieder, wenn menschen, die nicht allzuviel von der DDR mitgekriegt haben, deren "mangelwirtschaft" (die es selbstredend gab - aber nur in manchen hinsichten) in bausch und bogen mit kollektiver wertelosigkeit gleichsetzen. so ist es einfach nicht gewesen!

es gab einen staatlich bedingten oder sogar verordneten sorglosen oder lieblosen umgang mit einem bestimmten kulturellem erbe (gerade in der architektur natürlich, da mangelte es auch schlicht an mitteln), aber das war nicht privat! kulturlose prolls hat es hüben wie drüben gegeben. die leute, die ich kannte (und heute immer noch kenne), hätten jedenfalls ihre antiquitäten niemals verkauft. was einem regelmäßig das wasser in die augen trieb, war z.b. der umstand, dass es sehr gute literaturübersetzungen gab (welche, die im westen fehlten! ich erinnere nur an die zahlreichen übersetzungen aus dem skandinavischen und osteuropäischen raum), teilweise wunderschön illustriert, dann aber auf minderwertigem holzhaltigem papier gedruckt, so dass diese bücher in einer weddinger ofenbeheizten wohnung im nullkommanix vergilbten und die seiten brüchig wurden... es gab auch musik mit wohldurchdachten texten, die quasi im privaten rahmen vorgetragen wurde und niemals auf einer platte erschienen ist, leider. und es gab, vor allem in der provinz, private sammlungen an kunst von leuten, deren letzter gedanke gewesen wäre, damit geld zu verdienen, weil das ohnehin nicht gegangen wäre, und es gab eine lust an gutem zusammensein mit gutem essen, sehr viel persönlicher nähe und auch mit einer verbindlichkeit, die heute besonders unter jungen menschen vollkommen unbekannt geworden ist. klar war das sicher nicht repräsentativ für die große allgemeinheit, die nach dem mauerfall bloß shoppen gehen wollte. aber was haben wir denn heute? heute kann sich jeder analphabet mit einem profilkomplex im internet prostituieren und sich dafür die unverbindliche anerkennung und das lob von ebenso doofen leuten abholen, die in in der mittagspause mal eben online sind, um dinge zu lesen, die irgendein schwachkopf mal eben in der mittagspause gebloggt oder gepostet hat. mich regt sowas einfach regelmäßig auf. argh, nee.

es gab in der DDR vor allem einen anderen umgang mit zeit. es gab vieles nicht, natürlich gab es nicht die auswahl an restaurants, die wir heute haben (und ohne die küche zu kennen und die zutaten - hauptsache, es schmeckt - aber warum? oft doch bloß, weil es "krass" genug für die geschmacksverstärkergelähmten riechorgane schmeckt, um ein erlebnis zu sein), aber man ging eben auch weniger aus, man suchte sein glück nicht im geldausgeben, denn da gab es eh nix. als studentin aus dem westen damals hatte ich auch nicht viel mehr in meiner wohnung oder auch sonst als besitz als die freunde aus dem osten. wir alle hatten schlechte stereoanlagen, billige lampen oder alte kronleuchter, regale mit büchern und selbstgenähte klamotten. kein unterschied. nur die hatten mehr zeit. bis zur wende. danach kam dann der große ausverkauf, nicht alle haben mitgemacht, aber wer mitmachte, passte sich einer wertvorstellung an, die doch aus dem westen kam - die kam doch von uns, und nicht aus der DDR! (wozu braucht man eigentlich zum beispiel aus brasilien eingeflogene gewachste und gespritzte und lang gelagerte mandarinen? wenn die auf dem teller landen, sind da so gut wie keine vitamine mehr drin. sehen trotzdem schön aus natürlich. so schön wie die pestizidverseuchten rosen aus fernost, die wir zur unzeit beim blumenhändler kaufen. statt dessen haben wir die vielfalt unserer einheimischen apfelsorten auf ein minimum reduziert. ein wahnsinn ist das.)

ich füge hinzu: die DDR war scheiße, natürlich - aber aus anderen gründen. ich möchte hier nicht dahingehend missverstanden werden, dass ich das regime rechtfertige oder ähnliches - aber kulturwaisen waren die ossis nicht! der wunderschöne park von sanssouci z.b. war damals für alle offen - etwas verwildert vielleicht, aber offen - eigentlich sogar viel schöner als heute, weil "verwildert" - man konnte damals dort im sommer im hohen gras sitzen und picknicken, ohne touristen, ohne eintritt, es war wirklich _volkseigentum_ - demnächst müssen wir dort eintritt zahlen, um überhaupt in den park zu kommen! nur damit sich die stadt potsdam leisten kann, den park für touristen so aussehen zu lassen, wie er nie, auch zu fritzens zeiten nicht, ausgesehen hat... aber die wahrheit ist: es ist weder so noch _so_ richtig! es gibt aktuell viele gute initiativen von leuten, denen schlösser rückübertragen wurden und die sich kümmern, alles richtig und gut. teilweise jedenfalls. aber das fehlen solcher initiativen kann man doch nicht dem inzwischen historischen DDR-bürger anlasten und erst recht nicht dabei auf dessen "kulturlosigkeit" schließen.

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Naja, wenn ich sehe, wie der besoffene Lehrer J. aus dem Sauerland tagaus tagein den Nazitroll geben und daheim den Intelektuellen heucheln kann, dann gibt es auch im Westen scheinbar noch immer Bereiche, wo man vergessen hat, solche Arschlöcher mit Arbeit zu kurieren - aber besser im Bergwerk als mit Menschen, die so einen Dreck nicht verdienen.

Man sollte vielleicht nicht Berlin mit der DDR gleichsetzen. die KoKo hatte unter anderem so ein leichtes Spiel, weil wirklich viel Altes leicht zu bekommen war. Die DDR hatte ein paar unbestreitbare Spitzenprodukte und unendlich viel Ramsch - der Buchdruck ist das beste Beispiel. In Sachen Geschichte kann ich nur nach meinen Erfahrungen gehen, und das war eine Haltung a la "wir heben alles auf, was zum Werdegang des Sozialismus passt". In Sanssouci ging Voltaire herum, das war herausgeputzt, und der Rest wurde kassiert und als Kinderheim, Militärverwaltung etc. pp. runtergewirtschaftet. Nicht, weil man einen Mangel hatte, sondern weil es egal war, ein Relikt, das man nutzte, bis es auseinandergefallen ist. Staatsdoktrin. Und nicht alle waren Vollwiderständler.

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stimmt alles, aber es gibt absolut gleichwertige scheiße im westen. und von dieser sichtweise werde ich auch nicht abweichen, wenn man mich bei brot, wasser und peitsche in einer bayerischen berghütte folterte.

ein nachtrag zu kronleuchtern fällt mir auch gerade bei. ich hatte einen massiven lüster, ca. 15 kg schwer und erstanden auf dem ätzenden neureichenmarkt am 17. juni, den ich in der weddinger wohnung genau über meinem bett aufgehangen hatte - bis mir irgendwann auffiel, dass ich dort genau deswegen schlecht schlief. die unbewusste angst, dass das ding während der nacht runterknallen könnte, machte ständig schlechte träume. nicht immer und überall sind antiquitäten gut. seitdem nur noch leichte papiergebilde über der schlafstätte, denn gerade da möchte man sich doch gern frei und unbelastet fühlen.

unbelastet wie ein kranich auf 'nem schneeschlitten.

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tut mir leid übrigens, dass der idiot ausgerechnet aus dem sauerland kommt.

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