Das Ende der Rottacher Hundedecken.

Ich war jung und brauchte das Geld nicht besonders. Das muss 1992 gewesen sein, im Frühling. Damals war ich in der - inzwischen längst verschwundenen - Designerabteilung von Beck am Rathauseck und sah mir die neuen Kollektionen von Gaultier und Gaultier pour Gibo an. In einer Welt, in der Schwarz das mass aller Dinge war, hatte Gaultier offensichtlich seine Vorliebe für ältere Mathematiklehrer entdeckt. Anders konnten wir - Söhne von Eltern - uns nicht vorstellen, wieso er jetzt nach all den tollen, exzentrischen schwarzen Dingen mit Schalkrägen und Schlitzen Männer unseres Alters in braunbeigem Glenn Check sehen wollte. Wir begriffen, dass wir mit der Mode nicht mehr mitkamen, und fühlten uns plötzlich sehr alt. Zwei Jahre später gab es die Muster auch bei Boss und anderen Häusern, aber da kümmerten wir uns schon nicht mehr drum und hatten, auch wegen Techno und den andrängenden Turnschuhmassen, andere Interessen.

Dieser Tag vor der neuen Linie von Gaultier markierte das Ende meiner nicht gerade bescheidenen Kleidersammelwut. Von da an trug ich auf, kaufte ab und an etwas dazu, aber es war mir nicht mehr so wichtig. Hätte man mir aber an jenem fernen Tag gesagt, dass ich dereinst innerhalb von ein paar Wochen wieder 25 Jacketts erwerben würde, mehr als je zuvor, auch in meinen schlimmsten Zeiten zwischen Annas und Holy's, und davon ein Dutzend, die wir damals verächtlich als "Hundedecken" bezeichneten - ich hätte das nicht geglaubt. Aber ich hätte mir ja auch nicht vorstellen können, dass Umfragen für die CSU auf 40-x lauten könnten. Oder dass meine Freunde von damals als Familienväter Angst habem, ihre Kinder könnten mal so werden, wie wir damals. Wie auch immer:



Über die 30 Hemden reden wir erst besser gar nicht. Aber nun ist es eben endgültig, nach 80 Jahren schliesst die Firma, bei der schon mein Grossvater und mein Vater Masskonfektion einkauften, die einfach zur Stadt gehörte und über die man sie nie besondere Gedanken gemacht hat. "Es ist egal, welche Marke drin steht, solange es von uns gemacht ist", hiess der halb bescheidene, halb grosse Anspruch, und das Elend ist: Wenn man erst mal eine gewisse Qualität gewohnt ist, kann man unendlich schlecht wieder hinabsteigen. Dann lieber ein guter Vorrat an Rottacher Hundedecken von Loro Piano, lieber ein Karo mehr als eines zu wenig, denn mit dem heutigen Tag wird hier nichts mehr nachkommen. Es ist vorbei. Und es ist kein Platz mehr im Schrank. Am Tegernsee, da ist noch Platz.

Als wäre das ferne Hohnlachen von Jean Paul Gaultier über all meine Hundedecken nicht genug, war es dann ausgerechnet auch noch das Shooting Jacket, das mir - wie alles, was mit jagd zu tun hat - bestens gestanden hat. An dieser Stelle bitte das sonore Lachen meines tiereabknallenden Grossvaters vorstellen. Man kann so etwas nicht mal in Rottach tragen, höchsten auf Bergwanderungen und beim Rodeln, aber egal - entweder man greift zu, oder man steht nie mehr, zumindest in diesem Rahmen vor der Wahl, bei so einem Stück zuzugreifen.

Früher war es ein Rausch, solche Stücke zu kaufen und auszuführen. Heute dagegen endet die Geschichte. Ich werde noch 10 Jahre haben, die Stücke aufzutragen, das Leinen zu knittern und das Kaschmir frierenden Frauen um die Schultern zu legen, so exzentrisch wie mein Sunbeam zu wirken und immer noch eine Jacke extra haben - aber lieber wäre es mir gewesen, wenn ich einfach jede Saison zwei, drei Stücke hätte nachkaufen können. So biegt sich der Schrank unter der Last, es ist die beste und einzige Lösung - eine immer noch reichlich teure Lösung, aber das ist es nicht. Es ist das Ende der Tradition, das die beste aller möglichen Welten so schal und elend erscheinen lässt. Wie der Tag, als sie das letzte Hutgeschäft der Stadt geschlossen haben, weil die Sparkasse das Haus an einen Investor verkaufte, der den Inhabern nach drei Generationen sofort kündigte. Früher war Einkaufen Verschwendung. Die letzten Wochen war es Notwehr.

Ich brauche endlich einen Schneider. Immerhin habe ich ein paar Jahre Zeit, einen zu suchen - Rottacher Hundedecken waren nach Gaultier nicht mehr modern und werden auch nicht mehr veraltet sein.

Mittwoch, 23. Dezember 2009, 21:16, von donalphons | |comment

 
Mode
Das wollte ich schon vor längerer Zeit einmal fragen: wenn Sie von der Oberschicht sprechen, klingt immer und überall ein "langandauernd" an. Man hat als Familie eine lange Geschichte, die Möbel, das Geschirr, die Bestecke, die Teppiche sind darauf ausgelegt Jahrzehnte zu halten. In diesen Familien wird in längeren Zeitabständen gedacht.
Und dann diese wahnsinnige Fixierung auf Mode und Marken, diese Unmöglichkeit auch noch im Jahre 2010 Kleidung aus 2009 "aufzutragen". Diese unheimliche Verschwendung nahezu ungebrauchter Stoffe die so sehr mit der allgemeinen Sparsamkeit (die Sie öfter beschreiben mit "von Reichen lernen heisst sparen lernen") kontrastiert. Wie passt das zusammen?

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Das ist meines Erachtens ein eher typisches Frauenverhalten, wenngleich da auch die Ausrede "Das kann ich auch in 10 Jahren noch..." vorherrscht. Andererseits ist es wirklich so, dass in der Krise die Vogue und die Elle im englischen Sprachraum Tipps gegeben haben, alte Dinge länger aufzutragen. Männermode ist da eher geeignet, weil trendfrei. Frauen... es ist so wie mit den Gärten: im November muss der Gärtner tonnenweise Büsche umhauen, und im Februar rennen sie zum Gartengeschäft, weil der Garten so nackt ist. Ich verstehe das nicht, aber ich bin ja auch nur ein Mann

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Nun, zumidest bis 1992 waren Sie ja anscheinend nicht anders. Gaultiermode jedes Jahr neu zu erwerben, hört sich auch nicht sehr nach "auftragen" an.

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Einen Gaultieranzug von 1995 - Schlammgrün, zweireihig mit Nadelstreifen - trage ich auch heute noch ab und an. Allein schon, um mir zu beweisen, dass ich seitdem nicht allzu fett geworden bin (allerdings war der Anno 95 noch recht weit, was er jetzt nicht mehr ganz ist. Trotzdem passe ich problemlos in 52, oft auch noch 5o hinein).

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Es ist interessant, dass sich die Strukturveränderungen so gleichen. Die Stadt an einem Fluß im Westen aus der ich ursprünglich stamme, erlebte in den letzten vierzig Jahren einen dramatischen Niedergang, so daß auch dort viele der alten Geschäfte zu machten.
In Ihrer Stadt am Fluß nun das gleiche Phänomen, aber nicht wegen des Niedergangs, sondern wegen des ökonomischen Aufstiegs.

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Ist das "der" schlammgrüne Anzug mit literarischer Erwähnung?

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Geständnis
Ich muss gestehen, diese Hundedecken fand ich früher überhaupt nicht reizvoll. Sie stehen nämlich nur wenigen Männern wirklich. Oder vielleicht sollte ich sagen, wenige Männer können damit umgehen.

Damit sie nicht wirklich wie in Form genähte Pferdedecken wirken, muss man sie auf Haar- und Hautfarbe abstimmen, man braucht einen wirklich vornehmen Gang und man sollte ein Gefühl dafür haben welche Utensilien diese Decken veredeln. Aber mal ehrlich, wie viele Männer interessieren sich schon für diese Details? Drum laufen überwiegend Pferdedeckenträger herum.

Ich mache ein weiteres Geständnis. Inzwischen finde ich sogar Pferdedecken okay. Alles noch besser als diese Einheitstypen, die keine eigene Persönlichkeit zu haben scheinen. Schwarzer Anzug, die Schuhe, die gerade alle tragen, fast gleiche Krawatten, normierter Haarschnitt, unverbindliches, angetackertes Lächeln, optimal durchgeplante Karriere, aber keine umfassende Bildung. Interessen: Auto, Geld, Wirtschaft, Fernsehprogramm. Erinnern alle ein bißchen an die "Grauen Herren" von Momo. Und wehe man konnte es nicht taktisch geschickt vermeiden mit ihnen ein Gespräch zu führen. ...

Doch, ich liebe inzwischen jede andere Anzugsform - sogar Hunde- oder Pferdedecken - je individueller gewählt, desto eher versprechen sie interessante Gespräche. Selbst ein stures Anzugsvermeiden kann heutzutage ein Hinweis auf einen erweiterten Horizont sein. Und der ist mir persönlich einfach wichtig.

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Ich gehe eigentlich mit dem ganzen Post fast d'accord, bis auf den letzten Absatz. Ich finde, es gibt in unserer durch und durch vercasualisierten Welt wenig, das so individuell ist als in seiner Freizeit einen (natürlich schicken) Anzug zu tragen.

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Schneider
Carmine DePascalis, Nordend-, Ecke Barerstrasse
Echtes traditionelles Handwerk, nichts wird ausser Haus gegeben, für einen Münchner Schneider fast unverschämt preiswert (unterhalte Dich mit ihm darüber, warum das so ist. Sehr erleuchtend)

Alternativ Regent in Weissenburg (www.regent-tailor.de)
High-End Konfektion auf Brioni/Kiton Niveau, komplett handmade in WUG. VK im Handel 1500Euro aufwärts, im Lagerverkauf vor Ort ab 500, Maßkonfektion mit Zwischenanprobe ab 1000E

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Don, auf Deiner geplanten Tour durch das alte Europa schau doch mal bei Ladage & Oelke in Hamburg vorbei. Ein Familienbetrieb seit 160 Jahren. An einer der ersten Adressen in Hamburg. http://www.ladage-oelke.de/ Letztes Jahr war der Webauftritt noch konservativer, ohne Flash und Jazzmusik im Hintergrund. Aber naja, der Laden ist noch derselbe.
Auch wenn Du Dich sehr überwinden musst, nach Hamburg zu kommen. Du kannst dann ja schnell weiter reisen nach Dänemark. Das gebe ich Dir als Tipp unter Flohmarktjägern mit: Dänemark hatte in den letzten Jahrhunderten nie ernsthaft unter Kriegseinwirkungen oder Mangelwirtschaft zu leiden. Das merkt man auch auf den Flohmärkten oder Haushaltsauflösungen. Besuche Dänemark und dänische Flohmärkte am besten zur Zeit der Mittsommernächte, da kommt es Dir auch nicht so nordisch-trist vor!

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